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Nicht-binär seit über 2000 Jahren

Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
12. Mai 2024

Apostelgeschichte 1,9-14

Mit der Himmelfahrt Jesu kehrt nicht nur eine bloß „geistliche“, „energetische“ oder „spirituelle“ Seite Jesu in die Gegenwart G*ttes ein. Jesus kommt bei G*tt an mit gänzlich allem, was ihn als Menschen ausgemacht hat. Auch seine Wunden, Narben und Sinnesfreuden sind mit aufgenommen in sein Dasein im Angesicht G*ttes:

9Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Augen. 10Und während sie, als er wegging, zum Himmel blickten, standen da zwei Gestalten in weißen Gewändern bei ihnen; 11die sagten: »Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und blickt zum Himmel? Dieser Jesus ist euch entzogen und zum Himmel hinaufgenommen worden. Wie ihr ihn zum Himmel gehen gesehen habt, so wird er kommen.« 12Da kehrten sie vom Berg, der Ölberg heißt, nach Jerusalem zurück; er liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg weit. 13Als sie ankamen, stiegen sie hinauf in das Obergeschoss, wo sie sich aufhielten: Petrus, Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, Simon der Eiferer und Judas, der Sohn des Jakobus. 14Sie alle waren einmütig und regelmäßig auf das Gebet bedacht, zusammen mit den Frauen und Mirjam, der Mutter Jesu, und seinen Geschwistern.

https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/die-bibel/bigs-online/?Apg/1/9-/

Mit der „Himmelfahrt“ wird Jesus allen menschlichen Grenzsetzungen entzogen, Begegnungen mit ihm als Voraussetzung zum Dazugehören zu setzen. Solange Jesus vor seinem Tod und nach seiner Auferstehung auf Erden war, hätten Begegnungen mit ihm als Kriterium dafür herhalten können, wer „wirklich“ dazu gehört oder nicht. Ab nun ist die Gegenwart Jesu greifbaren Begegnungen an besonderen Orten entzogen. Wer Jesus sucht, soll sich aber stattdessen nicht von der Welt abwenden und in den Himmel starren – sondern genau inmitten dieser Welt die Gemeinschaft mit anderen Menschen suchen.

Das Motiv der Himmelfahrt kommt in den Evangelien nur im Lukasevangelium vor. Für die Leser*innen des Evangeliums ist es allerdings keineswegs ein einzigartiges Motiv. In ihrer Kultur gab es auch vor Jesu Himmelfahrt schon so manche Himmelfahrten. Auch die Bezeichnung von Jesus als „Sohn Gottes“ war ja damals keineswegs einzigartig. In beiden Fällen ging es gar nicht darum, dass Jesus damit einzigartig gewesen wäre. Es ging darum, die Einzigartigkeit Jesu zu vermitteln – aber als Mittel dafür dienten eben auch Begriffe und Aspekte, die in der damaligen Kultur bekannt und verbreitet waren. (In Verbindung mit Jesus konnte es freilich auch passieren, dass die Begriffe eine Umdeutung oder Unterwanderung erfuhren; dass sich ihre herkömmliche Gültigkeit also verlagerte oder verloren ging!)

Ich habe mich gefragt, warum ausgerechnet das Lukasevangelium die Himmelfahrt verwendet. Was soll damit über Jesus ausgesagt werden? Sowohl Himmelfahrten als auch die Bezeichnung „Sohn Gottes“ dienten sonst dazu, die Außergewöhnlichkeit und Erhabenheit weltlicher Autoritäten zu untermauern. War dem Lukasevangelium die Geburt Jesu in einem alltäglichen Wohnhaus etwa doch zu peinlich, zu alltäglich, zu banal? Aber ausgerechnet das Lukasevangelium legt ja sonst viel Wert auf Aspekte sozialer Gerechtigkeit!

Ich kann mir vorstellen, dass das Lukasevangelium die Himmelfahrt nicht nur in gewohntem Sinne einsetzt, sondern in doppeltem Sinne was damit macht: Erstens möchte es damit natürlich etwas aussagen über Jesus. Zweitens öffnet die Verbindung mit Jesus aber auch einen neuen Aspekt im Verständnis dafür, was bei der Himmelfahrt eigentlich passiert.

Der Schlüssel zur Himmelfahrt Jesu liegt meiner Meinung nach in der Geburt Jesu. bzw. genauer: in der christlichen Deutung von Jesu Geburt als Menschwerdung Gottes. Jesus als Immanuel, als „Gott bei/mit uns“. In der Gegenwart Jesu ist die Gegenwart Gottes mitten unter uns. Weil G*tt Mensch wurde, müssen wir nicht göttlich werden, um Nähe G*ttes zu erfahren. Inmitten unseres Menschseins – mit all den Bedingungen, Einschränkungen und Möglichkeiten unserer Menschlichkeit – ist uns zugesagt, dass nichts mehr uns von G*ttes Liebe trennen kann; so haben es schon diejenigen verstanden, die sich als erstes glaubensmäßig auf Jesus bezogen (Römerbrief 8).

Die Himmelfahrt Jesu denkt dieses Verständnis konsequent weiter:

Jesus kehrt nun mit all seiner umfassenden Menschlichkeit auch in die himmlische Gegenwart G*ttes ein – nicht als „spirit“ oder „energetisch“, sondern mit all seiner sichtbaren Körperlichkeit. Samt seiner Wunden und Narben. Mit allem, was (sein und unser) Menschsein ausmacht.

In Jesus hat also nicht nur Gottes Gegenwart eine Verkörperung unter uns Menschen gefunden (durch die Geburt Jesu). Sondern in Jesus hat auch Menschsein eine Verkörperung bei G*tt gefunden (durch die Himmelfahrt).

Weder vor noch nach unserem Tod stellt unsere Menschlichkeit eine trennende Grenze zu G*tt dar. Sondern MIT unserem Menschsein sind wir bei G*tt aufgehoben. In UND nach diesem Leben.

Schon in den ersten Jahrhunderten wurde über diese doppelte Identität Jesu als Gott UND als Mensch diskutiert, gerungen, gestritten und nach Worten gesucht. Im fünften Jahrhundert stand dann die Formel: Jesus ist wahrer Gott UND wahrer Mensch.

Spätestens seit dem fünften Jahrhundert wird Jesus also als nicht-binär eingestuft.

Hätte die Theologie das Konzept der Nicht-Binarität doch mal früher als solches auf dem Schirm gehabt. Es hätte uns schon viel früher so viele Einblicke in nicht-binäre Aufschläge in der Bibel ermöglicht, auch in Bezug auf Geschlechtlichkeit – von der Schöpfung bis zur eschatologischen Verheißung.

PS:
Herzlichen Glückwunsch an Nemo zum gestrigen Gewinn des ESC als nicht-binäre Person!
https://www.eurovision.de/teilnehmer/ESC-Siegeract-Nemo-setzt-Zeichen-zur-Selbstfindung,schweiz1242.html

 

 

 

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