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Zu glauben, dass ich mitgemeint bin – auch wenn ich die Kriterien der Mehrheitsmeinung nicht erfülle, um angeblich wirklich mitgemeint sein zu können

Predigtimpuls MCC Köln, 18. September 2022
Ines-Paul Baumann

Lukas 17,11-19 „Die zehn Aussätzigen“

„Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.“, gibt Jesus dem Samariter mit auf den Weg. Bei WAS genau hat ihm sein Glaube geholfen?

Oft scheint damit gemeint zu sein, dass der Glaube die Heilung ermöglicht hat, also dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Maß individuellen Glaubens und einer angestrebten Heilung oder Veränderung gibt.

Aber wenn das mal ausbleibt? Dann führt das z.B. zu Aussagen wie diesen hier:

„Du musst nur (mehr / besser / anders) glauben, dann werden deine Gebete auch erhört werden!“

Oder auch:

„Unsere Gebete waren umsonst. Seitdem ist mein Glaube zerbrochen.“

Muss Glaube an schlechten Erfahrungen zerbrechen? Oder sich in guten Erfahrungen bewähren? Von der Bibel her beides nicht. Von der Bibel her gibt es nicht immer einen direkten Zusammenhang zwischen guten bzw. schlechten Erfahrungen und dem Maß des eigenen Glaubens.

Das heißt nicht, dass sich die Bibel nicht auch mit genau solchen Fragen, Erwartungen und Enttäuschungen befasst. Im Gegenteil. Aber dass Glaube Berge versetzen kann, ist nur eine Seite von vielen, die diesbezüglich in der Bibel ihren Platz haben.

Es gibt zum Beispiel auch:

Jakob (1. Mose 28,10-22):

In der Nacht offenbart sich Gott Jakob mit allen Verheißungen, die sich ein Mensch damals nur wünschen konnte. Und am nächsten Morgen wacht Jakob auf und sagt: „Ok, wenn Gott, das wirklich alles tut, dann soll er mein Gott sein.“ Hier widerfährt Jakob nicht deswegen Gutes, WEIL sein Glaube so groß ist. Umgekehrt: Eventuell wird Jakob irgendwann glauben, weil ihm Gutes widerfahren sein wird.

Hiob:

Hiobs Glaube ist vorbildlich. Dann wird ihm alles genommen, was sein Leben ausgemacht hat – Gesundheit, Familie, Lebensstandard. Hiob wendet sich daraufhin nicht von Gott ab: Hiob stellt Gott zur Rede, klagt an, hadert. Am Ende werden Hiob wieder gute Erfahrungen zuteil. Aber nicht, weil er daran geglaubt bzw. das erwartet hat.

Paulus (2. Korinther 12, 7-10):

Paulus ist nicht weniger ein Held des Glaubens als es Hiob war. Wenn Paulus im Gebet um etwas bittet, müsste es nicht kraft seines Glaubens eintreten? Wer würde es wagen, bei Paulus mangelnden Glauben zu unterstellen, wenn seine Gebete in einer Sache NICHT erhört werden? Paulus selbst jedenfalls zweifelt weder an seinem Glauben noch an seinem Gott. Und das, obwohl es da ein Gebet gibt, das er wieder und wieder an Gott richtet, und das wieder und wieder nicht erhört wird.

Die zehn Aussätzigen (Lukas 17,11-19):

Mit dem Hintergrund, dass in der Bibel Heilserfahrung und Glaubensstärke auch entkoppelt sein können, kommen wir nun zum heutigen Predigttext. Zehn Aussätzige wenden sich an Jesus mit der Bitte um Heilung. Jesus schickt sie zum „Freitesten“ zu den Priestern. Auf dem Weg dorthin werden sie gesund, alle. Einer von ihnen widersetzt sich nun den Worten Jesu und kehrt zu Jesus zurück, anstatt zum Priester zu gehen. Jesus deutet das so, dass nur dieser Gott die Ehre gibt, und schließt mit den Worten: „Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.“

Heißt das, die anderen neun hatten keinen Glauben bzw. ihr Glaube hat ihnen nicht geholfen? Nicht geholfen WOBEI? Gesund geworden sind sie ja alle! Von der Deutung Jesu her gibt es hier keinen Zusammenhang zwischen irgendeiner Form von Glauben der Aussätzigen und ihrer Gesundung, den der Samariter als einziger erfüllt und die anderen neun nicht.

Welchen Unterschied gibt es also zwischen dem einen Einzelnen und den neun anderen? Woran knüpft Jesus an, dass für diesen einen sein Glaube in einem Sinne entscheidend war, der für die anderen neun nicht gilt?

In dem Text wird herausgestellt, dass derjenige, der als Einziger zu Jesus zurückkehrt, ein Samariter war, also ein Mensch, der damals zu den Ungläubigen gezählt wurde. Tatsächlich ist es dem Lukasevangelium immer wieder ein Anliegen, dass das Evangelium Jesu auch denen offensteht, die damals zu den Heiden zählten. Auch unter diesem Aspekt stellt sich also die Frage: Was meinte Jesus, als er sagte, dass der Glaube des Ungläubigen ihm geholfen hat? Wenn der Glaube offensichtlich nicht die Voraussetzung zum Gesundwerden war, worauf spielt Jesus dann an?

Geht es darum, dass der Samariter als Einziger die Erfahrung des Gesundwerdens als eine Erfahrung im Rahmen von Gottesbezügen deutet? Dass er der Einzige ist, der Gotteslob bereits direkt an Jesus richtet? Dann ginge es um die Einordnung der Erfahrung NACH dem Erleben. Es beantwortet immer noch nicht die Frage, FÜR WAS sein Glaube hilfreich war.

Jesus betont nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Situationen, dass der Glaube einem Menschen geholfen hat. Irgendwie scheint ihm das wichtig zu sein. Und nochmal, ausgehend von dem heutigen Text kann es nicht nur darum gehen, dass Glauben eine Voraussetzung dafür ist, dass Menschen etwas Erhofftes, Ersehntes oder Erbetenes erleben.

Nun, wenn der Text so viel Wert darauf legt, dass es hier um den Glauben eines vermeintlich Ungläubigen geht, dann fängt es vielleicht schon damit an, dass der vermeintlich falsch oder nicht glaubende Samariter überhaupt glaubt, mitgemeint zu sein, als Jesus alle zehn Aussätzigen zum „Freitesten“ schickt. Vielleicht hatte er bis dahin gehofft, in der Menge der anderen unerkannt zu bleiben – aber spätestens, als er dann zu Jesus zurückkehrt, tritt er aus der Menge heraus. Im Dialog mit Jesus kommt für die Außenstehenden die Wahrheit ans Licht. Und Jesus bestätigt und bekräftigt, dass er mitgemeint war.

Zu glauben, dass ich mitgemeint bin – auch wenn ich die Kriterien der Mehrheitsmeinung nicht erfülle, um angeblich wirklich mitgemeint sein zu können: Ja, DAS ist Glaube, der hilft.

Glaube, der hilft, ist von der Bibel her nicht zwangsläufig im Sinne einer Voraussetzung dafür gemeint, Gutes zu erleben. Aber ein Glaube, in dem ich nicht mitgemeint bin, so wie ich bin, kann sich sehr wohl gegen mich wenden, indem er mein Erleben von Gottes Zuwendung einschränkt und einem heilenden und heiligendem Gottesbezug im Wege steht.

Und wenn es Jesus so wichtig ist, dass der Glaube einer Person ein Glaube ist, der ihr hilft – dann sollten auch wir uns vielleicht nicht mehr abfinden mit Glaubenssätzen, die uns einengen, ausschließen, im Wege stehen und einschränken.

Mögest auch du heute deinen Glauben als etwas erleben oder zu etwas umgestalten, in dem du Jesus zu dir sagen hören kannst: „Sei aufrecht, nimm deinen Weg an; dein Glaube ist ein Glaube, der dir hilft“!

Segen

Gott sei vor dir,
um dir den Weg
aus allem Einengenden zu zeigen.

Gott sei hinter dir,
um dir den Rücken zu stärken
für den aufrechten Gang.

Gott sei neben dir,
bejahende Unterstützung
an deiner Seite.

Gott sei in dir,
Stimme der Wahrheit und des Trostes
in tiefster Kenntnis und Annahme deiner Selbst
und dem, was für dich gerade dran ist.

Amen

(in Anlehnung an einen irischen Segenswunsch)

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