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Eine Prise Bispiritualität für den Monotheismus! #bisexualität

Impuls MCC Köln, 25. September 2022
Ines-Paul Baumann

Kohelet 3,1-11

Vorgestern am 23.9. war der Internationale Tag der Bisexualität. Bi+sexuelle Menschen fühlen sich von zwei oder mehr Geschlechtern romantisch und/oder sexuell angezogen.

Für alles gibt es eine Zeit (…)
Zeit zu pflanzen und Zeit, Gepflanztes auszureißen. (…)
Zeit einzureißen und Zeit zu bauen.
Zeit zu weinen und Zeit zu lachen,
Zeit zu trauern und Zeit zu tanzen.
Zeit, Steine zu werfen, und Zeit, Steine zu sammeln,
Zeit zu umarmen und Zeit, das Umarmen zu meiden.
Zeit zu suchen und Zeit verloren zu geben,
Zeit zu bewahren und Zeit wegzuwerfen.
Zeit auseinander zu reißen und Zeit zusammenzunähen,
Zeit zu schweigen und Zeit, Worte zu machen.
(…)
Alles hat Gott schön gemacht zu seiner Zeit.

aus: Das Buch Kohelet 3,1-11
(Bibel in gerechter Sprache)

(und vielleicht ließe sich ergänzen: „…Zeit für solches Begehren und Zeit für anderes Begehren…“)

Von den drei Buchstaben der „LGB“-Community in den USA sagten 2021 mehr als 50%, dass sie zu dem „B“ gehören.
Im Vereinigten Königreich waren 80% von ihnen in der Familie und 64% im Freund*innenkreis nicht geoutet.

Wenn mehr als 50% der „LGB…“-Community zu dem „B“ gehören – wie kann es dann immer wieder Veröffentlichungen und Studien etc zu „LGB…“ geben ohne einen einzigen Bezug zu „B“ im Inhalt??

Bi+sexualität wird auch sonst oft nicht mitgedacht – mit katastrophalen Folgen:

  • hoher Anteil mangelnder ärztlicher Versorgung
  • hoher Anteil mentaler Probleme
  • Suizidale Gedanken unter Schwulen und Lesben sind ca. 2-3 Mal so hoch wie unter Heterosexuellen; unter Bisexuellen sind sie fast 4 Mal so hoch.

Unter Heterosexuellen sind Bisexuelle entweder unsichtbar (wenn sie im zweigeschlechtlichen System gerade gegengeschlechtlich unterwegs sind) oder gelten als homosexuell (wenn sie im zweigeschlechtlichen System gerade gleichgeschlechtlich unterwegs sind).

Unter Homosexuellen sind Bisexuelle entweder unsichtbar (wenn sie gerade gleichgeschlechtlich unterwegs sind) oder gelten als heterosexuell (wenn sie gerade gegengeschlechtlich unterwegs sind).

Wenn eine gegengeschlechtliche Beziehung endet und anschließend eine gleichgeschlechtliche Beziehung eingegangen wird, wird die vorherige Beziehung oft abgetan als Phase, in der sich die Person noch nicht getraut hat, zu sich zu stehen, oder als Durchgangsstation, als Fehler, als eine Zeit der Angepasstheit. Anstatt als bisexuelle Person Anerkennung zu finden, gilt sie nun als endlich zu ihrer Homosexualität stehend.

Dauernd soll es auf ein „entweder-oder“ hinauslaufen. Bisexuelle begehren aber „sowohl als auch“, oder „eher so, aber auch so“, oder „mal so, mal so“ (inklusive „erst so, dann so“); es gibt unzählige Varianten mit unzähligen Auswirkungen auf Lebensstile und Beziehungsentscheidungen.

Auch in der Bibel finden wir solche Lebenswege; aber wenn David oder Ruth von Homosexuellen gerne als biblische Vorbilder genannt werden, passiert wieder genau das, was Bisexuelle so oft erleben: Andere Anteile in ihrem Lieben und Leben werden unsichtbar gemacht, übergangen und ignoriert.

Was mich heute aber auch interessiert, ist die Frage, ob sich aus der Perspektive solcher Erfahrungen auch Sichtweisen auf Glaubenswege ergeben. Ich meine das ernst; auch im Glauben fühlen wir uns ja von vielerlei Aspekten angezogen, haben unterschiedliche Orientierungen, und fühlen uns vielleicht mal hiervon mehr angesprochen und mal mehr davon. Was also können wir mit einem „sowohl als auch“ vielleicht sehen, was mit einem „entweder-oder“ verborgen bleibt?

Wie sich zeigt, ist die ganze Bibel voller „sowohl-als auch“s; hier ein paar lose erste Beispiele:

  • Wir haben sowohl das Alte als auch das Neue Testament.
  • Jesus ist sowohl Menschensohn als auch Gottessohn.
  • Das Evangelium ist eine Frohe Botschaft sowohl für Juden als auch für Heiden.
  • Die Sterndeuter sind sowohl ihrer eigenen Weltanschauung treu als auch die ersten Huldigenden bei Jesus. (Eigentlich schon bireligiös!)
  • Gott ist sowohl immer und überall da als auch in bestimmten Momenten da.
  • Jesus und G*tt sind sowohl eins als auch getrennt.
  • Petrus ist sowohl Satan als auch Fels der kommenden Kirche.
  • Die Bibel ist sowohl Gotteswort als auch Menschenwort.
  • Die Psalmen sind sowohl voller Verzweiflung über G*tt als auch voller Lob über G*tt.

Im Umgang damit zeigt sich aber oft dasselbe Bild wie für Bi+sexualität:

Immer wieder wird aus dem „sowohl als auch“ ein „entweder-oder“; das eine wird über das andere gestellt; Aspekte werden in den Hintergrund gedrängt, übergangen, unsichtbar gemacht oder missverstanden; unterschiedliche Aspekte werden klein- und weggeredet, einseitig interpretiert oder vereinnahmt.

Vielleicht wäre es bereichernd, öfter mal Anteile in ihren Verschiedenheiten anzuerkennen und zu erleben, wie sie sich ergänzen und gegenseitig bereichern.

Vielleicht kann es etwas freisetzen in unserem Glauben, öfter mal situativ statt prinzipiell zu denken.

Vielleicht lässt sich Monotheismus mit ein bisschen Bi+spiritualität viel besser durchdringen, verstehen, aushalten, erleben und gestalten.

Quellen:

 

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