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Wer denkt dich mit? (Internationaler Frauentag)

Predigt MCC Köln, 8. März 2020
Ines-Paul Baumann

1. Korinther 15,5-8

Heute geht es um etwas, das NICHT in der Bibel steht. Ich meine damit nicht, dass es woanders steht; ich predige nicht über einen Text außerhalb der Bibel. Ich predige über eine Lücke. Ich predige also nicht über eine Stelle, in der etwas Entscheidendes ausgesagt wird. Sondern ich predige über eine Stelle, in der etwas Entscheidendes NICHT ausgesagt wird. Es wird einfach weggelassen:

Als der Auferstandene hat er sich zunächst Petrus gezeigt und dann dem ganzen Kreis der Zwölf. Später zeigte er sich mehr als fünfhundert von seinen Nachfolgern auf einmal; einige sind inzwischen gestorben, aber die meisten leben noch. Danach zeigte er sich Jakobus und dann allen Aposteln. Als Letztem von allen hat er sich auch mir gezeigt;

1. Korinther 15,5-8 (NGÜ)

Alles schön und gut – aber da fehlt etwas. Es fehlen die Frauen. In allen vier Evangelien im Neuen Testament sind es Frauen, denen sich der Auferstandene zuerst verkündet und zeigt:

  1. Matthäus: „Maria von Magdala und die andere Maria“ (Mt 28,1)
  2. Markus: „Maria von Magala und Maria, die Mutter des Jakobus“ (Mk 16,1; hinzugefügt)
  3. Lukas: „die Frauen (…), die mit ihm gekommen waren aus Galiläa“ erhalten als erste die Verkündigung von Jesu Auferstehung; erste Erscheinung Jesu dann bei den Emmausjüngern (Lk 24)
  4. Johannes: Maria von Magdala (Joh 20,11ff)

Es gibt verschiedene Möglichkeiten dafür, dass Paulus die Frauen nicht erwähnt:

  • Entweder er hat nicht gewusst, dass sich Jesus zuerst Frauen gezeigt hat. Die Evangelien sind ja erst später entstanden, und Paulus wusste vielleicht nur von anderen Erzählungen.
  • Oder Paulus waren die Frauen einfach egal. Sie waren unwichtig in seinem Zusammenhang, sie spielten keine Rolle in seinen Gedanken. Schließlich ging es ihm darum, Autorität zu untermauern (am Ende vor allem seine eigene); und die wichtigen Autoritäten waren nur Männer, keine Frauen – also musste auch keine Frau dadurch bestätigt werden, dass der Auferstandene ihr begegnet war.
  • Oder Paulus hat sie mit Absicht weggelassen. Gerade wenn solche Begegnungen dazu führten, dass Personen eine besondere Vollmacht Gottes bekommen haben – dann DURFTE vielleicht keine Frau Erwähnung finden. Sonst hätte das womöglich noch dazu geführt, dass Frauen Ansprüche erhoben hätten…

Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Diskriminierung: Das sind genau die Gründe, warum Frauen bis heute in der Geschichte und in der Gegenwart so wenig vertreten sind. Und das sind genau die Gründe, warum es den Internationalen Frauentag gibt. Weil es da, wo Frauen wichtig waren und wichtig sind, Lücken in ihrer Darstellung und ihrer Wahrnehmung gibt – und dadurch auch Lücken in ihrem Wirken und dem, was sie bewirkt haben. Wenn Frauen so selbstverständlich einen Platz in der Welt hätten wie Männer, würde es den Internationalen Frauentag nicht geben müssen. Und dann wäre nicht nur für Frauen das Leben ein anderes (und besseres), sondern auch für Männer und für alle anderen Geschlechter dazwischen und darüberhinaus.

Wenn nun Frauen eine so wichtige Rolle gespielt haben bei der Auferstehung Jesu, und schon bei Paulus die Frauen nicht vorkommen, dann hat das weitreichende Konsequenzen. Die Römisch-Katholische Kirche in Deutschland diskutiert im Jahr 2020 n. Chr. darüber, ob Frauen womöglich dasselbe Amt ausführen können und dürfen wie Männer. (In der MCC sind ca. 50% des Klerus Frauen.) In den über 2000 Jahren dazwischen ist viel verloren gegangen, was auch unsere Zugänge und Möglichkeiten zu Glaubensformen beeinflusst.

Ein Beispiel ist das Menschenbild, wie es vielen Erlösungspredigten und vielen Bitten um Vergebung zugrunde liegt. Fast immer geht es darin um Menschen, deren Selbsterhöhung und Stolz als problematisch anzusehen sind. Sie sollen lernen, auch mal andere in den Blick zu nehmen, sich anderen zuzuwenden. Lernen, dass sich nicht immer alles nur um das eigene Ich dreht.

Welche Menschen laufen klassischerweise mit so einem Selbstbild herum? Nur wenige der Trans*-Menschen, Intersexuellen, Männer mit anderen Männerbildern, Schmerzgeplagten, Depressiven… Und eben: Auch Frauen eher nicht. SIE müssten oft genau das GEGENTEIL davon mal lernen. Nämlich DASS es auch manchmal um sie selbst geht. DASS sie auf sich achten sollen. DASS sie sich selbst ernst nehmen können. Jede Bitte um Vergebung, die uns eintrichtert, doch bitte mal etwas demütiger zu werden, wirkt da eher kontraproduktiv. Aber wenn der einzige Erfahrungshorizont, der in solche Texte einfließt, der von selbstüberzeugten Männern ist, dann kommt halt sowas dabei heraus. (Und in DEM Zusammenhang ist es ja auch wahrlich nicht falsch.)

In manchen MCC-Gemeinden hat das dazu geführt, dass manchmal GAR KEINE Bitte um Vergebung mehr gelesen wird. Zu groß sind die Verletzungen und Vergiftungen, die diese Texte hinterlassen haben. Da muss nur irgendwo das Wort „Ausschweifung“ stehen, und schon fühlen sich acht von zehn schuldig für ihr Sexleben. Da muss nur irgendwo das Wort „Stolz“ stehen, und schon steht im Raum, dass „Pride“ und CSD vielleicht doch keine gute Idee sind. Als würden Gerechtigkeit und Frieden (was ja durchaus anerkannte Ziele sind von Bitte um Vergebung) besser gedeihen, wenn wir uns weiter kleinmachen. Wenn wir dankbar sind, dass nun auch Frauen und Homosexuelle (und manchmal sogar Transmenschen) Pfarrer werden dürfen – und diese Themen damit dann doch auch bitte ruhen lassen.

In vielen Bereichen (Politik, Wirtschaft, Kirche, …) dürfen Frauen mitmachen, wenn sie sich den Bedingungen anpassen, die Männer geschaffen haben: selbstsicheres Auftreten, Durchsetzungsfähigkeit, Robustheit, Verhandlungsgeschick, alles im Griff haben (sich selbst im Griff haben, Untergebene im Griff haben, Konkurrenten und Gegner im Griff haben, Gemeindemitglieder im Griff haben, …).

Auch Menschen in der MCC werden an solchen Eigenschaften gemessen, wenn es um Posten geht. Meistens von Außenstehenden, aber durchaus auch innerhalb. („Hach, die xy, die ist so charismatisch! Toll! Hast du den xyz neulich gehört, der hat SO TOLL geredet! Schau dir mal das Video von zxy an, da stimmt einfach alles!“) Wie sollen wir als Gemeinde Anerkennung finden, wenn wir nicht normal genug sind?

Aber wie stark und selbstsicher müssen wir als Gemeinde und unsere Leute sein? Müssen wir uns wirklich messen (lassen) an dem, was andere Kirchen und Menschen stark und groß macht?

Die Lücke bei Paulus schreit aus meiner Sicht nicht deswegen so laut, weil ich noch drei weitere Paulusse bräuchte. Ich frage mich vielmehr, was eine PaulA mit IHREN Erfahrungen, Gefühlen und Gedanken beizutragen hätte. Eine Paula, die Paulus nur nachmacht, interessiert mich dabei nicht. Ich wünsche mir eine Paula, weil sie hoffentlich ANDERE Ideen und Anliegen einbringen würde. Die Menschen und Geschickten kennt, die Paulus NICHT kennt, anstatt nur in seinen Zirkel aufgenommen zu sein. Die „toll, jetzt dürfen auch Frauen dasselbe tun“-Nummer reicht mir da nicht.

Ich glaube nicht, dass Jesus sich zuerst den Marias gezeigt hat, um ihnen mitzugeben: „So, ihr lieben Frauen, ich als der Auferstandene bin ja nun erwiesenermaßen der Stärkste und Mächtigste ever. Und mit der Macht meiner Auferstehung verhelfe ich euch nun dazu, genau so stark und mächtig zu werden wie der ganze selbstgewisse Männerhaufen. Denn wenn ihr erst mal die ganzen Ämter und Posten ausfüllt, die es in Machtstrukturen so gibt, dann wird die Welt wie von selbst eine bessere werden, schließlich seid ihr als Frauen ja die besseren Menschen. Also los, und immer dran denken: keine Angst zeigen, Ellbogen einsetzen, immer alle und alles im Griff haben! Alles klar?“

Bei Paulus sehen wir, wo der Kampf um Anerkennung hinführen kann. Menschen werden ausgeschlossen. Sie werden nicht erwähnt, nicht mitbedacht, oder bewusst gemieden. Diese Lücken werden nicht dadurch geschlossen, dass nun Menschen ALLER Geschlechter dabei mitmachen dürfen, andere auszuschließen.

Es geht nicht um Nachmachen, Nachahmen, Anpassen. Der Auferstandene hat seine Botschaft mit gutem Grund denen direkt anvertraut, die nicht im Establishment saßen. Er MUSSTE es den Frauen selber sagen. Männer wie Paulus hätten vielleicht vergessen, es den Frauen auszurichten. Ob aus Unkenntnis, Ignoranz oder bewusster Ausgrenzung ist dann auch egal. Paulus hat die Frauen nicht mitbedacht. Jesus schon.

Wer bedenkt dich heute mit?
Oder andersherum: Wem überlässt du heute, mitbedacht zu werden? Auf wen schaust du, wenn du wissen möchtest, womit und wie sich Gott dir zuwenden will?
Gibt es Lücken in dem, wie Gemeinden und Kirchen deine Glaubensreise mit bedenken?

Erhofft euch bitte nicht, dass ICH in der Lage wäre, jede eurer Erfahrungen angemessen mit zu bedenken. Überlasst es in unserer Gemeinde bitte nicht nur ein paar wenigen, für alle sprechen zu sollen. Nächsten Sonntag auf der Gemeindeversammlung werde ich ein paar Vorschläge dazu mitbringen. Ich bin davon überzeugt, dass es in der MCC Köln sehr viel mehr Leute gibt, die etwas zu sagen haben, als wir derzeit zu hören bekommen.

Die Lücke bei Paulus zeigt nicht nur etwas zutiefst Menschliches, sondern auch etwas sehr Sinnvolles. Wer soll denn bitte schön für alle sprechen können? Verlassen wir uns (um Gottes willen!) nicht nur auf diejenigen, die als Sprechende derzeit anerkannt sind!

 

 

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