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Wenn diejenigen Gottes Geschichte weitertragen, mit denen keine_r rechnet

Predigtimpuls MCC Köln, 19. Dezember 2021
Ines-Paul Baumann

Markusevangelium 15,37-47

Pünktlich zum dritten Advent eine Geschichte vom Karfreitag. (Ostermorgen hatten wir ja schon letzte Woche in der Andacht.)

Ich interessiere mich zurzeit für die Nebenfiguren in den biblischen Erzählungen, diejenigen abseits des großen Geschehens, die nur am Rande Erwähnten. Ohne diese Randfiguren gäbe es die Hauptfiguren nicht, und die Evangelien legen Wert darauf, uns das mitgeben. Ich glaube, manche Abschnitte in den Evangelien wurden genau mit der Absicht verfasst, das deutlich zu machen: Schaut nicht immer nur auf die im Rampenlicht. Die großen Namen sind nicht immer die großen Helden. Sie sind wichtig, aber sie sind auch nur Menschen. (Möge das auch heute diejenigen entlasten, die im Rampenlicht stehen.) Diejenigen, die sonst nicht beachtet werden, können genauso wichtig sein. Es braucht beide, damit die Geschichte Gottes mit uns Menschen vorangeht (und die Geschichte von uns Menschen mit Gott).

Die „Nebenfigur“, um die es mir heute geht, hat immerhin einen Namen (oft sind es sogar Namenslose), und sie gehört zur Mitte der Gesellschaft (oft sind es auch sozial marginalisierte). Es geht um „Josef von Arimathäa, ein angesehener Ratsherr“. Dieser Mann hat einen Namen, einen Ruf, eine Position – mit anderen Worten: Er hat etwas zu verlieren. Vielleicht hielt er deswegen seinen Glauben geheim (Joh 19,38). (Vielleicht versucht dieser Satz aber auch nur die Peinlichkeit zu erklären, dass diesen Josef bis dahin niemand auf dem Schirm hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste niemand von diesem Verbündeten.)

Die Jünger – die mit dem Tod Jesu bereits alles verloren haben – sind in diesem Abschnitt abwesend. Nur die mitgegangenen Frauen halten Jesus in seinem Sterben die Treue – von ferne. Als das gesamte tragende Personal der Evangelien nicht aktiv werden kann, wird der angesehene Ratsherr aktiv.

Und warum wird er aktiv? Weil er im Advent lebte. „Er wartete auf das Reich Gottes“ (Mk 15,43). Genauer: Er wartete AUCH auf das Reich Gottes. Er war ein Verbündeter – auch wenn bis hierhin niemand mit ihm gerechnet hätte.

Und ausgerechnet jetzt – als es mit Jesus nix mehr zu gewinnen gibt, als die Geschichte zum Ende kommt, als sich alles auflöst, als alles vorbei ist – ausgerechnet jetzt geht er das Risiko ein, sich zu Jesus zu bekennen. Ausgerechnet jetzt bekennt er sich zu dem, der soeben zum Symbol der Schwachheit und Lächerlichkeit geworden ist. Jesus wurde verurteilt und hingerichtet und ausgelacht. Mit Jesus gibt es keine Zukunft mehr. Ausgerechnet jetzt wird Josef aktiv.

Das ist fast, als ob du dich dann als schwul outest, nachdem dein Geliebter verstorben ist. Du bekennst dich zu einer Beziehung, die es nicht mehr gibt.
Oder ist es genau andersherum – gerade WEIL du dich zu dieser Beziehung bekennst, ist diese Liebe eben nicht einfach im Grabe verschwunden.
Und nicht zuletzt bekennst du dich mit dem Bekenntnis zu deinem Geliebten auch zu dir selbst.

Vielleicht war Josef an so einem Punkt. „Sollen es doch jetzt alle wissen!“

Der nächste Schritt wird nicht leicht gewesen sein. Laut Markusevangelium war es ein Wagnis, bei Pilatus um den Leichnam Jesu anzuhalten.

Im Johannesevangelium kommt immerhin Nikodemus mit – genau DER Nikodemus, der sich nur im Schutz der Nacht zu Jesus getraut hatte (Joh 3). Aber ausgerechnet er hatte Jesus später in der Öffentlichkeit verteidigt (Joh 7) und ist nun mit Josef an Jesu Seite – wie gesagt, gerade jetzt, wo von Jesus nichts mehr zu erwarten ist und von einem Bekenntnis zu Jesus nichts mehr zu erhoffen ist.

Wegen diesen beiden konnte die Geschichte mit Jesus weitergehen. Zuerst über die Frauen, und dann wieder über die bekannten Jüngergestalten aus den Evangelien. Das Zentrum des Geschehens, die tragende Kraft der Glaubensgeschichte, wandert im entscheidenden, kritischen Augenblick zuerst an den Rand – und erst anschließend wieder zurück zu den bekannten und beachteten Figuren.

Die heutige Geschichte zeigt, dass Advent nicht immer nur heißen muss, auf den Ruf Gottes zu warten als Hoffnung darauf, dass Gott sich bald zeigt und lebendig wird. Nicht nur darauf zu warten, dass Gott dich anspricht und berührt und bewegt. Offenbar gibt es Momente, in denen Gott so tot ist, dass diese Stimme schweigen muss. Momente, in denen Gott nicht unser Glaubensleben tragen kann – sondern unser Glaubensleben Gott tragen muss.

Mögen in schwierigen Phasen unseres Glaubenslebens solche Personen auftauchen, die wir nicht auf dem Schirm hatten.
Personen, die in Bezug zu Jesus treten, wenn mit diesem Bekenntnis kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist. Wenn alle deine bisherigen Glaubensgeschwister weit weg sind. Niemand mehr mit dir Lieder singt. Möge dann die eine Person um die Ecke kommen, die den entscheidenden Unterschied macht.

Mögen dann diejenigen, die sich bisher nicht zeigen konnten oder wollten, ebenso wie Josef den Mut finden, Wagnisse einzugehen – dann, wenn Warten nicht Abwarten bedeutet: sondern wenn die Vorstellung, dass es so nicht weitergehen kann und soll, zum eigenen Aktivwerden bewegt.

Dann geht die Geschichte Gottes weiter: auch unter Umständen, die aussichtslos erscheinen, und mit Menschen, mit denen wir nicht gerechnet hatten.

Möge die MCC Köln ein Ort sein, wo solche Begegnungen stattfinden können. Auch wir haben Verbündete, von denen wir nichts wissen.

So lasse dich segnen durch Menschen, mit denen du nicht gerechnet hast,
und werde du zum Segen für Menschen, die mit dir nicht gerechnet haben.

 

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