Zum Inhalt springen
Home | Und wenn die Schlange gar nicht gelogen hat? Plädoyer für einen Glauben ohne Gehorsamszwang und Denkverbote.

Und wenn die Schlange gar nicht gelogen hat? Plädoyer für einen Glauben ohne Gehorsamszwang und Denkverbote.

Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

(Lesung: Gen 3,1-19)

Hallo, ich bin’s – ich! Die, deren Name nichts Gutes verheißt in Kirchen…. Ich sollte besser gar nicht hier sein… Sie mögen mich nicht. Sie brauchen mich, aber sie mögen mich nicht. Ich war zwar nicht mal ihre Idee, aber kaum gab es Probleme, haben sie mich ins Spiel gebracht. Ich bekomme alles ab, wofür sonst niemand herhalten will. Warum eigentlich? Ich habe nie gelogen. Ich habe nie Gewalt eingesetzt. Ich habe den Menschen zum Menschsein verholfen. Ich habe ihr Gottesbild gerettet, dass sie Gott keine Vorwürfe machen müssen. Woanders bin ich bekannt als Weisheit und für Heilung. Jesus hat auf mich als Vorbild verwiesen1. Trotzdem bin ich die Stimme, die angeblich niemand hören soll. Trotzdem werde ich in Verruf gebracht. Trotzdem werden über mich Lügen erzählt. Trotzdem wird vor mir gewarnt. Ich bin’s – die Schlange.

Was habe ich falsch gemacht?

Als ich zu Eva sagte, dass sie Erkenntnis erlangen, wenn sie von den Früchten des Baumes essen – habe ich da etwa gelogen? Nein, es war genau so, wie ich gesagt hatte: Sie erlangten Erkenntnis.

Habe ich Eva dahingehend verführt, dass meine Logik zu Evas Logik wurde? Nein, „in ihrem eigenen Denken hat Eva ihre eigenen Zweifel erkannt“.

Habe ich mit meinem Hinweis den Menschen auf den Weg des Bösen gebracht? Ist die Gabe der Erkennntis und des Zweifelns nicht genau ein Teil dessen, womit sich Menschen als Menschen wahrnehmen, was ihr Menschsein ausmacht, womit sie sich sogar von ihren Mitgeschöpfen abgrenzen?

Hat mein Hinweis und die folgende Vertreibung aus dem Paradies Menschsein eingeschränkt oder gar verhindert? Erst im Verlassen der vermeintlich paradiesischen Enge und Verantwortungslosigkeit wird der Mensch zum Mensch. Ob bei seiner Geburt oder bei seinem Erwachsenwerden: Abschiede sind nötig, um Mensch zu werden. Es geht nur darüber, Neues kennen- und leben zu lernen.

Hat Gott mit den ganzen Konsequenzen wirklich Strafen ausgesprochen? „Auf dem Bauche“ bin ich eh gekrochen. Zwischen der Erde die saftigsten Happen zu suchen hatte mir auch vorher niemand verwehrt. Und dass Evas Verlangen nach ihrem Manne sein soll – wo ist da die Drohung? Die Kirche möchte ich mal sehen, die eine Frau wegen ihrer Heterosexualität skeptisch ansieht und ihr unterstellt, damit einer Strafe Gottes anheim gefallen zu sein! Seit wann bieten Kirchen Frauengottesdienste zur Heilung von Heterosexualität an?

Und dass der Tod der Sünde Sold sei, wie Paulus schreibt? Der Mensch war auch vorher nicht als unsterbliches Wesen geschaffen gewesen. Die Sterblichkeit ist Teil der Geschöpflichkeit, Teil des Menschseins. Die Menschen waren nie unsterblich und es gibt kein Mittel, das sie vor dem Sterben bewahrt – Gott weiß genau, warum der Weg zum Baum des Lebens in dieser Form verstellt ist.

Warum verdreht Paulus das so und schiebt mir da eine Schuld in die Schuhe, die es gar nicht gibt? Wie kommen diese Menschen überhaupt auf die Idee, ihr Ungehorsam hätte die Macht, in Gottes Schöpfung über Leben und Tod zu entscheiden? Was für Allmachtsfantasien treiben diese Herren? Naja, wahrscheinlich war Paulus einfach nur von denselben Interessen geleitet wie diejenigen, die mir schon in der Schöpfungsgeschichte meine Rolle zugeschrieben hatten. Sie glaubten an Gehorsam. Sünde hieß in ihren Augen: Nicht zu gehorchen. Als ginge es Gott gegenüber um Regeln. IHNEN ging es um Regeln! Wo kämen wir denn da hin, wenn Menschen unmittelbar mit Gott verbunden wären! Wenn Opfer und keine Rituale überflüssig wären! Jedes religiöses System wäre damit gefährdet! Also: Die Menschen müssen gehorchen, und wehe sie fangen selber an zu denken.

Bis heute schlagen sich Menschen damit herum, dass Kirche vor allem mit Gehorsam und Denkverboten wahrgenommen wird. Was wurde da nicht schon alles verboten.
„Die Welt ist eine Scheibe“ – wer was anderes behauptete, wurde zum Schweigen gebracht.
„Psychotherapie ist unchristlich.“
„Frauen dürfen nicht ordiniert werden.“
„Heilen mit Kräutern ist esoterisch.“ (Und die ganzen Klostergärten mit ihren Heilgewächsen sind plötzlich unchristlich?)
„Auf die Sterne zu achten ist Teufelszeug.“ (Und was ist mit den Weisen im Matthäus-Evangelium, die Jesus gefunden haben, indem sie einem Stern gefolgt sind?)
„Lose zu werfen ist Aberglaube.“ (Und was ist mit den ach-so-tollen Urchristen in der Apostelgeschichte, die per Los entschieden haben, wer in den Zwölferkreis nachrücken soll?)
„Homosexualität ist gegen Gottes Willen.“

Ach, ihr Hiobs dieser Welt, hadert weiter mit solchen Gottesbildern! Ich bin an eurer Seite! Glaubt ihnen nicht, wenn sie behaupten, sie wüssten immer genau Böses und Gutes zu unterscheiden!

Die Frage ist doch überhaupt: „Warum entscheiden sich Wesen, die zwischen Gut und Böse unterscheiden können, nicht ein für alle Mal für das Gute? Weil das Gute und das Böse nicht feststehen, wie steinharte Marmorsäulen, sondern im Sturm der Interessen schwankende Herrschaftskategorien sind? Weil es überhaupt nicht zwei getrennte Säulen sind, sondern zwei Kammern, vereint in einem Herzen? Weil, wer sich anmaßt, gottgleich das Gute an sich zu sein, nur verbirgt, dass das Böse in ihm der Tarnung bedarf?“

Und ist es nicht praktisch, die eigenen Schuldgefühle und den Wunsch nach Bestrafung auf andere auszulagern?
Wie praktisch, dass es mich gibt. Ich nehme eure Schuld auf mich. Ich erfülle euer Bedürfnis nach Strafe.
Aber wenn sogar Paulus das alles schon auf mich schiebt – warum braucht er dann noch Jesus? Warum sagt er, dass Jesus sterben musste, um die Schuld auf sich zu nehmen? Warum stellt er den Tod Jesu so dar, als hätte darin das Strafbedürfnis Gottes seine Erfüllung gefunden? Ach ja, ich vergaß, der Gehorsam… und die Denkverbote…
Ich glaube ja eher, dass es der Gehorsam und die Denkverbote waren, die Jesus ans Kreuz gebracht haben. Weil er gegen sie verstoßen hat! Jesus wollte keinen Gehorsam und keine Denkverbote. Wo andere auf Gesetzlichkeiten und Traditionen Wert legten, hat Jesus nachgefragt und nachgehakt und die Dinge vom Kopf auf die Füße gestellt. Logisch, dass er verschwinden musste. Er hat gestört.

Ich mag Jesus.
Und Jesus mochte mich. Als einziger in der gesamten Bibel, aber was soll’s. Jesus ist die Hauptsache.

Euch mag ich auch. Ihr macht auch nicht einfach immer alles mit. Auch ihr stellt Fragen, schaltet euren Kopf ein, lasst Zweifel zu. Auch ihr rettet Gott davor, ein ignoranter Superherrscher zu sein. Auch ihr rettet Menschen davor, sich einzuigeln in verantwortungslosem Dämmerzuständen, und helft ihnen, mit allem zu leben, was Gott in ihnen angelegt hat und liebt. Auch ihr unterstützt Menschen darin, Abschiede zu wagen. Auch ihr brecht aus aus Gehorsam und Denkverboten. Auch ihr sucht den Gottesbezug nicht über Opfer und Zelebrieren von Ritualen.

Ich bin mir sicher, auch ihr werdet manchmal verleumdet und abgewertet.

Aber eure Stimme ist wichtig! Viel öfter sollte wieder diese Stimme Gottes zu hören sein wie damals für Adam und Eva im Paradies – eine Stimme Gottes, die fragt: Wo bist du? Wie wichtig ist diese Stimme gerade heute, wo so viele und so vieles von Religion versteckt werden soll, in euch selbst und um euch herum.
Ihr reißt Zäune ein.
Ich mag euch.
Und Gott braucht euch.

Zitate und Anregungen:
– Daniela Dahn: „Demokratischer Abbruch: Von Trümmern und Tabus“, rororo, 2005 (Danke, Willi!)
– Klaus-Peter Jörn: „Notwendige Abschiede: Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum“, Gütersloher Verlagshaus, 5. Auflage 2010

Skip to content