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„Master & Servant:“ Bedienst du noch oder dienst du schon?

Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

Mk 10,42-45 & Joh 13,6-17

Wir sehen zwei Fotos (beide Szenen sind gestellt), die eine ähnliche Situation darstellen:

Beide Bilder zeigen ausschließlich erwachsene, gesund erscheinende, weiße Männer. (Das war ausnahmsweise mal Absicht, denn eine Vielfalt an Geschlechtern oder Hautfarben oder Ethnien oder Leistungsunterschieden würde hier ablenken von dem strukturellen Unterschied, der diese beiden Bilder ausmacht – der allerdings gerade in Bezug auf solche Kennzeichnungen eine machtvolle Wirksamkeit entfaltet.)
In beiden Bildern sitzt der eine Mann dem anderen zu Füßen und ist mit Reinigen beschäftigt.

Und doch zeigt das eine Bild etwas Grundlegendes anderes als das andere:

In dem unteren Bild wird ganz klar eine Hierarchie abgebildet, und zwar eine, in der ich persönlich beide Rollen nicht attraktiv finde: Mich in Anzug, glänzenden Schuhen und Status-Handy zurückzulehnen, während mir ein anderer Mensch offensichtlich im Rahmen eines niedirg angesiedelten Arbeiterdaseins die Schuhe putzt, spricht mich nicht besonders an. Derjenige zu sein, der anderen die Schuhe putzt und damit offensichtlich auf einer „unteren Stufe“ ist, auf den herabgesehen wird, ist aus meiner Sicht auch kein Zustand, den wir Menschen als Ideal verkaufen sollten. Hier muss der eine den anderen bedienen.

Das andere Bild zeigt zwar eine ähnliche Situation, aber ein ganz anderes Verhältnis. Auch wenn beide Männer dasselbe tun wie in dem vorherigen Bild, ist hier doch ein ganz anderer Bezug untereinander dargestellt. Die beiden sehen sich an (der Arbeitende in dem vorherigen Bild richtet seinen Blick nur auf die Schuhe, die er putzt). Offensichtlich sind sie einander zugewandt, genießen die Szene. Hier scheint es nicht um die Erledigung einer Arbeit zu gehen, es hat eher was Intimes, geradezu sinnlich-Erotisches, was die beiden hier miteinander machen. Dies ist keine öffentliche Szene, sie ist sehr privat. Hier haben zwei Menschen miteinander zu tun, die sich bewusst aufeinander eingelassen haben. Diese Szene ist genau so nur unter diesen beiden möglich. In dem vorherigen Bild wird der Herr im Anzug irgendwann aufstehen und alles wird weitergehen: Der Arbeiter bekommt irgendwann die nächsten Schuhe zu putzen, und der Anzugmensch hält seine Schuhe irgendwann dem nächsten Arbeiter hin. Hier geht es nicht um die Menschen, hier geht es nur um den Zweck. Wer die Schuhe putzt, ist dem einen genau so egal, wie es dem anderen egal ist, wessen Schuhe er putzt: Hauptsache, die Schuhe sind sauber und es gab ein bisschen Geld dafür. In dem Bild hier ist das nicht so. Hier geht es nicht bloß darum, Füße sauber zu machen. Beide Beteiligten sind nicht austauschbar. Dem, der die Füße wäscht, geht es um den, dessen Füße das sind. Und der, der sich die Füße waschen lässt, wirkt fast so, als würde er sich des Anderen zuliebe darauf einlassen. Beide haben etwas davon, beiden bedeutet das hier etwas. Hier darf der eine dem anderen dienen.

Wenn Menschen an Kirche denken, denken sie leider oft eher an das erste Bild. Es gibt Herren und es gibt Diener. Klare Hierarchien. Die großen Sessel mit den roten Samtkissen für die einen – und die harten Holzbänke für die anderen. Die einen, die was zu sagen haben – und die anderen, die nichts zu sagen haben. Die einen, die gestalten – und die anderen, die gestalten lassen. Und das eine nennt sich dann Dienst, und das andere ist ein – Bedient werden? Sich bedienen lassen gilt normalerweise als die Rolle der Herren. Hier sind es eher die Knechte, die sich nur bedienen lassen dürfen. Die Herren haben das Recht und die Möglichkeit, zu dienen. Selten wird so offenbar, dass die Chance zum Dienen ein Privileg sein kann.

Auch Jesus musste dieses Recht erst von seinen Jüngern einfordern. Petrus wusste zwar, dass Jesus mal gesagt hatte: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene.“ (Mk 10,45) Viele Religionen sowie spirituelle, politische, philosophische und gesellschaftliche „Meister“ zeigen den Weg zu wahrer Größe als Dienende, die über ihr eigenes Selbst hinausblicken.

Die Menschen um Jesus herum hätte es also eigentlich nicht überraschen sollen, dass auch ihr „Meister“ ihnen dienen wollte. Aber was nützt solches Wissen, wenn es nur unsere Ohren erreicht, aber nicht unser Innerstes? Als Jesus zu Petrus kam und ihm die Füße waschen wollte, wehrte der erst mal ab und sagte: Äh Moment mal, Jesus! Du bist doch unser Herr und Meister! „Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ (Joh 13,8)

Jesus wäre nicht Jesus, wenn er darauf nicht eine umwerfende Antwort gehabt hätte: “ Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.“ Lieber Petrus, wenn du mit mir zu tun haben willst, wenn du etwas von mir haben willst, dann musst du dir schon auch gefallen lassen, dass ich dir diene. Nenn mich Meister und Lehrer und Herr, alles davon ist richtig. Aber wir kommen erst dann richtig zusammen, wenn ich dir dienen darf. Lass dich von mir berühren.
Typisch Petrus bittet er Jesus daraufhin prompt, ihm nicht nur die Füße zu waschen, sondern auch „die Hände und das Haupt“ – und wer weiß, was die Bibel hier dezent unerwähnt lässt ;)

So kommt es, dass Jesus dem Petrus die Füße wäscht. Und die ganzen klaren Strukturen von oben und unten, von Dienenden und Bedienten, beginnen zu verschwimmen. Nicht nur, weil Dienen hier keine Hierarchien mehr herstellt, sondern Beziehung – Rückschlusse vom Tun als „oben“ und „unten“ auf Positionen von „oben“ und „unten“ sind einfach nicht mehr machbar. Sondern auch, weil Jesus das Ganze NOCHMAL auf den Kopf stellt: „Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.“ (Joh 13,14) Jesus will, dass wir uns sein Dienen als Vorbild nehmen.

Wenn also die oben beschriebenen Diener von Kirche in der Nachfolge Jesu stehen wollen, dann müssten sie im Anschluss an einen Gottesdienst sagen können: „Wie wir euch gedient haben, so dient auch ihr nun einander. Steht bitte alle auf und reicht einander den Kelch, erteilt euch die Absolution, haltet Predigten und segnet euch bitte. Im Anschluss daran könnt ihr euch wieder setzen. Danke.“

Ich übertreibe? Das geht doch nicht? Das ist nur was für wenige Auserwählte? Das bedarf doch der richtigen Ausbildung, langjähriger Erfahrung, klarer Voraussetzungen in der Stellenbeschreibung?

Jesus geht mit anderem Beispiel voran. Kurz nach seinem eigenen Dienstbeginn sendet er 72 Jünger aus. Hier ist nicht die Rede von den 12, die so nahe in seiner Ausbildung stehen. Zweiundsiebzig – ohne Ausbildung, ohne langjährige Erfahrung, ohne klare Voraussetzungen in der Stellenbeschreibung. Ein paar klare Anweisungen und los geht’s. Die Ausbildung besteht darin, die eigenen Erfahrungen zu machen. Sich selbst ins Geschehen zu werfen. Learning by doing. Hat Kirche heute noch so ein Vertrauen zu den Menschen? Haben Menschen heute noch so ein Vertrauen zu sich? Und in diese Art, Erfahrungen mit Gott zu machen? Indem wir einfach mal losgehen, uns ins Geschehen stürzen, uns einbringen?

Auch innerhalb der Jüngergemeinschaft ist Jesu zentrales Anliegen, nicht innerhalb von Hierarchien Erwartungen zu bedienen, sondern im Miteinander einander zu dienen.

Das bezieht auch Menschen außerhalb der eigenen Gemeinschaft mit ein, wie die Erzählung Jesu zum Barmherzigen Samariter deutlich macht. Martin Luther King Jr sagte dazu: „“The first question which the priest and the Levite asked was: ‚If I stop to help this man, what will happen to me?‘ But… the good Samaritan reversed the question: ‚If I do not stop to help this man, what will happen to him?‘ (Der Prieser und der Levit fragten sich zuerst: „Wenn ich anhalte und diesem Mann helfe, was passiert dann mit mir?“ Der gute Samariter hingegen stellte die Frage andersrum: „Wenn ich nicht anhalte und diesem Mann helfe, was passiert dann mit ihm?“)

Ich verstehe nicht, warum wir so oft schlecht geredet werden. Menschen wollen angeblich immer nur konsumieren. Sie wollen sich gar nicht einbringen, heißt es so oft. Sie wollen sich doch nur bedienen lassen. Und wenn sie was tun, dann nur, um sich Macht, Privilegien und Wohlstand zu sichern. Ich glaube das nicht mehr. Ich glaube, dass Menschen sehr wohl wissen, dass es nicht nur um Titel und Positionen geht. Klar, in der Welt Jesu war die öffentliche Struktur des Römischen Reiches genau so auf Hierarchien und Privilegien ausgerichtet wie viele unserer Strukturen heute. Aber dass das genau dem menschlichen Wesen an sich entsprechen soll, glaube ich nicht mehr. Ich glaube vielmehr, dass es harte Arbeit ist, den Menschen dauernd einzutrichtern, dass sie doch eh nur konsumieren wollen und sollen – und dass das alle Hierarchien rechtfertigt, in denen sie andere bedienen sollen statt einander dienen zu dürfen.

Um nochmal Martin Luther King Jr. zu zitieren: „Everybody can be great… because anybody can serve. You don’t have to have a college degree to serve. You don’t have to make your subject and verb agree to serve. You only need a heart full of grace. A soul generated by love.“

Es geht. Und Jesus wusste das: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“ (Mk 10,42-44)

Ja, es geht! Im Reich Gottes geht es nicht um Titel und Positionen. Im Reich Gottes geht es nicht um Hierarchien von „oben“ und „unten“. Aber es geht sehr wohl um Beziehungen, in denen „oben“ und „unten“ Platz haben: um Dienen und Dienen lassen. Nicht für ein paar wenige mit dem Recht auf das Dienen. Im Reich Gottes haben alle das Recht zu dienen. Mit ihrer Zeit, ihren Gaben, ihren Erkenntnissen, ihrer Kritik, ihrer Gastfreundschaft, ihrem Sinn für’s Praktische. Alle DÜRFEN dienen und alle KÖNNEN dienen.

Ohne Dienen und Beziehung bleibt es auf jeden Fall bei Hierarchien und Verzweckung von Leistung. Aber wo Dienen nicht Hierarchien herstellt, sondern Beziehung, da kann sich Miteinander ereignen. Zum Bedienen von Positionen oder Titeln brauche ich Strukturen – auf Kosten von Menschen. Zum Dienen braucht es Menschen – zugunsten von Menschen. Auf allen Seiten. So viele und so unterschiedliche wie möglich, damit es wechselseitig werden kann. Menschen, die helfen, die heilen, die lehren, die ermutigen, die zuhören, die teilen. Gemeinde wird im Neuen Testament verstanden als Leib Christi, mit Auge und Ohr und Darm und Zehnagel – wenn eins davon fehlt, fehlt es. Schmerzlich. Und ohne Ersatzteillager.

Meisterschaft im Geistlichen/Spirituellen, wahre Größe als Mensch gibt es nur in diesem Miteinander. Nicht im Elfenbeintum der Selbstbezogenheit und der inneren Ausreden. Ohne dich kommst du nicht vor und kommen die anderen weniger vor. In dieser Gemeinde geht das. Bringt euch ein, redet mit, denkt mit, macht Vorschläge, widersprecht, stimmt zu, handelt, übernehmt etwas. Lasst uns eine Gemeinde bauen, die vom Miteinander geprägt ist und nicht von Posten und Titeln. Lasst uns Gemeinde sein, in der wir nicht Mächtige oder Klischees oder Erwartungen bedienen müssen, sondern in der wir anderen Menschen dienen, Gott dienen, uns selbst dienen können.

Die Frage ist also nicht bloß: Was kann ich aus diesem Miteinander mitnehmen? Die Frage ist auch: Was kann ich in dieses Miteinander hineingeben?

Nachtrag:

Wenn von außen keine Mauern mehr errichtet werden, die uns daran hindern, vom Bedienen innerhalb von Hierarchien wegzukommen zum Dienen in einem Miteinander, dann wendet sich der Blick auf unsere inneren Mauern. Jede/r von uns hat eigene Mechanismen und innere Stimmen, die uns immer wieder davon abhalten, uns in dieses Miteinander hineinzugeben. Diese inneren Mauern sind sehr viel stabiler als alle äußeren Mauern. Sie sind genau der Knackpunkt, was dich davon abhält, aus deiner einengenden Selbstbezogenheit herauszutreten, um vom Bedienen weg zu kommen zu einem Dienen im Miteinander. Aber genau an diesem Punkt liegt auch dein Schlüssel dazu, deinen Schritt zu wahrer Größe zu gehen.
Hier ein paar Anregungen dazu; nimm dir Zeit, deinen Schlüssel zu finden:

Es ist eine Undankbarkeit, sagt der verletzte Stolz.
Es ist ein Unglück, sagt die Berechnung.
Es ist eine Tragik, sagt die Schwermut.
Es ist, wie es ist, sagt die Liebe des göttlichen Herzens.

Es ist Unsinn, sagt die Vernunft.
Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht.
Es ist nicht so schlimm, sagt die Trostkunst.
Es ist, wie es ist, sagt die Liebe des Geistes.

Es ist erbärmlich, sagt die Selbstherrlichkeit.
Es ist aussichtslos, sagt die Trägheit.
Es ist ein Fehler, sagt die Moral.
Es ist, wie es ist, sagt die leibhaftige Liebe.

(nach D. Koller, nach E. Fried)

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