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Von den bitteren und süßen Früchten unserer Erfahrungen mit Gemeinschaften

Impuls MCC Köln, 2. Oktober 2022
Ines-Paul Baumann

2. Korinther 9,6-10

Unterschiedliche Menschenbilder – z.B. ob Menschen gerne und freiwillig teilen (Paulus) oder stets alles für sich selber horten müssen („Homo economicus“) – haben immense Auswirkungen darauf, wie Gemeinschaften organisiert und gestaltet werden. Aus welchen Gemeinschaften hast du eher bittere Früchte geerntet – und welche haben wohltuende Früchte hervorgebracht, die dich und andere gedeihen ließen?

Dies aber lasst euch sagen: Die spärlich säen, werden auch spärlich ernten. Und die auf Segen hin säen, werden auch Segen ernten. Jede und jeder gebe, wie sie es im Herzen vorher bedacht und entschieden haben, nicht bedrückt oder aus Zwang. Denn Gott liebt die, die unbeschwert geben. Gott hat die Macht, all die freundliche Zuwendung bei euch überfließen zu lassen, so dass ihr in allem, allezeit, alles zur Genüge habt und dazu noch Überfluss zu jeder guten Tat. So steht es in der Schrift: Gott hat ausgestreut und den Armen gegeben, Gottes Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.
Gott gewährt den Säenden Saatgut und Brot zur Speise und wird so auch euch Saat geben und vermehren und die Früchte eurer Gerechtigkeit wachsen lassen.

An die Gemeinde in Korinth: Zweiter Brief 9,6-10
(Bibel in gerechter Sprache)

Paulus – ihr habt es vielleicht gemerkt ;) – will Spenden einsammeln. Trotzdem spricht aus seinem Brief ein Menschenbild, das er auch an anderen Stellen skizziert und bei dem er sich immer wieder auf das Alte Testament und Jesus beruft (allein in diesen paar Versen sind zwei Zitate aus der griechischen Version des Alten Testaments eingebaut; Paulus gibt wirklich alles). Auch wenn Paulus beim Bezirzen deutlich ausmalt, wie sehr „es sich lohnt“ zu geben, stellt er doch ein Geben in den Mittelpunkt, das frei ist von Druck, „nicht bedrückt oder aus Zwang. Gott liebt die, die unbeschwert geben“. Berühmter ist die Version: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.“

Dass es so etwas wie fröhlich Gebende (also ohne eine Gegenleitung einzukalkulieren) überhaupt gibt, steht in krassem Widerspruch zum Menschenbild des Kapitalismus.

Seit dem 18. Jahrhundert setzten Adam Smith und andere Ökonomen das Menschenbild des Homo economicus in die Welt: der Mensch als unersättlicher, stets kühl kalkulierender Einzelgänger, der sich immer im Wettbewerb befindet. Das Bild vom Homo economicus ist zwingende Grundlage des Kapitalismus: Ständiges Wachstum, Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, der Vorrang von kurzfristigen Profiten, all das würde kein Mensch für sinnvoll erachten, gäbe es nicht das Bild des Homo economicus als Grundlage für solche Szenarien. (Kate Raworth: „Doughnut Economics“, Random House Business Books 2017, S. 94ff)

Die Ausgangslage, ob Menschen gerne und freiwillig teilen oder stets alles für sich selber horten müssen, hat also immense Folgen darauf, wie Gemeinschaften organisiert und gestaltet werden.

Ein paar Beispiele:

Ein*e Kolleg*in hat mir neulich von einem Wüstenvolk erzählt. Es gibt dort große Vögel mit großen Eiern. Von diesen nehmen sie ein paar aus den Nestern (nur ein paar, sodass es den Bestand nicht gefährdet), stechen sie auf (wie Ostereier zum Aufhängen; die Schale bleibt also erhalten), essen den Inhalt, und die leeren Eierschalen legen sie dann auf den Boden. Dann kommen die Ameisen und verputzen alle Reste im Inneren der leeren Schalen. Die ganzen leeren Eier werden aufbewahrt. Wenn dann der Regen kommt (und er kommt dort nur ein Mal im Jahr), werden all die Eier mit Wasser befüllt. Anschließend werden die Eier an ganz vielen Stellen im Wüstenboden vergraben. Alle kennen diese Stellen. Und so haben sie mit ein Mal Regen im Jahr das ganze Jahr über kaltes Wasser.

Die schönen Früchte und Nüsse zu Erntedank hier vorne am Altar erinnern vielleicht ein bisschen an so einen harmonischen Umgang mit Ressourcen. Ich stelle heute noch ein paar Dosen und Plastikflaschen dazu – als Zeichen für die Handhabung des Homo economicus mit Wasservorräten: Natürliche Wasservorkommen werden privatisiert, der Zugang zum Wasser für die Bevölkerung vor Ort unterbunden, und anschließend verkauft der Konzern der Bevölkerung dann das Wasser zu hohen Preisen in Plastikflaschen. (Echt so.)

Zur selben Zeit, als Adam Smith das Bild vom Homo economicus in die Welt setzte, wurde das erste Mal die Zivilehe in Deutschland eingeführt (d.h. die staatlich, nicht religiös geschlossene Ehe). Derzeit halten die feierlich auf Lebenszeit abgeschlossenen Ehen in Deutschland im Durchschnitt 14,8 Jahre. Seit 2017 gibt es in Deutschland die Ehe für alle. Bis dahin sangen Schwule, Lesben, Bi+sexuelle und trans Menschen zusammen Lieder wie „We are family“; mittlerweile ist das Ideal der Kernfamilie von exakt zwei verheirateten Elternteilen mit Ehegattensplitting (Homo economicus!!) und durchschnittlich 1,6 Kindern auch das Ideal vieler Menschen, die früher vorrangig in der Szene eine Art „family“ erlebten und gestalteten. Welche Menschenbilder bringen wir mit diesen Modellen in Verbindung und welche Erfahrungen haben Menschen damit gemacht? Welches Modell bringt welche Früchte hervor?

Auch Kirchen und Gemeinden organisieren und gestalten Gemeinschaften. In vielen davon gibt es entweder die Kirchensteuer oder eine ausgeprägte Kultur finanziellen und zeitlichen persönlichen Engagements. Wie viele dieser finanziellen und zeitlichen Gaben geschehen mit fröhlichem Herzen? Welche Dynamiken sind im Spiel, wenn Selbstaufopferung als Zeichen wahren Glaubens statt als Warnzeichen gesehen wird? Wie wiederum können Geben und Nehmen eingeübt werden, wenn nicht auch in kirchlichen Gemeinschaften, die kein Unternehmensziel erreichen und kein eheliches Versprechen erfüllen müssen? Welche Früchte bringen Gemeindeerfahrungen im Leben von Menschen hervor? Und was für Gottes- und Menschenbilder sind da jeweils am Werk?

Zum heutigen Erntedankfest möchte ich diesen Fragen ein bisschen Raum geben. Wie gestalten wir Leben innerhalb und außerhalb von beruflichen Strukturen? Wie lieben wir? Wie organisieren wir Fürsorge? Wie gestalten wir Gemeinde? Und welchen Gottes- und Menschenbildern verleihen wir damit Ausdruck? Woran glauben wir wirklich, wenn wir Entscheidungen treffen?

Nimm dir einen Moment Zeit und schau mal bei dir selbst: Wie hast du Gemeinschaften erlebt? Welche Früchte haben diese Gemeinschaften in deinem Leben getragen? Welche Gemeinschaften haben dir gut getan? Aus welchen Gemeinschaften hast du eher bittere oder gar vergiftete Früchte geerntet – welche haben wohltuende Früchte hervorgebracht, die dich und andere gedeihen ließen?

Ihr könnt heute also gerne zweierlei Danksagungen aussprechen:

Einen genervten, bitteren Dank wie: „Danke, Lebensmittelkonzern, dass du der Bevölkerung das Wasser wegnimmst!“, oder: „Danke, liebe Ex, für all den Druck, den du jahrelang ausgeübt hast!“, oder: „Danke, lieber Arbeitgeber, für all die Lügen, die ich der Kundschaft in deinem Namen erzählen musste!“. [rote Karten]

Und einen echten, frohen, dankbaren Dank – für all die Ressourcen, Menschen und Gemeinschaften, die dich in deinem Leben gesättigt und genährt haben und haben gedeihen lassen. [grüne Karten]

Wenn ihr es wie Paulus haltet und in dem, wie ihr über Menschen denkt, sich etwas von eurem Gottesbild zeigt, könnt ihr die dankbaren Danksagungen auf den grünen Karten auch gerne als Gebet formulieren, das wir dann gleich alle zusammentragen. Die roten Karten lesen wir VORHER; wie bei einem Psalm: Zuerst schütten wir unser Leid an der Welt vor Gott und uns selbst aus (gerne auch polemisch, übertrieben, einseitig und klagend), und dann gehen wir übergangslos zu Lob und Dank über.

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