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Alles aushalten, immer belastbar sein und nie die Position verändern? Lebendige Gemeinde baut auf andere(s).

Predigt MCC Köln, 28. Juli 2019
Ines-Paul Baumann

1. Petrus 2,1-10

So manche Vorstellungen von stabilen und gut funktionierenden Gemeinden sind mit diesem Text schwer vereinbar.

Manchmal gibt es nicht schlimmeres als „lebendige Steine“. Worauf soll man(n) denn da bauen???

Lebendige Steine sind das Gegenteil von dem, wozu Steine zu gebrauchen sind. Steine sollen stabil sein, fest, belastbar, unverändert, unbeweglich. An dem Platz, der ihnen zugewiesen wurde, sollen sie bleiben. Was auf oder aus Steinen gebaut wird, ist nur unter solchen Voraussetzungen sicher und brauchbar. Das Gute daran, mit Steinen zu bauen, ist eben, dass Steine NICHT lebendig sind. Nur tote Steine sind gute Steine.

Wenn Steine sich plötzlich anders verhalten, passt die ganze Idee nicht mehr. Gebäude stürzen ein. Das ist nicht nur bedrohlich, es ist tatsächlich gefährlich. (Auch für manche Glaubensgebäude im übertragenen Sinne.)

Soll nicht gerade unser Glaube eine STABILE Burg sein? Sollen nicht gerade Gemeinden Orte sein, an denen wir uns SICHER fühlen können? Soll nicht gerade Glaube FUNDAMENT und GRUNDLAGE sein, um unser Leben darauf aufzubauen?

Wäre es nicht traumhaft, wenn Gemeine zumindest etwas stabiler wäre, als wir es aus der MCC manchmal kennen? Gebäude, so stark und groß und fest wie „richtige Kirchen“. Liturgien, so groß und stark und fest wie in „richtigen Kirchen“. Strukturen und Hierarchien, so klar und stark und fest wie in „richtigen Kirchen“.

Halt finden. Klarheit haben. Wissen, wo innen und außen ist.

Tatsächlich sammeln sich Glaubende meistens in herausragenden Gebäuden oder um herausragende Menschen herum. Sie wissen, WO sie hingehören. ZU WEM sie gehören. Und ihr Glaubensgebäude ist genau so stabil wie die Orte und Namen, zu denen sie sich versammeln.

Ich persönlich finde das ganz und gar nicht erstrebenswert. Eine Gemeindestruktur, die auf bestimmte Gebäude oder bestimmte Menschen setzt, wäre einfach nicht mein Ding.

Konkret für uns als MCC Köln heißt das: Ich möchte nicht eine Gemeinde bauen, die von ihrer lieben Schrotthalle abhängt oder von ihrem Pastor. Was passiert, wenn die Schrotthalle oder ich wegfallen? Geht es dann darum, möglichst schnell einen Ersatz zu finden, der das Alte möglichst „baugleich“ ersetzt? Alter Stein raus, neuer Ersatz-Stein rein? Alter Teppich fleckig, also nochmal neu kaufen? Nein. Ich möchte nicht, dass es von einem Teppich oder einem Menschen abhängt, ob die Gemeinde gut ist oder nicht. Eine gute Gemeinde ist, was wir ALLE ZUSAMMEN daraus machen!

Wenn ich als Pastor Gemeinde plane und organisiere, dann sehe ich mich nicht als Architekt wie in einem Planspiel. Ich plane nicht, was ich gerne alles hätte, und setze dann Menschen an diese Plätze, um das zu verwirklichen. „Wenn X ausfällt, dann springt halt Y ein, macht doch keinen Unterschied. Wobei es natürlich noch besser wäre, wenn X nie ausfällt. Aber wenn X halt nicht stabil genug ist und Y nicht immer da, dann ist vielleicht doch Z die bessere Wahl.“ Ach, was für ein Traum aller Gemeindeleiter: Mitglieder, die immer da sind. Die immer funktionieren. Die nie ihre Meinung ändern.

Für MICH wäre das ein Alptraum. Und deswegen gefällt mir das Bild von den lebendigen Steinen so gut. Sie sind vielleicht zu nix zu gebrauchen, wenn ich eine klare Vorstellung davon hätte, um was und um wen es in der Gemeinde zu gehen hat, und was wir hier gemeinsam aufbauen wollen, und wie genau das am Ende auszusehen hat, und wer dann wo am richtigen Platz wäre.

Aber so sehe ich Gemeinde nicht. Und meine Aufgabe als Pastor sehe ich auch nicht so.

Lebendige Steine sind – lebendig. Sie verändern sich und ihre Position und ihre Plätze. Damit verändert sich dauernd, wie Gemeinde aussieht. Welche Struktur Gemeinde hat. Welche Positionen es in Gemeinde gibt und wer welche Rolle einnimmt.

MCC weltweit hat in den kurzen 50 Jahren ihres Bestehens schon mehr Kirchen- und Gemeindestrukturen erlebt als die Römisch-katholische Kirche in mehreren Jahrhunderten. Wir verändern uns ständig – als Einzelne, als Gemeinden, als Kirche.

MCC ist kein Selbstzweck, dem wir dienen. Wir sind nicht Bausteine für eine abstrakte MCC-Idee. Wir sind nicht hier, damit es die MCC gibt. Die MCC ist hier, damit es uns gibt – unsere Gemeinschaft mit unserem Glaubensleben, mit unseren Glaubenszweifeln, mit unseren unterschiedlichen Gottesbildern, mit unseren unterschiedlichen Vorstellungen von Christsein.

Ich glaube, dass Gemeindemitglieder eben nicht austauschbare Steine sind, die Pläne umsetzen sollen, die irgendwann mal gemacht worden sind.

Gemeinde ist ein Prozess. Ein Gebilde, das jeden Sonntag anders ist – weil jeden Sonntag andere Leute zusammenkommen. Weil wir jeden Sonntag mit anderen Stimmungen kommen. Weil sich aus und in diesem Miteinander jeden Sonntag etwas anderes ergibt.

Ich glaube, dass sich Gemeinde (als Gemeinschaft) verändert mit jeder und jedem einzelnen, die dazukommen oder weggehen.

Die MCC Köln hat heute 24 aktive, stimmberechtigte Mitglieder (und viele viele mehr, die zu unserer Gottesdienst-Gemeinschaft gehören). Als ich 2012 zum Pastor der MCC Köln gewählt wurde, waren von diesen 24 Mitgliedern gerade mal fünf (5) dabei. Wir verändern uns! Es sind andere Leute, und es sind andere Zeiten – 2019 ist nicht 2012.

Und deswegen möchte ich mich neu als euer Pastor bewerben. Die Gemeindemitglieder wissen das seit zwei Wochen. Aber Gemeinde sind alle, die hier sind, nicht nur die Mitglieder. WIR ZUSAMMEN sind eine andere Gemeinschaft als 2012, wir stehen an einem anderen PUNKT als 2012, und deswegen möchte ich neu mit euch überlegen, wo wir zusammen hinwollen und was das für unser Gemeindeleben bedeutet. Das beinhaltet auch Überlegungen darüber, was meine Aufgaben als Pastor darin sein sollen oder auch nicht.

Drei Grundlagen sind mir persönlich dabei wichtig – sowohl in dem Predigttext als auch für meine Vorstellungen von Gemeinde.

Erstens, ich glaube aus ganzem Herzen an das Bild mit den lebendigen Steinen.
Ich glaube nicht an Orte oder Gebäude.
Ich glaube nicht an Meister.
Ich glaube nicht an Überzeugungen und Gewissheiten und Dogmen und Glaubensgrundsätze.
Ich glaube nicht an Vorgaben von spirituellen geistlichen Grundsätzen, mögen sie sich nun Pfade oder Räder oder Stufen oder sonstwie nennen.
Ich glaube durchaus, dass Orte und Weise und Grundsätze und geistliche Praktiken uns gut tun können. Aber ich möchte keine Gemeinde, die sich um Orte oder Meister oder Grundsätze oder geistliche Praktiken dreht. Ich glaube nicht, dass Gott GEBUNDEN ist an Orte, Meister, Grundsätze oder Praktiken:
– Gott WOHNT nicht an einem Ort.
– Niemand von uns ist angewiesen auf die Nähe oder Wirken oder Worte eines bestimmten anderen Menschen, um etwas von der Nähe, dem Wirken oder den Worten Gottes zu erleben.
– Die Geborgenheit Gottes erfahren wir nicht, indem wir die Geborgenheit von Grundsätzen suchen.
– Und es gibt keine einzige geistliche Praxis, in der wir uns erst einüben müssen, um für die Nähe oder Gegenwart Gottes offen genug oder was-auch-immer-genug zu sein (weise genug, versunken genug, ausgeglichen genug, in Harmonie genug, gut genug, demütig genug, erfahren genug, enthaltsam genug, achtsam genug, leer genug oder erfüllt genug …). Nichts davon.

Aber ich glaube fest daran, dass wir als Gemeinschaft Räume gestalten. Räume, in denen Gott sich erfahrbar macht. Räume, in denen Gotteserfahrungen und Gottesbegegnungen gemacht werden. Räume, in denen Gott wirkt. Ich meine jetzt nicht Räumlichkeiten. Ich meine, dass in dem, was wir tun und lassen, Raum entsteht für Gottes Wirken. Dass in dem, wo wir in Gottes Namen zusammenkommen, Raum ist für Gott selbst. Deswegen glaube ich an Gemeinde. Bibel lesen, Beten, Meditieren, Nachdenken, Atmen, das kann ich auch alles alleine, oft sogar besser – alleine zuhause, in der Natur oder an schönen religiösen Orten oder Gebäuden. Aber Räume zum gemeinsamen Erleben und Entdecken und Segen sein, solche Räume der Gegenwart Gottes sind es, die wir als Gemeinde gemeinsam bilden.
Wir SIND der Tempel Gottes – wir als Gemeinde, und wir als Einzelne. (Viele andere Gemeinden und Gemeinschaften natürlich auch, ob in der MCC oder woanders). Die Idee ist einfach, dass das Haus Gottes nicht mehr aus Mauersteinen gebaut ist, sondern aus lebendigen Steinen.

Zweitens glaube ich, dass diese Steine tatsächlich dann oft am lebendigsten sind, wenn sie eben NICHT fest, stabil, unbeweglich und unverrückbar auf Positionen verharren. Wenn sie eben NICHT an ihren Plätzen kleben. Wenn sie eben NICHT alles aushalten und ohne Ende belastbar sind. Lebendige Steine machen NICHT immer das, was sie seit Jahren getan haben. Lebendige Steine verändern sich und ihre Positionen und ihre Meinungen und ihre Plätze. Wenn sie einen Menschen sehen, der von anderen verworfen wurde oder der nicht in ihr altes Bild passt, sehen sie hin. Betrachten sich und andere auch mal von anderen Seiten. Lernen neue Seiten an sich und anderen und ihrem Gott kennen.
Gott hat den, der von anderen verworfen wurde, zu einem Eckstein gemacht. Wer nur darauf baut, was woanders geachtet und gewürdigt und hoch angesehen wird, stört sich vielleicht daran. Jesus Christus ist nicht deswegen so wichtig, weil Gott irgendein Opfer gebraucht hätte. Sondern an ihm hat Gott „ein Exempel statuiert“: Seht her! Von Menschen verworfen – von Gott geachtet und neu ins Leben gerufen. Auch darin sind wir Nachfolger_innen Jesu: als von Gott gesehene und von Gott ins Leben gerufene.

Drittens und letztens: Wenn WIR ALLE von Gott ins Leben gerufen sind, wenn wir ALLE Könige und Königinnen sind, wenn wir ALLE Priester sind – dann stehen wir alle ganz oben in der Hierarchie und im Ansehen Gottes. Und wenn ALLE Könige sind – wer soll dann noch Untertan sein? (SM-Praktizierende, bitte versteht das nicht falsch. Dienen und Gehorchen hat durchaus noch seinen Platz im Reiche Gottes! :) ) Nochmal: Wenn ALLE in der geistlichen Hierarchie ganz oben stehen, dann herrscht kein Mensch mehr über einen anderen. Wir können einander nur noch dienen. Indem wir immer wieder neu die Plätze einnehmen, an denen wir gerade am besten dienen können, und anderen damit ermöglichen, IHRE Plätze und Postionen zu finden.

Zusammengenommen heißt das:

Wenn du das Gefühl hast, in der Gemeinde nicht frei zu sein – dann stimmt etwas nicht. Gut, dass du es spürst – stell dich jetzt nicht tot! Ändere etwas!
Wenn du das Gefühl hast, in der Gemeinde von anderen Menschen oder von Meinungen beherrscht zu werden – dann stimmt etwas nicht. Gut, dass du es spürst – stell dich jetzt nicht tot! Ändere etwas!
Wenn du dich in Gemeinde nicht lebendig fühlst – dann stimmt etwas nicht. Gut, dass du es spürst – stell dich jetzt nicht tot! Ändere etwas!
Wenn du in Gemeinde das Gefühl hast, nicht am richtigen Platz zu sein – dann stimmt etwas nicht. Gut, dass du es spürst – stell dich jetzt nicht tot! Ändere etwas!

Für mich persönlich bedeutet das: Ich habe das Gefühl, es stimmt nicht mehr, auf der Basis von Vereinbarungen Pastor der MCC Köln zu sein, bei denen ein Großteil derjenigen, die heute MCC Köln sind, gar nicht mitreden konnte. Zudem sehe ich manche der Positionen, die ich vor sieben Jahren gesehen und vertreten habe, heute anders.
Ich lade euch alle ein, in den nächsten Monaten gemeinsam zu überlegen, was es konkret bedeutet, wenn wir uns als LEBENDIGE Steine, als LEBENDIGES Haus Gottes verstehen.

Gott segne uns und alle, die hier in unseren Räumlichkeiten Räume suchen für sich und einen lebendigen Glauben.

PS: In meinen Überzeugungen und Vorstellungen steckt so viel von einem Buch, dass ich einzelne Aspekte davon gar nicht mehr zu nennen vermag. Das Buch ist von Dietrich Koller und heißt „Heilige Anarchie“. Wenn ihr mehr wissen wollt, wie ich mir Gemeinde und Gemeindeleitung vorstelle, findet ihr darin eine ganze Menge!

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