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Wie steht’s mit … deinem Bezug zu dir selbst?

Impuls MCC Köln, 14. August 2022
Ines-Paul Baumann

Jeremia 1,4-10 & Markus 12,28-31

Für Jesus wird Glaube nicht getragen von Regeln:

Einer von den toragelehrten Frauen und Männern (…) fragte [Jesus]: »Welches ist das wichtigste aller Gebote?« Jesus antwortete: »Das wichtigste ist: Höre, Israel! Gott ist für uns Gott, einzig und allein Gott ist Gott. So liebe denn Gott, Gottheit für dich, mit Herz und Verstand, mit jedem Atemzug, mit aller Kraft. Das zweitwichtigste Gebot lautet: Liebe deine Nächste und deinen Nächsten, wie du dich selbst liebst. Kein anderes Gebot ist größer als diese zwei.«

Markus 12,28-31 (Bibel in gerechter Sprache)

Für Jesus wird Glaube getragen von drei Beziehungsachsen: dem Bezug zu Gott, dem Bezug zu den Nächsten, und dem Bezug zu sich selbst.

Nur wenn alle drei Säulen in etwa gleich ausgebildet sind, können sie ein tragendes Gleichgewicht bilden. Nur dann können sie als Grundlage dienen für Früchte des Glaubens, die nicht in Schieflage geraten oder abrutschen.

Nur noch auf Gott zu achten, aber die Mitmenschen oder dich selbst aus dem Auge zu verlieren? Andere Menschen in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stellen? Oder das Befinden der Mitmenschen nicht wahrnehmen oder nicht achten? Sobald eine Achse den anderen beiden gegenüber zu sehr betont oder zu sehr vernachlässigt wird, kann Glaube keine tragende Grundlage mehr bilden. Heute geht es um die dritte Achse: dein Bezug zu dir selbst.

Als Beispiel schauen wir auf einen Text aus den Lesungen für den heutigen Sonntag:

Das Wort Gottes erreichte mich: Schon bevor ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich erkannt. Noch bevor du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich an mich gezogen. Zum Propheten für die Nationen habe ich dich bestimmt. Ich sagte: Ach, Gott, du göttliche Macht! Ich kann doch nicht reden, ich bin noch so jung. Gott antwortete mir: Sag nicht, ich bin noch so jung. Denn wohin ich dich schicke, dorthin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du sagen. Habe keine Angst vor ihnen, denn ich bin mit dir, um dich zu retten – so Gottes Spruch. Dann streckte Gott die Hand aus, berührte meinen Mund und Gott sagte zu mir: Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund. Siehe, heute setze ich dich über die Nationen und über die Königreiche ein, um auszureißen und einzureißen, um zugrunde zu richten und niederzureißen, um aufzurichten und einzupflanzen.

Jeremia 1,4-10 (Bibel in gerechter Sprache)

Der Bezug von Jeremia zu Gott ist offenbar gut ausgebildet; Jeremia ist Gott gegenüber offen und in Beziehung.
Auch die Achse zu seinen Mitmenschen trägt; dem Schicksal der Nationen gegenüber zeigt er sich nicht gleichgültig oder abweisend.
Aber was ist mit seinem Bezug zu sich selbst? Das Erste, was ihm zu sich selbst einfällt, ist: „Ich kann doch nicht reden, ich bin noch so jung.“

Es gibt viele andere Versionen von „Ich kann nicht“ aufgrund von „Ich bin zu…“: Ich bin zu neu, zu alt, zu lesbisch, (in der MCC vielleicht auch: zu hetero), zu depressiv, zu autistisch, zu instabil, zu verunsichert, zu unattraktiv, zu attraktiv, …

In der MCC haben wir eine besondere Verantwortung für solche „Ich bin zu…“-Stimmen. Bevor Troy Perry 1968 (ein Jahr vor den Stonewall Riots) die MCC gründete, hatte er einen Suizidversuch hinter sich. Seinen Bezug zu Gott und zu sich selbst musste er erst mal neu ordnen. Hinzugekommen ist dann aber sein Bezug zu Mitmenschen. Trans*, Schwule, Latinx, People of Color – Diskriminierung war an der Tagesordnung. Die Polizei ging gegen Schutzräume vor. Und als alle nur noch das Gefühl hatten: „nobody cares“ – da antwortete Troy: „God cares.“ Keine_r sieht hin, keine_n kümmert es, wie es uns geht? Doch: Gott sieht hin, und Gott kümmert es sehr wohl!

Traditionelle und gegenwärtige Kirchentexte konzentrieren sich als „Problem“ oft auf Menschen, die zu hoch von sich zu denken: Wie viele Texte handeln von Stolz als Sünde. Bis heute wird es vollkommen unkritisch betrachtet, wenn Menschen sich aufopfern (insbesondere in Kirchen). Selbstliebe hingegen wird kritisch beäugt.

Jesus fordert uns dazu auf, dass Nächstenliebe und Selbstliebe gleich ausgeprägt sein sollten. Dann brauchen wir auch andere Texte. Einen davon möchte ich heute anbieten – als eigenes Gebet, oder als Fürbitte, oder zum Reinfühlen, oder vielleicht auch schon als „Fortschrittsabgleich“, wo ich es schon besser hinbekommen als früher:

Gott, ich bekenne vor dir,
dass ich keinen Glauben
an meine eigenen Möglichkeiten gehabt habe.
Dass ich in Gedanken, Worten und Taten
Verachtung für mich und für mein Können gezeigt habe.
Ich habe mich selbst nicht gleichviel geliebt wie die anderen,
nicht meinen Körper, nicht mein Aussehen,
nicht meine Talente, nicht meine eigene Art zu sein.
Ich habe andere mein Leben steuern lassen.
Ich habe mich verachten und schlecht behandeln lassen.
Ich habe mehr auf das Urteil anderer vertraut als auf mein eigenes
und habe zugelassen,
dass Menschen meine Grenzen übertreten haben,
ohne dass ich ihnen Einhalt geboten habe.
Ich bekenne, dass ich mich nicht im vollen Maße meiner Fähigkeiten
entwickelt habe,
dass ich zu feige gewesen bin,
um in einer gerechten Sache Streit zu wagen,
dass ich mich gewunden habe,
um Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Ich bekenne, dass ich mir wider besseres Wissen nicht zugetraut habe,
mich an den richtigen Punkten einzumischen und zu verweigern.
Ich bekenne, dass ich nicht gewagt habe,
so wohlgesonnen und liebevoll zu sein, wie ich es wirklich kann und
wie es anderen und mir gut tun würde.
Gott, mein Schöpfer
Jesus, mein Bruder,
Geist, meine Trösterin,
vergib mir meine Selbstverachtung,
richte mich auf,
gib mir Glauben an mich selbst und Liebe zu mir selbst.
AMEN.

auf Basis von:
Lena Malgrem, Ein umgekehrtes Schuldbekenntnis.
Aus einem Gottesdienst schwedischer Frauen.
https://feministische-theologinnen.ch/2012/03/ein-umgekehrtes-schuldbekenntnis/

„Die Qualität meiner Beziehung zu einer Gemeinschaft ist abhängig von der Qualität, welche Beziehung zu mir selbst darin möglich ist“, so ein Beitrag auf der MCC Weltkonferenz 2022. Lasst uns beten:

L: Gott, in der Stille bringen wir vor dich und uns, was für Gemeinschaften global auf dieser Erde gefördert oder verhindert werden – und was das für den Bezug der Menschen zu sich selbst jeweils bedeutet.
Stille

L: Gott, in der Stille bringen wir vor dich und uns, was innerhalb und vor den Grenzen unseres Staates los ist in Bezug auf Gemeinschaften von Menschen, und was das mit dem Selbstbezug der Menschen macht.
Stille

L: Gott, in der Stille bringen wir vor dich und uns, was in den Gemeinschaften in unserem direkten Umfeld los ist, und welche Selbstbezüge dadurch gestärkt oder geschwächt werden.
Stille

L: Gott, in der Stille bringen wir vor dich und uns, was in den Gemeinschaften der MCC weltweit und in Köln los ist, und was das für Auswirkungen auf unsere Selbstbezüge hat.
Stille

L: Gott, in der Stille bringen wir vor dich und uns, wie es uns geht mit unserem Bezug zu uns selbst.
Stille

Gott segne dich mit Glauben und Liebe: mit Glauben an Gott und Liebe zu Gott.
Gott segne dich mit Glauben an deine Nächsten und Liebe zu deinen Nächsten.
Gott segne dich mit Glauben an dich selbst und Liebe zu dir selbst.

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