Zum Inhalt springen
Home | Von „Frau“ zu „Maria“: Individuelle Vielfalt statt Schubladen (auch in unseren Gotteserfahrungen)

Von „Frau“ zu „Maria“: Individuelle Vielfalt statt Schubladen (auch in unseren Gotteserfahrungen)

Ostern, Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

Joh 20,11-20 und andere Begegnungen mit Auferstehung und dem Auferstandenen.

 

Können aufgeklärte Menschen den Geschichten von der Auferstehung wirklich Glauben schenken? Warum geben sich so viele religiöse Menschen so sicher, überzeugt und selbstgewiss? Sollten wir nach 2000 Jahren Kirchengeschichte nicht etwas mehr Zögern, Kritik und Fragen an den Tag legen? Können sich Christen und Christinnen wirklich in allem so sicher sein?

Hatten nicht auch die Jünger und Jüngerinnen erst nach den Begegnungen mit dem Auferstandenen vollends die Gewissheit, dass sie nicht auf den Falschen gesetzt hatten? Waren es nicht erst genau diese Begegnungen, die ihnen Klarheit verschafften? Die sie mit der Kraft, Freude und Überzeugung erfüllten, die sie anschließend verkündigten?

Nein, die Begegnungen mit dem Auferstandenen führten keineswegs zu der Klarheit, die manche Christenmenschen heute ausstrahlen zu müssen meinen.

Statt immer nur einzelne Abschnitte aus der Bibel in den Blick zu nehmen (so wichtig und wertvoll jede davon auch ist), wollen wir heute mal einen Blick auf das Nebeneinander der Geschichten werfen. Einen Regenbogen erkennen wir auch nicht dadurch, dass wir uns nur ins Gelb oder nur ins Grün vertiefen. Keine dieser einzelnen Farben ist „falsch“, jede davon ist sogar nötig, aber erst in ihrer Zusammenschau sehen wir den Regenbogen. Welche „Farben“ gibt also die Bibel her, wenn es um Begegnungen mit dem Auferstandenen Jesus geht?

Matthäus-Evanglium:
– (Mt 28,9f:) Die beiden Marias umfassen Jesu Füße und fallen vor ihm nieder.
– (Mt 28,17:) Auch die elf verbliebenen Jünger fallen vor Jesus nieder, „einige aber zweifelten“.Markus-Evangelium:
– (Mk 16,7+8) Das Markus-Evangelium erzählte ursprünglich gar nicht von einer Begegnung mit dem Auferstandenen, sondern endete anfangs mit den Frauen am leeren Grab in Furcht, Zittern, Entsetzen und Flucht. Auf der Suche nach Jesus werden die Frauen quasi an den Anfang des Evangeliums zurückgeschickt („Galiläa“). Um den Auferstandenen zu finden, müssen sie von vorne beginnen und das Leben und die Worte Jesu betrachten.Lukas-Evangelium:
– (Lk 24,2-11:) Auch hier finden die Frauen am Grab zunächst nur Leere und die Botschaft von der Auferstehung; ihrer Verkündigung schenken die männlichen Jünger keinen Glauben.
– (Lk 24,13-35:) Die beiden Emmaus-Jünger erkennen Jesus nicht mal, als er neben ihnen herläuft und mit ihnen redet. Erst beim gemeinsamen Mahl erkennen sie Jesus in dem Fremden. (Und kaum haben sie Klarheit, entzieht sich Jesus ihnen!)
– (Lk 24,36ff:) Die versammelten Jünger „meinten, sie sähen einen Geist“. Selbst, als Jesus ihnen seine Wunden zeigt, können sie es kaum glauben und reagieren mit Verwunderung.

Johannes-Evangelium:
– (Joh 20,11-18:) Maria von Magdala denkt, sie redet mit dem Gärtner. Erst als er sie mit ihrem Namen anspricht, erkennt sie ihn als Jesus.
– (Joh 20,19-20:) Die Jünger haben sich voller Furcht zurückgezogen, als Jesus durch die geschlossenen Türen und Wände „mitten unter sie“ tritt und sich anhand seiner Worte und Wunden zu erkennen gibt. „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“
– (Joh 2024-29:) Thomas legt ein Verhalten an den Tag, das in vielen christlichen Kreisen heute gar nicht gern gesehen wäre: Zuerst zieht er es vor, für sich zu bleiben statt in der Gemeinschaft mit den anderen, und dann schenkt er auch noch den Erzählungen „des inneren Zirkels“ keinen Glauben. Erst als Jesus seine Wunden mit ihm teilt (nicht seine Herrlichkeit!), kann Thomas sich an den Auferstandenen wenden.

In den Begegnungen mit der Auferstehung und dem Auferstandenen gibt es also kaum ein Erleben ohne Gegenteil. In der Bibel finden wir dabei auch so manche Verhaltensweisen, die manche Christen bei anderen durchaus gerne als „unangemessen“ betrachten und eben NICHT vorfinden möchten:

– Dürfen/müssen Christen vor Gott niederfallen?
Manche der Jünger/innen fallen gerne vor Jesus nieder. Die Bibel findet darin nichts Anstößiges. Andere begegnen Jesus auf Augenhöhe und zeigen keine Regungen von Unterwürfigkeit. Auch darin findet die Bibel nichts Anstößiges.

– Dürfen/müssen Christinnen „berührende Nähe mit Gott erleben“?
In manchen Begegnungen lädt Jesus dazu ein, sich berühren zu lassen. In anderen legt er Wert darauf, dass die Begegnung ohne Berührung verläuft. In Gottesdiensten sollte auch heute immer wieder beides möglich sein: Momente, die uns voller Gefühl, Körperlichkeit und Sinnlichkeit berühren; aber auch Momente, die nicht darauf aufbauen und uns davor bewahren, Gott im Vertrauten erneut „festzunageln“.

– Dürfen/müssen Christen Gott „in den besonderen Momenten“ begegnen?
Manche der Begegnungen mit dem Auferstandenen sind wahrlich von Be-/Sonderlichem geprägt. Andere verlaufen ganz nah an Alltäglichem: zusammen essen, reden, arbeiten, … Unser Glaube findet in beidem gelebte Gottesnähe.

– Dürfen/müssen Christinnen „einfach genügend glauben“, damit Gott sich ihnen naht?
Wenn die Jünger und Jüngerinnen den Worten und Taten Jesu keine Bedeutung beigemessen hätten, hätten sie auch auf eine Begegnung mit dem Auferstandenen keinen Wert gelegt. Allerdings entsteht keine einzige der Begegnungen mit dem Auferstandenen dadurch, dass eine/r der Jünger/innen „daran glaubt“ und damit rechnet. Im Gegenteil, Jesus begegnet ihnen in Situationen, in denen sie selber von Zweifeln, Furcht, Fragen und Resignation erfüllt sind.

– Dürfen/müssen Christen „die wahre Herrlichkeit Gottes“ wahrnehmen und verkündigen?
Jesus selbst gibt sich nicht über seine „Herrlichkeit“ als der Auferstandene zu erkennen. Die Begegnung mit ihm öffnet sich dort, wo er seine Wunden mit den anderen teilt. Warum sollten wir Christen nicht auch mit den Verletzungen unseres Lebens und unseres Glaubens zu wahrer Nähe einladen?

– Dürfen/müssen Christinnen nur mit den „richtigen Gefühlen“ von echten spirituellen Momenten reden?
Friede, Freude, Frohsinn, Gemeinschaft und Gewissheit können elementare Bestandteile von Begegnungen mit dem Auferstandenen sein. In der Bibel sind sie aber weder als Voraussetzung noch als Folge zwangsläufig. Weder müssen wir etwas davon fühlen, um zur Gottesbegegnung „geeignet“ zu sein, noch müssen wir etwas davon mitnehmen, um „Gottesbegegnung“ messbar erlebt zu haben. Auferstehung und der Auferstandene können auch in ganz andere Gefühlslagen stattfinden und enden.

– Dürfen/müssen Christen Gewissheit haben, wann sie Gott erleben undwo nicht?
Die wenigsten der Jünger/innen haben sofort erfasst, dass sie es mit dem Auferstandenen zu tun hatten, als Jesus bei ihnen war. Nichts und niemand zwingt uns, sie heute zu übertrumpfen an vermeintlicher Sicherheit, mit der wir Gottes Gegenwart „spüren“ oder gar ausschließen wollen. Verallgemeinerungen wie „Wenn du Jesus begegnest, weißt du das sofort!“, lassen sich nicht biblisch begründen. Verallgemeinerungen wie „Hier kann niemals Auferstehung lebendig sein!“, ebenso wenig.
Zusammengefasst können wir also gerade NICHT sagen: „Wo ich das und das erlebe, weiß ich: Hier ist Gott!“
Auch umgekehrt passen solche Aussagen nicht zu den unterschiedlichen Erfahrungen bei den Begegnungen mit dem Auferstandenen: „Wo etwas ist, von dem ich weiß, dass es mit Gott nichts zu tun hat, wird Gott auch nicht sein!“.
Nicht mal „irrige“ und „falsche“ Einschätzungen (Deutungen, Symbole, Religionen, …?) können den Auferstandenen aufhalten: In dem Gärtner offenbart sich Jesus.

Türöffner dafür waren nicht Belehrungen und Erklärungen über „richtig“ und „falsch“, sondern der Moment, als Schubladen und Verallgemeinerungen wegfielen: als aus der „Frau“ die ganz persönliche „Maria“ wurde. Durch die Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Person und Geschichte hat sich Jesus ihr offenbart.

Das Durcheinander in den Begegnungen mit Jesus VOR seinem Tod wird durch den Auferstandenen nicht KLARER und SORTIERTER und EINHEITLICHER, sondern NOCH WENIGER „GREIFBAR“ oder handhabbar durch Dogmen, Erklärungen, „So geht’s“-Kurse, oder „den richtigen Glauben durch das richtige Wissen“.

Das uneinheitliche Geschehen damals können und müssen wir heute nicht einheitlich erklären.

Aber so unterschiedlich die biblischen Erfahrungen mit dem Auferstandenen auch waren und sind, etwas verbindet sie doch alle: Sie erkennen Jesus NACH SEINEM TOD anhand von etwas, das sie aus dem LEBEN JESU VOR SEINEM TOD kennen.

Und genau daran knüpfen sie dann auch an. Ab hier lassen sie sich von Resignation, Furcht und Zweifeln nicht mehr binden, sondern inmitten dieser Gefühle stehen sie auf und führen das Leben mit Jesus fort: Essen, Gemeinschaft, Schriftauslegung, Einsatz für Gerechtigkeit und Freiheit und Frieden und Wahrheit, Respekt auch vor denen, die schräg angesehen werden und keine Stimme haben, … All das teilen sie ab sofort mit einander und mit anderen.

Jesu Worte und Taten konnten mit seiner Hinrichtung nicht aus der Welt geschafft werden. Geburt, Leben und Auferstehung Jesu holen Gottesbegegnung aus der Sphäre des „Überirdischen“, „Körperlosen“, „Weltfremden“ hinein in das irdische, körperliche Leben mitten in dieser Welt. Der Leib Jesu ist nicht hinwegzunehmen aus der Welt: Die Gemeinde wird der Leib Jesu. Und in unseren Gotteserfahrungen und Gottesdiensten setzt Jesus seine Begegnungen als Auferstandener fort:

1) Auch heute sind es deine eigenen Erfahrungen, die dir Gottesgegenwart erschließen – dein eigener Zugang zur Gegenwart und Verkörperung Gottes in der Welt.
Maßstab sind dabei nicht die Vorgaben, Belehrungen und Verallgemeinerungen anderer; hilfreich beim Erkennen von Gottesoffenbarung ist aber all das, wie Jesus bereits vor seiner Hinrichtung Gott in unserer Welt verkörpert hat.

2) Rituale und Liturgien der Gemeinde-Gottesdienste müssen sich daran messen lassen, ob sie Raum schaffen für die Vielfalt der Begegnungen mit dem Auferstandenen: Gottesdienst als Raum für Erfahrung mit Rührung UND Distanz, mit Glaube UND Zweifel, mit Vollkommenheit UND Verletzungen, mit Stille UND Lobpreisgesang, mit Worten UND Berührungen, mit Mahlsgemeinschaft UND Rückzug aus der Gemeinschaft, …

Die Vielfalt in der MCC ist also keine „Notlösung“ oder „Verwässerung“, sondern essentiell für persönliche, individuelle, authentische Erfahrungen von Auferstehung (sowohl die von Jesus als auch die von uns). Damit predigen und leben wir aber keine Beliebigkeit. Grundlage und Maßstab unseres Lebens als Gemeinde und als Einzelne ist DAS LEBEN JESU. Jesu Worte und Taten sind lebendig und offenbart, wo wir mit Gott, mit unseren Mitmenschen, mit uns selbst und mit unseren Feinden so umgehen, wie Jesus es zu seinen Lebzeiten getan hat – und durch uns bis heute tut. Jesus lebt! Frohe Ostern!

Skip to content