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Ent-Täuschung vergifteter Gottesbilder. (Der „wertlose“ Feigenbaum hat nicht Schicksalsschläge „verdient“, sondern eine besonders gute Versorgung!)

Predigt MCC Köln, 10.03.2013
Ines-Paul Baumann

Lk 13,1-9

Zwei Menschen sind mit HIV infiziert. 2308 andere nicht.
Zwei Frauen sind an Brustkrebs erkrankt. Acht andere nicht.
Vier Frauen erleben häusliche Gewalt. Sechs andere nicht.
Drei lesbische Paare haben es geschafft, Regenbogenfamilien zu gründen. Bei drei anderen will es einfach nicht klappen mit eigenen Kindern.
Ein Reisebus fährt gegen einen Autobahnpfeiler. 10 Reisende, die auf der linken Seite saßen, sterben. Zehn andere saßen rechts und überleben leicht verletzt.
Bei einem Attentat auf eine christliche Kirche in Nigeria werden sechs Menschen getötet. Alle anderen Besucher der Weihnachtsmesse kommen mit dem Leben davon.

Es gibt Kanzeln, von denen bis heute gepredigt wird, dass es schon die richtigen getroffen haben wird. „HIV, die gerechte Strafe Gottes. Brustkrebs, irgendwashaben die Frauen wohl nicht richtig gemacht in ihrem Leben. Häusliche Gewalt – das wäre sicher nicht passiert, wenn die Frauen sich angemessen umtergeordnet hätten. Lesbische Mütter, ein Widerspruch zur natürlichen Schöpfungsordnung Gottes. Reisende, was müssen die auch so weit weg fahren. Die Getöteten in der Kirche – naja, das waren bestimmt nur so Namenschristen. Der Pfarrer war auch dabei? Siehst du, Weihnachtsmessen mag Gott nicht, wenn die Leute nicht auch sonst jeden Sonntag in die Kirche gehen.“

Die Menschen zu Jesu Zeiten dachten auch so. „Es wird schon die richtigen getroffen haben!“ Und dann kam diese Nachricht: Ein Gemetzel im heiligen Tempelbereich! Dort waren doch eigentlich die Guten zugange! „Warum mussten sie auf diese Weise sterben?“, fragen sich alle. Ob die vielleicht doch was falsch gemacht haben, wenn sie nun so bestraft werden? Jesus kennt ihre Gedanken und spricht sie laut aus: „Glaubt ihr, sie mussten sterben, weil sie schlechtere Menschen gewesen sind?“ Jesus beantwortet die Frage eindeutig: „Ganz sicher nicht!“ Und um sicherzugehen, dass es auch wirklich alle verstehen, setzt Jesus noch eins drauf: „Oder was ist mit den 18, die bei dem Einsturz des Turmes ums Leben gekommen sind? Denkt ihr im Stillen, sie seien vielleicht schlechtere Menschen gewesen als die anderen? Absolut nicht.“

„Ein Unglück? Es wird schon die richtigen getroffen haben!“ Mit diesem Denken will Jesus aufräumen. Was für ein furchtbares Gottesbild steckt dahinter! Was für ein Schicksalsdenken, auch unabhängig von Religion! Ob gerechte Strafe Gottes, schlechtes Kharma, Glaube an „ausgleichende Gerechtigkeit“ oder daran, sich vom Pech verfolgt zu fühlen oder dass es „das Leben so schlecht mit mir meint“ oder dass es „ein Wink des Schicksals sei“: Diejenigen, die es trifft, haben es entweder verdient, oder sie sind dem bösen Treiben gänzlich ohnmächtig ausgeliefert.

Mit beidem räumt Jesus auf: „Nein, es hat sie nicht getroffen, weil sie es mehr verdient hätten als ihr! Und nein, ihr müsst nicht einfach tatenlos herumsitzen und zusehen, wie das Schicksal mit euch spielt. Das ist nicht der Gott, den ich offenbare!Kehrt um! Kommt da raus!“

Jesus leugnet nicht die Unglücke und Schwierigkeiten und Tragödien im Leben, und im Gegensatz zu vielen anderen Heilsversprechen oder Religionen redet Jesus die Probleme weder weg noch schön noch klein noch übermächtig. Es gibt sie zuhauf, und es sind viel zu viele und viel zu schlimme. Die Frage ist nicht, OB sie passieren und schon gar nicht, WARUM sie passieren. Oder umgekehrt: Warum sie auch mal NICHT passieren. Wen es NICHT trifft, der oder die ist besser als die anderen? Von Gott gesegneter? Von Gott mehr geliebt? Lässt sich daran, wie gut es einer Person geht, ablesen, wie gut es „Gott“ es mit ihr meint? Nein, sagt Jesus, nein nein nein! Wen es trifft, der hat nicht unbedingt schlechter gebetet. Wen es NICHT trifft, die hat nicht unbedingt mehr oder richtiger auf Gott vertraut.

Richte nicht über die anderen anhand dessen, wie gut oder schlecht ihr Leben läuft.
Richte Gott nicht anhand dessen, wie gut oder schlecht das Leben läuft.
Richte dich selbst nicht anhand dessen, wie gut oder schlecht das Leben läuft.
Kehre um, komm da raus! Stell deine Beziehung zu Gott auf andere Füße! Erlöse deine Gottesbeziehung von diesem Denken! Erlöse Gott aus diesem Gottesbild!

Worauf Jesus hinaus will, macht seine Erzählung von dem Feigenbaum deutlich. Der Feigenbaum bringt keine Frucht. Seine Ausbildung ist nicht von einem guten Abschluss gekrönt, sein Lebenslauf enthält Lücken, er bringt die Wirtschaft nicht voran, er kann nicht gut Witze erzählen, er ist unsympathisch, er hat keinen geilen Arsch, einfach gar nichts ist mit ihm anzufangen, völlig unnütz ist er. Er sitzt allen nur auf der Tasche und nervt. Er nimmt Platz weg und raubt Energie. Energie, die viel sinnvoller in diejenigen gesteckt werden könnte, wo es was nutzt. Wo es Ergebnisse bringt. Wo wir was davon haben. Wo die ganze Gemeinschaft was davon hat. Der zuverlässig und gut arbeitet. Der liefert.

Das Neue Testament nun nennt „die Frucht des Geistes (…) Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ (Gal 5,22). Aber tun wir mal nicht so, als wäre das in christlichen Gemeinden das einzige, was zählt: „Oh, den dürfen wir nicht verlieren, der zahlt immer so viel Geld jeden Monat. Oh, die dürfen wir nicht verlieren, die macht immer so schön Musik im Gottesdienst. Oh, den dürfen wir nicht verlieren, der ist so attraktiv und nett, das zieht bestimmt auch andere Neue an. Aber der da, was macht der eigentlich. Gibt nix, macht nix, zahlt nix, ist unzuverlässig, wirkt oft angespannt, unsicher, überfordert und unsympathisch, puh. Mit seinem Glaubensleben ist es bestimmt nicht weit her. Sonst würde er ja auch anders sein und sich mehr in die Gemeinde einbringen. Aber so? Drei Jahre haben wir uns um ihn bemüht, aber so langsam reicht es auch mal. Da tut sich ja gar nix. Mit Jesus hat der bestimmt so gar nix zu tun. Warum ist der überhaupt Gemeindemitglied?“ Und Achtung, jetzt kommt natürlich noch der strafende Schicksalsgott: „Kein Wunder, dass der keine Beziehung hat und so oft unter Rückenschmerzen leidet.“

Dieses Zeugnis verteilende Gotteszerrbild spricht also zu dem Feigenbaum: „Du lieferst nicht, du raubst nur Energie, fort mit dir.“

Das ist nicht der Gott, den Jesus verkündet. Das ist nicht der Gott, der jedem einzelnen Schaf, das gerade verirrt über Felder und Wiesen springt, hinterher läuft. Das ist nicht die Gott, die alles daran setzt, die im Dreck verborgene Perle zum Vorschein zu bringen. Das ist nicht der Gott, der seinen verlorenen Rumprass-Taugenichts-Sohn beherzt in die Arme schließt.

Jesus lässt den unnützen Feigenbaum also Schutz erfahren. „Komm, wir versuchen es nochmal. Ich locker erst mal den Boden und dünge ihn gut. Gib ihm ein weiteres Jahr!“

Ein weiteres Jahr, das heißt: ein kompletter weiterer Durchgang. Nochmal ganz von vorn und durch alles hindurch. Mit einem Winter, in dem von Früchten auch an anderen Bäumen weit und breit nichts zu sehen ist. Mit einem Frühling, wo erste zarte Sprossen hervorsprießen, ganz klein und empfindlich und zerbrechlich und leicht zu übersehen. Mit einem Sommer, in dem ganz viel die Sonne scheinen muss, sonst wird nichts rechtes draus. Und mit einem Herbst, in dem es stürmisch und ungemütlich werden kann.

Was bei Bäumen ein Jahr dauert, kann in einem Menschenleben schon mal drei Jahrzehnte dauern. Wenn jemand aufgewachsen ist mit einem vergifteten Gottesbild, ist das nicht mal eben so aus der Welt geschafft. Und die allermeisten Menschen, die in MCC aufschlagen, haben leider viele Zerrbilder von Gott kennengelernt: Einen Gott, der Schwule und Lesben hasst. Eine Gott, die Gefallen daran findet, Menschen eins auszuwischen, wenn die Fehler machen. Einen Gott, der in allen Menschen nur zu Bösem fähige, schuldbeladene Sünder sieht, die bloß keinen Spaß im Leben haben dürfen und schon gar keinen Sex. Einen Gott, der will, dass wir uns ganz klein machen, damit Gott an Größe gewinnt. Die will, dass wir uns aufopfern und Leiden geduldig hinnehmen. Die uns kein Recht gibt, so zu sein, wie sie uns geschaffen hat.

Wer so ein Gottesbild verinnerlicht hat, kann Jahre oder Jahrzehnte brauchen, um einen neuen Gottesbezug wachsen zu lassen. Einen kompletten Durchgang der vier Jahreszeiten. Vom Brachliegen (weil das alte weg ist, aber das neue noch nicht da) über ganz zarte erste Versuche, die mit nur einer Nacht unter null Grad oder einem Schuh, der aus Versehen da drauf tritt, empfindliche Rückschläge erfahren können. Hin zu einer langen Zeit, wo ihnen einfach nur warm die Sonne auf den Pelz scheinen und der Boden gut getränkt sein sollte. Und dann kann es nochmal richtig ungemütlich stürmisch und turbulent werden. Dann, erst dann, ist die Zeit für die gereiften Früchte gekommen.

Wenn wir jemandem begegnen, können wir nie wissen, in welcher Phase des Neuaufbaus seiner Gottesbeziehung unser Gegenüber gerade steckt. Auch wenn wir so gar keine „christlichen“ Früchte sehen, kann dieser Mensch gerade in der gesündesten Glaubensphase seines ganzen bisherigen Lebens stecken. Kahle knorrige Äste können gesünder sein als manche schillernd daherkommende Christengestalt, die über und über behängt ist mit künstlichen Früchten wie ein Weihnachtsbaum. Die Person ist immer am Strahlen, ihr Glaubensleben er-scheint glänzend, alles sieht ganz toll aus, aber es ist leider nichts wirklich gewachsenes. Die Wurzel hat keinen Boden, der sie nährt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis hier der nächste Mensch Ent-Täuschung erlebt und denkt, dass sich mit dem Glitzer auch Gott entfernt habe. Und dann andere ankommen und sagen: „Oh, du bringst gar keine Früchte, du bist nutzlos, weg mit dir.“ Vielleicht probieren sie es vorher noch mit Druck und Kritik und Vorwürfen oder Anbrüllerei, aber davon ist noch kein Bäumchen gesund geworden.

Möge dann jemand von euch in der Nähe sein und sagen: „Komm, wir lockern erst mal den Boden und düngen dich. Lass den ganzen Haufen Mist erst mal in dein Leben einsickern. Das stinkt zwar erst mal, aber zieh dir alles daraus, was du kriegen kannst. Ich stehe zu dir und kümmere mich ein bisschen um dich. Setz dich nicht unter Druck, wer von uns beiden weiß denn schon, ob und wann der neue Boden dir neue Nahrung gibt – bessere Nahrung als die alte, die du mittlerweile zurecht verweigerst.“

„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“, heißt es – aber nur danach zu schielen, ob oder wann endlich wir Früchte erkennen können, ist nicht unser Auftrag. Wir sind dazu da, dass Menschen in unserer Gemeine in den Genuss einer gutenVersorgung und einer guten Umgebung kommen – und damit umkehren können aus den alten Gottesbildern hin zu lebendigen, neuen und gesunden Beziehungen mit Gott, zu sich selbst und zu ihren Mitmenschen. Unsere Frage in Bezug auf die Menschen um uns herum ist also nicht: „Was habe ich (oder wir als Gemeinde) von dem oder der?“, sondern: „Was können wir als Gemeinde, was kann ich dazu beitragen, dass du in den Genuss einer guten Umgebung und einer guten Versorgung kommst?“

Unter Erfolgsdruck müssen wir dabei weder uns noch andere setzen:

Zwar blüht der Feigenbaum nicht, /
an den Reben ist nichts zu ernten, der Ölbaum bringt keinen Ertrag, /
die Kornfelder tragen keine Frucht; im Pferch sind keine Schafe, /
im Stall steht kein Rind mehr.
Dennoch will ich jubeln über den Herrn /
und mich freuen über Gott, meinen Retter.

Habakuk 3,17+18

Nachtrag

Ich habe noch oft über diese Predigt nachgedacht. Insbesondere das Schlusswort aus dem Bibeltext ging mir nicht aus dem Kopf: „…vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.“ Vielleicht ist hier tatsächlich ein wichtiger Prüfstein für unsere Gottesbilder angesprochen. Welche Frucht bringen unsere Gottesbilder? Die Früchte des Geistes? Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung? (s. Gal 5,22) Oder pflanzt unser Gottesbild Furcht, Unfriede und Unfreundlichkeit in uns in die Welt? Sollte das der Fall sein, ist es sicher ein guter Rat, damit Schluss zu machen. Wenn dein Bild von Gott dir und anderen nichts Gutes tut, dann mach ihm ein Ende!

Ines-Paul Baumann, Pfingsten 2013

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