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„Trinität“: Willkommen in der nicht-binären Welt des christlichen Glaubens!

Predigt MCC Köln, 30. Mai 2021
Ines-Paul Baumann

So ein „heilloses Durcheinander“ konnten die rational-männlichen Denker damals nicht ertragen. Bis heute heißt es dazu: „Fälschung! Alles verändert! Beeinflusst von außen!“

Ich finde weder Durcheinander ein Problem (wieso ist Pluralität ein Problem?), noch finde ich Veränderungen und Beeinflussungen ein Problem (wieso ist es ein Problem, offen zu sein für Entwicklungen und Prozesse?).

Wenn ein Transmensch in einem Schulzeugnis den Deadname austauscht – ist das „Fälschung“?
Wenn sich Namen und Konzepte im Lauf der Zeit ändern, und das Konzept „Lesbe“ irgendwann auf das Konzept „bisexuell“ trifft, warum sollte da nicht ein Dialog in Gang kommen? Der eine Begriff führt zu einer anderen Deutung der eigenen Biografie als der andere. Je nach Perspektive treten andere Geschichten und Erinnerungen in den Vordergrund. Wenn dann andere Erzählungen der eigenen Vergangenheit entstehen: ist das „Fälschung“?

Offenbar haben Menschen auch im Lauf der Entwicklung des christlichen Glaubens gemerkt, dass irgendwelche Sachen nicht mehr dem entsprachen, was sie als richtig empfanden.

Und der Blick in die Bibel zeigt auch: Während die einen das eine glaubten, glaubten andere was anderes.

Was zeigt das?
– Dass Glaube sich entwickelt.
– Dass der christliche Glaube von Anfang an vielfältige Perspektiven auf Jesus enthielt.

Die Bibel hat diese Vielfalt verinnerlicht, nicht vereinheitlicht. Mit beidem geht sie offen um: Zum einen zeigen sich „Fälschungen“ wie Korrekturen und Ergänzungen. Zudem wurde im Kanon der Bibel viel stehen gelassen an Unterschieden, auch mal in aller Widersprüchlichkeit.

Genau das sehen wir in Bezug auf Jesus und Gott und den Geist: Ihre jeweiligen Bedeutungen wurden von Anfang an unterschiedlich gesehen und erlebt und gedeutet. Die Trinität ist quasi ein erster Versuch von Zusammenfassung und Vereinheitlichung dieser Pluralität.

Mit der Trinität wurde aber – bewusst oder unbewusst – diese non-binäre Pluralität auch im Gottesbild selbst festgehalten. Das Gottesbild hat diese nicht abgeschlossene Sichtweise quasi aufgesaugt bekommen. Auch Gott trägt in sich selbst mehrere Aspekte, mehrere Erfahrungszugänge, mehrere Erscheinungsweisen im Kontakt in sich und zu anderen, verschiedene Selbsterlebnisse im Verhältnis und in Beziehungen und Begegnungen, … – und all das im Erfahrungsraum EINES Gegenübers.

Es geht hier nicht um „Phasen“ einer Identitätsentwicklung, wie es oft so abwertend heißt. Gerade das Nebeneinander, die Gleichzeitigkeit, aber auch Autonomie und Abgrenzbarkeit bei allem Ineinanderfließen von Identitäten, Selbstbezügen und Beziehungsweisen ist nicht nur Teil menschlicher Wirklichkeit, sondern auch der Gottes.

All dies wird nicht als Problem oder Tabu behandelt, sondern wird in aller theologischen und menschlichen Offenheit entwickelt und dargestellt – inklusive dessen, was widersprüchlich ist und verdreht wird und nicht zu fassen ist.

Gerade in all dieser Offenheit ist das Geschehen und das Ergebnis heilsam und heilvoll: Glaubensinhalte sind nicht so ODER so.
Gott selbst, in sich, ist nicht so ODER so.
Warum sollten wir es dann sein – oder das, was wir glauben?

Willkommen in der nicht-binären Welt des christlichen Glaubens!

Hintergrund

(Die Bibeltexte kommen heute absichtlich alle aus ein- und derselben Übersetzung, damit nicht noch Unterschiede in den Übertragungen dazu kommen.)

Als Quellenlage für die Trinität wird beispielsweise auf das Matthäusevangelium verwiesen:

Als sie ihn dort sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel. Da ging Jesus auf seine Jünger zu und sprach: »Ich habe von Gott alle Macht im Himmel und auf der Erde erhalten. Deshalb geht hinaus in die ganze Welt und ruft alle Menschen dazu auf, meine Jünger zu werden! Tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch aufgetragen habe. Ihr dürft sicher sein: Ich bin immer bei euch, bis das Ende dieser Welt gekommen ist!«

Matthäus 28,17-20 (Hoffnung für Alle)

Nun ist es ausgerechnet dem Matthäusevangelium durchweg fremd, Jesus als Gott zu sehen (wie Jesus in der Trinität ja mitgedacht wird). Diesen Teil als „Ergänzung“ anzusehen, wäre stimmig. Zudem hat sich die Taufpraxis ind er frühen Christenheit schon selbst nicht an das Gebot gehalten, auf die Trinität zu taufen – sondern allein auf den Namen Jesu:

44 Petrus hatte seine Rede noch nicht beendet, da kam der Heilige Geist auf alle, die ihm zuhörten. (…) Da wandte sich Petrus an seine Begleiter: 47 »Wer könnte ihnen jetzt noch die Taufe verweigern, wo sie genau wie wir den Heiligen Geist empfangen haben?« 48 Und er ließ alle auf den Namen von Jesus Christus taufen. (…)

Apostelgeschichte 10,44-48 (Hoffnung für Alle)

Etwas komplexer hat das Johannesevangelium die Frage erörtert, in welchem Verhältnis Jesus zu Gott steht:

16 Dann werde ich den Vater bitten, dass er euch an meiner Stelle einen anderen Helfer gibt, der für immer bei euch bleibt. 17 Dies ist der Geist der Wahrheit. () er bleibt bei euch und wird in euch leben. () 20 An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich eins bin mit meinem Vater und dass ihr in mir seid und ich in euch bin. () »Wer mich liebt, richtet sich nach dem, was ich gesagt habe. Auch mein Vater wird ihn lieben, und wir beide werden zu ihm kommen und für immer bei ihm bleiben. () «

aus Johannes 14,16-20 (Hoffnung für Alle)

Die Aussage, dass Jesus und der Vater eins sein, scheint eindeutig. Aber schon acht Verse später ist das Verhältnis ein anderes:

[Jesus spricht:] Ihr habt gehört, was ich euch gesagt habe: Ich gehe jetzt, aber ich komme wieder zu euch zurück. Wenn ihr mich wirklich lieben würdet, dann würdet ihr euch darüber freuen, dass ich jetzt zum Vater gehe; denn er ist größer als ich.

Johannes 14,28 (Hoffnung für Alle)

Wenn Jesus und der Vater eins sind, wie kann dann der eine größer sein als der andere? Mir kommt es manchmal vor, als würde das Johannesevangelium nicht Aussagen treffen, sondern Aussagen vermeiden. Fast wie die Kōans im Zen-Buddhismus.

Jetzt aber gehe ich zu dem, der mich gesandt hat. (…) Es ist besser für euch, wenn ich gehe. Sonst käme der Helfer nicht, der an meiner Stelle für euch da sein wird. Wenn ich nicht mehr bei euch bin, werde ich ihn zu euch senden. () Wenn aber der Geist der Wahrheit kommt, hilft er euch dabei, die Wahrheit vollständig zu erfassen. (…) alles, was er euch zeigt, kommt von mir. Was der Vater hat, gehört auch mir. Deshalb kann ich mit Recht sagen: Alles, was er euch zeigt, kommt von mir.«

aus Johannes 16,5-15 (Hoffnung für Alle)

Taufen Christen nun auf den Namen Jesus Christus, oder auch auf den Vater und den Heiligen Geist?
Kommt der Heilige Geist nun nach der Taufe, bei der Taufe oder vor der Taufe? Oder ist er unabhängig von der Taufe da nach (!) dem Leben und Wirken Jesu?
Ist Gott nun eins mit Jesus oder größer?

Lesetipps

  • Ein Buch, das nichts lieber tut als Widersprüche und Einflüsse zu suchen und benennen:
    „Abermals krähte der Hahn“ von Karlheinz Deschner
    Leider trieft das Buch vor Verbitterung, Gram, Groll, Häme und Respektlosigkeit. Schade, dass Widersprüchlichkeit hier als ein grundlegendes Problem betrachtet und ausgenutzt wird.
  • Einen ganz anderen Umgang damit zeigt dieses Buch:
    „Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum“ von Klaus-Peter Jörns
    „Die Trinität sagt, so besehen, daß Gott in der Begegnung mit den Menschen seine Gestalt ändern kann. (…) Daß im christlichen Kanon vier sehr unterschiedliche Evangelien nebeneinander gestellt worden sind, lehrt (…), daß der christliche Glaube am Anfang noch in der Lage gewesen ist, ein großes Spektrum von Gottesvorstellungen auszuhalten. Das Christentum ist auf der Basis eines religionsinternen Pluralismus gewachsen.“ (S. 110)
  • Und hier ein paar Gedanken zur Trinität im Zusammenhang mit dem Glaubensbekenntnis der MCC:
    „MCC Statement of Faith – A Companion Guide“:
    https://www.mccchurch.org/mcccd/companion-guides/

Gebet vor dem Abendmahl

Gott, mit dem trinitarischen Bild ist zum Ausdruck gebracht, dass du schon in dir in Gemeinschaft bist und Gemeinschaft lebst.
Du BIST Beziehung, und du baust Beziehungen auf.
Hab Dank, dass du uns einlädst in die Gemeinschaft mit dir, miteinander und mit uns selbst.
Hab Dank, dass du die vielen Perspektiven, die wir mitbringen, nicht als heilloses Durcheinander siehst, sondern als heilsame, heilvolle und heiligende Vielfalt fruchtbar machst.
Das trinitarische Bild IST ja gerade entstanden, weil du dich in der Geschichte immer wieder auch auf neue Weise erfahrbar und glaubbar gemacht hast.
Diese Geschichte geht heute weiter, jetzt – mit uns, für uns und durch uns.

Segen & Sendung

Gott segne dich in der Vielfalt deiner eigenen inneren Bezüge und Beziehungen,
Gott segne dich, mit dieser Vielfalt in Gemeinschaft zu sein mit Menschen um dich herum, die damit gut und stärkend umgehen können,
und Gott segne dich auch in der Vielfalt an Ausdrucksversuchen ihrer Liebe zu dir.
So segne dich Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.

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