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Menschenrechte – Menschenopfer? Zur christlichen Deutung des Todes Jesu.

Predigtimpulse MCC Köln, 22. August 2021
Stefan Bauer, Daniel Großer, Ines-Paul Baumann

Hebräerbrief 10,8-10

Das Motto des CSD in Köln 2021 bezieht sich auf die Menschenrechte. Ist die Deutung von Jesu Tod als Menschenopfer damit vereinbar? Ist sie überhaupt nötig? Schon beim Planungstreffen tauchte die Frage auf, ob der Tod Jesu auch anders verstanden werden kann. Hier drei Meinungen, die sich an einer Alternative zur Deutung als Opfer versuchen.

(Stefan Bauer:)

Anmerkungen zum sogenannten „Opfertod“ Jesu

Ich selbst habe jahrelang mit diesem Thema gekämpft. Die Sühne-Theologie hat mich in der Vergangenheit sogar davon abgehalten an einem Abendmahl teilzunehmen. Insgesamt war es ein langjähriger Prozess mich davon zu lösen.

Gott hat mir einen Verstand geschenkt. Und dieser Verstand bäumt sich auf, wenn von einem liebenden Abba-Gott die Rede ist, der gleichzeitig seinen Sohn opfert. Das geht doch nicht zusammen.
Jesus sei für meine oder unsere Sünden gestorben. Das klingt für meinen Verstand völlig absurd.
Ja , das muss ich halt glauben sagt der Pfarrer dann…
Oder: „es fehlt mir die nötige Ehrfurcht vor dem Geheimnis und der Unbegreiflichkeit der Liebe Gottes zum Sünder“.
Totschlagargumente nennt man das.

Das Bild vom König, der seinen Sohn opfert um Schaden von seinem Volk abzuwenden ist ein uraltes mythisches Bild.
Darauf griffen die frühen Kirchenväter zurück: Im Prinzip waren sie der Auffassung, Gott habe die Menschheit durch das Opfer seines Sohnes dem Teufel abgekauft.
Ebenso hat Paulus in seinen Briefen den Grundstein für den Opfertod gelegt. Später im Mittelalter untermauert von Anselm von Canterbury mit seiner „Satisfaktionslehre“.

Heute nach Jahren sehe ich es so: Gott braucht keine Sühneopfer.
Jesu Leib essen und sein Blut trinken waren Metaphern.
Jesu wurde Aufgrund seiner Überzeugungen hingerichtet.
Und diese Überzeugungen und sein Leben sollten wir in den Blick nehmen.

(Daniel Großer:)

Meinen persönlichen Glauben betrifft dieses Thema.

Was fasziniert mich denn an diesem Jesus? Weswegen stehe ich hier, weswegen bin ich überhaupt in Kirche? Was bringt mich dazu, meine Zeit hier zu verbringen, und nicht woanders?
Faszination ist das richtige Wort. Mich fasziniert, was die Menschen auch damals vielleicht an Jesus fasziniert hat. Seine unglaubliche Lebendigkeit. Jemand, der so gegenwärtig ist, dass er im Kontakt mit Menschen so eine Anziehungskraft auswirken kann, dass die Menschen merken „Dem muss ich nachfolgen!“ Mich fasziniert, dass er zu denen geht, zu denen keiner geht, den Marginalisierten. Mich fasziniert, dass er keine Angst hat, zu denen zu gehen, die ihm feindlich gesinnt sind. Mich fasziniert, wie er mit Menschen umgeht, sein liebevoller Blick. Mich fasziniert die Freude der Frauen am Grab; nicht, als sie merken „Der ist tot“, sondern als sie merken „Der lebt!“ Mich fasziniert die Erleichterung, die Begeisterung der Jünger, als sie diese Nachricht begreifen und erfahren. Das fasziniert mich.

Mich fasziniert auch der Jesus, der Schuld erkennen, anerkennen und vergeben konnte – als er lebte. Ein Zeichen dessen, was er an Leben brachte. Mich fasziniert der Jesus, dessen Liebe und Fürsorge eben nicht nur eine Liebe in Gedanken ist – weil er auferstanden ist. Was bringt es mir, wenn mir jemand sagt „Ich liebe dich“, aber er ist nicht da? Was bringt es mir, wenn jemand sagt „Ich mag dich“, aber verhält sich nicht so? Ich brauche den lebendigen Jesus. Den, von dem ich hoffen kann, dass ich ihn in den nächsten fünf Minuten im Antlitz eines anderen Menschen sehen kann. Der fasziniert mich.

Unberührt davon habe ich mit dem Kreuz meinen Frieden, bin froh, dass es das Kreuz gibt. Ich bin froh, dass es einen Ort gibt, an dem Jesus sich bewiesen hat. An dem klar wird: das Leben siegt. An dem klar wird, dass derjenige, der von sich behauptet, er sei das Leben, der ist es auch. Ich bin froh, dass es das Kreuz gibt auch als Ort, an dem klar wird: egal, was ich verbrechen kann – daran wird dieser Christus nicht zerbrechen.

Aber wenn es um das Opfer geht, tu ich mich schwer, weil mit der Bezeichnung als Opfer eine Identität einhergeht. Ich bin vieles. Ich bin Daniel, identifiziere mich als Mann, als Christ, als Bundesbürger, als Fan isländischer Landschaft, als Freund von bunten Motivsocken… es gibt vieles, was mich ausmacht. Zu meiner Identität gehört auch, dass ich jemand bin, der Fehler macht. Da, wo ich sie erkenne, weiß ich, wo ich sie hinbringen kann. Ich bin froh für vieles – aber mich fasziniert der lebendige Jesus, und auch das Kreuz. Das Opfer ist etwas, womit ich meine Identität nicht verknüpfen kann. Jesus ist jemand, mit dem ich meine Identität verknüpfen kann.

(Ines-Paul Baumann:)

Ich glaube, dass die Deutung von Jesu Tod als Opfer der Versuch war, in der damaligen Kultur auszudrücken, was an Jesus so toll war. Paulus und andere bedienen damit ihre Bilder von einem Gott, der Opfer braucht. Die Worte und Taten Jesu opfern sie dafür.

Jesus selbst hat gepredigt und vorgelebt, dass Gott keine Opfer braucht oder will. Alles, was Jesus zugesagt, ermöglicht und umgesetzt hat, war bereits VOR seinem Tod Wirklichkeit – nicht erst danach oder unter Vorbehalt bis dahin. Jesus sagte nicht: Eure Sünden vergeben – sobald ich gestorben bin. Jesus sagte nicht: Betet das Vater Unser als Gottes geliebte Kinder – sobald ich gestorben bin. Jesus sagte nicht: Kehrt um und verkündet Frieden allen, die dafür offen sind – sobald ich gestorben bin.

Die Hinrichtung Jesu war nicht Voraussetzung für Gottes Wirken, sie war ein Versuch des Widerstands gegen Gottes Wirken. Die Auferstehung bringt zum Ausdruck, dass Gottes Wirken nicht zu stoppen ist – und dass dieses Wirken eben nicht erst für NACH dem Tod gedacht ist, sondern uneingeschränkt auch unserem Hier und Jetzt gilt.

Literatur-Tipps:

  • „Notwendige Abschiede: Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum“ (Klaus-Peter Jörns)
  • „Wörterbuch der Feministischen Theologie“ (Hrsg. von Elisabeth Gössmann u.a.)

Eröffnung des Abendmahls

(Ines-Paul)

Das Abendmahl ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich die Kultur zu Zeiten des Neuen Testaments eingeschrieben hat in das, was sich bis heute als christlicher Glaube darstellt. Der Aufbau des Abendmahls ist eine direkte Kopie damaliger Opferzeremonien. Die Struktur besteht aus drei Teilen: 1) Nehmen 2) Schlachten 3) Essen und Trinken. Alle drei Teile sind im Abendmahl übernommen. Vielleicht hat das Johannesevangelium deswegen keine Möglichkeit gesehen, das Abendmahl ohne Opfergedanken einzusetzen, und somit ganz darauf verzichtet. Stattdessen erzählt es von der Fußwaschung Jesu. Im Vordergrund steht dort nicht eine Kultur der Sünde, sondern eine Kultur der Zuwendung und des Miteinanders. Ich glaube, dass wir auch das Abendmahl mit einer Kultur des Miteinanders verbinden können. Auch das Abendmahl feiert Jesus VOR seinem Tod. Seine Zuwendung, das Miteinander als Zentrum, bedürfen keiner Bedingungen. Alle sind eingeladen, dabei zu sein – egal, wie sie zu Jesus stehen und wie viel sie von seinen Worten verstanden oder gar umgesetzt haben. (Die Evangelien deuten an, dass die damals Versammelten diesbezüglich oft eher auf der langen Leitung standen.)
Die Teilnahme am Abendmahl bedarf keiner Voraussetzungen – Gottes Liebe und Zuspruch gelten bedingungslos.
Sie schafft aber auch keine Voraussetzungen – Gottes Liebe und Zuspruch gelten bedingungslos.
Wenn du heute Teil einer Gemeinschaft sein möchtest, die sich mit dem Miteinander verbindet, wie es Jesus anbietet und ermöglicht, dann bist du eingeladen – in eine Gemeinschaft, die in einem heilsamen und heiligenden Miteinander gründen möge im Umgang mit uns selbst, miteinander, mit der gesamten Schöpfung und mit unseren Gottesbildern.

(Hostien und Saft verteilen)

Oh Gott, du weißt, wo unsere Bilder von dir weniger geprägt sind von dem, was Jesus gesagt und getan hat, sondern wie sehr in unsere Bilder von dir eingesickert ist, was mit Opfern und Aufopfern zusammenhängt. Von Paulus bis heute scheint es echt schwer zu sein, deine bedingungslose Liebe anzunehmen und zur Grundlage zu machen für unser eigenes Fühlen und Handeln. Du weißt, wo auch wir uns heute damit schwertun, uns selbst und einander mit liebenden Augen anzusehen – eine Liebe, die nichts beschönigen muss, die uns aber auch nicht kleinmachen oder anderweitig erdrücken muss. Hilf uns, in unseren Gemeinschaften zu entdecken und zu entfalten, was es heißt, in Liebe und in Wahrheit mit uns selbst und miteinander und mit unsrem Glauben umzugehen. Ein paar Aspekte davon finden sich auch in dem Gebet, das Jesus uns zu beten gelehrt hat: Vater unser, du bist…

In der Nacht, bevor Jesus hingerichtet wurde, weil seine Auffassungen von gemeinschaftlichem Leben dazu führten, dass Menschen NICHT mehr bereit waren, politische oder religiöse Opfer zu bringen, saß er mit denen, die bei ihm waren, zu Tisch, und er aß und trank mit ihnen.

Jesus Christus nahm das Brot (…)

So gehet hin – gestärkt und erfüllt und verwandelt
durch die Liebe Gottes,
die dir zum Segen wird
indem sie zur Grundlage wird, wie du dich selbst sehen und ansehen kannst,
und wie du sehen und ansehen kannst, was und wer dir in deiner Umgebung begegnet,
und wie du deine Vorstellungen und Bezüge zu Gott sehen und ansehen kannst.
Amen.

 

 

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