Zum Inhalt springen
Home | Mastek? Outing? Am Dekonstruieren? Gemeinde-Fremdgefühl? Wüste(n)Zeiten…!

Mastek? Outing? Am Dekonstruieren? Gemeinde-Fremdgefühl? Wüste(n)Zeiten…!

Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
18. Februar 2024

Markusevangelium 1,12+13

Wüstenerfahrungen in der Bibel stehen immer wieder für einen Ort der Verdichtung und Extreme.
Wo Alltag wegbricht, Gewohntes abbricht, tragender Rahmen einbricht.
In dieser Bruchstelle kann dann freilich auch Neues anbrechen.
Durch den Riss im bisher Gewohnten kann bisher Ungewohntes aufbrechen.
Manchmal braucht das Zeit. Wüste(n)Zeit.

Bibelstellen zu Wüstenerfahrung erzählen durchaus unterschiedliches – Zeiten von Nebeneinander, Nacheinander, Durcheinander und Miteinander:

  • Im Markusevangelium erlebt Jesus ein NEBENEINANDER: Die Engeln dienen ihm, schon während er gleichzeitig unter den wilden Tieren lebt. Anders gesagt: Sich Bedrohungen und Gefahren ausgesetzt zu sehen, soll hier gerade NICHT heißen, dass G*tt abwesend oder gleichgültig ist.
    Das macht angesichts der damalige Situation durchaus Sinn: Diese „wilden Tiere“ oder „Bestien“ dürften die damaligen Leser*innen des Markusevangeliums an die Spektakel im Römischen Reich erinnert haben. Verfolgte Christen – und andere Verbrecher – wurde damals einem öffentlichen Schauspiel ausgesetzt, bei dem sie in der Arena von hungrigen Tieren gejagt und zerfleischt wurden.

  • Das Matthäusevangelium führt dieselbe Szene viel detaillierter aus (inklusive der Bezüge zum Römischen Reich als Gegenpart zu den Prinzipien Jesu) und wechselt vom Nebeneinander des Markusevangeliums zu einem NACHEINANDER. Die Engel dienen Jesus erst NACHDEM er der Versuchung widerstand, seine eigenen Werte und Ziele den Mächten seiner Zeit anzupassen.

  • Auch im Alten Testament dient die Wüste als Ort, in dem Erfahrungen jenseits des eigenen Alltags gemacht werden, z.B. jenseits der eigenen gesellschaftlichen oder religiösen Gewohnheiten:

    • In der großen Erzählung vom Exodus erleben die Beteiligten häufig eine Zeit des DURCHEINANDERS. Grund dafür ist: Die Gottfolgenden sind zwar raus aus dem Alten, aber das Alte ist noch nicht raus aus ihnen.

    • Bei Jesaja wiederum ist das Leben betont von einem versöhnten und friedlichen MITEINANDER, die „wilden Tieren“ eingeschlossen. Jesaja zeigt als Verheißung ein Miteinander auf, in dem alle einen Platz haben, der bis ins Existenzielle nicht auf Kosten anderer geht.

Für Menschen, die in und mit der Wüste leben, wird die Wüste freilich kaum als Raum der „besonderen“ Erfahrungen abseits ihres Alltags erscheinen. Mir scheint, dass hier eine sehr eigenzentrische Perspektive an den Tag gelegt wird von Menschen, die sonst außerhalb der Wüste leben.

Die Erfahrungen, um die es an diesen Stellen dann geht, sind dann also Erfahrungen, die ich mache, weil ich abseits meines bisher gewohnten Alltags unterwegs bin.

(Die Erfahrungen von Glaubenden, sich mit ihrem Glauben als solchem inmitten einer Wüste zu fühlen, seien hier ausdrücklich mitgedacht.)

Vielleicht geht es hier also gar nicht so sehr um Vorgänge, die nun mal IN der Wüste so passieren (also: WENN ich in der Wüste bin, DANN passiert mir das und das). Sondern beschrieben ist vielleicht vielmehr: Wenn mir das und das passiert, fühle ich mich WIE in einer Wüste.

In der Bibel stehen die Wüstenerfahrungen (so unterschiedlich sie sind) für das Ein- und Aufbrechen von etwas, das über den bisherigen Alltag hinausgeht.
Oft wird das erlebt als eine höhere/größere Wirklichkeit.
Diese Erfahrungen münden dann darin, dass dem, was vorher als „Wirklichkeit“ galt, die Selbstverständlichkeit und der alleinige Anspruch abhanden kommt. Ab nun wird nicht mehr nur dem bisher Gewohnten Glauben geschenkt. Es öffnet sich ein Tor, sich der Wirklichkeit Gottes anders zu nähern als vorher

Solche Ein- und Aufbrüche erleben Menschen nicht nur in den biblischen Überlieferungen, sondern auch heute – manchmal z.B. an biografischen Umbrüchen (Krankheit, Trennung, Pubertät, Älterwerden, Outing, angleichende OPs, …).

„Leben“ wird in solchen Momenten/Zeiten anders spürbar als vorher – oftmals begleitet von z.B. Staunen, Ehrfurcht, Unsicherheiten oder Fragen.

Glaube wird dann in zweierlei Hinsicht zu einem für manche relevanten Bezugspunkt: zum einen als Erfahrungs-, zum anderen als Deutungshorizont:

  1. In/durch/mit dem Glauben MACHE ich Erfahrungen, die über meinen gewohnten Alltag hinausgehen.

  2. In/durch/mit dem Glauben kann ich Erfahrungen DEUTEN, die über meinen gewohnten Alltag hinausgehen.

Dieser zweifache Bezug schlägt sich nieder in der Gestaltung und im Erleben von Gottesdiensten:

  1. Viele Gemeinden verstehen ihre Gottesdienste als Orte der Gotteserfahrung. Die Gestaltung der Gottesdienste zielt auf einen Raum und eine Zeit, in der G*ttes Gegenwart ERFAHRBAR wird.

  2. Gottesdienste können aber auch Raum geben für Gottesbezüge als DEUTUNGSangebot von Erfahrungen. Die Erfahrungen einer Gegenwart G*ttes machen die Menschen auch woanders, nicht nur oder vorrangig in/durch die sonntägliche Liturgie.

Ich sehe hier keinen Widerspruch; mich erinnert das eher an die vier spirituellen Typen*).

Genau wie unser Bibelverständnis geprägt ist von der Perspektive und den Interessen, mit denen wir Bibel lesen, so sind auch unsere Bezüge zu Gottesdiensten geprägt davon, wie wir in sie hineingehen.

Vielleicht lassen sich auch manche unserer Wüstenerfahrungen auf unseren Glaubensreisen hiermit erschließen.

Vielleicht geht es insbesondere bei mancher DEKONSTRUKTION von Glauben genau darum, zum Beispiel:

  • Dein bisheriger Glaube funktioniert nicht mehr?
    Vielleicht ist das bisherige Viertel aus dem Kreis zu eng geworden für dich. Vielleicht reicht es nicht mehr, nur vom Kopf her an Glaube heranzugehen. Vielleicht trägt es nicht mehr, wenn nur spürbare Gotteserfahrungen die Bedeutung Gottes erschließen.

  • Deine bisherige Gemeindeerfahrung funktioniert nicht mehr?
    Vielleicht passt der spirituelle Typ der Gemeinde nicht mehr ausreichend zu deinem eigenen spirituellen Typ? Vielleicht brauchst du mehr/weitere/andere Anteile aus dem Rad, damit dein Glaube „rund“ wird!

 

*) Das geistliche Rad mit den vier spirituellen Typen:

 

 

Skip to content