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Körper des Himmels und der Erde

Predigt MCC Köln, 22. April 2018
Ines-Paul Baumann

2. Kor 4,16-18

Wie geht es dir?
Spürst du deine Antwort auf diese Frage körperlich?
Inwieweit hängen dein Befinden und dein Körper zusammen (oder auch nicht)?
Inwieweit BIST du der Körper, den du HAST?

16 Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. 17 Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, 18 uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

2. Kor 4,16-18

Es geht hier nicht darum, Menschen ihren Spaß am Sichtbaren zu nehmen, übersprudelnde Lebensfreude abzuwürgen und unbändige Energie durch langweilige Gottesdienststimmung zu vernichten. Wie so viele Bibeltexte ist auch dieser Briefabschnitt verfasst in einer spezifischen Situation.

Dieser Text redet von und zu Menschen, die sich bedrängt fühlen, denen bange ist, die verfolgt und unterdrückt werden – die aber daran festhalten, der Angst, Verzagtheit und Verlassenheit nicht das Feld zu überlassen. Überschwängliche Kraft kann unterschiedliche Quellen haben, und hier geht es um Erfahrungen von überschwänglicher Kraft, die sich nicht den Lebensumständen verdankt.

Es geht nicht darum, statt überschwänglicher Kraft nun überschwängliche Schwäche zu predigen. Dieser Briefabschnitt nimmt lediglich wahr, dass wir Menschen uns halt manchmal tatsächlich unsagbar schwach fühlen – und dass das auch unter den besten Gläubigen vorkommen kann.
(Zu meinen schlimmsten Erfahrungen aus früheren Gemeinden gehört „Zeugnis geben“ – wo Leute im Gottesdienst davon erzählen, was für tolle Glaubenserfahrungen sie gemacht haben und wie dankbar sie Gott sind, dass Gott sie immer so stark macht. Es war ein bisschen widersprüchlich: Der Gottesdienst erzählte mir von vorne bis hinten, dass ich als guter Christ schwach und demütig sein soll, und dann haben die guten Christen die ganze Woche über gute Erfahrungen gemacht, von denen sie am Sonntag voller Sto- äh voller Demut berichtet haben. Ich habe da nie gehört, dass einer eine Scheiß Woche hatte oder dass eine sich die ganze Zeit bedrängt und bange gefühlt hat. HIER IST nun so ein „Zeugnis“: Auch Christen kann es schlecht gehen, und offenbar liegt das nicht daran, dass sie falsch oder zu wenig gebetet haben.)

Als Pastor glaube ich übrigens nicht alles, was hier steht. Ich glaube nicht, dass sie nie müde wurden (im Gegenteil: wie kommen sie sonst darauf, das zu erwähnen). Ich glaube nicht, dass sie nicht auf das Sichtbare sehen (wie hätten sie sonst einen Anlass sehen können, so einen Brief zu schreiben). Ich glaube auch nicht, dass sich Blicke auf Sichtbares und auf Unsichtbares so grundsätzlich ausschließen, wie es hier dargestellt wird (das ist eher rhetorisch zugespitzt).

Wir sollten auch das kleine Wörtchen am Anfang des Textes nicht übersehen: „Deshalb“. Alles, was hier steht, gründet sich auf etwas. Vielleicht sollten wir wissen, was das ist, bevor wir uns mit den Konsequenzen daraus befassen. Aus meiner Sicht steht der zentrale Satz sechs Verse davor:

„Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“

2. Kor. 4,10

Dieser Vers ist aus meiner Sicht wichtig, weil er
– noch nicht dualistisch formuliert ist, sondern mit dem wichtigen Wörtchen „auch“ arbeitet,
– und weil er die Quelle für die Schlussfolgerungen zurückbindet an das Leben und Sterben Jesu.

„Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“

Was soll damit gemeint sein? „Wir tragen das Sterben Jesus am Leibe“? Ist es nicht eher umgekehrt: Nicht WIR tragen das Sterben Jesu am Leibe, sondern JESUS trägt das Sterben der Menschen am Leibe?

Was soll das sein, das „Sterben Jesu“? Was ist das „Sterben Jesu“ anderes als das Sterben eines Gekreuzigten? Was hat das Sterben Jesu zu etwas Besonderem gemacht? Nicht das Sterben an sich.

„Dass in dem qualvoll am Kreuz gefolterten Menschen der Gottessohn stirbt, das ist am Gekreuzigten und an der Hinrichtung selbst nicht abzulesen.“

Magdalene L. Frettlöh

In dem sterbenden Jesus am Kreuz an sich war kein Heilsbringer zu „sehen“. Aber das Sterben Jesu hat unsere Leiblichkeit mit hineingenommen in die trinitarische Gottesgestalt. DAS macht es so besonders.

  • Mit der Geburt Jesu kam Gott auf die Welt (und ist heute verkörpert durch uns: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.“ 1. Kor. 12,27)
  • Mit der Auferstehung Christi kam unsere Welt zu Gott – das Unvollendete auch unserer Körper verkörpert im verwundeten Auferstehungsleib.

Mit/nach seiner Geburt verkörpert Jesus die Gegenwart Gottes auf Erden – und mit/nach seinem Sterben verkörpert Jesus unsere menschliche Gegenwart im Himmel.

DIESES Sterben am Leibe zu tragen hat noch eine andere Dimension als unsere Erfahrung körperlichen Verfalls. Das Sterben Jesu am Leibe zu tragen bedeutet dann nämlich: Unsere Sterblichkeit stellt keine Grenze mehr dar, die uns von der Gegenwart Gottes abhalten kann.

  • Wenn wir gestorben sein werden, wird Gott nicht sagen: „Die ist für mich gestorben.“ Wenn unser Körper nicht mehr ist, heißt das nicht, dass wir nicht bei/in Gott sein werden.
  • Aber wir müssen nicht diesen Körper nicht erst verlassen, um bei/in Gott zu sein. Nicht abseits von unserer Körperlichkeit, sondern auch und gerade inmitten unserer Körperlichkeit sind wir Teil der Gegenwart Gottes und der Vergegenwärtigung Gottes.

Das meint ALLE unsere Körper und Körperlichkeiten. Es gibt keine Abstufung à la: „Je weiter weg ein Körper vom Körper Jesu ist, desto weiter weg ist dieser Körper von Gotteserfahrungen.“
Leider finden wir in der Geschichte (bis heute) viele solche Beispiele: Jesus war ein Mann, also sind Frauenkörper vom kirchlichen Amt ausgeschlossen (mit der Trennung rein/unrein hatte Jesus übrigens auch Schluss gemacht). Genau so wurden Schwarze diskriminiert, Epileptiker_innen für besessen erklärt, Depressive für ungläubig, Homosexuelle für widernatürlich und so weiter und so fort.
Als wahrer Gotteskörper wurde ein weißer, heterosexueller Mann gesehen. In manchen Kreisen spricht er Lutherdeutsch. In anderen Kulturen hat er eine eigene Waffe im Haus und demonstriert vor Abtreibungskliniken. (So weit dazu, wer hier was wo hinein liest.)

Nochmal: In der Menschwerdung Jesu hat sich Gott nicht zu weißen Männern bekannt (das klänge eher wie das Outing von einem weißes schwulen Rassisten), sondern Gott hat sich bekannt zum Menschsein an sich und zur Körperlichkeit aller Menschen – in allen Geschlechtern, in allen Körperformen, in allen Altersstufen, in allen Hautfarben und ja, auch mit all dem Leiden, was Menschen erfahren.

Jesus setzt sich gleich mit den Verfolgten und Hungernden und Gefangenen. Er schämt sich ihrer nicht, er verurteilt sie nicht, er IST sie. Sie SIND Jesus, sie VERKÖRPERN Jesus.
Gott schämt sich auch derjenigen nicht, die sich ritzen,
nicht der Bulemie-Geplagten,
nicht derer, die OP-Narben am Leib tragen,
nicht derer, deren Zellen und Synapsen abhängig sind von Stoffen,
und nicht derer, deren Körper zu wenig oder zu viel an Gedanken und Gefühlen erleben.
Gott schämt sich nicht derer, die wir uns heute für unsere Körper schämen – und auch nicht derer, die Konsequenzen daraus ziehen. Jesus schämt sich der weichen und runden Körper nicht, und nicht derjenigen, deren Gesundheits-Apps täglich Spitzenwerte ausspucken.

Wir SIND diese Körper. Es nicht nur äußere Hüllen.
Wir sind diese äußeren Menschen, die verfallen.
WIR SIND LEIB CHRISTI.

Jesus wurde nicht alt. Wir sind es, die dem Leib Christi diese Erfahrung verkörpern.
Jesus war nicht transsexuell. Wir sind es, die dem Leib Christi diese Erfahrung verkörpern.
Durch unsere Leiber macht der Leib Christi neue Erfahrungen.
Unsere Körper sind Erfahrungsräume für Gotteserfahrungen:
– Erfahrungen von Gott für uns (WIR machen die Erfahrungen),
und
– Erfahrungen VON Gott (GOTT macht die Erfahrungen).

Unsere körperlichen Grenzen sind in Gottes Gegenwart nicht aufgehoben – sondern sie sind in Gottes Gegenwart gut aufgehoben. Sie haben ihren Platz, weil sie der Gegenwart Gottes nicht den Raum nehmen können. Wir sind nicht trotz oder gegen unsere Körper Teil des göttlichen Glanzes – sondern mit und wegen ihnen. Gott hat sich zu unserer Körperlichkeit bekannt. Jesu‘ Heilungen waren körperbetont. Er hat Menschen berührt. Ihre Körper waren verändert nach der Begegnung mit ihm. Jesus selbst war sich seiner Körperlichkeit bewusst und hat sie angenommen – in den Mahlfeiern genau so wie bei der Salbung durch die Frau. Bilder des Auferstandenen mit den durchbohrten Händen tragen diese Körperlichkeit noch in sich – samt des Leidens. Auferstehung meint hier nicht nur einen geistlich-spirituell-seelischen Vorgang, sondern verheißt eine heilvolle Gegenwart Gottes, die unsere Körper mit einschließt.

Dass Gott sich zu unserer Körperlichkeit samt unserem Leiden bekennt, heißt aber nicht, dass Gott sich zu den Ursachen für Leiden bekennt. Gottes Anerkennung und Annahme gelten uns und unseren Körpern SAMT aller Leiden – aber die Ursachen und Gründe FÜR menschengemachtes Leiden finden NICHT diese Form der Anerkennung und Annahme. Gott erkennt unsere Leiden an (statt sie kleinzureden) und Gott nimmt sich ihrer an (um uns daran zu erinnern, daran zu arbeiten). Gerade WEIL wir mit und in unseren Körpern so wertvoll sind, sollen wir umkehren zu einem heilvollen und heilsamen und heiligenden Umgang mit uns und unseren Nächsten.

Dass wir (normalerweise und hoffentlich) alt werden und dabei (normalerweise und hoffentlich) äußerlich verfallen ist freilich nicht von Menschenhand gemacht. Es ist Teil unseres Menschseins. Damit müssen wir leben. Und Dank unseres Glaubens KÖNNEN wir damit leben. Wir müssen nicht dagegen ankämpfen, alt und grau zu werden und zu verfallen. Wir können lernen, dass das, was uns lebendig macht, eben nicht von unserer eigenen Stärke oder Schwachheit abhängt.

Es ist nur so: In Situationen, in denen wir uns selber stark fühlen, denken wir oft nicht darüber nach, was uns so lebendig macht. Es ist ja nicht Gott, die auf unsere Trübsal angewiesen ist, damit wir aus der Quelle des Glaubens leben. WIR sind es, die oft nur dann der Grenzenlosigkeit der Liebe Gottes gegenwärtig werden, wenn wir selber an unsere Grenzen kommen (bspw. im abgrundtiefen Verzweifeln UND im himmlischen Staunen).
Unser Blick ist oft begeistert von dem Sichtbaren und bleibt darin stehen. Wenn unsere Körper das Sterben und das Leben an sich tragen, dann sind wir auch gut damit bedient, diese Körper anzusehen und im Sichtbaren zu verweilen! Aber genau wie der Blick auf den sterbenden Jesus am Kreuz muss dieser Blick eingebettet sein in die Zusagen und Verheißungen Gottes, um Erkenntnis zu ermöglichen.

Unser Sein hat also zwei Quellen und Richtungen:
– Wir sind geboren vom Mutterleib und somit Teil der sichtbaren Schöpfung „alter Ordnung“.
– Wir sind mit Jesus Christus verbunden und somit eine „neue Schöpfung“ (2. Kor.5 ,17 NGÜ), „neu erschaffen“, „Neues kam zur Welt“ (BigS).

Genau das ist also Blick des Glaubens und der Glaubenden:
Wenn wir auf auf das Sichtbare sehen, ist unser Blick geprägt vom Unsichtbaren.
Und wenn wir das Unsichtbare sehen wollen, kann das Sichtbare uns die Augen öffnen.

Nimm beides in den Blick, wenn du auf dich schaust, das Sichtbare UND das Unsichtbare. Du BIST Körper, Leib, vergänglich in deiner Schönheit und Kraft, Teil der Schöpfung dieser Welt – UND angenommen bei und in Gott, die dir in Jesus ein Leben schenkt, dessen Sichtbarwerdung noch lange nicht vollendet ist, das uns aber heute schon täglich erneuert.


PS: Und wenn unser eigener Verfall es nicht vermag, den Glanz Gottes seinen Schein zu nehmen – dann vermögen es Gemeinderäume, in denen manche Stellen von Verfall zeugen, auch nicht
:)

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