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Ich glaube immer weniger, dass Predigten eine Deutungshoheit ausfüllen sollen oder können.

Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
4. Februar 2024

2. Könige 5,1-16 / 2. Korinther 4,6-10 / Markus 4,26-29

Ich glaube immer weniger, dass es etwas gibt, das „in der Bibel steht“ – so ganz objektiv, neutral und unabhängig von allem, was gerade los ist.

Ich glaube immer mehr, dass das, was wir in der Bibel lesen, geprägt ist von der Perspektive, mit der wir es lesen.

Damit meine ich nicht, dass Bibellesen und Bibelverständnis willkürlich sind. Im Gegenteil, das beste Mittel gegen willkürliche Bibelverständnisse ist vielleicht, sich bewusst zu machen, wo unser Wille und G*ttes Wille sich begegnen, berühren und bedeutsam werden.

Beispiel 1 (2. Könige 5,1-16):

Vor 2 Wochen hatte ich euch dazu eingeladen, euch in kleinen Gruppen mit ein paar Fragen zu dem Textabschnitt zu beschäftigen:

  • „Dein Glaube hat dir geholfen“?
    Von wegen! Der Geheilte war mit Ärger, Zorn und einer ‚falschen‘ Religion in den Vollzug des Rituals hineingegangen. Welche Bedingungen, Menschen, Haltungen, Klassen, Geschlechter und Umgangsweisen haben hier zum Weg zur Heilung beigetragen?
  • Welche G*ttesbilder könnte diese Geschichte zum Ausdruck bringen oder korrigieren wollen?
  • Inwiefern kann diese Geschichte dazu beitragen, im Glauben zu reifen?
    – Welche Anteile der Geschichte fördern einen engführenden Glauben?
    – Welche Anteile fördern einen befreienden Glauben, also laut @thorsten.dietz.971 einen freien, verantwortlichen und selbstständigen Glauben?
    (s. „Herzen & Systeme: Toxischer Glaube – Folge 8 mit Thorsten Dietz“: https://podcasters.spotify.com/pod/show/herzen-systeme/episodes/Toxischer-Glaube—Folge-8-mit-Thorsten-Dietz-e2d9ng2)

Die (natürlich freiwillige) Aufgabe für jede Gruppe war:

  1. Macht eine Runde:
    – An welche Frage möchte ich gerne anknüpfen?
    – Warum diese Frage?
    – Erste Inhalte dazu mit den anderen teilen.
  2. Was ergibt sich aus eurer Runde? Gibt es ein gemeinsames Thema, widersprüchliche Aspekte, …? Was zeigt sich inhaltlich, was in eurer Gruppe heute für euch Bedeutung hat?
  3. Erarbeitet gemeinsam einen Vorschlag als Beitrag für den Gottesdienst: Mit was aus unserer Liedermappe könnten wir liturgisch teilen, was euch bewegt hat?

Interessant war, dass alle Kleingruppen den ersten Schritt übersprungen haben: „Welche dieser Fragen interessiert mich, wenn ich heute auf diesen Text gucke? Warum genau diese Frage?“ Stattdessen haben sich alle direkt daran gemacht, ALLE Fragen als Ausgangsbasis für ihren Austausch zu nehmen.

Hinterher habe ich von vielen gehört, dass meine „Aufgabenstellung“ zu komplex gewesen ist.

Dafür möchte ich mich bei euch entschuldigen! Ich habe viel darüber nachgedacht und sehe zwei Aspekte darin:

  • Erstens ist es mir offenbar nicht gelungen, meine Einladung angemessen einzuschätzen und verständlich rüberzubringen. Sorry!!!
  • Zweitens denke ich aber auch, dass wir vielleicht einfach nicht geübt darin sind, diesen ersten Schritt der Selbstwahrnehmung umzusetzen. Insbesondere das Setting von Kirche ist vielleicht nicht hilfreich dabei, Fragen in Bezug auf sich selbst Raum zu geben, bevor Fragen in Bezug auf Bibeltexte in Angriff genommen werden.

Ich habe auch mit anderen darüber reflektiert, was da passiert ist. Dabei ist mir klarer geworden, dass ich es wirklich wichtig finde, diesen ersten Schritt der Selbstwahrnehmung nicht zu überspringen. Wie kann ich verstehen, was mir ein Text sagt, solange ich nicht verstehe, wie ich ihn höre?

Beispiel 2 (2. Korinther 4,6-10):
Letzte Woche in der Andacht ging es um 2. Korinther 4,6-10.
Eingebettet in seinen Kontext ist dieser Text ein anschauliches Beispiel dafür, wie wichtig Kontext ist. Paulus sagt ja nicht, dass Erfahrungen von Bedrängnis etc. schlichtweg das Beste sind, was die Leser_innen seines Briefes erleben sollen. Aber Paulus weiß sehr wohl, dass Erfahrungen von Bedrängnis in diesem Fall das sind, was seine Leser*innen mitbringen. Paulus erkennt das an als Perspektive beim Lesen – und als Perspektive für Glaubensfragen. WEIL diese Erfahrungen gemacht wurden (nicht DAMIT diese Erfahrungen gemacht werden!), greift er sie auf und entfaltet theologische Bezüge dazu.

Beispiel 3 (Markus 4,26-29):
Jesus sprach viel in Gleichnissen statt in Verfassungen oder Gesetzen. Gleichnisse unterscheiden sich von fixierten und fixierenden Texte genau dadurch, dass sie die Deutungshoheit den Hörenden überlassen – in aller Freiheit und Vielfalt, mit der diese Hörenden das Gleichnis hören, verstehen und deuten mögen.

Ich möchte heute also NOCHMAL dazu einladen, dass wir nicht einfach eine Predigt zu einer Bibelstelle hören, sondern dass wir auch mal bewusst auf das hören, was sich IN UNS REGT – und auf das, was diese Bibelstelle in eurem Zusammenhang dann IN UNS ANREGT (oder eben auch nicht):

  1. Wo stehe ich gerade auf meiner Glaubensreise?
    Mit welcher Perspektive bin ich heute hier? Welche Erfahrungen fließen ein in meine aktuellen Fragen, Gewissheiten, Sehnsüchte, Abgrenzungen, Commitments?
    *** ERST DANACH: Text lesen ***
    (Markus 4,26-29: Jesus sprach: »Die °Gottesherrschaft ist so, wie wenn eine Person Samen auf die Erde streut, nachts schläft und tagsüber aufsteht, und der Same geht auf und wächst – die Person weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst einen grünen Halm, dann eine Ähre, dann eine Ähre voller Korn. Sobald die Frucht ausgereift ist, legt, wer gesät hat, die Sichel an, denn die Ernte ist reif.«)
  2. Wie reagiere ich auf den Text?
    Welche Emotionen löst er in mir aus? Was entlastet mich? Was fordert mich heraus? Was passt zu meinem Bild von G*tt? Was widerspricht meinen Vorstellungen von Glaubensleben?
  3. Was zeigt sich in meinen Reaktionen?
    Was spricht aus meiner Wahrnehmung des Textes? Was davon möchte ich mitnehmen? Was möchte ich weiter bearbeiten? Was möchte ich loswerden?

Abendmahl

Gott,
möge ALLES, was wir von dir zu uns nehmen,
uns nähren, stärken und heilen von allem, was uns vergiftet hat.

Gott,
mögen wir dem, was du in uns wachsen lassen möchtest,
Raum und Freiraum geben – und die Zeit, die es braucht.

Gott,
mögen wir das, was in uns zur Reife gelangt,
dann auch loslassen können, indem wir es uns und anderen als Frucht zur Verfügung stellen.

Sendung & Segen

G*tt stärke, was dich wachsen lässt.
Sie schütze, was dich lebendig macht.
Nin schenke dir, was für dich heilsam ist.
Er schaue darauf, was du freigibst.

 

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