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Gute Führung

Predigt MCC Köln, Anne Klemm
8. Oktober 2023

2. Mose 20,1-17 (Die zehn Gebote)

1 Gott gab ihnen die folgenden Grundsätze bekannt:
2 Ich, Ich-bin-da, bin deine Gottheit, weil ich dich aus der Versklavung in Ägypten befreit habe.
3 Neben mir soll es für dich keine anderen Gottheiten geben.
4 Mache dir kein Gottesbild noch irgendein Idol von irgendetwas im Himmel oben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.
5 Verneige dich nicht vor ihnen, bete sie nicht an, denn ich, Ich-bin-da, deine Gottheit, hänge lei-denschaftlich an dir. Ich gehe der Schuld der Vorfahren an ihren Kindern nach und noch an deren Kindern und Enkelkindern, wenn die mich ablehnen.
6 Aber ich erweise mich den Tausenden gegenüber, die mich lieben und meine Gebote einhalten, als gnädig und treu.
7 Missbrauche nicht Seinen Namen, den Namen deiner Gottheit, denn Er verschont niemanden, der oder die mit diesem Namen Schindluder treibt.
8 Denke an den Sabbat, er sei dir heilig.
9 Nur sechs Tage sollst du arbeiten und alles tun, was du zu erledigen hast.
10 Der siebente Tag ist ein Ruhetag, er gehört Ihr, deiner Gottheit. Da soll niemand der Arbeit nachgehen, du nicht, dein Sohn und deine Tochter nicht, dein Sklave und deine Sklavin nicht, dein Vieh nicht, und auch nicht der Ausländer oder die Ausländerin in deiner Stadt.
11 Der Grund ist der: Er hat in sechs Tagen Himmel, Erde und Meer geschaffen, mit allem was da-zugehört; am siebten Tag aber ruhte er sich aus. Darum hat Sie den siebenten Tag gesegnet und für unantastbar erklärt.
12 Respektiere und versorge deinen Vater und deine Mutter, dann wirst du lange auf dem Land leben, das Er, deine Gottheit, dir gibt.
13 Bring niemand um.
14 Geh nicht fremd.
15 Sei kein Dieb.
16 Verleumde nicht deinen Mitmenschen.
17 Giere nicht nach dem, was zu deinem Mitmenschen gehört, weder nach seiner Partnerin oder seinem Partner, noch nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, nicht nach seinem Rind oder Esel, noch nach irgendetwas, das ihm oder ihr gehört.

2. Mose 20,1-17

Es geht wie wir gehört haben, liebe Gemeinde, heute um DIE grundlegende Ordnung unserer abendländischen Kultur: die zehn Gebote.

Moses empfängt nach dem Auszug seines Volkes aus Ägypten auf dem Berg Sinai zwei steinerne Gesetzestafeln von Gott. Es sind Gebote zur „Erziehung“ eines neugeborenen Volkes mit einem neu offenbarten Gott. Sie sind niedergeschrieben in der Tora, dem hebräischen alttestamentarischen Teil der Bibel.

Die Worte auf der ersten Gebotstafel manifestieren die einzigartige und ausschließliche Beziehung zwischen Gott und Mensch. Auf der zweiten Gebotstafel stehen die Konsequenzen dieser einzigartigen Gottesbeziehung für das Zusammenleben der Menschen. Aus dieser Bindung erwächst das Mitmenschliche, welches erst ein friedliches Zusammenleben in der gerade gewonnenen und neu zu gestaltenden Freiheit realisiert.

Es ist eine Liste sozialer Mindeststandards, die unter den besonderen Schutz Gottes gestellt werden: die Achtung vor dem Leben, der Ehe und der Familie, der Freiheit, der Ehre bzw. der Ehrlichkeit und dem persönlichen Eigentum. Kurz: alles, was die Würde des Menschen ausmacht.

Da kam ich ziemlich schnell zu der Frage: Wie haben die denn dann 1000 Jahre vor Christus und vor den Geboten gelebt??? Hatten die denn vorher noch gar kein Gewissen oder Verantwortungsbewusstsein?

Das führte mich dann weiter zu der Frage, ob erst der Bund mit Gott die Menschen ethisch und moralisch gut handeln lässt. Muss ich ChristIn sein, um die zehn Gebote ernst zu nehmen oder sie zu befolgen? Für mich, die bisher mehr Jahre ihres Lebens als Atheistin verbracht hat, als als Christin, eine wichtige Frage.

Da hatte ich mir so lange so viele Gedanken darüber gemacht, wie ich diese Predigt aufbauen werde und schwupps da hatte ich es doch schon. Also:

  1. Die Gebote waren und sind Ausdruck unserer Freiheit, nicht der Einschränkung durch unseren Glauben. Und die in Vers 2 ausgesprochene Befreiungszusage durch Gott ist Ausgangspunkt des Gebotskatalogs.
  2. Die Gebote sind für ChristInnen und NichtchristInnen.

Zum ersten Punkt: Zunächst einmal ist mir aufgefallen, dass das fast befehlende „Du sollst“ häufig in den Geboten auftaucht. Da regt sich ja erstmal Widerstand bei Einigen. Dazu muss man wissen, dass die Sprache, in der uns die zehn Gebote ursprünglich überliefert sind, das Hebräische ist. Aber diese Sprache kennt den Ausdruck „Du sollst“ gar nicht. Es ist eher ein „Du wirst“ oder „Du kannst“ gemeint. Um unserer Freiheit, unser Leben durch den Bund mit Gott zu meistern, Ausdruck zu verleihen. Unser Leben ist uns durch Gott geschenkt. Als Dank für diese Befreiung von allen Abhängigkeiten durch Gott werden wir nicht töten, ehebrechen oder lügen. Theodore Roosevelt sagte einmal: „Ein Volk, das die 10 Gebote nicht achtet, ist ein verlorenes Volk.“ Immanuel Kant formulierte es als „Selbstbestimmung aus Freiheit“.

Nun kann man natürlich als misstrauischer Mensch mit Autoritätsunsicherheiten sofort kommen und sagen: „Hä, da kommt einfach so ein Gott, gibt einem Gesetze vor und da soll man noch dankbar sein und das als Freiheit empfinden?“

Ich denke, da ist etwas Anderes gemeint als die menschliche Gesetzgebung. Meiner Meinung ist hier kein autoritärer, das eigene Denken abtötender Gesetzgebungsvorgang gemeint. Nein, es geht meines Erachtens darum, dass Gott uns die Freiheit gibt, in einem sicheren Rahmen über unser Leben selbst zu bestimmen. Niemand ist allein auf der Welt und überlebt auch nicht allein. Wir brauchen die spirituelle Bindung zu Höherem und einen guten Umgang mit unseren Mitmenschen. Wenn wir den Bund mit Gott leben und dann in der Konsequenz die Gebote beachten, haben wir ein Schutzschild. Wir sind frei davon, uns anderen falschen Göttern unterwerfen zu müssen, von Menschenunwürdigkeit und damit der spirituellen und sozialen Einsamkeit.

Wenn wir uns über die Freiheit hinwegsetzen, zu der uns Gott berufen hat, verspielen wir das, was uns anvertraut ist. Und damit töten wir uns letztendlich irgendwann selbst.

Es bleibt auch bei mir immer die Frage: Sind denn dann alle Atheisten verloren? Die leben doch auch gut und häufig auch ehrenwert, oder nicht?

Darüber diskutierten wir u.a. in unserem letzten Hauskreis in Hamburg.  Sind die Gebote inhaltlich etwas spezifisch christliches, also christliches Eigentum, oder sind sie nicht vielmehr Bestandteil der allgemeinen humanistischen Ethik?

Eine Person sagte dazu:

„Der „innere Kompass“ ist bereits in mir angelegt. Ich brauche daher die Gebote nicht. Ich glaube nicht an Gott. Ich habe auch in mir, welche Seite „gut oder böse“ ich in mir füttere und kann darüber selbst entscheiden. Neueste sozialpsychologische wissenschaftliche Studien besagen, dass alles bereits in einem Neugeborenen angelegt ist. Was dann davon wie gefördert und per Erziehung gesteuert wird, liegt nicht in der Hand des Heranwachsenden.“

Eine andere Person hatte die folgende Auffassung:

„Ich brauche die Gebote und setze sie ganz bewusst ein, um meine dunklen Charakterzüge zu kontrollieren bzw. nicht erst hervortreten zu lassen. Ich mache sie mir immer wieder bewusst. Das hilft mir.
Mir ist egal, was wissenschaftliche Studien sagen. Meine eigene Erfahrung lehrt mich, dass diese Gebote die Grundlage allen Zusammenlebens sind. Mir wird nirgendwo sonst so vergeben, wie von Gott. Diese Vergebung ermöglicht es mir erst das Doppelgebot der Liebe aus Mt. 22 zu leben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Und eine dritte Person war dieser Meinung:

„Wenn Gott mein Herr ist und ich neben ihm nichts Anderes habe, sind die zehn Gebote ein selbstverständliches Gesetzeswerk für mich. Ihre Einhaltung ergibt sich für mich aus dem Glauben.“

Immer wieder drehte sich die Diskussion um die Frage, ob die Gebote eine christliche Besonderheit sind oder ethisches Allgemeingut. Während der Arbeit an dieser Predigt stieß ich auf ein Zitat Dietrich Bonhoeffers, das diese Frage, wie ich finde, sehr gut auflöst:

„Zu allen Zeiten haben sich Menschen Gedanken über die Grundordnungen ihres Lebens gemacht. Uns es ist eine überaus merkwürdige Tatsache, dass die Ergebnisse fast aller solcher Gedanken untereinander und mit den zehn Geboten weitestgehend übereinstimmen. Immer wenn die Lebensverhältnisse der Menschen durch starke innere und äußere Erschütterungen und Umwälzungen in Unordnung geraten, erkennen diejenigen Menschen, die sich die Klarheit und Besonnenheit des Denkens und Urteilens zu bewahren vermögen, dass ohne Gottesfurcht, ohne Ehrerbietung gegen die Eltern, ohne den Schutz des Lebens, der Ehe, des Eigentums und der Ehre – wie immer auch diese Güter gestaltet sein mögen – kein menschliches Zusammenleben möglich ist. Um diese Lebensgesetze zu erkennen, braucht der Mensch nicht Christ zu sein, sondern nur seiner Erfahrung und seiner gesunden Vernunft zu folgen. Der Christ freut sich aller Gemeinsamkeiten, die er in so wichtigen Dingen mit anderen Menschen hat. Er ist bereit, mit diesen zusammen zu arbeiten und zu kämpfen, wo es um die Verwirklichung gemeinsamer Ziele geht. Darüber vergisst der Christ jedoch nie den entscheidenden Unterschied, der zwischen diesen Lebensgesetzen und dem Gebote besteht. Dort spricht die Vernunft, hier spricht Gott.“

Amen.

Aus dem Austausch (Ausschnitte):

  • Zum Glück habe ich heute nicht die Lesung mit den 10 Geboten übernommen. Ich kann keinen Text über einen strafenden Gott vorlesen. Ich bin mit einem strafenden Gottesbild groß geworden und nicht mit einem Gott, der mich liebt und so akzeptiert wie ich bin. Wenn von einem strafenden Gott die Rede ist, der straft, sobald man nicht entsprechend seiner Erwartungen handelt, dann erinnert mich genau das an das Gottesbild, mit dem ich aufgewachsen bin. Das hat dann nach meiner Schulzeit dazu geführt, dass ich mich vom Christentum für viele Jahrzehnte abgewendet habe – ich konnte einen strafenden Gott nicht ertragen und fühlte mich stets unter Druck, das „brave Mädchen/die brave Frau“ in Gottes Sinne zu sein – entsprechende Erwartungen kamen auch von anderen Menschen, insbesondere Angehörige und Schule (katholisches Mädchengymnasium), und wurden mir übergestülpt.
    (…)
    Ähnliches gilt auch für das herkömmliche Vater Unser: „…und vergib uns unsere Schuld. Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse von allem Übel…“… Ich kann das nicht beten, da dies bei mir sehr starke Schuldgefühle auslöst – immer noch – nach all´ den Jahrzehnten… mir wurde leider oft vermittelt, dass ich nicht richtig bin, so wie ich bin, und ich laufe seit Jahrzehnten mit Schuldgefühlen rum….wenn dann auch noch in einem Gebet vermittelt wird, dass wir als Menschen Schuld auf uns geladen haben und wir bitteschön anderen Menschen ebenso vergeben sollen, dann führt das dazu, dass ich meinen Ärger und/oder meine Wut auf Grenzüberschreitungen durch andere Menschen – nun auch noch aus religiösen Gründen unterdrücken muss und keine eigene Grenze setzen darf. Was mir in meiner Herkunftsfamilie eh sehr erschwert wurde. Wenn das Vater Unser in der bekannten Form in einem Gottesdienst gebetet wird, halte ich mir an dieser Stelle tatsächlich die Ohren zu…
  • Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich Juristin bin. Jedenfalls stehe ich Regeln grundsätzlich eher positiv gegenüber. Auch ich halte viel von persönlicher Freiheit, aber das schließt sich meines Erachtens nicht aus. Im Gegenteil: die Regeln – insbesondere auch die zehn Gebote als eine Art Glaubens-Verfassung – sind die Garanten der persönlichen Freiheit. Sie schützen uns im Umgang miteinander vor Grenzübertretungen und Verletzungen. Unsere eigenen, wie auch die anderer. Die große Kunst ist es, die Regeln auf das richtige Maß zu begrenzen. So wenig, wie möglich, so viel, wie nötig.
  • „Gute Führung“ ist für mich ein Spruch aus dem Gefängnis: Anpassung, Unterwerfen, Mitmachen, Benehmen. Jesus ist für mich das Gegenteil davon. Ich tue mich schwer mit den 10 Geboten als Zugang zu G*tteserfahrungen. Ich glaube, sie funktionieren für diejenigen, die moralisch auf der richtigen Seite stehen. Aber was ist mit den Gescheiterten, Verdächtigen, Hadernden, Zaudernden und Verwerflichen? Wenn ich schwanke zwischen Scham und Euphorie, zwischen Selbstannahme und Dysphorie, zwischen Dämmerung und Dunkelheit als Schutzraum und Freiraum? Für die „Guten“ mögen die 10 Gebote funktionieren. Aber ich finde in Jesus viel eher eine Brücke zur Gegenwart G*ttes. Der auch mit den Säufern und Fressern unterwegs ist, mit den Unreinen und Unmoralischen, mit den Nervigen und Genervten, mit den Enthusiastischen und Zweifelnden. Der Fragen stellt, Zweifel erlaubt, zuhört, herausfordert und auch mal selber verzweifelt an der religiösen Mitte seiner Zeit. In den 10 Geboten spüre ich davon nichts.

 

 

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