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Home | Die Möglichkeit einer anderen Realität ist real. Und sie beginnt mitten im Alltäglichen.

Die Möglichkeit einer anderen Realität ist real. Und sie beginnt mitten im Alltäglichen.

Krippenspiel MCC Köln, Ines-Paul Baumann
24. Dezember 2023

Matthäusevangelium 2,1-11

Angesichts der aktuellen Entwicklungen und Situationen fällt es mir schwer, ein heiteres Krippenspiel zu verfassen. Zu viele Mächtige missbrauchen ihre Macht. Zu viele Ideologien bewirken Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten und Gewalt – in der Wirtschaft, bei den Menschenrechten, für Flüchtende und Geflüchtete, für Kinder, für Frauen, für LGBTIQA-Menschen, für Bevölkerungen und Bevölkerungsgruppen.

Viele, die ihre Privilegien in Gefahr sehen oder denen aktuelle Entwicklungen Sorgen bereiten, sehnen sich nach starken Autoritäten.

Bei manchen prägt das auch ihr Gottesverständnis: Gott als der noch mächtigere Mächtige. Das Leben und die Kreuzigung Jesu zeigten ein anderes Machtverständnis. Hier findet gerade NICHT ein Machtwechsel im herkömmlichen Sinne statt. Im Neuen Testament wird auch die Geburt Jesu dementsprechend dargestellt: Die Menschwerdung Gottes geschieht fernab jeglicher Beteiligung an herkömmlichen Machtstrukturen.

Wie blicken also zwei damals und heute besonders starke Mächte auf die Geburt Jesu? Nach einem Jahr 2023 voller Gipfeltreffen hören wir doch mal rein bei einem weiteren Gipfeltreffen. Herr Patriarchat (P) und Herr Rassismus (R) sind schon anwesend.

Herr Patriarchat (P): Einen wunderschönen guten Abend, Herr Rassismus!

Herr Rassismus (R): Einen wunderschönen guten Abend, Herr Patriarchat! Wie geht’s, wie steht’s?

P: Mir geht es bestens. Läuft gut für mich in der Welt! Meine Männerwelt kann sich immer wieder behaupten. Und selbst?

R: Naja, Sie kennen es ja selbst. Immer wieder denken ein paar Gutgläubige, sie könnten es mit mir aufnehmen. Antirassismus steht ja gerade bei manchen richtig hoch im Kurs.

P: Und was tun Sie dagegen?

R: Na, dasselbe wie immer. Hier ein paar Halbwahrheiten, da ein bisschen Gewalt, ab und zu eine Prise Resignation und viele Vorurteile und Angstmacherei, das übliche halt.

P: Harhar, genau. Funktioniert immer.

R: Warum haben Sie die heutige Sitzung einberufen?

P: Genau, kommen wir mal zur Sache. Aber es sind ja noch gar nicht alle da. Wo ist der Herr Kapitalismus? Haben Sie was von ihm gehört?

R: Herr Kapitalismus meint, nichts machen zu müssen. Der Markt würde das schon alleine regeln.

P: Und Herr Sexismus?

R: Der fühlt sich von Ihnen bestens vertreten, Herr Patriarchat.

P: Na, ich gebe mir zumindest alle Mühe. Ok. Und der Herr Klassismus, wo ist der?

R: Hm, wer war das nochmal? Ich weiß, ich kenne ihn, aber wie sah der nochmal genau aus?

P: Na, der macht mit Leuten dasselbe wie Sie, nur zieht er dafür deren sozialen Herkunft heran.

R: Moment mal, im Gegensatz zu meiner Erfindung von Rassen haben Menschen doch WIRKLICH eine soziale Herkunft! Das lässt sich doch gar nicht vergleichen!

P: Da haben Sie natürlich Recht, auch wenn ich Rechthaben natürlich nur äußerst ungern anderen zugestehe außer mir, haha! Aber ja, an Ihren Erfindungsreichtum kommt Herr Klassismus nicht ran. Aber die pauschalen Zuweisungen und das damit verbundene Herabsetzen hat er sich gut bei Ihnen abgeguckt.

R: Na gut. Aber was ist mit diesem anderen Herrn da, der Herr… na… dieser neumodische Typ da… irgendwas mit Hetero oder so…

P: Ach so, die Neffin vom Sexismus! Sie meinen die Frau Queerfeindlichkeit. Ja, die hat viele Namen und Erscheinungsformen. Da soll einer durchblicken. Naja, so sind sie halt, die Frauen, hahaha! Wahrscheinlich hängt die wieder mit den anderen rum – die treten ja oft zusammen auf: Herr Antisemitismus, Herr Antizionismus, Herr Antizigansimus, Herr Ableismus, Herr Adultismus, Herr Ageismus, Herr Lookismus, wie sie nicht alle heißen.

R: Sind die wichtig?

P: Naja, kommt drauf an, wen Sie fragen. Wenn Sie mich fragen, sind wir die beiden wichtigsten. Also, ich zuallererst, haha, aber Sie sind ja zur Zeit auch in aller Munde.

R: Also, warum sind wir hier?

P: Ja. Also. Da auf der Erde tut sich was.

R: Aber doch nichts Neues?

P: Kann ich noch nicht einschätzen. Und Sie wissen, wie sehr ich es hasse, sowas sagen zu müssen! Jedenfalls haben sich drei Leute auf den Weg gemacht, die eigentlich zu UNSEREN Machtverhältnissen sehr gut passen müssten. Drei Männer. Reich. Angesehen. Und die haben Geschenke dabei. Nicht irgendwelche Geschenke. Sie haben Gold dabei, als würden sie einen König besuchen. Und sie haben Weihrauch dabei. Als würden sie einen Priester besuchen. Und sie haben Myrrhe dabei. Wie zum Einbalsamieren.

R: Ja und? Politik und Religion sind doch unsere besten Freunde. Ohne uns beide geht da doch gar nichts. Gold und Weihrauch haben wir mehr als verdient!

P: Ja, WIR schon. Und unsere politischen und religiösen Freunde natürlich auch. Immer.

R: Aber?

P: Aber diese drei Typen sind auf dem Weg in ein ganz normales Haus.

R: Wie? Die sind auf dem Weg zu ganz normalen Leuten? Warum haben die dann Geschenke dabei, wenn WIR sie verdienen und verteilen?

P: Das ist es ja genau. Es ist wirklich ein ganz normales Haus. Mit ganz normalen Leuten. In einer ganz normalen Gegend.

R: Aber dann sind die Leute da ja wenigstens nicht feministisch oder antirassistisch oder sowas schreckliches, oder?

P: Kann ich nicht sagen. Unsere Verbindungsmänner sind nicht vor Ort.

R: Wie, unsere Verbindungsmänner sind nicht vor Ort?

P: Na, keiner aus unseren Reihen kann uns was berichten. Da ist einfach keiner vor Ort anwesend, der Macht hat. Weder im politischen Sinne noch im religiösen. Kein Herrscher. Kein religiöses Oberhaupt. Nix. Nur diese normalen Leute.

R: Und was SOLLEN die drei dann da mit ihren Geschenken?

P: Genau das ist die Frage. Oh nein; ich höre gerade, dass sie die Geschenke einem KIND geben. Das Kind soll Gott sein.

R: Hahahahaha!

P: Sie brauchen gar nicht so zu lachen. Es ist KEIN WEISSES Kind!

R: Umpf.

P: Genau. Ich könnte schäumen vor Wut!

R: Herr Patriarchat, bitte, klinken Sie jetzt nicht aus. Das dürfen Sie erst, wenn Sie es mit Trunkenheit entschuldigen können, oder mit verletztem Stolz oder so. Bis jetzt ist es nur ein Kind, das uns die Macht streitig macht.

P: Sie haben Recht. Rational, rational, rational. Behaupte ich ja sonst auch immer: Ich sei so rational. Haha! Also: Statt eines weißen Mannes bekommt ein nicht-weißes KIND die Geschenke. Was sagt uns das?

R: Es ist kaum zu glauben, aber diese drei verrückten Typen scheinen in dem Kind doch tatsächlich DAS zu sehen, was wir doch ein für alle Mal mit Herrschern und Religionsführern verknüpft haben! ALLE gucken sonst IMMER auf die wichtigen Leute in ihrer Gesellschaft – egal, worum es geht. Entweder wollen sie genau so werden, oder sie wollen von ihnen Anerkennung, oder sie betteln sie an um Gleichstellung, oder oder oder. WIR haben die Macht installiert. Nach UNSEREN Regeln. Das war schon immer so und wird immer so bleiben.

P: Na na na, Herr Rassismus. HIER brauchen Sie Ihre Lügen NICHT zu verbreiten! Wir wissen beide am besten, dass es genau NICHT immer so war. Und dass es immer so bleiben wird, ist keineswegs ausgemacht.

R: Aber das sollen zumindest weiterhin alle glauben. Die drei Typen da mit ihren Geschenken glauben es offenbar nicht. Sonst müssten sie doch erkennen, dass sie sich vertun! Dass sie nicht auf die Garanten wahrer politischer und religiöser Macht bauen!

P: Also. Was können wir tun?

R: Na was wir immer machen. Hier ein paar Halbwahrheiten, da ein bisschen Gewalt, ab und zu eine Prise Resignation und viele Vorurteile und Angstmacherei, das übliche halt.

P: Das haben Sie heute schon mal gesagt. Heißt jetzt konkret?

R: Ich werde aus dem Kind einen weißen Jungen machen. Mit goldenem, lockigen Haar und so.

P: Super. Außerdem bleibt der ja kein Kind. Der wird ja noch erwachsen. Und vernünftig. Und dann bin ja ICH zur Stelle. Ist ja immerhin ein Junge, dieses Kind. Den kriegen wir schon noch auf unsere Seite.

R: Oh, da kam gerade ein Anruf von Frau Queerfeindlichkeit. Sie fühlt sich in Gefahr, weil dieses Kind und diese drei Typen da alles durcheinander bringen. Es muss doch alles bleiben, wie es ist, sagt sie. Es würde ja noch gehen, sagt sie, wenn diese queeren Leute wenigstens nur das mitmachen wollen, was die anderen auch machen – heiraten, sichere Jobs haben, Ansehen haben, so normale Sachen halt. Aber, sagt sie, diese drei Typen mit ihren Geschenken da, die interessieren sich gar nicht für das, was normal alles so gemacht wird. Und, sagt Frau Queerfeindlichhkeit, die drei SELBST könnten auch als Außenseiter verstanden werden. Und, sagt sie, wenn die Außenseiter und Ausgeschlossenen sich jetzt nicht mehr an dem ausrichten, was sonst als normal gilt, sondern ihr eigenes Ding machen und dabei ganz anderen Werten folgen – dann, sagt sie, dann sei die Normalität WIRKLICH in Gefahr. Sagt sie. Teil des Systems sein wollen ginge ja noch. Aber die drei Typen mit ihren Geschenken und dem Kind orientieren sich ja überhaupt nicht mehr an den üblichen Machtstrukturen. Sagt sie.

P: „Sagt sie, sagt sie, sagt sie“! Kann sie nicht selber reden?

R: Seit wann hören Sie zu, wenn Frauen reden?? Lieber Kollege Patriarchat, Sie drehen es sich ja wohl auch immer so, wie es Ihnen gerade passt.

P: Sagen Sie ihr, dass wir daran arbeiten. Also, Plan ist: Sie, Kollege Rassismus, sorgen dafür, dass dieses Neugeborene weiß wird. Ich schaffe solange Strukturen, die aus ihm wieder einen normalen Herrscher machen, wenn er erwachsen ist.

R: Wie wollen Sie das denn schaffen?

P: Hm. Weiß noch nicht. Mir wird schon was einfallen. Vielleicht erschaffe ich eine Kirche.

R: Was soll das denn sein, eine „Kirche“?

P: Na sowas wie das römische Reich, nur in religiös. Zentrale Macht, ausschließlich an Männer verteilt, viel Gerede vom Frieden (aber nur für die, die sich an die Regeln halten und die Klappe halten), Abhängigkeiten schaffen, sowas halt. Kann ich!

R: Na Sie haben Ideen. Wie soll das denn klappen. Glauben Sie, die drei Typen da fallen auf sowas rein? Wenn die ein KIND beschenken, haben die doch für sowas gar nichts übrig.

P: Hm. Vielleicht brauchen wir doch den Herrn Klassismus und die Neffen da, diese… Dings… egal. Wir könnten so tun, als wäre das arme Kindelein in einem armen Stall geboren, und ein bisschen auf die Tränendrüse drücken und so. Und das muss dann alles in meine neu geschaffene Kirche angedockt werden. Nicht, dass die Armen und Unterdrückten WIRKLICH plötzlich glauben, es könnte auch anders sein. Davon TRÄUMEN dürfen sie, aber nicht daran GLAUBEN.

R: Aber die drei Typen da sind doch damit nicht aus der Welt. Da könnten sich andere doch ein Beispiel dran nehmen!

P: Ach, werden die schon nicht. Nicht, solange WIR BEIDE den Ton angeben.

R: Ja, aber sobald Leute wie das KIND da und diese drei TYPEN da den Ton angeben, haben wir beide bald GAR nichts mehr zu sagen, das ist Ihnen SCHON klar, oder? Ich glaube, manchmal bekommen SIE nicht mit, wie real die Gefahr einer anderen Realität ist!

P: Pah. „Glaube, Liebe Hoffnung“ oder was? Glaubt doch kein normaler Mensch dran.

R: Oh-oh. Schauen Sie mal: Jetzt kommen auch noch Hirten zu dem Kind… Von wegen, da glaubt doch kein normaler Mensch dran…!

P: Wir brauchen dringend ein paar Herrscher an dieser Krippe!

R: Ich sehe keinen einzigen. Hier bricht was auf, ganz ohne uns und unsere Leute… Hier haben wir tatsächlich mal gar nichts zu sagen…

P: Keine Sorge. Solange das niemand GLAUBT….

R: Aber Sie wissen schon, was das für Konsequenzen hat, WENN es jemand glaubt…! Wir sind am Arsch! Weg vom Fenster! Geschichte! Vergangenheit! Unbedeutend! Jeder einzelne Mensch, der das glaubt, ist für uns verloren! Und wenn das MEHRERE glauben, könnten die Menschen in einer anderen WELT leben!

P: Was für ein schrecklicher Gedanke! … Es sei denn… also, was denken Sie, jetzt mal angenommen… Glauben Sie, also, vielleicht, eventuell, nur mal so gedacht: Wenn sogar der von uns geprägte patriarchale und rassistische G*tt menschlich wird… Vielleicht könnten wir dann auch mal zur Ruhe kommen, unsere Vorurteile und Lügen beiseite legen, uns aufgeben und menschlich werden?

 

Hintergrundwissen:

  • Die Ideen von der Herberge und dem Stall stimmt wirklich nicht; es handelt sich eher um ein ganz normales Privathaus der damaligen Zeit. *)
  • Dass Jesus als Baby weiß und blondgelockt war, ist angesichts des Orts des Geschehens tatsächlich höchst unwahrscheinlich. Wenn er es gewesen wäre, wäre es so außergewöhnlich gewesen, dass es oft und klar erwähnt worden wäre. *)
  • Die Struktur der römisch-katholischen Kirche hat mit dem damaligen römischen Reich tatsächlich mehr zu tun als mit den Strukturen, innerhalb derer Jesus und die ersten Gemeinden gearbeitet haben.
  • Dass es genau DREI waren, die da mit Geschenken ankamen, steht eigentlich auch nirgends – es sind halt DREI Geschenke, die genannt werden, und daraus wird das dann geschlossen.

*) Dass so viele das nicht wissen und stattdessen eigene Vorstellungen von Wohnverhältnissen und Aussehen in die Geschichte hineinlesen, bezeugt, wie sehr auch Bibelverständnis geprägt ist von eigenen Werten und Gewohnheiten. Das ist ja an sich nicht schlimm, es wurde und wird westlichen Weißen ja auch nicht anders vermittelt, aber es könnte zumindest langsam mal üblicher werden, das zu reflektieren und zu berücksichtigen.

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