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Christentum auf Höhe der Zeit (öhm: damals oder heute??…)

Predigt MCC Köln 1. Mai 2016
Ines-Paul Baumann

1. Tim 2,1-6a: „Die rechte Ordnung in den Gemeinden“

Wenn diejenigen, die gerade das Sagen haben (= Würdenträger, Mehrheitsgesellschaft), zufrieden mit dir sind, ist Gott es auch.“ So könnte das Fazit und die Grundlage der Timotheus-Briefe lauten.

Es liest sich wie ein Klischee, was hier jeweils dargelegt wird als „Weg zur Rettung“ (der ist nämlich unterschiedlich für unterschiedliche Gruppierungen):

  • Die Rettung für Frauen besteht im … Kinderkriegen (2.15)

  • Die Rettung für Amtsträger besteht in der … Bewahrung der üblichen Männerrollen (Soldat, Sportler, Farmer) und der bestehenden Lehre (4,17)

  • Die Rettung für Reiche besteht in … Wohltätigkeit und einem einfachen Lebensstil (6,19)

Was hat das noch zu tun mit der Feststellung in dem heutigen Predigttext: „Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus“?

Aber was bedeutet das konkret? Was bedeutet das für mein Leben und meinen Lebensstil? Dieser Satz an sich ist (zu?) einfach. Er kommt dermaßen allgemeingültig daher, dass es leicht ist, sich darauf immer zu einigen.

Rät der Timotheus-Brief also wirklich, dass unser Heil in der Anpassung an gängige Erwartungen liegen soll?

Zwei Beobachtungen hierzu:

  • Der Brief tritt weit hinter das zurück, was Jesus vertreten hat (zu dieser Erkenntnis reicht schon ein Blick in die Evangelien, die es in die Bibel geschafft haben).

    Der Brief tritt aber auch weit hinter das zurück, was Paulus damals vertreten hat (z.B. in Gal. 3,28 / Röm. 16,1-3.7 / Phil. 16, u.a.….). Heute geht man davon aus, dass dieser Brief gar nicht von Paulus verfasst wurde, sondern im Namen seiner „Autorität“. Es war ein damals übliches Verfahren, im Namen anerkannter Leute eigene Texte zu verfassen und sie ihrem Gedankengut zuzurechnen.

  • Was hier aufgegriffen wird, war damals gang und gäbe. Aus der Sicht ihrer Zeitgenossen haben sich die Christen damals mit solchen Statements endlich (wieder) auf der Höhe ihrer Zeit bewegt.

Die Aussagen, die wir in diesen Bibelstellen finden, entspringen ganz klar dem damaligen Zeitgeist (und nicht irgendeiner „ewigen Ordnung“!).

Dreierlei Aspekte dazu möchte ich kurz anreißen:

1) Spielraum für Veränderungen auch in Bezug auf Geschlechterrollen

Die genannten Bibelstellen triefen von Geschlechterklischees. Was ist nun mit den Rollenerwartungen, die wir heute kennen (à la Herdprämie und Village People *g*): Sollen etwas DAS jetzt „ewige Ordnungen Gottes“ sein?

Es ist genau dieses Gedankengut, aus dem all die „gewichtigen, biblischen“ Gründe geschnitzt sind z.B. für den Ausschluss von Frauen aus kirchlichen Ämtern. („Das muss so sein, denn so steht es in der Bibel“!)

Ja, hier „steht etwas in der Bibel“, was ich durchaus bedenkenswert finde: Offenbar galt es damals nämlich nicht als „unbiblisch“ oder „unchristlich“, die Aussagen Jesu im Licht aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen neu zu interpretieren.

Bemerkenswert ist, wie sehr schon „biblisch nachweisbar“ vernachlässigbar ist, was ursprünglich gemeint gewesen sein könnte. (Wobei das vor allem aus heutiger Sicht nicht nur bemerkenswert, sondern auch ärgerlich ist: Dürfen reaktionäre Rollenklischees den damals geradezu revolutionären Umgang Jesu mit Geschlechterrollen einfach so überschreiben?? Um so mehr sollten wir heute den Mut haben, kirchliche Sichtweisen SOWOHL mit unseren heutigen Erkenntnissen ALS AUCH mit dem Vorbild Jesuzu überdenken.)

Nochmal in aller Klarheit: Die im Timotheus-Brief vertretenen Ansichten eines „christlich angemessenen Lebensstils“ stützen sich vor allem auf damalige, zeitbezogene, kulturelle Kriterien, nicht auf ewige göttliche Ordnungen.

Andere Zeiten mit anderen Rollenbildern könnten auch die Rollenbilder in Kirchen beeinflussen und für Veränderung öffnen.

Gerade mit diesen Briefen lässt sich argumentieren, dass sich Kirchen und Gemeinden öffnen sollten für kulturelle Einflüsse. Wenn es für Christen damals wichtig war, in ihrem Menschenbild auf der Höhe der Zeit zu sein, dann müssen Christen HEUTE auf der Höhe ihrer HEUTIGEN Zeit sein. Veränderungen im Verständnis von Geschlechterrollen müssen dann ihren Weg finden in christliche Verkündigung und kirchliches Miteinander.

Andererseits zeigen uns Texte wie diese auch, wie schnell Anpassungen an „zeitgemäße“ Vorstellungen uns auch entfernen können von der Radikalität und von den Konsequenzen dessen, was Jesus gelehrt und gelebt hat.

2) Vielfalt lässt sich nicht unterdrücken

Der Timotheus-Brief ist insgesamt voller Ermahnungen, sehr polemisch und sehr restriktiv. Das wirft die Frage auf: Was war denn da bloß los!?!

Offenbar zeigt sich hier ein Konflikt um Machtverteilung. Und diejenigen, denen es möglich war, setzten solche Mittel offenkundig skrupellos ein, um ihre Ansichten und ihren Einfluss und ihre Positionen zu sichern – zusammen MIT Amtsträgern, GEGEN Frauen und IM VERBUND MIT Reichen.

Auch hier lässt sich nicht schönreden, wie sehr sich christliche Gemeinschaften auch heute abhängig machen: zusammen mit Würdenträgern und Reichen – auf dem Rücken von Frauen.

Doch damals wie heute zeigen solche Rufe nach „Recht und Ordnung“ vor allem, dass solche Rufe als nötig empfunden werden. Und das sagt doch eine Menge darüber aus, dass es eben nicht immer so glatt und eindeutig zuging wie erhofft von denen, die es „nach oben geschafft haben.“

3) Sehnsucht nach Gewissheit: innere und äußere Antreiber

Es gibt eine ganz menschliche Sehnsucht nach Bestätigung von außen: „Es lässt sich von außen beurteilen, ob ich OK bin…“ (In der christlichen Version obliegt das freilich nicht dem Urteil von Menschen, sondern dem Urteil Gottes: „Es lässt sich von außen beurteilen, ob ich OK bin in den Augen Gottes“).

Beurteilungen von außen können beruhigen, denn sie erscheinen sichtbar und messbar und vermitteln Einigkeit. Sie machen mich aber auch abhängig:

  • Wie viel in mir glaubt vielleicht selber, ich (oder ein_e ander_e) darf nicht aus Geschlechterrollen ausbrechen?
    (Zum Beispiel so: „Frauen müssen für die Familie da sein, Männer müssen soldatisch-sportlerisch-hart-zielorientiert sein?“)

  • Wie viel in mir glaubt vielleicht selber, es gibt „die eine reine Lehre“ im Christentum, und nur wer diesem Verständnis entsprechend lebt, „gehört dazu“?

  • Wie viel in mir glaubt vielleicht selber, dass ich denjenigen, die in Kirchen und Gemeinden das Sagen haben, gehorchen und gefallen muss?

  • Wie viel in mir glaubt vielleicht selber, dass ich als Christ in meiner Umgebung nicht anecken darf?

  • Wie viel in mir glaubt vielleicht selber, dass die ungerechte Verteilung von Reichtum in unserer Welt schon OK ist, solange die Reichen unsere Gemeinde nur hin und wieder an ihrem Reichtum teilhaben lassen?

All diese Stimmen gibt es – in unseren Kirchen, in der Bibel und in uns selbst. Aber sie sind nicht in Stein gemeißelt. Sie sind Ursache und Folge von Kämpfen um Macht, um Vielfalt und um Gewissheit.

Trotzdem: Verurteile dich und andere nicht dafür, wenn du sie wahrnimmst. Sondern nimm sie wahr als Stimme für Fragen, wo es tatsächlich um wichtige Dinge geht. Der Punkt ist: Nur weil wir dieselben Fragen haben wir die Generation des Neuen Testaments, müssen wir nicht auch dieselben Antworten haben wie die Generation damals. In einer veränderten Gesellschaft können die Antworten anders aussehen als zu der Zeit, als ein Teil der Briefe im Neuen Testament verfasst wurde.

 

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