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Fühle ich mich belohnt genug?

MCC Köln, Impuls zum 23. September 2018
(anonym)

Jesaja 49,1-6

Liebe GoDieGäste,

Gott will seine Menschen belohnen! Aber alles der Reihe nach:

Unser Text stammt aus dem Buch Jesaja, 2. Teil. Der Autor wird von Theologen Deutero-Jesaja, also zweiter Jesaja, genannt, weil sein Stil und die Zeit, auf die er sich bezieht, deutlich verschieden ist vom Jesaja der ersten 39 Kapitel. Ich nenne ihn „Jesse“, welches die Abkürzung von „Jesaja“ ist. Ich finde, das ist praktisch zur Unterscheidung.

Jesse lebte im 6. Jhd. v. Chr. und trat in Erscheinung, nachdem die Urkatastrophe passiert war, will heißen, der Tempel in Jerusalem durch die Babylonier zerstört war und die jüdische Elite nach Babylonien verschleppt worden war. Nun war das Volk Israel nicht mehr in der Verfassung, sich weitere Drohworte anzuhören, sondern es war nahe an der Verzweiflung bzw. Resignation. Das Buch des Jesse beginnt mit den berühmten Worten: „Tröstet, tröstet mein Volk! Zu Ende ist seine Knechtschaft, gesühnt ist seine Schuld…“ Nun, zu Ende war die Knechtschaft keineswegs, sondern hatte erst begonnen, Gott jedoch blickte schon voraus und zeigte sich von einer ganz anderen Seite, die lange verborgen geblieben war, nämlich von einer mütterlichen und gnädigen Seite, ja auch einer zupackenden Seite, indem Die Ewige endlich aufräumen würde mit der ganzen Gewalt, Angst und dem Recht des Stärkeren auf dieser Erde. In dieses Prophetenbuch verwoben sind die vier sogenannten Lieder vom leidenden Gottesknecht. Ich finde sie umwerfend revolutionär, fast wie die Bergpredigt im NT. Heute konzentriere ich mich auf den Predigttext, das zweite Lied vom Gottesknecht.

Ich habe mich in Jesse hineinversetzt, soweit ich das aus der heutigen Zeit und ohne ein Theologiestudium kann. Nun lasse ich ihn selbst zu Wort kommen:

„Gott ist mir heute ganz nahe, und ich kann nicht schweigen, sondern ich will es in die ganze Welt rufen: Die Lebendige hat mich echt besonders geschaffen, und ich bin anders als alle anderen. Von Beginn an habe ich einen ganz intimen Draht zu Gott, aber leider auch eine scharfe Zunge und Haare auf den Zähnen, darum bin ich bei den Menschen nicht so beliebt. Manche halten mich für arrogant, andere für naiv oder verrückt, das ist manchmal richtig schwer. Aber ich bin nun einmal wie ich bin, vernarrt in Adonaj, und damit bin ich ein guter Jude, denn er ist unser Gott, und wir sind sein Volk. Andere Völker halten uns auch für arrogant, verbohrt oder verrückt, das passt schon. Glauben ist ja banal und überflüssig, wenn man sich nur an das hält, was vor Augen ist, nein, ich schaue tiefer, und meine Weisheit ist Gottes und nicht die Weisheit dieser Welt!

Ich habe eine lange Zeit der Schwermut und Mutlosigkeit hinter mir. Ich habe mich abgerackert ohne Ende, und ich habe mir jede Menge Feinde gemacht, gerade unter den Mächtigen. Oh mein Gott, warum sind die Menschen nur immer so kurzsichtig und ja, ich kann es nicht anders nennen, feige und ignorant?! Warum, Du Heiliger, sind die schlechtesten Charaktere gerade zu finden unter den Mächtigen und Einflussreichen?! Ich habe auf Dich vertraut, meine Stärke, aber ich bin böse auf die Nase gefallen, mitten in den Dreck! Der König und seine Regierung haben nicht auf mein Wort gehört, und das Volk hat sich lieber bequem durchgewurschtelt, als auf meine Worte und auf Gottes Gebote zu hören. Jetzt ist es zur Katastrophe gekommen, die ich lange habe kommen sehen. Es tut so weh! Und Gott, meine Festung und mein Schild?! Ich weiß nicht, der Ewige schien ohnmächtig, kam gegen die menschliche Dummheit und Schlechtigkeit nicht mehr an, und der Herr wurde zur Lachnummer, konnte sein Volk nicht schützen, ja zum Ende noch nicht einmal mehr sein eigen Heiligtum, wo er wohnt. Unvorstellbar, aber zuerst ist Jerusalem gefallen, und dann haben sie den Tempel geschleift und alle Schätze mitgenommen, mir blutete das Herz und ich meinte, meine Eingeweide würden herausgerissen. Auch habe ich mich schrecklich geschämt für den Gott, in den ich vernarrt bin mein Leben lang. Habe ich alles auf die falsche Karte gesetzt, habe ich die Welt und das Leben total falsch verstanden?! Bin ich tatsächlich nur naiv oder sogar verrückt?! – Ich hatte verdammt viel Zeit, über diese Fragen nachzudenken, denn auch ich wurde nach Babylon verschleppt, weil ich mit zur Elite gezählt wurde, und auf dem langen Weg war keinem von uns nach Reden zumute, darauf könnt Ihr Gift nehmen. Die Babylonier haben uns nur verhöhnt und erniedrigt, aber das erweckte auch einen gewissen Trotz in mir! So nicht mit mir, und auch nicht mit Gottes auserwähltem Volk! Ich ließ mir meinen Stolz nicht so ganz rauben, und sehen konnten die insbesondere nicht, dass es manchmal schwarz wurde in meiner Seele. Mir war der Boden unter den Füßen weggezogen, wie bei einem Erdbeben, wenn sich die Erde auftut und das Stückchen Erde verschlingt, auf dem eben noch das eigene Heim und die Existenzgrundlage standen. Ganz schlimm! Ich war geschockt und traumatisiert. –

Aber das ist nun schon über ein Jahr her, und Adonaj hat sich wieder gnädig gezeigt, ja er hat zu mir gesprochen, so innig und erwärmend wie früher. Ich war ganz durcheinander, als Gott wieder zu mir sprach, und er sagte nicht: „Du hast versagt. Ich schäme mich für Dich. Mit Israel habe ich jetzt endgültig die Geduld verloren, das ist Euch sicher nicht verborgen geblieben bei allen Leiden, die ich über euch gebracht habe.“ – NEIN, die Heilige haute mich aus den Socken, denn ihre ersten Worte waren: „Tröstet, tröstet mein Volk! Zu Ende ist seine Knechtschaft, gesühnt ist seine Schuld…“ Da war ich platt! Das erste deutliche Wort vom Ewigen nach dem langen Schweigen, und dann sowas Unglaubliches. Sofort spürte ich wieder diese alte Gewissheit und Vertrautheit: „Ich gehöre Gott in einem ganz besonderen Sinne! Und Israel ist Gottes Volk, das er liebt und niemals verlassen wird, so sicher wie der Regenbogen immer wieder am Himmel erscheinen wird, wenn es geregnet hat. Das war so schön, und das ist drei Monate her. –

Meine Landsleute waren nicht so begeistert davon. Manche haben gelacht, die meisten gar nichts gesagt und nur so komisch geguckt wie: „Der hat einen Vogel.“ Andere wurden richtig aggressiv, na klar, wer von uns hat nicht eine riesige Wut im Bauch… Aber ich hatte meinen Gott wieder, und ich war wieder ich.

Nun erhebe ich abermals meine Stimme, ob es die Leute nun hören wollen oder nicht. „Unser Gott ist König, und ER ist das Licht der Welt.“ Der Welt? – Ja, richtig gehört, der ganzen Welt, nicht nur seines auserwählten Volkes! Das hat die Eine mir auch schon vor 3 Monaten gesagt, da war ich mir noch nicht so ganz sicher gewesen, ob ich dem Vertrauen schenken kann. Aber nun ist es ganz klar: Die Ewige hat Barmherzigkeit im Sinne, nicht nur für Israel, sondern für alle Menschen! Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Frieden und die Erkenntnis der Wahrheit, für alle Menschen, damit Gottes Wille endlich verwirklicht werde und die Menschen zu ihrer eigentlichen Bestimmung durchdringen.

Das ist toll, und das habe ich schon immer gespürt oder geahnt, ganz tief drinnen. Je älter ich wurde desto trauriger wurde ich, weil ich die Menschen immer besser durchschaute. Wie viel Kleingeist, wie viel Missgunst und Mangel an Phantasie! Immer der Masse hinterher, damit man sich nicht aus dem Fenster lehnen muss. Ganz zu schweigen vom richtig Bösen, da fehlen mir manchmal echt die Worte. Wenn es Gott gibt, und wenn nicht alles hoffnungslos sein soll, dann wird der Lebendige sich irgendwann erbarmen und sich den Menschen so zeigen, dass sie verstehen und von ihren selbstsüchtigen Ängsten geheilt werden. Dann wird das Lamm neben dem Löwen liegen und das Kind im Schlangenloch spielen, ganz ohne Gefahr. Aber wann?!?

Nur leichter wird es so auch nicht, für mich und Israel. Ist das nicht ein paar Nummern zu groß?! Wir sind besiegt, unser Gott ist marginalisiert, wir wurden von unserem Land gerissen, welches die Eine uns geschenkt hatte, und wir sind die Sklaven unserer Eroberer geworden. Da soll ich nicht nur die verzagten Herzen und zynischen Geister oder scheintoten Seelen unserer Leute wiederaufrichten, sondern direkt die Erlösung der ganzen Welt verkünden?! Unseren neuen Herren und Besiegern ankündigen, dass sie gegen unseren schwachen und unsichtbaren Gott den Kürzeren ziehen werden, und von ihm erlöst werden, die, die sich pudelwohl fühlen und gewiss nicht wollen, dass sich irgendetwas ändern soll?! Erlösung für die, die sich schon erlöst fühlen?!

Ach mein Schutz und meine Stärke, warum bist Du so unsichtbar in dieser Welt, die Du doch geschaffen hast?! Wieso gibt es so wenige Spuren von Dir, gerade und besonders in dieser Zeit?! Und wie kommt es, dass Dein Ebenbild, der Mensch, so klein und hässlich ist, zumindest so, wie wir ihn heute kennen?! Wo ist Dein göttlicher Schimmer und wo Deine große, umfassende Güte?! Warum gibt es pausenlos Kriege in der Welt, Krieg, etwas, welches an Sinnlosigkeit und Irrsinn nicht zu überbieten ist?! Werden die Kriege je enden und die Menschen sich als Brüder und Schwestern begreifen? Und die Erde als unsere Heimat, von unserem himmlischen Vater einfach so geschenkt, und zwar allen gemeinsam?!

Heiliger, ich sehe schon, Du bleibst geheimnisvoll und anstrengend. Aber ich danke Dir so sehr, dass Du die Barmherzigkeit, das Licht der Wahrheit und die Schönheit bist! Dafür kämpfe und lebe ich gerne! Alle sollen von Dir erfahren und die Chance bekommen, Dich kennenzulernen!“

Soweit Jesse. Er lebte in einer Zeit, die sich ziemlich katastrophal anfühlte, insbesondere für das Volk Israel, das tatsächlich am Nullpunkt angekommen war. Aber dieser Nullpunkt war auch der Startpunkt, religiöse Bücher zu schreiben, denn aus dieser Zeit stammen viele bedeutende Bücher der Bibel.

Heute leben wir in einer Zeit, die sich global ziemlich katastrophal anfühlt. Die meisten Menschen können das nicht ertragen und stecken den Kopf in den Sand, ziehen sich zurück ins Private oder ins eigene kleine Glück. Wenn mensch denn das Glück hat, im Privaten überhaupt Glück gefunden zu haben. Die anderen haben halt Pech gehabt und werden freundlich darauf aufmerksam gemacht, dass sie selber an ihrem Unglück schuld seien, sie hätten sich halt nicht genug angestrengt und selber optimiert. Das ist ein riesiges Fass, welches ich nicht in einer Predigt öffnen möchte. Nur soviel: Wenn es einfach nicht genügend Wohnraum gibt, dann werden die wohnungslos, die sich am wenigsten wehren können. Für menschenwürdige Arbeitsplätze gilt übrigens das gleiche.

Gott will uns belohnen. Aber Belohnung ist keine Einbahnstraße, wie auch mein Jesse schon angedeutet hat. Darum möchte ich jetzt ein paar Fragen stellen, die jede und jeder eine Minute auf sich wirken lassen kann, wenn Ihr wollt:

  1. Fühle auch ich mich von Gott belohnt? Vielleicht bin ich so unzufrieden mit mir selbst, dass es mir schwer fällt zu glauben, Gott könnte zufrieden mit mir sein und mich beschenken? Vielleicht muss ich mir selber zuerst ein Geschenk machen, indem ich darüber nachdenke, was gut ist an mir selber und an meinem persönlichen Leben? Vielleicht sind jedoch auch meine Lebensumstände so hart, dass ich im täglichen Überlebenskampf häufig vergesse, Atem zu holen und an das klitzekleine Gute zu denken, was es in meinem Leben auch gibt.
  2. Fühle ich mich von meinen Mitmenschen genug belohnt? Sicher ist Undankbarkeit eine verbreitete menschliche Schwäche, und alle ehrenamtlich Tätigen können ein Lied davon singen. Was mache ich also, wenn ich meine Arbeit oder Anstrengung nicht genug gewürdigt sehe? Sorge ich dann wenigstens gut für mich selber? – Und umgekehrt, denke ich manchmal darüber nach, wem ich einmal meinen Dank ganz konkret aussprechen oder zeigen kann?
  3. Kann sich Gott auch manchmal von mir belohnt fühlen? – Wie Manfred neulich so treffend bemerkte, hat Gott ja schon alles, da ist es nicht einfach, ihn zu belohnen. Aber warum muss Dank oder Belohnung immer mit Opfer und Anstrengung in Verbindung gebracht werden? Vielleicht fühlt sich Gott ja schon belohnt, wenn wir am leben bleiben, auch wenn es uns schwer fällt; oder wenn wir zu uns selber stehen und nicht immer danach schielen, erfolgreich und normal zu sein, wenn wir stattdessen einfach nur sind, wer wir sind?
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