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HALT. LOS.

Impuls MCC Köln, 5. Juni 2022
Ines-Paul Baumann

Apostelgeschichte 2,1-4 (Pfingsten)

Wenn Dinge in deinem (Glaubens-)Leben in Bewegung geraten: Wo geht dein erster Impuls hin? Suchst du Halt? Willst du aus etwas raus?

Was brauchst du, DAMIT du in deinem (Glaubens-)Leben Lebendigkeit ahnen, aushalten, zulassen, genießen, stärken kannst? Hilft dir Struktur? Brauchst du mehr Freiheiten?

Was von all dem, was du nicht loslassen möchtest, tut dir gut?
(Und wo wäre mehr Loslassen vielleicht besser?)
Was von all dem, wo du zu neuen Freiheiten aufbrichst, tut dir gut?
(Und wo wäre mehr Einlassen vielleicht besser?)

1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab.

Apostelgeschichte 2,1-4 (Lutherbibel 2017)

In der Pfingstgeschichte steckt beides drin, der Halt UND das Loslassen – insbesondere wenn wir sie im Zusammenhang mit anderen biblischen Erzählungen lesen.

Oft wird Pfingsten als Gründung der Kirche verstanden. Dann wäre Kirche beides:

  • Kirche ist dann zum einen ein Ort zum Versammeln, für Gemeinschaft, für Miteinander, der schon bald Strukturen bekommt, sich organisiert und Regeln verschafft. Gottes Geist stiftet Verbindung und Verbindlichkeit. Wenn hier etwas in Bewegung gerät, läuft es zumindest nicht aus dem Ruder. Wie die einzelnen Blätter eines Windrads: Wenn der Wind bläst, geraten sie in Bewegung, aber sie verlieren nicht ihren Halt.
  • Zum Anderen ist Kirche dann ein Ort des Aufbruchs, der Zerstreuung. Gottes Geist strebt hinaus in die Welt, überall hin, lässt sich nicht einfangen und nicht einschließen. Wie ein großer Haufen von losen Blättern: Wenn der Wind bläst, stieben sie auf und verteilen sich überall hin.

Die Bibel ist voll weiterer Parallel- und Gegenbewegungen zur Pfingstgeschichte. Hier ein paar Beispiele (es gibt noch mehr…):

  • Schöpfung: 1. Mose 1,2
    „Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.“ (Luther 1984)
    Inmitten des „Chaos“ (Bibel in gerechter Sprache): G*ttes Geistkraft. In Bewegung.
    G*ttes Geist und Chaos schließen sich nicht gegenseitig aus.
    G*ttes Geist kam nicht „an Pfingsten“. G*ttes Geist braucht auch keine christlichen Orte. G*ttes Geist ist in der Welt, entgrenzt, auf keinerlei Ordnung(en) angewiesen.
    Und doch geht es in der Schöpfungsgeschichte als Nächstes darum, Ordnung zu schaffen. Zuordnungen zu treffen. Halt zu stiften. Schon hier findet sich beides: Halt UND Bewegung.
  • Turmbau zu Babel: Gen 11,1–9
    Gott will nicht Einheitlichkeit, sondern Vielfalt, und sorgt dafür, dass es mehrere Sprachen gibt. Die damit verbundene Erfahrung ist aber, dass diese Sprachen UNVERSTÄNDLICH untereinander sind.
    Die Menschen suchen Halt in Einheitlichkeit. Gott schickt sie in Bewegung. Gemeinschaft aufgrund von Gemeinsamkeit gibt es nur noch in kleineren Gruppierungen. Sie müssen lernen, mit Unterschieden und Unverständlichem umzugehen.
  • Mose: 2. Mose 19+20
    In der Pfingstgeschichte empfangen Menschen den Heiligen Geist. Mose erhält nicht den Heiligen Geist, sondern die 10 Gebote. Beides können Gaben Gottes sein: Hilfestellungen, die Orientierung bieten. Maßstäbe, die ein Leben in Freiheit und Frieden ermöglichen. Also äußerer Halt. Dann aber auch innere Veränderungen, Gewissheiten, Aufrufe und Aufbrüche. Alles kein Widerspruch.
  • Elia: 1. Könige 19,8-13
    In der Pfingstgeschichte erfüllt sich der Raum mit einem Brausen wie bei einem gewaltigen Sturm. Aber Gott kann auch anders. Als sich der Prophet Elia in der Höhle verkroch, da war Gott nicht im Sturm (und nicht im Erdbeben, wie bei Jesu Kreuzigung, und auch nicht im Feuer, wie sonst manchmal) – aber danach kam ein „stilles, sanftes Sausen“… Gott kann beides: deutlich, klar, kräftig, wahrnehmbar. Aber auch sanft, leise, sachte, beinah unbemerkt.
  • Taufe Jesu: Mk 1,9-11
    Auch bei der Taufe Jesu kommt der Geist herab; hier nicht mit Feuerzungen, sondern „wie eine Taube“. Es gibt nicht nur das eine Bild für den Geist Gottes, das eine Symbol, den einen Vergleich, die eine Erfahrung, die eine Bild-Sprache.
  • Missionsbefehl: Mt 28,16–20
    „… Darum geht zu allen Völkern …“, fordert Jesus auf. Die Jünger*innen sollen sich auf den Weg machen, losziehen, aufbrechen. Aber wie sollen sie sich mitteilen? Das Neue Testaments zeichnet sie nicht gerade als Bildungsbürgertum mit Fremdsprachenkenntnissen! In der Pfingstgeschichte sieht beides schon anders aus: Die Menschen mit den anderen Sprachen sind mit am Ort. Und wie als Antwort auf die Sprachenvielfalt nach dem Turmbau zu Babel fühlen sich Menschen plötzlich angesprochen und finden die Inhalte VERSTÄNDLICH.
  • Joh 20,19-22
    Die Pfingstgeschichte ist natürlich auch die einzige Version, die sich in der Bibel dazu findet, wie die Jünger*innen den Heiligen Geist empfangen haben. Im Johannesevangelium empfangen sie ihn nicht durch Jesus direkt.
  • Apg 19:
    Und auch zum Heiligen Geist macht die Bibel deutlich: Die Geschichte setzt sich fort, in der Apostelgeschichte z.B. in Ephesus („Und als Paulus ihnen die Hände auflegte, kam der Heilige Geist auf sie und sie redeten in Zungen und weissagten.“). Vom ganzen Verständnis der neutestamentlichen Briefe her sollen wir gleich damit rechnen, dass die Geschichte vom Heiligen Geist und den Menschen weitergeht – und sich dabei verändern kann. Wo es in der Pfingstgeschichte noch darum geht, in Fremd-Sprachen zu sprechen (die also jeweils zumindest einigen anderen Menschen verständlich sind), ist mit dem „Reden in Zungen“ bereits etwas anderes gemeint – hier beten Glaubende in Worten, die in allen bekannten Sprachkulturen KEINEN Sinn ergeben.

Mit dem Heiligen Geist ist es also durchgehend so wie mit Wind: Er selbst ist nicht sichtbar. Aber DASS er etwas bewegt und WAS er bewirkt, das ist sehr wohl sichtbar, spürbar, erfahrbar.

Ein paar Aspekte davon habe ich hier vorne auf die Blätter geschrieben; manches auf die Blätter an den Windrädern, anderes auf die Blätter auf der Glasplatte (die gelb-orange-roten Farben sollen die Feuerzungen andeuten, von denen in der Pfingstgeschichte die Rede ist):

  • Schöpferkraft
  • macht lebendig (Gen 2,7)
  • Früchte d. Hlg. Geistes (= brauchen zum Wachsen Zeit und Pflege): Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung / Besonnenheit / Enthaltsamkeit
  • Gaben d. Hlg. Geistes (= sind unterschiedlich verteilt und zeigen sich bei/durch ihren Einsatz): Mitteilung von Weisheit, Vermittlung von Erkenntnis, Glaubenskraft, Gabe der Heilung, Wunderkräfte, Prophetisches Reden, Unterscheidung der Geister, Zungenrede und deren Deutung, Barmherzigkeit, Geben, Gastfreundschaft, Helfen, Leitungsgabe, Evangelisation, Hirtendienst, Verwaltung
  • Geist der Wahrheit
  • Trösterin

Weitere Anregungen zu wahrnehmbaren Folgen des Heiligen Geistes findet ihr in unserem heutigen Glaubensbekenntnis:

Ich glaube an den Heiligen Geist, die Ruach.

Ich glaube,
dass sie meine Vorurteile abbauen kann.
Ich glaube,
dass er meine Gewohnheiten ändern kann.
Ich glaube,
dass sie meine Gleichgültigkeit überwinden kann.
Ich glaube,
dass er mir Fantasie zur Vielfalt inmitten von Konformität geben kann.
Ich glaube,
dass sie mir Minderwertigkeitsgefühle nehmen kann.
Ich glaube,
dass er mir Mut zum Gutsein und zum gut Machen geben kann.
Ich glaube,
dass sie mir Warnung vor dem Bösen geben kann.
Ich glaube,
dass er in meiner Apathie Engagement entfachen kann.
Ich glaube,
dass sie meine Traurigkeit ertragen kann.
Ich glaube,
dass er aus Mauersteinen Wege in Offenheit pflastern kann.
Ich glaube,
dass sie meine Bilder VON Gott zu Liebe IN Gott wandeln kann.
Ich glaube,
dass er mein Wesen durchdringen und erfüllen kann.

Ich glaube,
weil ich bete.

(nach P. Karl Rahner SJ, vermengt mit Impulsen von Patrick Cheng in „From Sin to Amazing Grace: Discovering the Queer Christ“)

Gibt es weitere Anzeichen, Bestätigungen, Erfahrungen, die du mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbindest?

All dies sind nun also Dinge, anhand derer wir wie bei Blättern wahrnehmen können, dass die Geistkraft wie ein Wind irgendwo saust.

Wenn der Wind also nun hineinbläst und diese Blätter in Bewegung geraten (die im Windrad weiterhin miteinander und mit Halt, die in dem losen Haufen in den freien Raum hinein):

  • Wo geht dein Impuls hin? Wo bleibst du hängen? Was löst etwas bei dir aus? Welcher Anblick verschafft dir vielleicht Freude, oder löst einen Gegenimpuls in dir aus?
  • Und was du da so wahrnimmst in dir: Was zeigt sich da über dein aktuelles (Glaubens-)Leben? Was nimmst du daraus mit? Was ist für dich gerade dran?

G*tt segne dich im Festhalten wie im Loslassen!

 

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