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„Kann man bei den Fürbitten einen wüsten alttestamentarischen Psalm vorlesen und diesen den Tätern widmen?“

Predigt MCC Köln, 14. Juni 2020
(Neulich im Chat. Wirklich! Fast genau so!)

Psalm 10,12-15

B Überlege seit Tagen an einer Fürbitte hin und her. Und her und hin……Es geht um die ganze Gewalt, Missbrauch, Ungerechtigkeiten, und um die, die das alles erleiden müssen – aber ich will keine brave Fürbitte, eher eine wüste alttestamentarische „Drohung mit ewiger dunkler Verdammnis.

IP Her damit! Ich bau das passend ein! Und dann laden wir vorher noch andere an, dass sie in dieser Art was beitragen können!

B Aber das geht doch nicht. Als Christin darf ich doch nicht mit Schaden für Leib und Leben drohen!

IP Stimmt natürlich. Wo kämen wir hin, wenn wir genau das machen, was die Psalmen tun. Das wäre womöglich biblisch! Und mit der Bibel wollen wir als wahre Christenmenschen besser nichts zu tun haben! ;)

A Ich bin gleich auch dabei. Wahrscheinlich habe ich heute früher frei.

B Kann man bei den Fürbitten einen wüsten alttestamentarischen Psalm vorlesen und diesen den Tätern widmen?

IP Ja, das haben die Psalmen selber schon genau so gemacht. Manche davon sind quasi genau Antwort oder Kommentar zu unerträglichen Taten. Ist zum Teil den Titeln / Widmungen der Psalmen zu entnehmen. Wie gesagt, ich bau das gerne passend ein, und dann laden wir andere ein, auch ihre Anliegen mal in so einem Rahmen zur Sprache zu bringen. Wäre nur die Frage, wie wir das dann wieder einsammeln und zusammenbinden.

B Da gibt es kein Einsammeln, keinen Frieden. Das bleibt einfach furchtbar.

IP Sollen wir damit einen Gottesdienst beenden?

B Nein, vom Thema wieder ablenken wäre okay.

IP Also nicht das Thema abbinden, nur unsere Stimmung? Auch das ist typisch Psalm…. Von „alle und alles schlimm“ ohne Übergang zu „Gott sei gelobt“.

B Es können danach ja noch andere Fürbitten kommen, zu anderen Themen und Anliegen.

IP Wird das dann an der Stelle nicht zu viel?

B Das muss man schon sehr dosieren.

IP Ja, da hast du Recht. Ich habe eine andere Idee: Wir drehen uns um EIN Thema, und gehen das von unterschiedlichen Aspekten an. Ein Wut-Aspekt, ein Trost-Aspekt, ein Solidaritäts-Aspekt, …

A So da bin ich wieder. Stehe aber jetzt in der langen Schlange im Supermarkt. Versuche mal einzusteigen.

IP Oh, das ist gerade krass. Ob das zur Supermarkt-Schlange passt? Wobei das vielleicht genau die Kurve ist, die gerade fehlt!

A Es geht um Fürbitte zum Thema Gewalt und die Betroffenen?

IP Das versuchen wir gerade zu klären. Zumindest geht es darum, wie wir auch den Gefühlen Raum geben können, die so „unchristlich“ sind – die aber in den Psalmen doch auch ihren Platz haben. Wut, Entsetzen, Hass, Empörung, …

B Ich wünsche mir, daß die Betroffenen im Gottesdienst vorkommen. Aber nicht so harmlos fürbittend, wenn Ihr versteht, was ich meine.

IP Mich würde noch interessieren, wo/wie WIR dann darin vorkommen, als die Wütenden. UNSER Aspekt dazu.

B Na, alttestamentarisch fühle ich mich. Diese Täter sollen in der Hölle schmoren.

A Für mich wäre ein Gottesdienst zum Thema Wut usw gut, aber ich möchte den Weg raus und den Trost. Jetzt Kasse.

IP Wie siehst du „den Weg raus und den Trost“ darin? Abwiegeln kann es ja kaum sein… Wie würde dieses „alttestamentliche Gefühl“ denn von Gott aufgegriffen werden können? Also, wofür könnte ein Gottesdienst dann Raum geben? Allein schon dafür, DASS dafür Raum ist?

A Um Abwiegeln geht es nicht . Genau benennen ist wichtig. Sich zeigen mit dem‚ was ich sehe, was ich erkenne, ich bin Zeugin. Nur Wut ist nicht meins.

IP Was ist deins?

A Ich habe keine Ahnung, was Gott sich bei dem Ganzen denkt. Ich fahre jetzt nach Hause und bin gleich wieder bei euch.

IP Müssen wir denn wissen, was Gott sich dabei denkt? Glaubst du, DASS Gott sich was dabei denkt?

B Ist mir ein absolutes Rätsel. …….Ein Problem braucht nicht gleich eine Lösung, erstmal möchte so ein Problem einfach Raum zum Dasein.

IP Ja, das war ja genau meine Frage. Ich finde auch, dass es nicht sofort im Lösungen gehen muss (oder gehen kann).

B Ich möchte gerne, daß die Betroffenen im Gottesdienst Raum bekommen, aber nicht mit schnellem Trost.

IP Letzte Woche bei der Vorbereitung ist mir genau das vor die Füße gefallen – wie sich manche Psalmen als Antwort/Kommentar zu Gewalt und Unrecht verstehen (also, selber verstehen UND so überhaupt erst verständlich werden).

B Weiß nicht, wie ich angemessene Worte für so eine Fürbitte finde. Die sonstigen Fürbittenworte passen so gar nicht. Deshalb bin ich auf die Psalmen gekommen. Ich schreib morgen eine Fürbitte und schicke sie Dir, Ines-Paul, per Mail. Rückmeldung wäre dann gut, ob das so geht (weil ich ja öfters zu direkt bin).

A Zuhause! Mit dem Link zu den Psalmen kann ich nicht so recht was sagen. Kenne mich zu wenig aus

IP Also, wie war dein Link zur Wut / zu Wütenden, wenn Wut nicht deins ist?

A Zu Wut habe ich ein Verhältnis. Mittlerweile ein sehr geklärtes. Ich bin unter Anderem mit viel Gewalt und allem, was dazugehört, groß geworden. Ich kann wütend sein, sie äußern und einsetzen. Aber für den Frieden in mir hat das alleine nicht gereicht . Es macht mich wütend, wenn weggesehen wird. Ich habe täglich im Rahmen meiner Arbeit damit zu tun, dass Menschen nicht ihre Arbeit in Bezug auf Schutz machen. Für ist das Benennen das A und O. Das ist wichtig , individuell und gesellschaftlich bzw. politisch. Für mich als ‚betroffenen‘ Mensch hat das Benennen nicht gereicht, sondern eine Aussicht oder auch Zuversicht.

IP Wo kam die Aussicht / Zuversicht her, kannst/magst du das sagen?

A Ich kann wenig zu Texten aus der Bibel sagen, weil ich da zu wenig Kenntnis habe. Aber ich kann sagen, dass es wichtig war zu wissen bzw. zu glauben, dass wegen Gott nichts einfach so geschieht.

IP Dass nichts WEGEN Gott geschieht, oder wegen Gott nicht EINFACH SO?

A Sehr gute Frage. Für mich zweiteres.

B Ich möchte bei diesem Thema gerne wütend bleiben. Auch auf Gott.

A Ich kann nicht wütend auf Gott sein, aber Gott bringt mich schon auch manchmal zur Verzweiflung

B Ich habe noch nie so viele Kinder auf der Straße angelächelt wie seit Corona, weil ich mir solche Sorgen mache, was da in vielen Familien los ist.

Fürbitten

Gott, oft versteh ich Deine Wege überhaupt nicht.
Ich denke an die Ungerechtigkeit, durch die so viele Menschen leiden und sterben.
Bitte hilf beim Weiterleben.
Bitte mach‘ irgendwas Drastisches, damit das nie wieder vorkommt!
Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist, dass Menschen bzw. die Menschheit jemals ohne diese Ungerechtigkeit sein kann.
Dennoch bitte ich Dich um Schutz und Zuversicht, damit ich weiter daran glauben kann und niemals aufgebe, das zu tun.

Gott, so oft versteh ich Deine Wege überhaupt nicht.
Ich denke an die sexuell mißbrauchten Kinder von Münster. Bitte hilf diesen Kindern beim Weiterleben.
Allmächtiger Gott, bitte mach‘ irgendwas Drastisches, damit Täter sich nicht mehr auch nur in die Nähe von Kindern wagen!
Ich weiß, dass das nicht möglich ist.
Dennoch bitte ich Dich um Schutz für Kinder.

Gott, so oft versteh ich Deine Wege überhaupt nicht.
Ich denke an diejenigen, die glauben, das Unrecht passiert nicht unter ihren Leuten, weil Herr oder Frau X niemals was Böses tun würden, jedenfalls „nicht sowas“ – die wegschauen, nicht glauben, nicht wahrnehmen.
Jesus, bitte hilf beim Weiterleben, beim nicht aufgeben.

Gott, so oft versteh ich Deine Wege überhaupt nicht.
Ich denke an Menschen, die wie ich merken, Gottesdienst geht für sie nicht online.
Zeig uns, dass wir Teil deines Volkes sind, deines Anspruchs, deiner Ansprache an uns.

Gott, oft versteh ich Deine Wege nicht.
Ich denke an intersexuelle Kinder, die direkt nach ihrer Geburt auf ein eindeutiges Geschlecht hin zurechtgeschnitten werden, im wahrsten Sinne des Wortes.
Bitte hilf beim Weiterleben.
Bitte mach‘ irgendwas Drastisches, damit das nie wieder vorkommt!
Ich bin nicht davon überzeugt, daß das möglich ist.
Dennoch bitte ich Dich um Schutz.

Gott, so oft versteh ich Deine Wege überhaupt nicht.
Ich denke an Leute, die keine bezahlbare und zumutbare Wohnung mehr finden. Und an all die Leute, die gerade in diesen Zeiten viel zu geben haben, aber auch sonst, und sie finden nicht die Leute, die das auch annehmen können und ihnen etwas Passendes dafür geben können. Seien es Menschen, die sich Partnerschaften wünschen, oder Zuhörer für ihre Musik, Leser für ihre Bücher.
Zeig uns, dass wir nur das tragen müssen, was wir tragen können, weil du es uns zutraust.
Ich bin nicht davon überzeugt, daß das möglich ist.
Dennoch bitte ich Dich um Schutz und Beistand und – frei nach Gandhi – um ein Zeichen, dass es uns möglich ist, die Veränderung zu sein, die wir in der Welt sehen wollen.

Gott, so oft versteh ich Deine Wege überhaupt nicht.
Ich denke an mein Leben und den Umstand, dass ich dich oft nicht erlebe – auch wenn ich weiß, dass deine Liebe positiv in meinem Leben wirkt.
Bitte hilf beim Weiterleben.
Bitte mach‘ irgendwas Drastisches, damit das nie wieder vorkommt!
Ich bin nicht davon überzeugt, daß das möglich ist.
Dennoch bitte ich Dich um Schutz.

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