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Opfer bringen / zum Opfer werden: Beides verheerend.

Impuls MCC Köln, Ines-Paul Baumann
3. März 2024

Lukasevangelium 11,49-52 (und 1. Mose 4,1-16)

Content Note:

  • 1) Opfertum: Verheerend.
  • 2) Gewalt, die mir (oder anderen) angetan wird: Verheerend.
  • 3) Ich (oder andere) bin wertvoll – auch ohne, dass ich ein Opfer bringen oder ein Opfer werden muss.

Bist du fein und zufrieden mit der Deutung von Jesu Hinrichtung als Sühneopfer? Damit, dass Gott dieses Opfer gewollt / verlangt / benötigt hat? Dann kannst du dich wahrscheinlich freuen auf vielerlei Predigten in den kommenden Wochen um Karfreitag und Ostern herum.

Für alle anderen möchte ich heute einen anderen Zugang anbieten.

Ich behaupte nicht, dass dieser Zugang „richtiger“ ist. Je nach Perspektive kann die Deutung des Todes Jesu als von Gott gefordertes Sühneopfer kraftvoll und ermächtigend sein. Paulus und die Beliebtheit seiner Briefe sind das beste Beispiel dafür. Auch in die Evangelien hat diese Erklärung Eingang gefunden.

Um so beachtenswerter finde ich diese Worte Jesu zur Einordnung seiner Hinrichtung in den Evangelien:

49 Darum spricht auch die Weisheit Gottes: Ich will Propheten und Apostel zu ihnen senden, und einige von ihnen werden sie töten und verfolgen, 50 damit gefordert werde von diesem Geschlecht das Blut aller Propheten, das vergossen ist, seit der Welt Grund gelegt ist, 51 von Abels Blut an bis zum Blut Secharjas, der umkam zwischen Altar und Tempel. Ja, ich sage euch: Es wird gefordert werden von diesem Geschlecht. 52 Weh euch Lehrern des Gesetzes! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen. Ihr selbst seid nicht hineingegangen und habt auch denen gewehrt, die hineinwollten.

Lukasevangelium 11,49-52 (Lutherbibel 2017)
Parallel dazu: Matthäusevangelium 23,34-36

Sind Jesus diese Worte in den Mund gelegt worden oder hat er sie selber so gesagt? Das ist hier genau so un-/bedeutend wie bei den anderen Worten Jesu zu seinem Tod, die wir in den Evangelien finden. So oder so sollen diese Stellen in der Rückschau (!) Erklärungen für seine Hinrichtung liefern: Wie kann ein Hingerichteter ein Gesandter Gottes sein? Was für ein Gott soll sowas hinnehmen, erlauben, zulassen??

Ausgangssituation ist:
Nachfolger*innen Jesu erfahren zu manchen Zeiten im Römischen Reich Verfolgung und Tod.
Sie blicken zurück auf den Tod Jesu durch das Römische Reich.
Und Jesus? Jesus blickt zur Einordnung seiner gewaltvollen Tötung zurück auf die Ermordung von Abel durch Kain!

Kurz zur Einordnung:

Die Erzählung von Abel und Kain finden wir am Anfang der Genesis (1. Mose 4). Theolog*innen sind sich einig, dass hier grundlegende Themen verhandelt werden – GANZ grundlegende Themen (sowohl für die Menschheit als auch die Religion).

Kain und Abel stehen hier meistens für den ersten Mord. Hier wird in der Bibel das erste Mal über tödliche Gewalt unter Menschen gesprochen. Ich möchte ergänzen: Hier wird das erste Mal über religiös motivierte Oper gesprochen. Und zwar wie gesagt: an grundlegender, exemplarischer, tonangebender Stelle.

Kain und Abel sind Brüder. Beide bringen Gott ein Opfer dar: der eine ein Tieropfer, der andere ein Opfer seiner Ernte. Das eine Opfer nimmt Gott an, das andere nicht. Daraufhin erzürnt der Nichtbeachtete (Kain) und tötet seinen Bruder (Abel).

Fassen wir mal zusammen, was an dieser Stelle über Opfer erzählt wird:

  • Zwei gleichberechtigte Menschen bringen Gott jeweils ein Opfer dar. Danach sind sie nicht mehr gleichberechtigt.
  • Gott macht Unterschiede, wie er Glaubende und ihre Glaubensäußerungen behandelt.
  • Der, dessen Opfer von Gott angenommen wurde (=> „Segen“?), wird als Folge davon ein Opfer von tödlicher Gewalt (=> toller „Segen“!…).
  • Die tödliche Gewalt geschieht durch die Hände eines eifersüchtigen Menschen (der Gott eben noch Opfer gebracht hat).

Was passiert also im Zusammenhang mit religiösen Opfern an dieser grundlegenden Stelle? Alles geht schief.

WAS AN DIESER GESCHICHTE STELLT RELIGIÖSES OPFERTUM IN GUTEM LICHT DAR? Nichts. Stattdessen wird bereits hier die Gabe VON Opfern verknüpft mit der Erfahrung, ZUM Opfer von Gewalt zu werden.

Wenn in der Geschichte von Kain und Abel überhaupt irgendein ein gottgewolltes Opfer gemeint sein sollte: Dann hätte sich Jesus MIT ABELS OPFER vergleichen müssen. Aber er stellt sich in eine Reihe MIT ABEL. Abel ist aber nicht das Opfer, das für Gott dargebracht wird. Abel ist das Opfer von menschlicher Gewalt.

Wenn sich Jesus nun mit diesem Abel vergleicht: Was an Jesu Tod soll dann ein von Gott gewolltes Opfer sein?

Im Matthäus- und Lukasevangelium wird Jesu Tod hier nicht als Opfer dargestellt, das Gott gewollt hat. Stattdessen wird hier Folgendes thematisiert:

  1. Erstens wird Jesus als Prophet einsortiert. (Und alle anderen, die Gewalt erfahren, weil sie den Mächten und Mächtigen ihrer Zeit ein Dorn im Auge sind, irgendwie auch.)
  2. Zweitens wird gesagt: Die Tötung Jesu – und aller anderen Prophet*innen vor ihm – war nicht umsonst, nicht ungesehen, nicht vergessen.
  3. Und drittens: Das heißt nicht, dass diese Tötung von Gott gewollt war.

Dass Paulus das für seine Leser*innen noch anders einordnet, liegt genau daran: an seinen Leser*innen. „Jesus ist für euch gestorben“ heißt bei ihm nicht: „Das zeigt, wie schlimm du in den Augen Gottes bist.“ In seiner Kultur will er damit sagen: „Das zeigt, wie wertvoll du in Gottes Augen bist.“

Und für die nachfolgenden Christ*innen liegt darin der Trost: „Was du dafür erleiden musst, dass du für das Gute konsequent eintrittst (anstatt dich anzupassen an das, was dem Guten entgegensteht), das ist nicht umsonst. Gott sieht es. Andere Menschen sehen es. Du bist Teil einer Geschichte, die dir Mut gemacht hat und die anderen Mut machen wird.“

Paulus betont damit auch: „Dass du für Gott so wertvoll bist, liegt nicht an deinen Leistungen (oder an den Opfern, die du bringst). Du musst dich nicht rechtfertigen (auch nicht durch Opfer, die du bringst). Du BIST gerechtfertigt. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Gott ist da! Gott ist mit uns!“

Und DA sind wir doch durchaus genau bei dem, wie Jesus gelebt, geredet und gehandelt hat: Als G*TT MIT UNS.

Und hier sind wir vielleicht tatsächlich bei einer Frage, die sich auch heute stellt: Können wir die Zuwendung und Gegenwart G*ttes annehmen – „einfach so“? Ohne Gegenleistung? Ohne Opfer??

 

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