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Was habe ich davon, an Gott zu glauben?

Predigt MCC Köln, 10. Februar 2019
Ines-Paul Baumann

Markusevangelium 4,35-41 („Die Stillung des Sturmes“)

Hier seht ihr, wie echte Jünger aussehen können, die mit Jesus in einem Boot sitzen (im wahrsten Sinne des Wortes). Voller Furcht sitzen sie da, erschrocken, angsterfüllt und panisch. Das Boot droht zu sinken, der Sturm wirft es hin und her, das Ende scheint nah. Wenn jetzt nicht irgendwas passiert, war‘s das. Hier ist keine Zeit für Meditations-Übungen, für das Ausrollen von Gebetsteppichen und für Himmelsrichtungen, für Weihrauch und Kerzen, für Einkehr-Wochenenden und geistliche Rituale.

Wenn ihr diesen Anblick aushaltet, habt ihr schon mehr geschafft als der große Denker Friedrich Nietzsche. „Bessere Lieder müssten sie mir singen, daß ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten mir seine Jünger aussehen“, sagte der. Dass Jünger Furcht und Schrecken empfinden, hielt er für unerträglich.

Vielleicht wenden manche jetzt ein: „Nana, das ist doch nur eine Momentaufnahme. Kurz danach STILLT Jesus doch den Sturm, und dann sieht das doch schon ganz anders aus. Dass Gläubige mal Furcht empfinden ist ja normal, aber sie können sich dann an Jesus wenden und dann ist alles wieder gut. Die Frage ist doch nicht, OB auch Gläubige manchmal Furcht haben, sondern wie sie damit umgehen. Und da hilft immer das Gebet.“

(„Außerdem sind diese Jünger ja offenbar gar keine Gläubigen, sagt Jesus doch! Anscheinend haben sie gar keinen Glauben, auch wenn sie Jesus nachfolgen!“ Dass es Unterschiede geben könnte zwischen „Nachfolge Jesu“ und „gläubig sein“, darüber können wir gerne reden. Ungläubige Jünger? Jesus nachfolgen ohne gläubig zu sein? Oh ja, beides interessant zu betrachten! Aber gerade Kreise, die auf wahren Glauben wertlegen, machen die NACHFOLGE Christi üblicherweise GERNE zum Maßstab – und schauen dabei GERNE auf die Jünger, wenn es um Vorbilder für Christsein geht… Vielleicht gehören ungläubige Momente und Nachfolge Jesu DOCH manchmal zusammen?!?…)

Nun, tatsächlich wenden sich die Jünger mit ihrer Furcht an Jesus. Diese Geschichte ist ja nicht umsonst ein Klassiker in kirchlichen Sonntagsschulen: Schon Kinder lernen, dass es ok ist sich zu fürchten, sie sich aber damit an Jesus wenden können – und die Furcht dann vergeht.

Das Problem dabei ist: Auch wenn wir mit Jesus reden – die Furcht vergeht NICHT immer. Ja, der Sturm ist gestillt. Aber wie fühlen sich die Jünger danach? „Sie aber fürchteten sich sehr“, schreibt Markus (Mk 4,41).

Vielleicht wäre es so gesehen sogar besser gewesen, NICHT mit Jesus in einem Boot zu sitzen. Es waren ja noch genug andere Boote unterwegs. Von außen betrachtet teilen sie dasselbe Schicksal: Sie geraten in einen Sturm, die Bootsinsassen fürchten sich, der Sturm hört auf, und alle erreichen sicher das Ufer. Diejenigen, die NICHT mit Jesus in einem Boot saßen, werden einfach erleichtert und glücklich gewesen sein. Die Jünger hingegen „fürchteten sich sehr“, immer noch (oder vielleicht jetzt erst recht, so deutlich wird das nicht).

Wer sich also fragt: „Was habe ich davon, wenn ich glaube?“, kommt – gemessen an dieser Geschichte – vielleicht zu dem Schluss, vom Glauben besser die Finger zu lassen.

Tatsächlich hat nicht nur Nietzsche mit dieser Geschichte gehadert, und wir können froh sein, dass sie uns überhaupt in dieser Form überliefert ist. Schon innerhalb der Evangelien gibt es das Gefühl, diese Geschichte korrigieren zu müssen.

Das Problem lag aus ihrer Sicht aber weniger bei den Jüngern als vielmehr bei Jesus selbst. Jesus schläft nämlich auf einem Kissen. Hat sein göttliches Haupt geneigt und schlummert friedlich. Die Jünger sind in Lebensgefahr, und ihren Herrn und Meister kümmert es nicht. „Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“, halten sie ihm vor, nachdem sie ihn geweckt haben. DAS ist noch viel schlimmer als furchtsame Jünger.

Heißt es nicht über Gott: „Der dich behütet, schläft nicht“? (Psalm 121,3) Ist das nicht DAS Versprechen an die Gläubigen? Ein Gott, der immer alles mitbekommt? Nicht nur ein Gott, die immer DA ist, nein: Gott bekommt immer alles mit! Gott weiß immer, in welcher Situation du gerade bist, wie es dir geht, was du brauchst. Gott ist nicht nur irgendwie DA – Gott ist FÜR DICH da.

Und jetzt das: Jesus schläft. Die Mensch gewordenen Gegenwart Gottes schläft. Der, in dem sich Gott offenbaren will, schläft. Von wegen „Der dich behütet, schläft nicht“!

Aber tatsächlich, es gehört zu den Glaubenserfahrungen, dass Glaubende sich von Gott im Stich gelassen fühlen. Leid und Unrecht geschehen – und nichts passiert. Glaubenden geht es schlecht und schlechter – und nichts passiert. Glaubende sind gezeichnet von Krankheit und Tod – und nichts passiert.

Schon im Alten Testament hatten Menschen das Gefühl, dass Gott schläft: „Da erwachte der Herr wie ein Schlafender“, heißt es in Psalm 78,65. Warum erst so spät? Was haben sie bis dahin alles durchmachen müssen!

Was hat man davon, an so einen Gott zu glauben? Anscheinend hat sich das Matthäus-Evangelium dieselbe Frage gestellt. Auch hierin kommt die Sturmstillung vor, auch hier schläft Jesus. Aber in dem Abschnitt davor lässt Matthäus seine Leser und Leserinnen vorher noch wissen: „Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er das Haupt hinlege.“ Diesen Satz sagt Jesus, direkt bevor die Überfahrt beginnt. „Keine Sorge, es sieht gleich nur so aus, als ob Jesus in dem Boot schläft“?, oder was soll dieser Satz an dieser Stelle?

Bei Matthäus fürchten sich die Jünger am Ende auch nicht, sondern sind lediglich „verwundert“. Was im Lukas-Evangelium zu der diplomatischen Formulierung führt, dass sich die Jünger am Ende „fürchten UND verwundern“.

Ich liebe diese so genannten „Widersprüche“ in der Bibel ja sehr. In der Bibel haben BEIDE Glaubenserfahrungen Platz: „Der, der dich behütet, schläft nicht“ – UND dass es manchmal eben doch genau so wirkt.

Es gibt ein paar interessante Bilder zu der Sturmstillung, bei denen ebenfalls Platz für beides ist. Jesus ist ZWEI Mal im Boot gezeichnet: ein Mal schlafend, und ein Mal den Sturm stillend. Nicht in zwei verschiedenen Zeichnungen, sondern in einer! Dasselbe Boot, aber mit zwei Jesus-Figuren. Ich glaube, das kommt den Erfahrungen, die Glaubende mit ihrem Gott machen, sehr nahe. Es ist eben nicht NUR SO oder NUR SO.

Ich bin froh, dass man manchen Glaubenden in der MCC ansieht, dass die Furcht aus ihrem Leben nicht verschwunden ist. Von wegen, „geh hin, dein Glaube hat dir geholfen.“ Nietszche hätte wohl eher gesagt: „Geh weg, dein Glaube hat dir offenbar NICHT geholfen.“

Wenn Leute nur deswegen glauben, damit sie was davon haben, werden sie ent-täuscht werden. Und für viele ist dann der Moment gekommen, den Glauben ganz hinter sich zu lassen. Wo war Gott, als das Kondom riss? Wo war Gott, als das Flüchtlingsboot kenterte? Wo war Gott?

Gerade ein Glaube, der darauf beruht, dass Gott IMMER da ist und IMMER hilft, MUSS hier geradezu an sein Ende kommen. Wenn ich SO UNERSCHÜTTERLICH daran glaube, dass Gott immer da ist und immer hilft – dann ist es logisch, dass mein Glaube erschüttert wird, wenn ich das nicht so erlebe. Wenn trotz Beten sich nichts ändert. Wenn Gebete nicht erhört werden. Wenn es mir oder anderen schlecht geht. Ich würde sagen, gerade SO ein Glaube ist NICHT unerschütterlich. (Zurecht…)

Die Situation, in der das Markus-Evangelium geschrieben wurde, war so eine Situation. Das Römische Reich hatte den jüdischen Aufstand niedergeschlagen. Das Land (und sicher auch der See der Sturmstillung zum Zeitpunkt der Abfassung) war übersät mit Leichen. Hunger, Verwüstung und Krankheiten machten das Überleben schwer. Gerade mal 40 Jahre vorher hatte Jesus doch noch so tolle Sachen versprochen – und jetzt das?

Wie soll man irgendjemandem in so einer Situation erzählen, dass es sich LOHNT, an Gott zu glauben? Dass Jesus der Herr über alle Mächte und Gewalten ist? Dass Gott uns behütet und nie schläft?

Wie viel Wirklichkeit hält unser Glaube wirklich aus?

Das Markus-Evanglium stellt genau diese Fragen. Halten wir es aus, dass Jesus vielleicht manchmal mit uns im Boot sitzt, aber schläft – und schläft – und schläft …? Und wenn wir das aushalten: Was kann unseren Glauben DANN noch erschüttern?

Für mich persönlich würde ich es so formulieren:

Ich glaube nicht wegen dem, was ich davon habe.
Ich glaube wegen dem, AN DEN ich glaube.

Wenn ich anderen versprechen würde, dass in einem Leben mit Jesus alles gut ist, wäre das gelogen und fahrlässig. Aber ich persönlich bin lieber MIT Jesus im Boot (und ggf. in Schwierigkeiten), als OHNE Jesus auf einem Luxusdampfer, Supertanker oder in einem sicheren Hafen zu sitzen. Nicht meine Lebensumstände machen den Unterschied. Die Gegenwart Jesu macht den Unterschied.

Und MIR hilft es dafür manchmal, Jesus anzusprechen, mit ihm zu reden. Bibel lesen, Gebetskreise, alleine beten, schriftliche Gebete, mündliche Gebete, stille Gebete. Gottesdienste. Bibellesepläne. Apps nutzen. Es gibt viele Möglichkeiten, UNS daran zu erinnern, dass Jesus mit im Boot sitzt. Jesus kann nichts dafür, dass wir das bei glatter See und Sonnenschein nur so selten tun.

Nachtrag:

Außerdem finde ich, dass Schlafen auch eine Frage von Vertrauen ist. Bei der Sturmstillung reden alle immer nur von dem Vertrauen, das die Jünger Jesus entgegenbringen sollen. Von dem Vertrauen, das die GLÄUBIGEN aus dieser Geschichte lernen sollen. Ich finde, es gilt auch umgekehrt. Dass Jesus schläft, ist AUCH ein Vertrauensbeweis. Habt ihr mal neben jemandem im Auto gesessen, bei dem ihr das Gefühl hattet, der lenkt euch gleich in den nächsten Graben? Ich bekomme dann kein Auge zu. Schlafen, das heißt auch: Ich vertraue mich euch an. Ich bin wehrlos, verletzlich, sehe vielleicht nicht Instagramm-tauglich aus. Ich vertraue euch. Jesus hat seinen Jüngern vertraut! Auch das gehört zu Gott. Gott vertraut uns. Jesus ging davon aus, dass die Jünger schon was sagen würden, wenn es nötig wird. Genau das müssen wir dann halt auch manchmal tun.

 

Danke für Anregungen und weitere Infos zum Markus-Evangelium angesichts des Jüdischen Krieges als „traumatische Erfahrung“:

  • Andreas Bedenbender: „Frohe Botschaft am Abgrund. Das Markusevangelium und der Jüdische Krieg“

 

Ergänzung:

„Hab‘ noch einen anderen Aspekt im schlafenden Jesus im Boot gesehen, den ruhenden Pol inmitten all dem beängstigendem Toben der sichtbaren Welt um sich herum. Was einem aber, wenn man so richtig Angst hat, auch nicht viel nützt, nur vielleicht ein bißchen, ganz tief unten in der Seele.“

aus einer E-Mail an Ines-Paul;
anonyme Weitergabe mit Genehmigung

 

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