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Steht denn gar nichts Lebensnahes in diesem Text?

Predigt MCC Köln, 25. November 2018
L.U.K.

Jesaja 65,17-25 („Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde“)

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

dieser Text mutet uns viel zu, und nicht nur in der Volxbibel: Friede, Freude, Eierkuchen. Konflikte: Vergangenheit. Leid und Ungerechtigkeit: abgeschafft. Krankheit, Krieg und Seuchen: vergangen, im neuen Paradies. Denn Gott hat beschlossen, die Geschichte vom Sündenfall rückwärts erzählen zu lassen: Gott streckt seine Hand aus, und diesmal kann der Mensch sie nicht mehr ausschlagen, weil Gott die ganze Welt neu geschaffen hat, sogar die Natur. Puh. Da fällt mir doch glatt das alte Lied ein, welches ich heute nicht singen möchte wie so viele andere Lieder zum Ewigkeitssonntag auch nicht: z. B. „Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in Dir! Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat und ist nicht mehr bei mir….“ Das ließ man damals auch seine Kinder im Grundschulalter mitsingen, in dem irrigen Glauben, diese würden die Worte nicht verstehen und von daher eben nichts mitkriegen. Aber die ernsthaftesten unter den Kindern haben es mitgekriegt und innerlich mitgeseufzt: „Ach könnte ich doch heute schon ins Paradies!“ – Jedoch ließ das Paradies dann ewig lange auf sich warten, und der Glaube an „Friede, Freude, Eierkuchen“ im Jenseits bröckelte im Laufe der Jahrzehnte.

Nichts gegen Deutero-Jesaja, den Autor dieses Bibeltextes, den ich ja auch sehr schätze, aber zu mir spricht der vorliegende Textabschnitt nicht. Darum überlasse ich die Diskussion mit dem Bibeltext lieber mal zwei heutigen Zeitgenossen, die sich zufällig in einem einigermaßen leeren Zug (ja, auch das gibt es!) gegenübersitzen und kurz vor Totensonntag miteinander ins Gespräch kommen:

Herr A: „Entschuldigen Sie bitte, ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, aber ich bewundere Sie dafür, wie Sie sich offensichtlich sehr lebhaft mit dem dicken Buch auseinandersetzen, welches auf Ihren Knien liegt und was Sie zu zahlreichen Notizen inspiriert. Wenn Sie mir nichts dazu sagen wollen, ist es vollkommen O. K. Aber ich vermute fast, dass es die Bibel sein könnte, und als Kind frommer Eltern habe auch ich so meine persönliche Geschichte mit der Bibel. Ich würde mir wünschen, dass meine Geschichte weniger frustrierend und enttäuschend abgelaufen wäre.“

Frau B.: „Ach, Sie müssen sich nicht entschuldigen, denn auch wenn es nicht so aussehen mag: Ja, es ist die Bibel, und ich bereite gerade die Predigt für Sonntag vor, Sie wissen vielleicht, es ist der Ewigkeitssonntag. Eigentlich war ich gut im Fluss und meine Gedanken sprudelten eine ganze Zeit, aber dann geriet ich in eine gedankliche Sackgasse, darum bin ich Ihnen ganz dankbar, dass Sie mich unterbrechen und mit mir reden wollen. – Sie haben wohl eine längere Zeit nicht mehr in der Bibel gelesen?“

Herr A.: „Nein, seit ich bei meinen Eltern auszog, habe ich keine Kirche mehr betreten, genau gesagt keinen Gottesdienst mehr, und alleine Bibellesen, das ist mir erst recht nicht in den Sinn gekommen. Vielleicht sollte ich mal die Bibel im Regal abstauben, nur weiß ich gar nicht mehr, wo die bei mir rumsteht…“

Frau B.: „Soll ich Ihnen denn einmal den Text vorlesen, über den ich predigen werde? Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie mir einige Anregungen geben können, wo ich vielleicht mal die gewohnten Gedankenschleifen verlassen könnte und neue Fragen aufnehmen!“

Herr A.: „Warum nicht? Schließlich werde ich noch eine halbe Stunde hier in der Bahn sitzen, wenn alles gut geht wohlgemerkt, und man kommt nicht alle Tage dazu, mehr als nur small talk mit Fremden auszutauschen.“

Frau B. trägt den Predigttext nach Luther Js. 65,17-19 vor, als Herr A. schon unterbricht: „Au Backe, das ist ja ebenso schlimm, wie ich es in Erinnerung habe, hier macht einer aber leere Versprechungen, die an den Haaren herbeigezogen sind, und dann behauptet man einfach, diese Ideen kämen von Gott! Aber ich lebe hier und jetzt, auf der Erde! Und, Sie mögen anderer Ansicht sein, jedoch seit den Zeiten, von denen wir schriftliche Zeugnisse haben, ist der Mensch des Menschen schlimmster Feind, und Gerechtigkeit findet sich nur auf dem Papier, wenn überhaupt. Dafür kann man ja schon froh sein! – Was mich echt auf die Palme bringt, ist diese Vertröstung auf das Jenseits, denn das ist mir zu billig, sorry! Wann soll das Jenseits denn anbrechen, und wer soll daran teilhaben? Unsere bleichen Gebeine, die von uns übrigbleiben nach dem Tode? Oder eine unsterbliche Seele, die es natürlich nicht gibt, sondern die manche Menschen sich nur ausgedacht haben, um scheinbar ewig zu leben? Ich finde es feige, aus Angst vor dem Tode sich ein jenseitiges Paradies einzureden, und ich finde es unredlich, den Benachteiligten und Unterdrückten der Welt eine Wiedergutmachung im Jenseits vorzugaukeln!“

Frau B.: „Aber wir als Menschen brauchen solche Hoffnungen und Visionen als Nahrung für die Seele oder Psyche! Die Bibel ist voll davon, und ich kann es nicht einfach nur als Wunschdenken abtun. Viele Menschen müssen sterben, das gebe ich zu, ohne dass Ihnen Gerechtigkeit widerfahren wäre, was sollen wir diesen Menschen denn sonst sagen, und worauf sollen sie hoffen, wenn nicht auf Gottes ewige Gerechtigkeit?“

Herr A.: „Auf die irdische Gerechtigkeit, verdammt nochmal! Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Für Gerechtigkeit und Frieden zu kämpfen ist schwer, ja es kann einen in große Schwierigkeiten bringen oder sogar das Leben kosten, aber das ist nun mal die einzige Möglichkeit, etwas für die Menschen zu tun, die unter die Räder gekommen sind oder drohen, es zu tun. – Na gut, an diesem Punkt können wir uns also nicht einigen. Aber lesen Sie doch bitte weiter, wenn Sie noch mögen!“

Frau B.: „Gut, wenn Sie mögen. Aber ich warne Sie, es wird nicht besser!“ Fr. B. trägt die Verse 20-22 vor,

Herr A. unterbricht wiederum: „Aha, hier will Jesaja wohl sagen, dass es keine Kriege mehr geben wird, und das wüschen sich ja auch die meisten Menschen, obwohl…. Wenn ein Krieg gewonnen werden kann, ja dann macht man gerne auch mal ne Ausnahme, und wenn die eigene Zivilbevölkerung nicht leiden muss, weil der Krieg weit weg ist, ja dann zieht man halt doch in den Krieg, denn sonst machen es andere Länder. Besonders, wenn es in jenem fernen Land Rohstoffe gibt, die sonst von anderen erobert werden könnten. – In der Bibel ist das auch so: Die großen Propheten sehnten sich nach Frieden, überall liest man von Frieden und Gerechtigkeit im Alten Testament, außer an den Stellen, an denen vermeintlich Gott selbst den heiligen Krieg befiehlt, wenn die Israeliten nämlich Land erobern wollen, was ihnen gar nicht gehört, ja dann wird Jahwe zum Kriegsgott, weil der Krieg gewonnen werden kann. Das hat mich schon als Jugendlicher an der Gerechtigkeit der Bibel und letztlich auch an der Gerechtigkeit Gottes zweifeln lassen. Ich finde es verlogen und , gelinde gesagt, anmaßend.“

Frau B.: „Aber Jesus hat den Frieden gepredigt und nicht den Krieg! Jesus ist der Friedenskönig und hat für Versöhnung und Gerechtigkeit gekämpft.“

Herr A.: „Ausgerechnet das Neue Testament als friedlich zu bezeichnen, ist abenteuerlich. Sicher, damals sind die Juden nicht in den Krieg gezogen, weil sie von den Römern besetzt waren und so gut es ging, gegen die Besatzer Aufstände angezettelt haben. Allerdings sind die Worte im Neuen Testament keineswegs friedlich, wie da z. B. immer wieder gewettert wird gegen die Juden, und wie Menschen, die den christlichen Glauben nicht teilen, ständig mit ewigen Höllenqualen gedroht wird! Plötzlich ist Gott angeblich nur mit den Jesus-Gläubigen, und alle anderen werden als Untermenschen beschrieben. Das ist sicherlich eine der Ursachen, warum das Christentum im Laufe der Geschichte die Religion geworden ist, die die größten Ströme von Blut vergossen hat! Ich bin auch nicht mehr ganz jung, mein Vater war im 2. Weltkrieg Kindersoldat, und so langsam kann ich nicht mehr umhin, Freud recht zu geben, dass den Menschen ein Todestrieb innewohnt. Sicher, auch ich träume noch von einer besseren Welt, nur am liebsten würde ich andere Wesen in diese Welt setzen, nicht Menschen. Ich traue dem Menschen zu, um im Bild des Bibeltextes zu bleiben, noch im Paradies einen Krieg anzuzetteln, weil der Mitmensch vielleicht die süßeren Feigen gefunden hat, und die könnte man ihm ja mit Gewalt abnehmen. Da scheint mir auch der tiefere Sinn des ganzen Geredes von Sünde zu liegen, auch der Geschichte vom Sündenfall. Ja, wir alle bauen viel Mist, aber da Gott den Menschen nun so aggressiv und , Entschuldigung, verrückt geschaffen hat, kann unser Vater im Himmel uns das doch nicht zum Vorwurf machen! Genauso wenig kann er ein Pflästerchen draufkleben so nach dem Motto: „Keine Sorge, nach dem irdischen Jammertal wird alles gut, und ihr werdet in Frieden und Glückseligkeit leben.““

Frau B.:„Tja, ich hoffe, dass meine Predigt am Sonntag nicht solche Reaktionen hervorrufen wird! Ich hingegen glaube tatsächlich, dass Gott unsere kranken Seelen und unsere Bosheit heilen kann, wenn wir nach dem Tode endlich Gottes Angesicht schauen dürfen und können. Warum sollte Gott das auch nicht können!? Schon Jesus hat die Menschen mit Gottes Liebe angeschaut und geheilt.“

Herr A.: „Oh je, das wäre zu schön, um wahr zu sein, für mich gehört das schon in den Bereich des magischen Denkens. Ich finde es viel besser, das Leben zu bewältigen, wie es ist, auch ohne diese Krücken. – Steht denn gar nichts Lebensnahes in diesem Text? – Aber lesen Sie trotzdem bitte zu Ende, ich werde Sie auch nicht mehr unterbrechen. Das tut mir leid, ich bin ja aus der Haut gefahren, denn normalerweise unterbreche ich die Leute nicht. Ich finde es komisch, wie präsent diese Geschichten noch sind nach alle den Jahren! Gelernt ist gelernt, und was Hänschen lernt, das geht viel tiefer, als man vielleicht wahrhaben will.“

Frau B: „Es sind auch nur noch 3 Verse.“, sie liest also die Verse 23-25.

Herr A. schweigt eine Weile, und Frau B. wartet gespannt auf seine Reaktion. Schließlich seufzt er: „Ach Versöhnung, das wäre es! Was meinen Sie, warum steht da sowas Seltsames wie dass Wolf und Schaf nebeneinander weiden und dass die Schlange nur noch Staub frisst? Was haben Sie denn bei dem Vers gedacht?“

Frau B.: „Ja, Versöhnung, obwohl Wolf und Lamm sich nicht hassen, sondern der Wolf hat einfach nur Hunger. Aber es ist natürlich ein Bild dafür, dass endlich Frieden geschehen kann, was auch uns heute schwer fällt zu glauben. Vielleicht ist es den Juden damals ähnlich schwer gefallen wie Ihnen, denn damals waren die Zeiten weit rauer als jetzt in unserer reichen Bundesrepublik mit über siebzig Jahren Frieden im Inneren. Ich habe noch nie Konflikte auf Leben oder Tod gehabt mit anderen Menschen, das muss wohl sehr schlimm sein. Aber in Partnerschaften habe ich auch schon einiges erlebt, und wenn dann noch Kinder da sind, Sie wissen schon, was ich meine… Es war für mich ein harter Weg zur Versöhnung, weil ich mich so ungerecht behandelt gefühlt habe und so verletzt war. Da hat mir mein Glaube und Jesu Vorbild schon geholfen, sonst hätte ich es vielleicht auch gar nicht gewagt. Nein, ganz durch bin ich trotzdem noch nicht, aber es wächst was Neues zwischen meinem Ex und mir.“

Herr A.: „Konflikte auf Leben oder Tod, davon kann nicht nur mein Vater ein Liedchen singen, das habe ich leider auch am eigenen Leib schon erfahren, vor 5 Jahren. Damals ist nämlich meine älteste Tochter an einem ärztlichen Kunstfehler gestorben, eine ganz unglaubliche Sache, Schlamperei von Feinsten. Sie ist nur 16 Jahre alt geworden. Das war echt schrecklich, aber was mich noch mehr fertig gemacht hat, war, dass der Arzt null und nichts zugegeben hat, der hat einfach nur gesagt, dass das die Versicherung entscheiden muss, er könne und dürfe keine Stellung nehmen, sonst würde er nämlich seinen Versicherungsschutz verlieren. Wir wollten doch kein Geld von ihm und bestimmt nicht vor Gericht ziehen, wir waren gar nicht in der Lage dazu. Und wenn schon, es war doch ein Gespräch nur unter sechs Augen, da hätte er durch die Blume durchblicken lassen können, dass es ihm leid täte, aber nix da, keine Spur von Bedauern oder Reue. Wie gesagt, das war das Schlimmste, und so war es nicht möglich, den Verlust zu akzeptieren, bis heute nicht. Die Beziehung zu meiner Frau hat auch einen Knacks bekommen, echt seltsam. Später habe ich dann gelesen, dass das ganz normal ist und eher die Regel denn die Ausnahme. Trotzdem schrecklich, die Unbeschwertheit war jedenfalls dahin, wenn es sie jemals gegeben hat. Auch für die anderen Kinder war nichts mehr so wie zuvor, alte Sicherheiten und Vertrautheiten mit einem Mal weg, einfach geraubt. Und ständig das fruchtlose Fragen: „Warum ich? Warum meine Familie? Ich kenne keinen anderen, dem sowas Schlimmes passiert ist, also warum zu Teufel ausgerechnet ich?!“ Ja, ich habe sogar mir selber die Schuld gegeben, aber das führt ja zu nichts! – Au weia, wenn ich das so erzähle, dann ist da nicht nur Groll gegen den pfuschenden Arzt, nein, sondern im Grunde bin ich auch Gott böse, Gott, der schon in meiner Kindheit immer groß war mit leeren Versprechungen und vielen Drohungen, ich denke mal, dass letztere genauso leer waren. Groll auf Gott, den es doch gar nicht gibt, jedenfalls nicht als Typ im Himmel, der auf alle Menschen aufpasst wir ein guter Vater es tun sollte, das ist echt verrückt. – Nun sehen Sie, dass Ihr Predigttext doch noch etwas in Gang gesetzt hat und irgendwie ins Rollen gebracht hat, was sich zuvor wie tot oder wie in Stein gemeißelt angefühlt hat. Sind Sie mit dieser Wirkung zufriedener?“

Frau B.: „Was soll ich sagen? Ich bin glücklich und dankbar für solche Momente der Nähe. Da sind kluge Worte nur noch blöd. Aber Versöhnung mit Gott, das ist ein toller Gedanke. Das wünsche ich auch Ihnen, na, Gott hat es Ihnen sicher nicht leicht gemacht. In dem Bibeltext steht, dass Gott uns die Hand ausstreckt zur Versöhnung, das betont Jesaja auch immer wieder. Aber wie gesagt, Versöhnung ist schwer und dauert lange. Zuerst muss man lernen, zu sich selber gut zu sein und den eigenen Schmerz zu fühlen. — Dass der Schmerz einen sogar verändert hat, leider nicht zum Besseren, das ist schwer zu akzeptieren. Aber so geht es allen Menschen, die tief verletzt wurden. Und irgendwann fiel mir plötzlich wieder ein, dass es auch viel Schönes und Gutes gegeben hat mir meinem Ex.“

Hier verlassen wir nun die Reisenden.

Zum Schluss gebe ich Euch einige Minuten Zeit zur Selbstbesinnung. Folgende zwei Fragen können Euch dabei begleiten:

Fragen:
1. Wo wünsche ich mir heute am meisten Versöhnung?
2. Ist heute der richtige Zeitpunkt, um einen ersten oder einen weiteren Schritt auf dem Weg der Versöhnung zu tun?

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