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„Am Ende wird alles gut. So lange nicht alles gut ist, ist es nicht das Ende.“ (unbekannt)

Predigt MCC Köln, 17. Nov. 2013
Ines-Paul Baumann

Lk 21,5-19: „Die Rede über die Endzeit: Die Vorzeichen“

So manche Computerspiele und Kinofilme erschaffen für 90 Minuten eine Welt, die für manche Gläubige im gesamten Leben real ist (nicht nur, aber auch im Christentum): Ein Kampf findet statt in der Welt! Die Guten müssen sich zur Wehr setzen gegen die Übernahme der bösen Mächte! Himmel gegen Hölle!

Die wackeren Gläubigen wandeln tapfer auf dem schmalen Pfad zu ewigem Leben, während die Ungläubigen im Sündenpfuhl auf dem breiten Weg verloren gehen! Die wahren Gläubigen sind die einzigen wahren Kämpfer gegen die Bastion des Bösen, die untergeht in Konsum, Massenmedien, Gier und Ungerechtigkeit! – Und nach dem Gottesdienst setzen sie sich in ihre Autos, empören sich am Abend vor den Fernseher über die bettelnden Flüchtlinge in den Nachrichten, und fahren am Montag morgen wieder in ihre Werbeagentur, um ganz männlich ihre immer zu Hause bleibende Frau und ihre Kinder zu versorgen. Und wenn dann die noch unbekehrte Kollegin den Flyer „So werde ich Christ“ wieder nur in den Papierkorb wirft, denken sie an Bibelstellen wie diese, fühlen sich wunderbar verfolgt und wissen sich – GottSeiDank – auf der richtigen Seite.

Krieg, Hungersot, Seuchen, Christenverfolgung: Das meiste, was in diesen Versen beschrieben ist, habe ich persönlich entweder gar nicht oder nur in geringem Maße erlebt. Damit gehöre ich zu einer absoluten Minderheit der gesamten Menschheit. Ich sollte mich also schwer zurückhalten, was meine Wahrnehmung und Deutung der Verse für die gesamte Menschheit angeht.

Leider habe ich bei so einigen der weißen, gebildeten, in Wohnungen lebenden, von Erwachsenen bestimmten, christlichen Gemeinden, die in Mitteleuropa frei Gottesdienst feiern können, keine solche Zurückhaltung erkennen können.
Krieg, Erdbeben, Hungersnöte, Seuchen – was nicht der eigenen Situation entsprach, war ja dank der Fernsehnachrichten trotzdem „ganz nah“ und präsent in der Welt.
Und die „Verfolgung“ der armen Christenheit durch die böse „weltliche“ Welt konnte – meiner Erfahrung nach – durchaus auch mal eine Reaktion sein auf die „Verfolgung“ der bösen „weltlichen“ Welt durch die Christen ihrerseits.

Was wurden da für Gegensätze zelebriert und mit Bibelstellen wie dieser untermauert.

Ich glaube nicht, dass diese Stelle im Lukas-Evangelium dafür geschrieben wurde, um Ängste zu schüren und Gegensätze zwischen Christen und Nichtchristen zu zementieren.

Ich kenne sowohl „überzeugte Christen“ als auch „überzeugte Nichtchristen“, die sich dafür einsetzen, dass Nationen sich nicht gegenseitig bekriegen.
Ich kenne sowohl „überzeugte Christen“ als auch „überzeugte Nichtchristen“, die sich für Menschen einsetzen, die von Hungernöten und Seuchen betroffen sind.
Und wenn ich denn mal ansatzweise so etwas wie „Verfolgung“ erlebt habe, dann waren die Angriffe aus den Reihen der christlichen Gemeinden eher grundlegender, tiefgehender und verletzender als die von Nichtchristen.

Wir sitzen hier heute völlig unbedroht und feiern in Frieden Gottesdienst. In der MCC wissen wir allerdings durchaus, wie wenig selbstverständlich das ist. In den letzten Jahrzehnten sind auf mehrere Kirchen von MCC-Gemeinden Brandanschläge verübt worden. Viele Menschen fanden darin den Tod. Im Jahr 2009 fand die erste Weltkonferenz statt, für die nicht im Vorfeld Bombendrohungen eingegangen waren. Und ihr solltet mal mitbekommen, was aus christlichen Kreisen für Reaktionen auf unser Jugendcafé eingehen.

Menschen aus MCC-Gemeinden kennen verschiedene Formen von Verfolgung:
– manche werden nicht anerkannt in ihrem Christsein,
– manche werden nicht anerkannt, weil sie nicht so leben, wie es in das traditionelle Mann-Frau-Schema passt: als Homosexuelle, als Transgender, als Intersexuelle, als Menschen, die sich darin gar nicht zuweisen lassen wollen,
– und manche werden nicht anerkannt, weil sie anderen Erwartungen nicht gerecht werden:
sie bringen nicht genug Leistung / sie bringen zu viel Leistung,
sie haben keine Ansprüche mehr an sich und andere / sie haben zu hohe Ansprüche an sich und andere….

Immer wieder werden Menschen daran gemessen und beurteilt, inwiefern sie den Erwartungen anderer gerecht werden. Wer hat sich noch nie gefragt: „Wenn ich das oder das mache (oder nicht mache), wie erkläre ich das dann…“

Viele können ihre eigenen Geschichten erzählen vom Verrat durch Eltern, Brüder, Verwandte und Freunde.

Was das Lukas-Evangelium hier beschreibt, ist also durchaus immer noch und immer wieder Realität. Auch für manche, die hier sitzen. Und für noch viel mehr, die gar nicht wissen, dass sie hier sitzen dürften, so wie sie sind. (Möge auch das Jugendcafé der MCC Köln dazu beitragen, dass junge Menschen zum Leben finden statt sich das Leben zu nehmen.)

Der Verrat durch Eltern, Brüder, Verwandte und Freunde ist um so schlimmer, wenn er „im Namen Jesu“ geschieht. Wenn du gehasst wirst nicht „um Jesu Namens willen“ (den Verrat von Nichtchristen können Christen im Rahmen ihres Weltbildes oft ganz gut wegstecken), sondern „im Namen Jesu“ gehasst wirst:

„Du bist falsch, Gott kann dich so nicht lieben, du gehst in die Irre, dein Lebensstil ist Gott ein Greuel…!“ Dann nützen dir auch diese Bibelstellen hier gar nichts mehr. Im Gegenteil, auch sie – die den von sich und ihrer Rechtschaffenheit überzeugten Gläubigen Trost zu spenden vermögen – drehen sich noch gegen dich und zeigen dir, wie verlassen von Gott und der Welt du dastehst.

Dann gehörst du nicht mehr zu den Christen, die aus solchen Bibelstellen Kraft ziehen. Die sich auf der richtigen Seite wissen. Die sich in ihrer Rechtschaffenheit noch bestätigt fühlen, wenn ihnen Hass entgegenschlägt. Die nur eine Predigt, die auch auf Widerspruch stößt, für eine gottgemäße Predigt halten, die nicht einfach nur verwässert der Welt nach dem Munde redet.

Wenn dir mit deinem Lebensstil auch noch dein Glauben abgesprochen wird, ist das fatal. Vor allem, wenn eine solche Sichtweise gar nicht dem Willen Gottes entspringt, sondern einer „christlich“ überhöhten, aber ganz gesellschaftlich verwurzelten Moral und Weltsicht.

So wie du bist und lebst, warum soll das ein Leben sein, was nicht im Namen Jesu steht? Was hat das mit dem zu tun, wie Jesus die Bibel verstanden und Gott offenbart hat? Warum solltest du mit deinem Lebensstil und deinem Gauben nicht genau der radikalen Inklusivität Gestalt verleihen, die Jesus mit seinen Worten und Taten vorgelebt, eingefordert und ermöglicht hat? Was anderes soll „Nachfolge“ denn bedeuten?

– Gerade wenn wir im Namen Jesu leben wollen, können wir uns und andere nicht zwingen, anders zu leben als Gott sie geschaffen hat. Jesus hat Menschen geheilt und berührt und zur Umkehr aufgerufen, DAMIT alle so leben können, wie Gott sie geschaffen hat.

– Gerade wenn wir im Namen Jesu leben wollen, können wir nicht Menschen verfolgen und verraten und ausschließen, nur weil sie nicht in das Schema gängiger Erwartungen passen. Jesus hat damals nicht ansatzweise darauf Rücksicht genommen, Menschen nur im Rahmen von Rollenerwartungen wahrzunehmen – sei es weiblich/männlich, gesund/krank, reich/arm, nützlich/unnütz, … (OK, nicht nur bei der Auswahl des Zwölferkreises scheint er sich nicht ganz ins Abseits damaliger Männlichkeitswerte gestellt zu haben.)

– Gerade wenn wir im Namen Jesu leben wollen, dann können wir nicht Gegensätze aufbauen zwischen der heilen, richtigen „Christenwelt“ und der bösen „weltlichen“ Welt außerhalb der Gemeinde. Jesus hat seinen Platz zur Rechten Gottes aufgegeben und wurde Mensch, WEIL Gott die Gemeinschaft sucht mit uns, hier, in dieser Welt, da wo wir unser Leben verbringen. Mit dem Tod endet das Leben nicht im Nichts; die Erlösung findet MIT und IN und DURCH unsere irdisch-menschliche Geschöpflichkeit statt!

Als diese Bibelverse hier im Lukasevangelium aufgeschrieben wurden, waren die Menschen genau so verunsichert wie manche Menschen heute. Alles, was ihnen mal wertvoll erschien und Halt gegeben hatte, war weg. Der Tempel war zerstört. Die Erinnerung an den blutigen Kampf, mit dem das römische Reich den Aufstand niedergeschlagen hatte, steckte ihnen in den Knochen. Sie konnten nie sicher sein, was passieren würde, wenn sie sich outeten als Christen .

In dieser Situation will ihnen das Lukasevangelium Mut machen. Diese Bibelverse sollen nicht Angst schüren (die Angst ist längst da), sie sollen einen Umgang mit der Angst ermöglichen – damit die Angst gerade NICHT lähmend wird. Aus den Worten Jesu spricht die Überzeugung, dass wir trotz aller Sorgen und Ängste zum Leben aufgerufen sind.

Wir mögen Ängste und Sorgen oft nicht.
– Als Betroffene lähmen sie uns.
– Aber auch der Umgang mit Menschen, die in Sorge und Angst stecken, ist vielen unangenehm: kompliziert, belastend, anstrengend.

Vom Glauben / Spirituellen  wünschen sich viele dann eine Zone, die frei ist von Angst und Sorgen. Der Gottesdienst soll fröhlich sein. Die Glaubenden sollen gut gelaunt sein. Die Stimmung soll nett sein, oder zumindest neutral-anonym. Die Ängste und Sorgen der anderen Gottesdienstbesucher interessieren mich nicht. Davon mitzubekommen ist peinlich, lästig, unpassend. Ich möchte in Frieden gelassen werden.

Lieber nur für sich irgendwo in der Bank sitzen, mit ein paar freien Plätzen Abstand, bevor da wieder eine/r sitzt.
Lieber an einem Seminarwochenende mit mir und anderen Schweigen üben, die Stille finden, sich auf das Positive ausrichten.

Das ist alles nicht falsch! Aber ich bin trotzdem froh, dass in den Evangelien auch Ängste und Sorgen ihren Platz haben – und ihren Platz zugewiesen bekommen.
– Sie werden nicht verschwiegen.
– Sie werden nicht kleingeredet.
– Aber sie werden auch nicht aufgebauscht. (Auch daran halten sich nicht alle Gottesdienste, die ich erlebt habe).
– Und sie bekommen nicht die Macht über mich.

Inmitten von Schwierigkeiten, Ängsten und Sorgen sagt mir Jesus: Lass dich nicht verwirren von Leuten, die dir das große Heil anbieten oder das große Unheil verkünden.

Inmitten von Zukunftssorgen und all den Szenarien in meinem Kopf, wo ich überlege, wie ich’s wem erklären soll, sagt Jesus: Versuch dir nicht all zu viele Gedanken darüber zu machen. Ich bin bei dir, dein Leben spricht für mich. Und ich, Jesus, spreche für dein Leben.

Inmitten von Existenzängsten, inmitten von echten und befürchteten Bedrohungen, sagt Jesus: Das, was dich ausmacht, kann dir niemand nehmen. Ich kenne dich bis ins Detail, und mit alldem bist du in meinen Händen geborgen. Nicht ein Fitzel von dem, wer und was du bist, wird verlorengehen.

Mach weiter, bleib dran: Die Ängste und Sorgen und Schwierigkeiten müssen dich und dein Selbstbild nicht bestimmen.
Mach weiter, bleib dran: Die Ängste und Sorgen und Schwierigkeiten müssen dich nicht trennen von deinem wahren Selbst und dem Leben, was ich dir schenke.
Mach weiter, bleib dran: Die Ängste und Sorgen und Schwierigkeiten sind nicht das Ende der Geschichte.

„Am Ende wird alles gut. So lange nicht alles gut ist, ist es nicht das Ende.“ (unbekannt) *

* „Everything will be all right in the end. If it’s not all right, then it’s not the end.“ (Unknown)

 

 

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