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Ohne Tierfell und Selbstverleugnung

Predigt MCC Köln, 13. Juli 2014
Ines-Paul Baumann

Tauschgeschäfte, sich verstellen, lügen und betrügen… Was manche mit dem Feindbild „Kapitalismus“ verbinden, erinnert andere an Kirche: Heilszusagen werden mit Selbsterniedrigung erkauft; Selbstbestätigung gibt es im Zuge mit Herabsetzung „der Anderen“; und für Selbstverleugnung gibt es das Recht, dabei zu sein (und Jobs).

Schon in den Ursprungsgeschichten des Alten Testaments sind solche Vorgänge beschrieben:

Als nun die Zeit kam, dass sie gebären sollte, siehe, da waren Zwillinge in ihrem Leibe.
Der erste, der herauskam, war rötlich, ganz rau wie ein Fell, und sie nannten ihn Esau.
Danach kam heraus sein Bruder, der hielt mit seiner Hand die Ferse des Esau, und sie nannten ihn Jakob. Sechzig Jahre alt war Isaak, als sie geboren wurden.
Und als nun die Knaben groß wurden, wurde Esau ein Jäger und streifte auf dem Felde umher, Jakob aber ein gesitteter Mann und blieb bei den Zelten.
Und Isaak hatte Esau lieb und aß gern von seinem Wildbret; Rebekka aber hatte Jakob lieb.
Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht
Und Jakob kochte ein Gericht. Da kam Esau vom Feld und war müde
und sprach zu Jakob: Lass mich essen das rote Gericht; denn ich bin müde. Daher heißt er Edom.
Aber Jakob sprach: Verkaufe mir heute deine Erstgeburt.
Esau antwortete: Siehe, ich muss doch sterben; was soll mir da die Erstgeburt?
Jakob sprach: So schwöre mir zuvor. Und er schwor ihm und verkaufte so Jakob seine Erstgeburt.
Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon. So verachtete Esau seine Erstgeburt.

Gen 25,20-34

(Später in der Geschichte verstellt sich Jakob als Esau, um vom Vater den Erstgeburtssegen zu gewinnen: Damit dem Vater, der nicht mehr richtig sehen kann, nicht auffällt, wie unbehaart er ist, zieht er sich ein Tierfell über. Das Lügen und Verstellen hält an.)

Esau, behaartes Klischee von Männlichkeit (die schwule Bärenszene hat er auf seinen Jagdausflügen wahrscheinlich eher selten besucht), hat als Erstgeborener das verbriefte Zeugnis, dass er etwas wert ist. Und dann verkauft er sich so unter Wert; gibt seinen Wert her für einen Apfel und ein Ei (also, Brot und Linsengericht).

Essen ist existenziell, und die Androhung von Arbeitslosigkeit reicht auch heute für viele aus, um sich und ihren Selbstwert gänzlich aufzugeben – in der Hoffnung auf eine gesicherte Existenz.

Jakob, der geradezu feminin dargestellte Zwillingsbruder, scheint auch nicht gerade mit hohem Selbstwert gesegnet zu sein: Warum muss er dem anderen seinen Wert nehmen? Wenn er für sich das Gefühl hätte, dass er OK ist mit allem, was er hat und ist, dann könnte er auch dem anderen seinen Wert lassen.

Wir beobachten hier etwas, was sowohl unser Arbeitsmarkt als auch Religion tatsächlich oft bedienen bzw. erzeugen: Menschen haben an sich keinen eigenen Wert. Sie spüren IN sich keinen eigenen Wert. Sie sind nicht deswegen etwas wert, weil sie als die geboren sind, die sie sind.

Es macht gar keinen Unterschied, ob sie mit Privilegien geboren sind oder nicht: Ihr Leben und sie selbst haben keinen heiligen Wert.

Fatal wird es erst recht, wenn die Vaterfigur dieser Geschichte in das Gottesbild einfließt. Als würde Gott tatsächlich nicht alle segnen können, einfach weil sie alle seine (!) Kinder sind. Als könnten nur diejenigen Segen erfahren, die das Richtige vorzuweisen haben. Die sich gut verstellen können. Die anderen deren Wert genommen haben.

Vieles an heute praktizierter Religion stärkt tatsächlich so ein Gottesbild: „Gott kann uns nicht segnen, wenn wir so sind, wie wir sind. Wir haben keinen Zugang zum Heil, solange wir nicht das Recht darauf erworben haben – durch unseren richtigen Glauben, durch unsere richtigen Bekenntnisse, durch die Herabsetzung aller anderen Religionen (wie bei den Erstgeborenen ‚kann es nur einen geben‘). Und mit all dem können wir trotzdem nur deswegen vor Gott bestehen, weil wir die Rettungstat Jesu überziehen wie Jakob das Tierfell – und Gott gnädigerweise übersieht, wie schlecht wir darunter doch eigentlich sind.“

Diesen Teil des Gottesbildes aus dem Alten Testament (es gibt dort freilich viel mehr!) können wir also nicht zurückweisen als das Gottesbild eines Judentums, das ja „leider nie die Gnade Jesu kennengelernt hat“. Wir brauchen nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Es sind viele Teile des Christentums, die mit so einem Bild von Gott und den Menschen gearbeitet haben (und bis heute arbeiten).

Zum Glück können wir aus dem Alten Testament heraus sagen, dass es Gott sogar in solchen Zusammenhängen schafft, Heil zu schenken und den Beteiligten Segen zuteil werden zu lassen.

Auch im Neuen Testament lässt sich beides finden: das Heilswirken Gottes, aber auch die Privilegien und Ausgrenzungen. Schon die Evangelien sind in vielem, was sie über Jesus berichten, davon geprägt. Aber ist es auch das Gottesbild, das Jesus vertreten hat?

Eines der Gleichnisse, das die Evangelien von Jesus überliefern, lautet so:

Und er redete vieles zu ihnen in Gleichnissen und sprach:
Siehe, es ging ein Sämann aus zu säen.
Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg; da kamen die Vögel und fraßen’s auf.
Einiges fiel auf felsigen Boden, wo es nicht viel Erde hatte, und ging bald auf, weil es keine tiefe Erde hatte.
Als aber die Sonne aufging, verwelkte es, und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es.
Einiges fiel unter die Dornen; und die Dornen wuchsen empor und erstickten’s.
Einiges fiel auf gutes Land und trug Frucht, einiges hundertfach, einiges sechzigfach, einiges dreißigfach.
Wer Ohren hat, der höre!

Mt 13,1-9

Der große Vorteil von Gleichnissen ist eigentlich, dass sie viele Bedeutungsebenen offen lassen. Alle, die zuhören, können unterschiedliche Bezüge herstellen, unterschiedliche Schwerpunkte setzen und zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

So risikofreudig sind die Nachfolger Jesu allerdings nicht immer. In diesem Falle schieben schon die Evangelien die „richtige Deutung“ sicherheitshalber gleich selber hinterher:

Hört also, was das Gleichnis vom Sämann bedeutet.
Immer wenn ein Mensch das Wort vom Reich hört und es nicht versteht, kommt der Böse und nimmt alles weg, was diesem Menschen ins Herz gesät wurde; hier ist der Samen auf den Weg gefallen.
Auf felsigen Boden ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort hört und sofort freudig aufnimmt,
aber keine Wurzeln hat, sondern unbeständig ist; sobald er um des Wortes willen bedrängt oder verfolgt wird, kommt er zu Fall.
In die Dornen ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort zwar hört, aber dann ersticken es die Sorgen dieser Welt und der trügerische Reichtum und es bringt keine Frucht.
Auf guten Boden ist der Samen bei dem gesät, der das Wort hört und es auch versteht; er bringt dann Frucht, hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach.

Mt 13,18-23

Aber selbst diese Auslegung kann nicht in den Hintergrund drängen, dass Jesus hier ein Gottesbild vertritt, das mit Privilegien und Aussortierung nicht mehr viel zu tun hat.

  • Das Wort Gottes liegt nicht nur in einem bestimmten, abgrenzbaren Bereich herum. (Wie können wir behaupten, wir hätten „die einzig richtige“ Offenbarung?)
  • Das Wort Gottes wird nicht nur denen zuteil, die bestimmte Merkmale aufweisen.
  • Das Wort Gottes wächst nicht gegen uns, es wächst in uns.
    Das Wort Gottes macht uns nicht klein, es lässt uns selbst wachsen.
    Das Wort Gottes bringt nicht Frucht, indem es uns ausschaltet; wir selbst bringen die Frucht.
  • Das Wort Gottes wächst nicht so, dass andere das von außen bewerten können. Es wächst erst mal ganz im Verborgenen!
  • Das Wort Gottes „bringt etwas“ nicht von einem Moment auf den anderen.
    (Das erinnert an den überaus hohen Prozentsatz von ehemaligen Christen unter denen, die sich mal begeistert „für Jesus entschieden“ hatten.)
  • Das Wort Gottes ist nie eins, das durch Druck oder Verstellen fruchtbringend wird. (Der Sämann haut keine Furche in den Felsen, um an der Oberfläche etwas Erde hineinzudrücken und das Saatkorn dort zu versenken.)

Das Wort Gottes wird hier verteilt, ohne irgendwelche Unterschiede zu machen: überall und immer.

Aber das heißt nicht, dass es immer und überall Frucht bringt. Wenn wir also einen Blick auf Projekte, Gemeinden oder Menschen werfen und meinen, „die bringen ja gar keine Frucht“ – was dürfen wir daraus schließen?

  • Dass dort ja nicht das „richtige“ Wort Gottes gepredigt wird?
    Genau das können wir nicht schließen. Auch das „richtigste“ Wort Gottes bringt nicht immer „Ergebnisse“.
  • Dass dort offenbar nicht der richtige Boden ist?
    Genau das können wir nicht schließen. Die gesunde Verwurzelung beginnt nicht auf dem Boden, aus dem schnell Ergebnisse hervorsprießen (die sind auch schnell wieder weg) – sondern da, wo lange Zeit erst mal gar nichts passiert nach außen hin. Es ist im Verborgenen, wo der Same keimt und Wurzeln schlägt. Von außen deutet nichts auf die Veränderung hin, die da im Gange ist.
  • Dass wir damit nicht unsere wertvolle Zeit und Energie verschwenden sollten?
    Genau das können wir nicht schließen. Der Sämann in dem Gleichnis sät überall. Er fragt nicht danach, ob die Voraussetzungen richtig sind oder ob die Ergebnisse stimmen. Er arbeitet weder berechnend noch effizient. Und auch da, wo keine Früchte wachsen, ist er im Einsatz.
  • Dass es offenbar manche Menschen gibt, die nicht „gut genug“ sind, um Gottes Wort aufzunehmen?
    Genau das können wir nicht schließen. Der Sämann gibt es entgegen aller Erfahrung und allen „Wissens“ gerade nicht auf, auch mitten auf dem Weg, auf dem Felsen und unter den Dornen zu säen. Warum? Weil die Landschaft zusammengehört. Wir sind immer ein bisschen von allem. Es gibt Anteile und Phasen in unserem Leben, da greifen die Worte Gottes einfach nicht. Und dann gibt es Anteile und Phasen in unserem Leben, da merken wir, wie sie uns ergreifen, wie sie in uns bleiben, wie sie Teil von uns werden, wie sie in uns aufgehen und wie sie uns verändern.

Dass Samen nicht immer und überall aufgehen, hat mit „Schuld“ und „Bösem“ nichts zu tun. Es ist das allernatürlichste auf der Welt, dass auf einem Felsen nicht alles gedeiht. Wenn alles immer und überall wachsen würde, wäre das krankhaft und schädlich.

Auch dass Vögel sich ernähren, ist ihnen nicht vorzuwerfen. (Viele gehen davon aus, dass der Sämann in dem Gleichnis Gott selbst ist. Wenn Gott auch da streut, wo der Samen liegen bleibt und nichts tut, außer die Vögel zu ernähren, dann müssten wir konsequenterweise daraus schließen, dass Gott nichts dagegen hat, den Satan mit zu ernähren. Oder wir müssten uns den Auslegungs-Worten, wie sie Jesus von den Evangelien in den Mund gelegt werden, widersetzen. Beides spannend, finde ich.)

Wenn Jesus „die Geheimnisse des Himmelreichs“ (Mt 13,11) also damit vermittelt, dass Gottes Wort überall herumliegt, überall zu finden ist und für alle verfügbar ist, dann können wir nicht anfangen zu sortieren und zu bewerten und es zu binden an Äußerlichkeiten und Voraussetzungen.

Das Himmelreich Jesu ist keines, von dem wir weit weg sind und über das ein Vater wacht, der sich an Rechte, Äußerlichkeiten und Privilegien bindet und uns am Ende unseres Lebens prüfend gegenübersteht.

Das Himmelreich Jesu ist überall zugänglich, weit verstreut, zu allen Zeitpunkten unseres Lebens nahe und zum richtigen Zeitpunkt da. Und es wächst nicht irgendwo im Himmel, sondern mitten in uns drin.

 

 

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