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Ist das Advent … ? … oder kann das weg?

Predigt MCC Köln, 10. Dez. 2017
Daniel Großer

Jesaja 63,15 – 64,3

Unser heutiger Predigttext stammt aus dem Buch Jesaja und gehört damit zu den sogenannten “Großen Propheten” (Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel), ordnet sich im Alten Testament also relativ weit hinten ein.

Das große, vereinende Leitmotiv der “Großen Propheten” ist das sogenannte Babylonische Exil. Damit ist ein ca. 60 Jahre währender Zeitraum im 5. Jahrhundert vor Christus gemeint, in dem ein Teil der judäischen Bevölkerung nach Babylon zwangsumgesiedelt wurde.
Markanter Beginn dieses Zeitraums ist die Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II samt Plünderung und Zerstörung des Tempels, also des religiösen Herzens des Volkes.

Die Autorschaft der “Großen Propheten” hat eine gemeinsame Ideenwelt über das Babylonische Exil, die aus 5 Leitgedanken besteht:

  1. Die Eroberung Jerusalems und Besetzung Judäas wird als Bestrafung Gottes ausgelegt, hervorgerufen durch den Hochmut und Aberglauben des Volkes und seiner Führerschaft.
  2. Die Zerstörung des Tempels ist das Symbol dafür, dass Gott sich entfernt hat.
  3. Die Zwangsaussiedlung der judäischen Oberschicht versinnbildlicht die Gottverlassenheit und Heimatlosigkeit des Volkes.
  4. Die Trauer und Not des Volkes und seine Reue versinnbildlichen die Sehnsucht der Kinder Israels nach Gott.
  5. Die Visionen von einer fernen Wiederversöhnung Gottes mit Juda lassen Gott als einen erahnen, der seine Versprechen hält; Gottes Gnade steht offenbar fester, als ihr Zorn.

Die jeweiligen Bücher der “Großen Propheten” sind zwar aller Wahrscheinlichkeit nach mehreren Autoren (Autorinnen?) zuzuordnen; sie alle teilen aber die gleiche Auffassung darüber, wie die Geschichte zu deuten sei und wurden daher in den jeweiligen Büchern zusammengefasst. Wir können daher getrost nicht nur von “Jesaja” und “Daniel”, sondern von “Jesajas” und “Daniels” sprechen.

Da die jüdische Tradition mehrere hundert Jahre Zeit hatte (bis ca. 150 v. Chr.), die Bücher zusammenzustellen, dürften manche Teile der “Großen Propheten” zwar aus der Anfangszeit des Babylonischen Exils stammen, andere aber als Rückblick aus einer teils erheblich nach dem Exil liegenden Zeit verfasst worden sein. Es liegt deswegen der Verdacht nahe, dass unser heutiger Text bewusst mit der Absicht geschrieben wurde, eine Deutung nicht nur für die Exilzeit zu liefern. Wahrscheinlich wurden Teile der “Großen Propheten” auch bewusst instrumentalisiert, um spätere Zeiten der politischen Unruhe und Besatzung religiös zu bewerten, zum Beispiel Aufstand und Machtergreifung der Makkabäer.

Da nun die Autoren und Autorinnen der Bibel so unbescheiden waren, die Texte ganz für sich und ihre jeweilige Lebenssituation zu schreiben und auszulegen, dürfen wir uns eine Scheibe von ihrer Dreistigkeit abschneiden, und den Text auf uns lesen. Wir hören Jesaja 63,15 bis Jesaja 64,3.

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.
Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name.
Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!
Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.
Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.
Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen
wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,
wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! –
und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren.

Jesaja 63,15 – 64,3

Ich behaupte: Dieser Text ließ sich auf die Exilzeit lesen, er passte auf die Römische Besatzung Judäas, er passte auf die Christenverfolgung im Römischen Reich, und er lässt sich auch für das instrumentalisieren, was wir heute Advent nennen. Kann uns dieser Text Fragen an die Hand geben, die unsere Adventszeit prägen?

These 1: Advent ist, wenn man nichts hat

Advent bedeutet auf das Kommen des Christus zu warten. Christus ist der, der uns zu neuen Menschen macht, der uns einen neuen Namen gibt. Wenn wir auf den Christus hoffen, dann sind wir Christinnen und Christen.
Ohne den Christus bedeutet das alles jedoch gar nichts.

Jesaja 63, 16 beschreibt es so: “Denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht.”

Ich führe sinngemäß weiter: “Denn Troy Perry weiß von uns nichts, und der Papst kennt uns nicht. Die MCC kennt uns nicht, die Baptisten wissen von uns nichts. Martin Luther weiß von uns nichts, und die evangelische Kirche kennt uns nicht. Die Pfingstler kennen uns nicht, und der Weltkirchenbund weiß von uns nichts. Bonhoeffer weiß von uns nichts, und die katholische Kirche kennt uns nicht. Die FEG kennt uns nicht, und Anselm Grün weiß von uns nichts. Die Taizé Gemeinschaft weiß von uns nichts, und unsere Gebetsgruppe kennt uns nicht. Ines-Paul kennt uns nicht, und Bodo weiß von uns nichts.”

Es spielt keine Rolle, welche christliche Lichterkette über unserer Tür hängt, welcher Glaubensrichtung wir uns mit viel Brimborium zuordnen, auf welche geistlichen Vorbilder oder Freunde wir uns berufen, oder welches wichtige Amt wir in der Gemeinde innehaben… wenn wir nicht den Christus haben. Alles nur Weihnachtsdeko, alles nur schöner Schein, alles Schall und Rauch ohne den Christus in uns.

Lassen wir in unserem Advent die Erkenntnis zu, dass wir nichts haben? Nutzen wir den Advent zum inneren Abdekorieren? Schalten wir im Advent die ganzen Blendlichter an uns aus? Setzen wir uns mit der nackten, kalten Tatsache auseinander, dass ohne Christus in uns alles nichts ist?

These 2: Advent ist, wenn man nichts ist

Jesaja 63, 19 bekennt: “Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.”

Wer an das Gute im Menschen glaubt, dem sei ein Besuch auf dem Kölner Weihnachtsmarkt oder besser noch ein Einkaufsbummel zum Geschenkekauf in unseren glitzernden Shoppingpalästen gegönnt: Nirgends bildet sich die Kälte der Ellenbogengesellschaft zu wortwörtlich ab. Da drängt sich jeder gerne gewaltsam vor, da tönt einer lauter als der andere, da wird verprasst getreu dem Motto: “Viel hilft viel”. Unser ach so christliches Abendland hat es doch tatsächlich geschafft, das Warten auf den Diener der Armen zu verkehren in den Lobpreis der Konsumierenden und des Geldes.

Aber ich denke nicht, dass wir immer mit der Konsumkritik-Keule zu schwingen brauchen; vor unserer eigenen Haustüre liegt auch genug Dreck herum.
Jesus 63, 17 fragt ratlos: “Warum lässt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?”

Lassen wir in unserem Advent die Erkenntnis zu, dass wir gewöhnliche Menschen sind? Nutzen wir den Advent zum Abwerfen des bunten Glanzpapiers, das wir um unsere Eitelkeiten wickeln? Finden wir in unserem Advent Zeit zur Besinnung, damit wir unseren Unglauben wahrnehmen und den Müll auf unserer Seele endlich rausbringen?

These 3: Advent ist, wenn man hofft

Welchen Sinn würde es machen auf einen zu warten, vor dem man Angst hat? Auf so jemanden wartet man nicht, vor so jemandem läuft man weg.

In Christus gewinnt auf dieser Welt jedoch eine Macht Gestalt, die ganz anders daher kommt, als die anderen Mächte unserer Zeit.

Jesaja 64, 3 beschreibt es so: “Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.”

Gott kommt nicht daher wie ein Bescheid vom Sozialamt oder ein Brief von der ARGE. Gott tritt nicht als Dienstanweisung in diese Welt. Gott verhält sich nicht wie ein Gebrauchtwagenhändler, er verhandelt nicht wie die Mietverwaltung. Gott verhört nicht wie ein Bewerbungsgespräch, er fordert nicht wie ein Bettler. Gott feiert nicht wie eine strenge Gouvernante, sie geizt nicht wie die Rabatt-Profis im Weihnachtsgeschäft.

Zart wie ein Kind, wohltuend wie Salbei, betörend wie Myrrhe, licht-glänzend wie Gold, so begegnet uns Gott in Christus.

Lassen wir in unserem Advent Zeit zu, uns auf dieses Kind vorzubereiten? Nutzen wir unseren Advent, um unsere Sinne für seinen Wohlgeschmack zu schärfen? Ist in unserem Stall Platz für das Lob der Engel, nehmen wir uns Zeit zum Danken? Harren wir auf die, die uns wohl tut? Ist unser Advent eine Zeit der Vorbereitung, damit wir wissen, was wir dem Kind schenken sollen?

Advent ist, wenn man hofft. Jesaja 66, 10 bis 14b harrt und hofft mit uns:

“Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie liebhabt! Freuet euch mit ihr alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes;
denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an dem Reichtum ihrer Mutterbrust.
Denn so spricht der Herr: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Ihre Kinder sollen auf dem Arme getragen werden und auf den Knien wird man sie liebkosen.
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet: ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.
Ihr werdet’s sehen, und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras.”

Jesaja 66, 10-14b

Fürbitten

Sprecher*in 1:
Barmherziger Gott, es ist Advent. Wir stehen mit leeren Händen vor dir, was könnten wir dir bringen? Ohne dich ist alles nichts.

Es ist Advent. In diesem Jahr werden so viele Pakete und Päckchen in unserem Land verschickt, wie noch nie. Menschen beschenken sich und andere.
Wir bitten dich für die Einsamen, an die auch im Advent niemand denken wird, dass ihre Einsamkeit kein Gefängnis wird. Lass sie heilende Gemeinschaft und Wärme finden.
Wir bitten dich für die, die sich vor Weihnachten fürchten, weil sie den Ansprüchen der Werbewirtschaft oder ihrer Angehörigen nicht genügen können oder wollen. Gib ihnen Mut, weil auch deine Kraft nicht im Reichtum lag.
Wir bitten dich für die, die am Weihnachten einen Frieden spielen, der nicht in ihnen oder in ihren Familien wohnt. Schenke ihnen eine Möglichkeit, echten Frieden zu finden und neue Brücken zu bauen.
Christus, erhöre uns.

Sprecher*in 2:
Barmherziger Gott, es ist Advent. Wir stehen als Menschen vor dir, als Kinder unserer Zeit.

Es ist Advent, und wir brauchen deinen himmlischen Frieden immer noch genauso sehr, wie vor 2000 Jahren, denn unsere Welt ist eine kalte Welt.
Wir bitten dich für die Opfer von Gewalt, die im Stillen passiert, für die, die keine Stimme haben, die für sie spricht. Sei der wegweisende Stern am dunklen Himmel derer, die unter Ausgrenzung, Verfolgung, Krieg, Korruption, Verachtung und Armut leiden. Gib ihnen Grund zur Hoffnung.
Wir bitten dich für die “Herodesse” dieser Welt, die ihre Macht missbrauchen, Gewalt üben, andere manipulieren, deren Wohlstand aus der Not der Menschen hervorgeht. Mach ihr Dunkel hell.
Wir bitten dich für deine Kirchen auf der ganzen Welt. Gib ihnen das, was sie zum Leben brauchen, sei es Unterstützung, Schutz vor Verfolgung, Mut zum Widerstand oder die Weisheit, deine Wege zu erkennen. Hilf der MCC, ihre Grenzen und Möglichkeiten zu kennen und zu leben. Segne das Team des Trödelcafés, dass es anderen Hoffnung spendet und spürt, wie du es begleitest.
Christus, erhöre uns.

Sprecher*in 3:
Barmherziger Gott, es ist Advent. Wir schauen auf dich als einen, der Leben schafft und Glauben ermöglicht.

Es ist Advent. Unsere Gesellschaft scheint im Kommerz zu ersticken. Lass uns nicht vergessen, was Jesu Leben für uns ist und sein kann.
Gib allen deinen Menschen neu die Sehnsucht nach dir ins Herz.
Lass uns nicht verzagen vor der Ohnmacht, die wir manchmal wegen unserer Grenzen und unserer Kleinheit verspüren. Deine Möglichkeiten sind grenzenlos.
Gib uns die Gewissheit deiner Gegenwart, damit wir in und aus dir heraus leben.
Hilf uns, innerlich abzudekorieren. Lass uns und alle Menschen erkennen, dass wir Menschen sind, und dass du Gott bist. Schenke uns Demut, damit wir miteinander, mit dieser Schöpfung, mit uns und auch mit dir so umgehen, dass es heilsam ist.
Segne die Gemeindeversammlung und das, was besprochen und beschlossen werden wird, damit diese Gemeinde für dich das sein kann, was du in sie hineingelegt hast.
Christus, erhöre uns.

AMEN.

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