Zum Inhalt springen
Home | Ich bin dagegen, Menschen gegen ihren Willen und unter Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten einzufangen.

Ich bin dagegen, Menschen gegen ihren Willen und unter Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten einzufangen.

Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

Mk 1,14-20: Umkehr, Nachfolge, Menschenfischer

 

Alan Redpath hatte zwei Töchter. Sie liebten es, ihn zu bestürmen und zu umschwärmen, wenn er abends nach Hause kam. Als er eines Abends durch die Tür trat, rannten die beiden auf ihn zu. Eine schnappte sich sein Bein und umarmte es mit aller Kraft. Er schnappte sich die andere Tochter und hob sie auf in seine Arme. Die eine, die sein Bein drückte, sagte: „Jetzt habe ich alles von Papi.“ Die Tochter in seinen Armen antwortete: „Ja, aber Papi hat alles von mir!“

Hat Gott alles von mir? Bin ich mit allem bei/in Gott?

Einem Jesus, der mich überrumpelt und mich zu einem Menschenfischer machen möchte, hätte ich sicher erst mal so manches vorenthalten. Ich brauche Zeit vor Entscheidungen. Ich bin eher skeptisch, wenn es darum gehen soll, andere Menschen für etwas einzufangen. Das Bild, Menschen einzufangen mit einem Netz und sie darin zappeln zu sehen, finde ich nicht besonders ansprechend.

Leider ist das oft genau das Gefühl, was Menschen haben, wenn es um Kirchen geht: Sie befürchten (oder haben erlebt), in etwas hineingezogen zu werden, wo sie zum Opfer gemacht werden und wo sich ein Netz von Dogmen, Denkvorgaben und Engstirnigkeiten um den Verstand legt.

Ich möchte kein Menschenfischer werden, der Menschen gegen ihren Willen und unter Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten einfängt. Ich möchte nicht eine Kirche gestalten, in der Menschen manipuliert werden, z.B. indem Ängste geschürt werden, indem Skepsis verboten wird und indem Menschen äußerlich nach der „Stärke ihres Glaubens“ bewertet werden (zum Beispiel weil sie lauter singen oder länger beten oder die Hände dabei hochheben).

Ich glaube, als Jesus den Simon und den Andreas ansprach und ihnen sagte, dass er sie zu Menschenfischern machen wollte, hat er nichts davon im Sinn gehabt:
Jesus hat Menschen nicht nach dem beurteilt, was sie äußerlich machen.
Jesus hat Menschen nicht das Denken und Nachfragen verboten.
Jesus hat nicht Ängste geschürt und Menschen damit manipuliert.
Jesus hat Menschen nicht eingefangen und zappeln lassen wie Fische in einem Netz.

Im Gegenteil: Jesus hat selbst in der größten Masse noch die einzelnen Menschen wahrgenommen. Jesus hat den Menschen Raum gegeben für das, was sie selbst interessiert und beschäftigt. Jesus ist in den Begegnungen eingegangen auf den Menschen, mit dem er es gerade zu tun hatte.

Als Jesus also zu Simon und Andreas sagte: „Ich will euch zu Menschenfischern machen“, meinte er damit erst mal nur genau die beiden. Das war keine Ansage, die alle Menschen zu allen Zeiten für sich übernehmen müssen. Es war kein grundsätzlicher Arbeitsauftrag Jesu, der pauschale Gültigkeit hat für alle Menschen zu allen Zeiten. Es war schlicht und einfach die Art und Weise, wie Jesus auf das eingeht, was wir einzeln und unterschiedlich mitbringen.

Es war das Bild und die Sprache, die Simon und Andreas verstanden haben. Jesus würdigt die beiden in der Welt, die sie kennen – und in der sie etwas können.

Jesus sagt: „Ihr seid Fischer. Das ist großartig. Ihr könnt was. Kommt mir mir und erlebt, was ich daraus mit euch zusammen machen möchte. Kehrt um, kommt mit mir, setzt euch und eure Fähigkeiten ein im Zusammenhang des Wirkens Gottes. Durch euer Tun sollen Menschen die Liebe Gottes erfahren.“

Jesus sagt nicht: „Ihr seid Fischer. Das ist schlecht. So ein weltlicher Beruf. Ihr dient damit nur euch und eurem Einkommen. Ihr seid so was von selbstbezogen. Tut Buße und macht ab heute alles anders. Alles, was ihr mitbringt, könnt ihr vergessen.“

Leider ist das oft die Botschaft, die Menschen zu hören bekommen – als ein Teil des Netzes, das um sie geworfen wird, ihre Gefühle und ihren Verstand einfängt und in dem sie selbst und ihre Gaben nichts zählen.

Das ist nicht die Botschaft Jesu. Wenn Jesus heute Menschen begegnet, handelt er immer noch so wie damals in der Begegnung mit Simon und Andreas: Jesus sieht, wie du lebst. Er erkennt, was du kannst. Welche Erfahrungen du gemacht hast. Welche Fähigkeiten du hast. Und dann sagt er nicht: „Kipp das alles weg, denn es ist weltlich und du bist durch und durch verdorben.“ Sondern dann sagt er: „Toll, was du alles mitbringst. Bring das alles mit ein in den neuen Lebens-Zusammenhang an meiner Seite. Stelle das alles dem Wirken Gottes zur Verfügung. Genau mit dem, was du mitbringst, können Menschen etwas von der Liebe Gottes erfahren.“

Jesus meint wirklich genau das, was wir mitbringen. Für manche mag der Fischerberuf etwas beneidenswert großartiges sein und sie denken: „Ach, ich habe gar nichts richtig gelernt und habe gar keinen Beruf, ich kann ja gar nichts mit einbringen.“ Die Menschen damals sahen in Fischern ganz gewöhnliche Leute. Die dachten eher: „Also wenn Jesus sogar mit denen was anfangen kann, dann brauch ich mich auch nicht zu verstecken.“

Gar nichts müssen wir verstecken. Weder von uns selbst noch von unseren Erfahrungen. Auch nicht von unseren Erfahrungen als homosexuelle oder heterosexuelle Liebhaber/innen. Auch nicht von unseren Anteilen als männlich und/oder weiblich, die andere irritierend finden mögen. Auch nicht unsere Skepsis gegenüber Religion und Organisationen und Menschenansammlungen überhaupt. Auch nicht unsere Zweifel und Fragen Gott gegenüber. Auch nicht unsere Depressionen und unsere Erfahrungen mit Kliniken. Auch nicht unsere Erfolge. Auch nicht unsere Erfahrungen mit der Welt der Berufe und der Ämter. Nichts davon. Deine Erfahrungen sind wertvoll. Überall haben wir etwas gelernt, was Jesus einsetzen kann und will, damit Menschen die Liebe Gottes erfahren.

Natürlich bleibt Jesus nicht bei dem stehen, was wir schon kennen und mitbringen. Jesus wird uns Neues zeigen, Jesus wird uns neue und andere Aspekte aufzeigen, Jesus wird unsere Erfahrungen und Gaben in neue Zusammenhänge bringen.

Das ist mit der Umkehr gemeint: Lass dich ein auf neue Zusammenhänge. Nimm dein Leben wahr im Horizont von Gottes Wirken. Im ursprünglichen Text steht (anders als z.B. bei Luther) an dieser Stelle nicht: „Tut Buße!“ (= weil du so falsch bist), sondern: „Kehrt um!“ (= weil die Vorgaben und Erwartungen oft so falsch sind).

Kehre um in neue Zusammenhänge, zu neuen Erfahrungen, zu neuen Werten. „Hört ab jetzt auf meine Stimme“, sagt Jesus.

Jesus sagt hier nicht: „Tu Buße, denn du bist grundsätzlich und in allem falsch“. Jesus sagt: „Kehr um, denn vieles von dem, was dir vorgegeben und abverlangt wird, ist falsch. Kehre um zu gesunden Vorgaben und zu dem, was ich dir abverlange. Kehre um zu Heil und Heilung und Heiligung. Verbinde dich mit mir – und mit den Menschen um dich herum. Dann wirst du auch dich neu kennenlernen – nämlich, so wie ich dich sehe: Als einen begabten, wertvollen und wunderbaren Menschen. Ich möchte mit dir zusammen sein und mit dir zusammen arbeiten.“

Als MCC sind wir eine Gemeinde, in der wir genau das erleben können. Wo wir ein Miteinander gestalten können, in dem wir genau das einüben können. Wo wir als Einzelne uns zusammenbringen mit Gott und mit den Menschen um uns herum. Wo wir den Ruf Jesu hören und weitersagen können. Wo wir als Menschen mit unseren Erfahrungen, Gaben und Fähigkeiten so gesehen werden wir Simon und Andreas damals von Jesus: Als begabte und wertvolle Mitarbeitende bei der Verkündigung der Liebe Gottes.

Hier kann Jesus auch heute sagen: „Ich sehe, was du mitbringst. Ich sehe, wer du bist. Ich weiß, was du erlebt hast. Ich würdige, was du kannst. Kehre um und folge mir nach – nicht den Sackgassen und Fangnetzen, die es nicht gut mit dir meinen. Höre nicht mehr auf sie, sondern achte auf meine Stimme. Komm mit allem, was du hast und bist, in meine Gegenwart. In mir ist das Reich Gottes nahe herbeigekommen. Nichts soll dich mehr von der Liebe Gottes trennen können.“

Wir verändern uns. Wir lernen dazu, im Leben insgesamt und mit Gott. Ich möchte uns heute neu die Gelegenheit geben, den Ruf Jesu weiterzutragen und weiterzugeben. Die Einladung und der Ruf Jesu gelten uns. Wir sind eingeladen, uns mit allem, was wir kennen und können, mit Jesus zu verbinden. Jesus nachzufolgen in der Verkündigung und Verwirklichung der Liebe Gottes für ALLE Menschen.

Jede und jeder von uns kann heute sich neu und bewusst dafür entscheiden, diesen Weg gehen zu wollen. Und anderen dabei zu helfen.
Welcher Schritt ist heute für dich dran?
Wie kannst du anderen dabei helfen?

Skip to content