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Gemeinde ist nicht dazu da, dass wir uns selbst und die um uns herum klein machen.

Predigt MCC Köln, 27. Okt. 2013
Ines-Paul Baumann

Lk 18,9-14: „Das Beispiel vom Pharisäer und vom Zöllner“

„Bin ich nicht ein prrrächtiger Leuchtturm?“, ruft Herr Tur Tur durch die Wüste „Ende der Welt“. – „Jaaa, herrrlich!“, antworten Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer begeistert.
Die Größe des Herrn Tur Tur ist für sie kein Problem; sie fühlen sich trotz seiner Größe wohl in seiner Gegenwart. Denn für seine Größe muss Herr Tur Tur nichts und niemanden klein machen. (http://www.youtube.com/watch?v=XKVe4aJIyC8)

Nur das Urmel ist noch skeptisch: „Pä, der leuchtet doch gar nicht!“ Der Hinweis, dass er nun mal nicht alles mitbringt, was einen Leuchtturm ausmacht, wäre bei anderen „Großen“ nicht unbedingt willkommen geheißen. Aber bei Herrn Tur Tur tut auch der Hinweis auf das, was ihm fehlt, seiner Größe keinen Abbruch, und eine Lösung für das Problem ist schnell gefunden.

Nun könnte doch eigentlich auch der Pharisäer in der Erzählung Jesu sagen: „Bin ich nicht ein prrrächtiger Pharisäer?“ Immerhin tut er alles, was ein Pharisäer tun soll. Auch bei ihm könnte die Antwort also durchaus lauten: „Jaa, herrlich!“

Stattdessen erzählt Jesus die Geschichte so, dass alle denken: „Gott sei Dank bin ich nicht wie dieser Pharisäer.“ Das ist ganz schön raffiniert von Jesus – denn damit ruft er bei uns genau die Reaktion hervor, die bei dem Pharisäer ja so verwerflich ist.

Wobei wir zu solchen Gedanken auch ohne das Gleichnis Jesu täglich angeregt werden. Wie mit manchen Menschen in der Öffentlichkeit umgegangen wird, scheint uns geradezu dazu aufzurufen, uns von ihnen abzugrenzen. Oder wenn jemand von einer gemeinsamen Bekannten erzählt und wir auch sofort zu dem Schluss kommen: „Unmöglich, was die schon wieder gemacht hat…“

„Gott sei Dank bin ich nicht wie die, Gott sei Dank bin ich nicht wie der!“ Nicht wie der Limburger Bischof. Nicht wie der selbstherrliche Banker. Nicht wie der religiös Einfältige. Nicht wie die lasche Esoterikerin. Nicht wie der zwanghafte Hippelige. Nicht wie die verbohrte Fundamentalistin.

Sicherlich könnte es etwas Gesundes sein, sich von Fehlern und Falschem abzugrenzen. Zu erkennen und sich daran zu freuen, was wir stattdessen Gutes hinbekommen. „Bewahre uns vor dem Bösen“, beten wir im Vater Unser. Trotzdem scheint Jesus in dem Pharisäer kein Beispiel zu sehen, dem wir folgen sollen. Warum nicht? Ich glaube, das Problem ist, dass der Pharisäer den Zöllner benutzt – und zwar nicht aus dem Wissen um das heraus, was ihm selbst gelingt. Sondern aus Unsicherheit, weil er sich eben NICHT selber annehmen kann (auch mit oder gar trotz dem, was ihm gelingt).

Das hat nichts damit zu tun, dass wir uns nicht abgrenzen sollten zum Beispiel von Taten, in denen Menschen klein gemacht werden. Die Menschen, von denen wir uns abgrenzen, MACHEN in unseren Augen etwas falsch. Etwas, was WIR richtig machen. Wo wir zum Beispiel nicht so selbstherrlich und voreingenommen sind wie der Pharisäer. Sondern uns ganz dem Zöllner verbunden fühlen: Bescheiden, zurückhaltend, fair, ehrlich, selbstlos, gerecht.

„Sind wir nicht prrrächtig in unserer Selbstbescheidenheit?“

Ach nee, falsche Frage! Die Perfektion dieser Selbstwahrnehmung liegt natürlich darin, dass wir uns gar nicht prächtig fühlen dürfen. Denn – genau! – damit würden wir uns doch schon wieder selbst erhöhen. Als gute Christen müssen wir also stets schlecht von uns denken. Manche tun gerade so, als müssen wir uns erst selbst fertig machen, damit Gott uns annehmen kann. Das kann geradezu zu einer Garantie auf eine Eintrittskarte werden: „Gott, ich wage es nicht die Augen aufzuheben. ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach. Ach, Gott, ich denke sooo schlecht von mir. Ich erniedrige mich noch und nöcher. – … Bin ich nicht prrrächtig?“

Ich glaube nicht, dass Jesus mit uns einen Wettbewerb starten wollte um die beste Selbsterniedrigung. Nach dem Motto: „Wer sich am meisten selbst erniedrigt, wird am meisten erhöht.“

Ich würde den Satz Jesu anders verstehen: Da, wo wir uns von Gott angenommen wissen, ist es Teil unseres Heils und unserer Heiligung, dass wir zu unserer wahren Größe finden – entweder durch Zurückschrauben oder durch Aufbesserung der Wahrnehmung unserer eigenen Größe. Sowohl das Leben des Pharisäers als auch des Zöllners wird dadurch Veränderung erfahren:

– Welche vorher unsicher war und große Gesten und große Worte gebraucht hat, die wird in der Annahme Gottes sich selbst annehmen können, ohne andere klein machen zu müssen. Welche sich selbst in ungesundem Maße selbst erhöht hat, sich aufblasen musste, die wird zu SICH finden und diese ganzen Mittel der Selbsterhöhung nicht mehr brauchen. Sie wird sich selbst annehmen können, so wie Gott sie annimmt.

– Und welcher vorher unsicher war und sich bei sich nur das Schlechte und Unvollkommene sehen konnte, der wird in der Annahme Gottes lernen, sich selber anzunehmen statt sich selber klein machen zu müssen.Wer sich in ungesundem Maße erniedrigt hat und sich nicht annehmen konnte, wird zu sich finden und diese ganzen Mittel der Selbstzerstörung nicht mehr brauchen. Er wird sich selbst annehmen können, so wie Gott ihn annimmt.

(Sicher gibt es pathologische Formen von Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung, die nicht „so mal eben“ dadurch einzuebnen sind, dass Menschen sich auf das Angenommensein von Gott einlassen. Aber als Gemeinde sollten wir sehr darauf achten, solche krankhaften Formen nicht auch noch zu nähren und göttlich zu überhöhen.)

Gerade als Gemeinde sind wir aber insgesamt äußerst wichtig für diese Prozesse, in denen Menschen die Annahme von Gott erfahren und zu ihrem wahren Maß, ihrem wahren Selbst finden.

Woran merkt der Zöllner, dass Gott ihn angenommen hat? Jesus erzählt nichts davon, dass er erleichtert und erfreut nach Hause geht. Er steht da in seiner Ecke, betet in der Stille zu Gott und geht wieder nach Hause. Das Einzige, was er von anderen Menschen mitgenommen hat, war ein abschätziger Blick.

Und Jesus stellt fest: Als dieser Mensch nach Hause ging, war er von Gott angenommen und gerechtfertigt. Ob er das auch selber weiß?! Oder wird er nächste Woche wieder kommen und wieder sagen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Soll sich dieses Spiel Woche für Woche wiederholen? Manche Christen leben so.

Ich würde vermuten, dass es einen Unterschied machen sollte, wenn sich der Zöllner als von Gott angenommen weiß. Nämlich genau den, den Jesus hier beschreibt: Er wird erhöht werden. Er wird einen gesunden Selbstbezug entwickeln. Der Selbsterniedrigung des Zöllners wird Gott damit begegnen, dass er ihn erhöht. Und durch wen soll das geschehen? Na, zum Beispiel durch uns, durch Gemeinde!

Gemeinde ist nicht dazu da, dass wir uns selbst und die um uns herum klein machen. In der Gemeinde verkünden wir, was Jesus verkündet hat: Wende dich Gott ruhig zu, denn Gott nimmt dich an! Und dann behandeln wir einander so, dass Gottes Wille und Gottes Wirken Gestalt gewinnen: Wir freuen uns an Gott, wir freuen uns an uns selbst, und wir freuen uns aneinander. – Wir sollten es zumindest versuchen, immer wieder :)

Sowohl der Pharisäer als auch der Zöllner werden dadurch Veränderung erfahren: Der Pharisäer kann lernen, sich an dem zu freuen, was ihm gelingt, und ein prrrächtiger Pharisäer sein, ohne andere klein machen zu müssen. Vielleicht wird er mit all dem, was ihm schon gelingt, auch zum Vorbild für andere. Vielleicht ist es ja genau das, was ihm gelingt, was in dem Zöllner wachruft, was für einen Mist er verzapft.

Aber auch der Zöllner wird irgendwann nicht mehr neben dem Pharisäer stehen, der abschätzig auf ihn blickt und all das richtig macht, was er nicht hinbekommt. Sondern dem Zöllner wird Gott vermitteln, dass er ihn angenommen hat, und so wird auch der Zöllner irgendwann sagen können: „Bin ich nicht ein prrrächtiger Zöllner?“

Wobei er bis dahin vielleicht schon den Beruf gewechselt hat und sich nicht mehr zum Diener einer Besatzungsmacht macht. Denn der an angemessenen Verhältnissen orientierte Wille Gottes wird auch praktische Konsequenzen haben:

Wo auf der einen Seite Überfluss und Verschwendung und Ausbeutung „herrschen“, wo sich Menschen und Länder und Wirtschaftssysteme auf Kosten anderer groß machen, da wird Erniedrigung einkehren müssen. Die Immobilienblase wird nicht die letzte gewesen sein, die platzen musste.

Wo aber Menschen zu wenig zu essen haben und zu wenig Zugang zu Bildung und zum gesellschaftlichen Miteinander,
wo sie Erniedrigung und Ausgrenzung und Abschätzung erfahren und Mauern Menschen draußen halten sollen,
wo Menschen sich von Gott abgelehnt fühlen, weil sie nicht in eine mehrheitliche Form von Beziehungsleben oder Geschlechtsrollen passen,
da wird so viel wird Erhöhung einkehren müssen, bis auch für die Ausgegrenzten die volle Gültigkeit der Menschenrechte und der Teilhabe und der Gerechtigkeit erfahren.

Als Gemeinde sind wir ein Teil dieser Arbeit Gottes. Hier können wir miteinander gestalten, was es bedeutet, wenn Gott uns annimmt, wenn wir uns selber annehmen und wenn wir unsere Mitmenschen annehmen.
Denen, die unsicher sind und sich deswegen aufblasen, können wir helfen, zu sich zu kommen.
Denen, die unsicher sind und sich schlecht fühlen mit sich selbst, können wir helfen, zu sich zu kommen.
Es ist Jesus Christus selbst, der die Liebe Gottes verkündigt und lebendig macht. „Haben wir nicht einen prrrächtigen Gott?“

 

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