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Entscheidender Wegbereiter, aber kein entschiedener Christ

Predigt MCC Köln, 7. Dez. 2014
Ines-Paul Baumann

Markus 1,1-8: „Johannes der Täufer – Jesu Wegbereiter“

„Aber das sind doch Rituale aus ganz anderen Religionen! Und die ganzen Bezeichnungen sind doch gar nicht spezifisch christlich! Nein, so können wir nicht anfangen!“, befand Gero entschieden. „Ich dachte, wir wollen ein Evangelium schreiben und die Leute für Jesus begeistern!“

Gero, Laura und Raphael saßen zusammen und gingen die ersten Entwürfe zum Markus-Evangelium durch.*

„Ich verstehe das Problem nicht,“, wunderte sich Raphael. „Wir haben doch alles drin, was ein Evangelium ausmacht: Zitate aus dem Alten Testament, Taufe, die Begriffe ‚Sohn Gottes‘ und ‚Gute Nachricht‘ – was soll daran nicht christlich genug sein?“

„Außerdem ist es viel zu trocken. Zu nüchtern, Zu sachlich. Zu wenig Emotion.“, legte Gero nach.

„Was willst du denn? Liebe, Familiendramen, Mama-Papa-Kind?“, ulkte Raphael lachend.

„Oh ja, und dazu Engel, Sterne, Hirten, Könige, einen Stall und eine Krippe!“, stimmte Laura kichernd mit ein.

Gero fand das gar nicht zum Lachen. „Aber die Familie und die Herkunft sind doch wichtig, damit die Leute Jesus richtig einschätzen können. Was waren seine Eltern von Beruf? Wo kommen die her? Wie ist der aufgewachsen? Das prägt einen Menschen. Wir können das nicht einfach auslassen.“

Laura wurde wieder ernst. „So viel Zeit haben wir nicht. Wir brauchen Antworten. Direkt. Ohne Umwege.“ Sie dachte an die Menschen in ihrer Gemeinde. Vor ein paar Wochen hatten die Römer den jüdischen Tempel zerstört. Das Römische Reich schien so übermachtig wie nie zuvor. Gewalt und Unterdrückung waren Alltag – insbesondere derjenigen, die sich dem neuen „Weg“ in der Nachfolge Jesu angeschlossen hatten. Wie lange würden sie noch daran festhalten, dass es eine bessere Alternative gab als alles mitzumachen, was von ihnen verlangt wurde? Dass es mehr geben musste als Gehorsam, Funktionieren und Existenzangst?

„Johannes ist ein guter Einstieg.“, sagte sie. „Er erinnert die Leute an das Unrecht, das inmitten unserer Gesellschaft passiert. Sein Aufruf zur Umkehr erinnert die Leute daran, dass sie schon mal auf der Suche waren nach Alternativen. Dass sie nicht alleine sind mit ihrer Sehnsucht nach einem anderen Leben.“

Nicht alle wollten ein anderes Leben, sagte eine andere Stimme in ihr. Es gab einfach zu viele, die von dem aktuellen System profitierten. Selbst diejenigen, die nicht zu den Gewinnern gehörten, waren oft zufrieden. Was war daran so schlimm, ein Sklavendasein zu führen, solange es halbwegs satt machte? Was war daran so schlimm, nicht frei denken und glauben zu dürfen, solange sie in Sicherheit lebten?

Ob die Leute aus ihrer Generation auch zu so einem Verrückten in die Wüste gegangen wären? Der Heuschrecken und wilden Honig aß. Und ihnen auf den Kopf zusagte, dass sie alles ändern müssten: sich, ihr Leben, ihre Einstellungen, ihren Umgang miteinander. Manchmal gab es so Phasen, in denen das schrecklich cool war. Dann rannten alle irgendwem hinterher, hatten ein großartiges Event an irgendeinem spirtuell ganz aufgeladenen Ort – und wenn sie dann zurückkehrten in ihren Alltag, war alles wie vorher.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, warf Gero ein: „Ich bin mir da nicht so sicher mit dem Johannes. Diese Taufe da: was soll daran christlich gewesen sein? Johannes sagt selber, dass er nicht mit dem Heiligen Geist tauft. Sein Taufritual kommt aus anderen Traditionen. Und Jesus hat sich garantiert nicht taufen lassen, um damit sein Leben Jesus zu übergeben.“

„Ich finde es ganz schön tiefsinnig, sein eigenes Leben sich selbst zu übergeben“, kam Raphael wieder mal vom Thema ab.

„Wir müssen irgendwie von Johannes dem Täufer auf Jesus kommen“, schlug Laura vor. „Er könnte doch wenigstens sagen, dass nach ihm einer kommt, der größer ist als er! Das eint ihn mit vielen Menschen unserer Zeit. Da sagen auch ziemlich viele, dass es irgendetwas Größeres gibt. Sie glauben vielleicht nicht an Jesus, aber an irgendwas Größeres glauben viele. Und damit holen wir sie ab! Und dann gibt Johannes gleich noch die Antwort dazu und sagt: Hier, da ist er, dieser Jesus ist es.“

„Nein, das geht zu weit.“, fand Gero. „Von mir aus soll er sagen, dass es irgendwas oder irgendwen Größeres gibt. Aber war Johannes denn wirklich ein richtiger Christ? Hat der sich jemals bekehrt? Sogar im Gefängnis hat er doch noch gefragt, ob Jesus der war, auf den sie gewartet haben.“ **

„Vielleicht verschweigen wir das besser?“, schlug Raphael vor.

„Warum sollten wir das verschweigen?“, fragte Laura. „Es gibt viele Leute, die nicht wissen, ob sie sich wirklich auf Jesus einlassen sollen. Ob sie nun das gefunden haben, wonach sie gesucht haben. Sie werden sich bestimmt wiedererkennen in Johannes und seiner Frage: Hat mein Warten jetzt ein Ende? Ist das jetzt das Richtige für mein Leben?“

„Nein, das wird alles viel zu kompliziert.“ Gero kam auf den Anfang ihres Gespächs zurück. „Was haben wir denn bis jetzt:

  • Johannes: Ein Prophet, der sich Jesus nicht anschließt.
  • Die Taufe: Ein Ritual, das aus einer anderen Traditionen kommt und nichts spezifisch Christliches an sich hat.
  • ‚Sohn Gottes‘: Ein Titel aus anderen Religionen. Ein Titel für Könige und sonstwie „Göttliches“. Der Titel des obersten Unterdrückers im Lande.
  • Ein Zitat aus dem Alten Testament, das da so gar nicht steht – und auch noch mit falscher Quellenangabe. Einfach nach Belieben zusammengewürfelt – und das nicht mal offen gemacht. ***
  • ‚Gute Nachricht‘: Ein Alltagswort. Auch nichts christlich Eigenständiges.

Wie sollen die Leute denn bei so einem Mischmasch zum richtigen Glauben an Jesus kommen?“

Alle drei schwiegen und dachten nach. Ja, was an ihrem Text war jetzt spezifisch christlich? Es gab Aspekte aus der jüdischen Tradition, aus der Politik, aus der Verehrung eines weltlichen Herrschers, aus der Alltagssprache der Leute. Wie sollte das eine Hilfe dabei sein, in Jesus die Offenbarung Gottes zu sehen und seinen Worten und Taten Vertrauen zu schenken? Oder gar sich darauf einzulassen und sich selbst auf diesen Weg zu begeben?

Irgendwann fragte Laura laut: „Aber sind es nicht genau Teile aus diesem ganzen Mischmasch, aus denen wir unseren Glauben zusammensetzen? All das können doch Brücken sein – gerade weil es die Leute so gut kennen. All das, was Leute toll und wichtig finden, besetzen wir einfach mit Jesus. So wird ihnen am besten klar, wie toll und wichtig Jesus ist, oder?

In unserer Zeit nennen sie alle Menschen, die etwas Göttliches oder Machtvolles haben, Sohn Gottes. Und wir nennen eben Jesus so. Wer weiß, was die Leute nach uns für Namen und Titel verwenden werden!

Vielleicht setzen sie Schnipsel aus ihren kulturellen Schriften mal genau so zusammen, wie wir es hier mit dem Alten Testament tun. Sollen sie doch, wenn es ihnen eine Brücke zu Jesus baut! ****

Vielleicht benutzen sie ganz andere Wörter aus ihrem Alltag für die Gute Nachricht, die wir weitergeben wollen. Je nachdem, was für Worte sie haben werden für Infos, die sie wichtig finden, werden sie vielleicht ganz andere Worte benutzen. Sollen sie doch! Das ist doch genau Sinn der Sache! Sie müssen IHRE Wege zu Jesus finden. Und wir geben ihnen hiermit ein Beispiel.“

Gero wusste nicht so recht: „Du meinst, jeder Mischmasch aus Ritualen, Traditionen, gesellschaftlichem Zeitgeist und religiösen Schriften kann den Weg zu Jesus weisen?“

Laura war sich jetzt ganz sicher: „Ja, genau. Und deswegen ist es eine klasse Idee, Johannes ganz am Anfang zu bringen. Gerade WEIL er so anders ist als Jesus. Wir brauchen beide Typen, wenn wir Veränderungen sehen wollen:

  • Johannes, den Asket, den Aufrüttler, den Zeremonienmeister, den Aktivisten, der allen ins Gesicht sagt, wie falsch ihre Welt ist, und sich konsequent aus allem zurückzieht – und der nicht weiß, ob Jesus die Antwort auf alle seine Fragen ist.
  • Und Jesus, der mit Säufern und Fressern rumhängt, der religiöse Rituale auch mal bricht; den Zuhörer, den Gleichnis-Erzähler, den Heiler, den Lehrer, der mitten in der Welt unterwegs ist und Menschen ohne Vorbehalt einlädt – und der gänzlich davon überzeugt ist, dass mit ihm „die Zeit erfüllt“ ist.

Beides ist revolutionär. Beides kann gefährlich enden. Aber wenn sich wirklich was ändern soll in der Welt, brauchen wir beide Typen. Wir müssen sie doch gar nicht gegeneinander stellen und fragen, ob Johannes „christlich genug“ war. Ob er Jesus „genug nachgefolgt“ ist. Ob er „zu viele Zweifel“ hatte, um als „wahrer Christ“ gelten zu können.

Die Frage ist nicht: Johannes ODER Jesus. Lasst uns Johannes einen Platz geben, an dem Christen zu allen Zeiten ihn respektieren und anerkennen werden – als einen Menschen, der Teil der Geschichte Gottes ist. Es werden noch genug Menschen kommen, denen genau das abgesprochen werden wird. Möge ihnen dieser unklare, indifferente, halb-gläubige Johannes eine Hilfe sein, damit auch ihr Weg sie mit Jesus verbinden kann – und andere Christen das respektieren lernen.

Erstens möge es damit in Zukunft auch immer Gemeinden geben, in denen beide Typen Platz finden: Diejenigen, die sich wie Johannes aus allem Weltlichen zurückziehen wollen – und diejenigen, die wie Jesus ihren Platz mitten in der Welt sehen.

Und zweitens müssen die Menschen sich dann nicht ständig fragen: ‚Ist der da mit dem, was er mitbringt, Christ genug?‘
Sondern sie können fragen: ‚Was von dem, was ich mitbringe, kann und will ich einsetzen, um Jesus einen Weg zu bahnen?’“

 

 

* Das Markus-Evangelium wurde sicher nicht von Markus an seinem Schreibtisch aufgeschrieben, sondern entstand „an der Basis, in der Gemeinde“, wie es die Bibel in Gerechter Sprache so schön beschreibt: „Sie wählte die schriftlich festzuhaltende Variante der Geschichten aus und gemeinsam wurde die Entscheidung über ihre Anordnung getroffen.“

** Mt 11,3 / Lk 7,20

*** Jes 40,3 & Mal 3,1 & Ex 23,20

**** Im Gespräch mit griechisch geprägten Menschen zitiert Paulus nicht die jüdischen Schriften, sondern griechische Dichter (Apg 17,28). Was hätte er wohl zitiert im Gespräch mit Kapitalisten, Buddhistinnen, Feministen, …?

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