Zum Inhalt springen
Home | Die hoffnungslose Realität ist nicht die einzige Realität (3. Advent)

Die hoffnungslose Realität ist nicht die einzige Realität (3. Advent)

Predigt MCC Köln 13. Nov. 2016
Daniel Großer

Jesaja 35,1-10 & Matthäus 11,2-11: 3. Advent

“Das wird schon wieder!”, sagt die Mutter ihrer Tochter, die beim Laufen hingefallen ist und sich die Knie aufgeschlagen hat. Warmer, helfender Trost und die gute Zurede der Mutter besänftigen das Kind, die Tränen kommen zur Ruhe. “Das wird schon wieder. Es wird alles gut.”

Es gehört zur Realität unseres Lebens, dass uns diese Worte manchmal im Rachen stecken bleiben, wenn wir uns unserer Menschlichkeit bewusst werden. Einer Frau, die weiß, dass sie am Krebs sterben wird, werden wir kaum gerecht mit einem “Das wird schon wieder”. Einem Mann, der seinen Lebenspartner wegen eines Unfalls verloren hat, ist mit “Es wird alles gut” nicht geholfen. Dem Paar, dass sich vergeblich ein Kind wünscht, ist mit “einmal-pusten” kein Leid erspart. Den Menschen im Kessel von Aleppo können wir noch so sehr zusprechen, dass die Welt sie sieht, aber nichts scheint sich ändern zu wollen.

Wo unsere Verstand uns die Grenzen unserer Möglichkeiten klar machen möchte, wo wir feststellen, dass es nichts mehr zu Hoffen gibt, wo unsere Menschlichkeit am schmerzlichsten ist, da werden wir wortlos.

Wie anders Gott, wie anders das Evangelium, wie anders das, worauf wir im Advent sehnsuchtsvoll warten. Wie anders auch das, was wir im Predigttext von Jesus hören:

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: Er ist mehr als ein Prophet. Dieser ist’s, von dem geschrieben steht (Maleachi 3,1): »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.« Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er.

Matthäus 11,2-11

Geradezu dreist und trutzig verspricht Jesus die größte Freude inmitten des größten Leides. Johannes der Täufer im Gefängnis im Angesicht seines Todes, mit Blick auf die Zerschlagung seiner Lebenshoffnung auf den Heiland der Welt, ohne Sinn und ohne Zukunft, verzweifelt. In diese abgrundtiefe, verfahrene Situation spricht Jesus ganz gegen jede logische Vernunft die alttestamentlichen Worte der Hoffnung: “Blinde sehen, Gelähmte gehen, Aussätzige werden gesund, Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt und den Armen wird die gute Botschaft verkündet.”
Lax übertragen sagt unser Heiland hier schlicht: “Alles wird gut!”

Darin besteht die ganze Kraft des Evangeliums: Es spricht Worte der Hoffnung in die dunkelste Finsternis, wo nichts und niemand mehr zu sprechen vermag.

Und das nicht erst durch Jesus Christus, die Bibel ist durchzogen von glänzenden Fäden der Hoffnung, die aus unerwarteten Winkeln kommt. Wer hätte geglaubt, dass der kleine und schmächtige Junge namens David den größten und stärksten Krieger des Heers der Philister besiegt? Wer hätte geglaubt, dass die bis aufs Blut zerstrittenen Brüder Jakob und Esau je wieder Frieden stiften? Wer hätte geglaubt, dass das wandernde Wüstenvolk Israel sich gegen die etablierten sesshaften Herrscher behaupten kann? Wer hätte geglaubt, dass das greise Pärchen Abraham und Sara doch noch ein Kind bekommen würde? Wer hätte geglaubt, dass vom mehrfach zerstreuten und deportierten Volk Gottes noch irgendetwas übrig bleiben würde? Wer hätte geglaubt, dass der sonderbare Mann aus Galiläa, hingerichtet als Verbrecher, noch nach zweitausend Jahren zu den Menschen spricht? Und ja: Wer hätte angesichts der Lager des Dritten Reiches geglaubt, dass es je wieder jüdisches Leben geben würde in Europa?

Niemand hätte das geglaubt, denn es ist das wohl unwahrscheinlichste und anscheinend unglaublichste, es ist unvernünftig und es ist unwahrscheinlich. Und doch ist das Evangelium immer wieder so unverschämt und dreist, diesen Trost in die Welt zu sprechen und zu schreiben: “Blinde sehen, Gelähmte gehen, Aussätzige werden gesund, Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt und den Armen wird die gute Botschaft verkündet.” Das Evangelium erstarkt sich, diesen Trost vor denen auszusprechen, denen das Glück am fernsten ist. Es nimmt es sich heraus, selbst dann zu trösten, wenn der Trost sichtlich nicht mehr in diesem Leben münden wird. So besteht im geringsten Falle die Herrlichkeit des Evangeliums darin, dass es sie überhaupt gibt, und dass die hoffnungslose Realität eben nicht die einzige Realität sein muss. Die Hoffnung des neuen Evangeliums lautet: “Es gibt Hoffnung!”

Denen, die ihre Lebensziele nicht erreichen, die sich fühlen wie stecken geblieben auf halber Strecke: Es gibt Hoffnung. Denen, die keinen Weg finden mit ihren zerbrochenen Beziehungen zu Partnern, zu Kindern: Es gibt Hoffnung. Denen, die sich nutzlos fühlen, die nicht wissen, was es für sie in dieser Welt noch zu holen gibt: Es gibt Hoffnung. Denen, die krank sind und nicht wissen, ob sich daran etwas ändern kann: Es gibt Hoffnung. Denen, die allein sind und niemanden finden, mit dem sie ihr Herz teilen können: Es gibt Hoffnung. Denen, die hilflos zusehen, wie ihr Glaube und sie selbst sich verändern: Es gibt Hoffnung. Denen, die heimatlos und ohne Dach sind: Es gibt Hoffnung. Denen, die sich zerstört und vernichtet fühlen: Es gibt Hoffnung. Denen, die jeden Tag Opfer von Gewalt werden: Es gibt Hoffnung.

Ich selbst tue mich schwer mit dieser geradezu törichten und scheinbar platten Hoffnung, die Jesus hier zuspricht. Kann man das überhaupt glauben? Kann man sich das wirklich anhören? Darf man so etwas als vernünftiger Mensch noch denken, geschweigedenn sagen? Kann man sich wiederfinden in dem Trost, den man nicht fassen kann? Hat die anscheinend weltfremde, trotzige Hoffnung Gottes überhaupt irgendetwas für mich zu geben, wo ich sie doch nicht glauben kann?

Ich werbe dafür, dass wir es mit der Hoffnung des Evangeliums so halten, wie mit der Flamme auf unserer dritten Kerze des Adventskranzes.

Die Kerzenflamme ist sehr hell und sehr heiß, man schaut besser nicht lange Zeit direkt hinein und berührt sie auch nicht. Die Flamme ist ein Feuer, sie ist zu gleißend und zu heiß, als dass wir uns ihr nahen können um sie ganz zu verstehen. Und doch: ihr Licht und ihre Wärme leuchten einen ganzen Raum aus, wir spüren sie auf der Haut und genießen das sanfte Licht im Dunkeln.

So auch die Freude und Hoffnung des Evangeliums. Sie ist zu heiß und zu ungestüm, als dass wir ihr bis in die letzten Flammenspitzen folgen könnten. Sie lodert viel höher, als unsere Vernunft uns trägt, viel heller, als unsere Augen glauben wollen, viel stärker, als unser Gott-Vertrauen reicht. Aber auch dann, wenn wir selbst nicht in der Hoffnung der Frohen Botschaft entflammen können, so können wir uns doch aus etwas Abstand an ihr erfreuen und uns daran wärmen, dass es sie gibt. Und wenn wir Menschen sind, die Freude haben daran, dass es eine Hoffnung gibt, dann können sich unsere Seelenfinger in der Adventszeit vielleicht auch an den Worten wärmen, aus denen schon Jesus seinen Trost für Johannes den Täufer schöpfte:

Die Wüste und das dürre Land sollen sich freuen und die Steppe soll frohlocken und wie ein Krokusfeld erblühen. Dort werden Blumen im Überfluss wachsen und sie wird singen, jubeln und sich freuen! Sie wird so herrlich werden wie der Libanon, prächtig wie der Karmel und die Ebene von Scharon. Denn sie werden die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unseres Gottes, sehen. Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie. Sprecht zu denen, die tief beunruhigt sind: »Seid stark und fürchtet euch nicht. Seht doch: die Rache und Vergeltung unseres Gottes kommt. Er wird kommen und euch retten. Dann werden die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben geöffnet. Der Lahme wird springen wie ein Hirsch, und der Stumme wird jubeln. Denn aus der Wüste entspringen Quellen, Ströme bewässern die Steppe. Luftspiegelungen werden zu echten Seen und das durstige Land zu sprudelnden Wasserquellen. Gras, Binse und Schilf blühen, wo einst Schakale hausten. Durch die Wüste führt dann eine Straße, die die heilige Straße genannt werden wird. Kein unreiner Mensch wird darauf wandern, denn sie ist nur für sein Volk bestimmt. Wer auch immer auf diesem Weg geht, wird sich nicht verirren. Selbst der Einfältige wird darauf nicht fehlgehen. Löwen wird es dort nicht geben. Kein wildes Raubtier wird diesen Weg betreten. Nur die Erlösten werden darauf gehen. Diejenigen, die vom Herrn erlöst wurden, werden zurückkehren und jubelnd nach Jerusalem kommen. Ihr Gesicht spiegelt unendliche Freude wider. Freude und Glück werden bei ihnen einkehren, Kummer und Seufzen aber werden vor ihnen fliehen.

Jesaja 35, 1-10

 

 

 

Skip to content