Predigt MCC Köln, 9. September 2018
Ines-Paul Baumann
1. Thessalonicher 1,2-10 („Der vorbildliche Glaube der Gemeinde“)
… und so weiter und so fort… bla… bla… bla…
Ein Allgemeinplatz nach dem anderen… Nix Neues weit und breit… Heiliger Geist, Evangelium, Jesus, …. Klar, was sonst, in einem Brief des Paulus im Neuen Testament?
Bla bla bla…
Und dazu dieses Selbstlob. Klar, PAULUS hat doch nicht einfach Worte gemacht! GOTT SELBST hat ihn erfüllt und durch ihn gesprochen, also durch seine Worte UND durch sein Verhalten. Paulus, das große Vorbild und Beispiel! (Natürlich nur Beispiel Nummer 2; Beispiel Nummer 1 ist natürlich immer Jesus – aber DER trägt natürlich ALLES im Verhalten von Beispiel Nummer 2.)
Bla bla bla…
Und dann muss natürlich die Gemeinde gelobt werden. Was auch sonst, ist schließlich eine Gemeinde, die Paulus selbst gegründet hat. Soll er etwa sagen, er hat da eine kleine machtlose mickrige unwichtige Gemeinde gegründet? Die das mit dem Glauben offenbar nicht ganz hinbekommt und deswegen etwas brieflicher Nachhilfe bedarf? In der manche zweifeln und manche vielleicht doch lieber zu ihrem alten Glauben zurückkehren wollen? Tolle Gemeinde, lieber Paulus, sehr vorbildlich. „Es gibt inzwischen kaum noch einen Ort, wo man nicht von eurem Glauben an Gott gehört hätte.“ Bescheidenheit ist eine Zier, doch schöner lebt sich‘s ohne ihr…
Bla bla bla…
„Liebe MCC Köln! Wir wirken vielleicht klein und machtlos, aber was seid ihr nicht für eine tolle Gemeinde! So viele Menschen haben schon von euch gehört! Euer Beispiel macht ihnen Mut! Und wie ist das gekommen? Genau, nicht durch große erfahrene Keynote-Speaker, die den Ton angeben. Ich kann gar nicht aufhören, Gott für euch zu danken!“
Kann ich auch sagen. Gott, Evangelium, Jesus, Gemeinde, danke wow super.
Mensch was hab ich mich mit diesem Text rumgeschlagen. Was soll ich denn da predigen? Wo sind die Ansätze für neue Ideen? Für was Interessantes? Irgendwas Unverständliches, Widersprüchliches, Überholtes, Fragwürdiges? Irgendein Ansatzpunkt, der es wert wäre, sich damit auseinanderzusetzen? Ihn aufzudröseln, hin- und herzuwenden, kritisch zu beäugen, sich an Kanten zu stoßen, den Dreck abzukratzen, bis wir am Ende ein weiteres Juwel des Glaubens in den Händen halten können? Aber nein, dieser Text ist glatt, verständlich, einfach, klar, zugänglich, unanstößig. Christliches Bla Bla Bla. Eingebettet in Lobhudeleien, die so einfach zu übernehmen ich fragwürdig fände. Im Westen nix Neues, lasst uns beten.
Auch andere sind an dieser Gehaltslosigkeit schon verzweifelt. Bibelkommentare zu dieser Textstelle fallen minimal aus. M-i-n-i-m-a-l.
Oder sie verhandeln den Text nicht vom Inhalt her, sondern aus einer strategischen Perspektive: nämlich von der Beziehungsebene her. Wie toll Paulus das aufzieht in diesem Brief: wie toll er erst seine BEZIEHUNG zu der Gemeinde darlegt, bevor er am Ende mit tröstenden und mahnenden Worten kommt. Denn nur wenn die BEZIEHUNG stimmt, sind Trost und Mahnung richtig eingebettet. Hat die Wissenschaft nämlich festgestellt! Oh ja! Also Beziehungsarbeit statt theologisch wertvoller Neuigkeiten.
Ich war echt am Verzweifeln über diese Predigt. Aber warum eigentlich? Warum muss es immer was Neues sein? Muss es wirklich immer einen neuen Kick geben? Eine tolle neue Erkenntnis, ein Aha-Erlebnis, eine wichtige Entdeckung? REICHT DER ALLTAG DES GLAUBENS ETWA NICHT? Was ist so schlimm an dem Grundlagen-“1000-mal-gehört“-Bla-Bla-Bla hier?
Wir reden hier immerhin von der wahrscheinlich ältesten Textstelle des Neuen Testaments! Geschrieben vielleicht im Jahre 50, ursprünglicher ist keiner der Texte im Neuen Testament! Hier gab es noch keine ausgereiften Theologien, keine etablierten Strukturen, keine eingefahrenen Denkmuster. Hier ist alles frisch, die Gemeinde in Thessalonich ist neu (die MCC wird dieses Jahr auch 50 Jahre alt, also wir in Köln nächstes Jahr 25, das sind vergleichbare Zeiträume)!
Dieser Brief ist der Anfang der ersten theologischen Auseinandersetzung mit der ersten Glaubenskrise der Christenheit, die im Neuen Testament bezeugt ist. Ist doch klar, dass es hier um GRUNDLAGEN geht. Bla Bla Bla? Diese Grundlagen sind auch die Grundlagen UNSERES Glaubens! Der Kritik, der die Gemeinde in Thessaloniki ausgesetzt ist, sind Gemeinden bis heute ausgesetzt! Die Zweifel dieser ersten Christen sind bis heute Zweifel, die den christlichen Glauben betreffen!
„Na na na, seid ihr da nicht auf was reingefallen? Seid ihr sicher, dass eure Leiter und Leiterinnen nicht ihre eigenen Beweggründe haben? Klar, manche können gut reden, aber lasst ihr euch davon nicht zu sehr blenden? Was ist denn mit den ganzen Verheißungen, von denen sie erzählen? Wo ist denn dieser Gott? Und seine bessere Welt? Die Menschen sterben wie eh und je! Auch unter euch gibt es Kranke und Verstorbene – wo zeigt sich denn da euer Gott? Müsste es euch nicht viel besser gehen, wenn euer Gott so toll und euer Glaube so groß ist?“
Ich habe selbst erlebt, dass Predigende wie Keynote-Speaker aufgetreten sind, mit Mikrofon und ach-so-frei gestikulierend über die Bühne getigert sind – nicht hier in Köln, aber durchaus auch innerhalb der MCC – und die Anhänger_innen waren begeistert und schrien jeden Slogan mit, den sie wiederholen sollten. Ich wurde innerlich immer nur kleiner und kleiner und zog mich immer mehr zurück.
Ich kann verstehen, dass Paulus auf solche Fragen eingeht (eingehen MUSS). Warum er darlegt, was seine Beweggründe sind. Und dass er zum Beispiel Wert darauf legt, eine Arbeit außerhalb der Gemeinde gehabt zu haben. Er hat sich von der Gemeinde NICHT bezahlen lassen – damals war das noch ein Qualitätsmerkmal. Gerade dadurch wurden er und seine Arbeit und die Gemeinde glaubwürdig. Ich finde es gut und richtig, nachzufragen, warum Leute etwas machen. (Es geht das Gerücht, dass einer der Bewerber für die Wahl als MCC-Moderator 2016 als Grund für seine Bewerbung gesagt haben soll: „weil das der nächste logische Schritt auf meiner Karriereleiter ist.“ Gepriesen sei er für seine Ehrlichkeit.)
Was trägt also unseren Glauben? Auf wen und was lassen wir uns ein mit der Gemeinde? Wie ist es dazu gekommen, dass wir glauben? Und welche Konsequenzen hat unser Glaube? Das ist kein Bla Bla Bla. Das sind Grundsatzfragen.
Die Thessalonicher_innen haben nicht einfach weitergelebt wie alle anderen in ihrer Umgebung. Sie haben sich den Sicherheitsgarantien ihrer Gesellschaft entzogen. Wie viele Christen trauen sich das heute noch? Wenn die Werte von deiner Bank den Werten Jesu widersprechen? Wenn im Job ein Verhalten mit Kunden gefordert wird, bei dem der Aktienwert steigt und nicht die Nächstenliebe und Feindesliebe? Wie sieht es aus beim Kauf von Klamotten und Smartphones: Hauptsache „in“? Hauptsache billig? Worauf achtest du? Gerade wenn es eng in deinem Geldbeutel ist? Was ist sichtbar vom Glauben im Leben der Gemeinde? Ich kenne Gemeinden, in denen waren vor allem Autos, Smartphones, schicke Klamotten, moderne Frisuren und Einfamilienhäuser sichtbar. Und die Arbeit der Gemeinde richtete sich in erster Linie darauf, ein eigenes Gemeindezentrum zu bauen. (Als Bauherr! Nicht wie wir hier mit unserer liebevoll eingerichteten Schrotthalle.)
Ja, Menschen gucken auf Gemeinden.
Sie gucken kritisch hin, und das ist gut so.
Und manchmal gucken sie auch hin und sind begeistert. Ermutigt. Gestärkt. So eine Gemeinde war die in Thessaloniki offenbar. Und ich finde: Ja, das können wir auch von so mancher MCC-Gemeinde sagen. Uns hier in Köln eingeschlossen. Deswegen: Ja, ich denke, ich kann mir Paulus zum Vorbild nehmen, die Grundlagen unseres Glaubens in Erinnerung rufen und heute sagen:
„Liebe MCC Köln! Wir wirken vielleicht klein und machtlos, aber was seid ihr nicht für eine tolle Gemeinde! So viele Menschen haben schon von euch gehört! Euer Beispiel macht ihnen Mut! Und wie ist das gekommen? Genau, nicht durch große erfahrene Keynote-Speaker, die den Ton angeben. Sondern durch Menschen hier, die auf das Evangelium bauen – und auch dann daran festhalten, wenn es Konsequenzen hat und sie in Schwierigkeiten bringt. Menschen, die zu sich und zu ihrem Glauben stehen. Die unter Ungerechtigkeiten leiden und sie anprangern, weil sie darauf bestehen, dass Gottes Verheißungen auf eine andere, bessere Welt hinauslaufen – und sie sich mit weniger nicht mehr zufrieden geben. Eine bunte Mischung aus Menschen, die hadern und verzweifeln und depressiv sind und die sich engagieren. Die von Gottes Liebe reden und sie zur Grundlage ihres Handelns machen. Und die in all dem getragen sind von Gottes Liebe selbst. In dieser Gemeinde ist Gottes Geist spürbar wirksam. Ich kann gar nicht aufhören, Gott für euch zu danken!“