Predigt MCC Köln, 25. Juni 2017
Manfred Koschnick
Psalm 69,1-2.13-14.16-18
Mein Leben verlangt mir nur wenige weitreichende Entscheidungen ab. Eher erinnert es mich an ein Buffet mit vielen neuen Speisen. Da muss ich nicht wählen zwischen einem ganzen Teller Fleisch oder Salat. Das wäre zwar so, wenn ich in der Liebe nur zwischen Max und Frieda entscheiden müsste. Aber normalerweise kann ich von allem eine winzige Kleinigkeit probieren und danach von dem mehr essen, was mir am besten erscheint. Sollte Theologie wie ein Buffet sein, kann ich mir auf meinem Teller mein eigenes kleines Buffet zusammenstellen! Nun denn – dann auf zum kalten Buffet!
Auf der ersten minimalistisch dekorierten Platte, ist die „negative Theologie“ angerichtet. Da versucht man über die Frage, wer oder was Gott NICHT ist, herauszufiltern, was das Wesentliche an Gott in seiner eigentlich unbeschreibbaren Transzendenz ist. Hat man das scheinbar herausgefunden und man hört hinter sich die Stimme aus Jesaja, die sagt „Dies hier ist der Weg, dem ihr folgen sollt“, kann man biblische Texte danach befragen, welche Textpassagen dem Wesen Gottes nicht entsprechen, indem man historisch kritisch auf alle zeitgeschichtlich bedingte kulturelle und politische Färbung des Textes verzichtet und die Exegese von subjektiven Vorurteilen befreit und an der eigentlichen Essenz der Frohen Botschaft misst. So schlendere ich am Buffet also hinüber zu dieser historisch kritischen Theologie. Antike kulturelle Färbung mag früher in Ordnung und verstehbar gewesen sein. Sie ist heute jedoch nur bedingt wegweisend. Wenn Paulus sagt, man solle Sklaven gut behandeln, bedeutet das eben heute nicht, dass es Gottes Wille ist, die Sklaverei wieder einzuführen. Auch die Kirche hat ihre Theologiegeschichte, die viele verfälschende Einflüsse auf die Lehre und Verkündigung Jesu hatte. Weniger ist manchmal mehr. Berühmtester Kritiker – aber beileibe nicht der erste – war Martin Luther. Er verglich die Lehre der Kirche mit dem was in der Bibel steht und filterte einiges heraus wie z.B. den Ablasshandel, das Papsttum, Heiligenanbetung usw. Damit war ein Anfang gesetzt, den man Reformation nennt. Es ist mit der Reformation wie in der größten Goldmine der Welt. Es gibt dort in Kentucky, im Süden der USA keine Goldadern. Nirgendwo ist Gold zu sehen, weit und breit nur Berge von grauem Fels. Zersprengt man aber die riesigen Felsen und behandelt man danach den Schotter mit speziellen Säuren, bleiben nur noch skelettartige Strukturen des Steins, in denen unter dem Mikroskop winzigste Spuren von Gold zu sehen sind. Das ist ein großer Aufwand, aber er bringt den Firmen jede Menge Gold und großen Gewinn. So ist das auch mit der evangelischen Reformation. Der Gewinn ist groß; denn weniger ist mehr. Wohin führt die Reformation? Fällt ihr irgendwann auch der Gottesglaube selbst zum Opfer? Das kann passieren, wenn Gott nur in dem Raum des Nichtwissens gesucht wird, den die Naturwissenschaften bislang übrig ließen, aber doch in steigender Geschwindigkeit immer mehr erobern. Dann gäbe es auf dem Buffet womöglich einmal irdene Töpfe mit nichts als dem Atheismus und Glasschalen mit anderen Formen der Spiritualität ohne Gott wie etwa den Buddhismus. Aber das ist heute nicht das Thema. Unser Pastor hat mir aus dem sehr langen Psalm 68 nur ein paar Sätze als Predigttext gegeben. Die MCC-Zentrale in den USA meinte vielleicht, dass sich in diesen wenigen Versen (dem kleinen Schotter) das Sein Gottes in der Heiligen Schrift ebenso so gut aufspüren lässt wie das Gold in den großen grauen Felsen in Kentucky. Nun ja, ich sagte bereits: Man braucht ein Mikroskop! Manchmal ist in einem biblischen Text nur ein einziges Wort, in dem sich Gott Dir offenbart.
Nun sehe ich da hinter den Weinflaschen eine riesige Schüssel voll bunter Gemüse, Käse aus verschiedenen Regionen Frankreichs, Irlands und Deutschlands, dabei Blattsalat, Obst und Fleisch. Ich nenne dieses Bild mal „Die Fülle des Glaubens“. Sie ergibt sich aus der Fülle und Vielfalt des Lebens, der Geschlechter und sexuellen Orientierungen, der Kulturen und der Menschen, die die Frohe Botschaft hören und in der Glaubensfülle spiegeln. „Ich, der Glaubende, bin mir dem Theologen ureigenster Stoff der Wissenschaft“ sagte der bedeutendste ev. Theologe des 19. Jahrhunderts. Der Glaube spiegelt absolut alles, was mich als Mensch ausmacht. Manche Frömmigkeitsformen können das reinste Antidepressivum sein, ähnlich wie Kokain. Auch die Widersprüche der Menschen und des Lebens spiegeln sich im Glauben als innere Widersprüche des Glaubens und der Kirche. Paulus klagte darüber, dass er trotz besseren Wissens das Gute, das er doch will, nicht tut; das Böse, dass er nicht will, aber tut. Und wie ist es möglich, dass der gerechte Gott so ungerecht ist, 6 Millionen seines auserwählten Volkes unter Hitler sinnlos „vernichten“ zu lassen?
Die Fülle ist voller Widersprüche.
Der ganze Text des Psalms 68 enthält u.a. so auch eine Menge Rachegedanken des Psalmisten: Vers 24 „Mach sie blind, damit sie nichts mehr sehen, und lass sie für immer kraftlos hin- und her schwanken! 25 Schütte deinen Zorn über sie aus, überwältige sie in deinem Grimm! 26 Ihr Besitz soll veröden, in ihren Zelten soll niemand mehr wohnen! 28 Vergib ihnen nichts! Rechne ihnen jede einzelne Schuld an, damit sie nicht vor dir bestehen können! 29 Lösche ihre Namen aus dem Buch des Lebens, damit sie nicht bei denen aufgeschrieben sind, die zu dir gehören!“
Diese Rachegedanken gehören auch eindeutig in die große Schüssel kulinarischer Vielfalt. Früher dienten die Verse zuweilen schwarzer Magie und Beweismittel bei der Hexenverfolgung. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil wurde es den Priestern verboten, die Psalmen mit überwiegend Rachegedanken im Gottesdienst auf Deutsch zu verlesen. Gehören diese ehrlichen Worte der Wut und des Hasses nicht zum Menschen? Sind es nicht auch befreiende Worte der Opfer von Gewalt, zu denen man sie ermutigen sollte? Sind sie wirklich des Teufels? Gehören sie also nicht in ein Gebet? Ist der Gott, der sich auf solch ein charakterliches Niveau einlässt, noch unser Gott? Kann ein Gott der Liebe solchen Hass überhaupt nachvollziehen und verstehen? Wo ist hier das Gold, das wir suchen? Aber wenn Gott so wütend auf die Menschen war, dass er die ganze Menschheit bis auf die Arche und Sippe Noahs vernichtete, kann er dann nicht auch den Rachewunsch des Psalmisten verstehen und dann wiederum plötzlich und unberechenbar mit der Erschaffung des Regenbogens einen ewigen Treuebund stiften? Der in sich widersprüchlich scheinende Gott ist in der Fülle der Möglichkeiten wie ein Würfel mit 6 Seiten. 1 steht für Gerechtigkeit, 6 für Rache, 2 für Allmacht, 5 für Kreuzigung, 3 für Frieden, 4 für Krieg. Man weiß nie, welche Zahl gleich oben liegt. Auch so ist die Fülle des Glaubens. Die Beliebigkeit und Fülle hat aber auch ihre Grenze, von der an die ausufernde Fülle absurd erscheint. Man kann sich an Religion auch überfressen und an ihr irre werden! Es ist psychologisch nicht verkehrt, mit Gott als ganzer Mensch in Schmerz und Hass zu reden, wenn es dem Glauben hilft oder der Mensch in einem Lernprozess zu einer spirituell Persönlichkeit reift oder einfach, weil wir uns nicht zu rechtfertigen brauchen und frei sind! Das ist die große bunte Schüssel mit den Käsesorten. Alles was dem Glauben dient, darf sein –Tantra, Wutausbrüche, meditativer Tanz, Yoga, Rituale, Mutproben, Zen-Meditation, Grenzerfahrungen,…! So käme dann auch noch etwas wie Obst oder Eiscreme von der Fülle des Glaubens auf meinen Teller
Das führt uns weiter zu einem funktionalen Besteckkasten am Ende des Buffets. Ich nenne ihn “Existentialismus“ oder „(der alte) Gott ist tot“. Der da angeblich gestorben ist, das ist der Gott, der gerecht und allmächtig mit Wundern konkret und direkt in die Geschichte der Menschheit eingreift, häufig auch als strafender Gott. Wenn so ein Gott nach Auschwitz nicht mehr glaubhaft, also tot ist, da wirkt auf Christen dennoch das geistige Erbe, das er nach seinem Tod hinterlassen hat. In Jesu Christi Passion gab Gott seine Allmacht in Liebe auf zugunsten und im Sinne völliger Solidarität mit seinen eigenen Geschöpfen.
Seine Verantwortung für die Welt haben wir geerbt, und wenn nicht, dann müssen wir die erwachsenen werden, Mündigkeit erwerben, erlernen und pflegen, um sie atheistisch im Namen Jesu zu besitzen. Einige (wie Dorothee Sölle) glaubten, dass man als eine Art Totengräber Gottes dennoch oder gerade deswegen ein frommer Mystiker sein kann, dessen tapfere Liebe den untauglichen Gott von Auschwitz überstrahlt. Ich finde immer wieder kleine Spuren des mit ätzender Säure gereinigten Goldes im Atheismus und im Existentialismus. Der Psalmist z.B. hätte sich mit von dem toten Gott unabhängiger bedingungsloser Feindesliebe in sich spirituell gegen die Anfeindungen wehren können. Selbstmitleid und Klage wären verstummt und er hätte bessere Wege gefunden, als die demonstrative Selbstkasteiung, das Herz des jüdischen Volkes zu erreichen. „Mit sorgen und mit grämen und mit selbsteigner Pein, lässt Gott sich gar nichts nehmen – es muss erbeten sein“ (P. Gerhard). Aber der Psalmist konnte es nicht. Er sah sich als Opfer und wollte Leiden in seinem Glauben.
Ich habe nun das ganze Buffet inspiziert. Am besten gefiel mir diese Reformation, die sich kritisch distanziert mit der Fülle der Glaubensmöglichkeiten beschäftigt, weil in ihr auch schon etwas „Gott ist tot“ und einige der letzen Moleküle des Goldes zu finden ist. Und wenn ich nun das Selbstmitleid, die Angst, den Hass im Felsen des Psalmisten mit Säure übergieße? Dann finde ich nun plötzlich in dem langen Psalm der 37 Verse ganz kleine unscheinbare Gold-Spuren Gottes, die Bestand haben könnten…, und zwar in nur 3 Worten der Beschreibung Gottes: HULD, GNADE und TREUE. Das ist das Bekenntnis des Psalmisten. Das transformiert die Rache und das Selbstmitleid des Psalmisten in Richtung Hoffnung. Das ist „Gott, wirkend im Psalm“, quasi das Gold im Stein. Mit diesen Worten stiftet der Glaubende gegen den Hass und das vorwurfsvoll geäußerte Selbstmitleid Trost und Frieden. Hier leuchten wie ein schwacher Schimmer Gold, Gottes friedvolle, tröstende Wirkung auf den Psalmisten und uns.
Ich glaube, nun bedarf es auf der Suche nach Gold doch noch etwas mehr Säure auf den Schotterstein, denn sind Huld und Gnade nicht Teil der Willkürherrschaft, also das Geschäft der Tyrannen? Ist die vertrauensvolle Hingabe an Gott, zu der sie uns einlädt, denn als andere Seite der Medaille vergleichbar mit der diktatorisch willfährigen oder taktisch-politisch geschickten oder unberechenbar launischen Begnadigung, eines gefangener Rebellen? Können wir diese Worte Huld und Gnade nach dem was Christus über Gott lehrte, für uns heute überhaupt noch sinngebend übernehmen? Jesus nannte Gott nicht HERR sondern Vater! Unser Glaube heute drückt sich eher in dem Liedvers aus „Deine Liebe ist wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus“. Wind und Weite sind Kinder der Freiheit, die bedingungslos fühlbar zur Verfügung steht. Gras und Ufer sind ein gedeihliches Geschenk des Schöpfers, in dem er sein immer wohlwollendes Interesse an seinen Geschöpfen zum Ausdruck bringt. Der Wortstamm von Gnade ist das lateinische Wort „gratis“ und wir wissen, was das heißt. In dieser Gratis-Freiheit, in dieser Gratis-Liebe, in diesem Gratis-Gott sind keine Huld und keine Gnade vor Recht nötig. Er befreit die Menschen (Wind) durch seine Beziehung zu seiner Schöpfung (Gras und Ufer). Dies zu erkennen und zu glauben ist das größte Geschenk! Diese Transformation des Gottesbilds bei dem in sich und in seiner Schuld verkrümmten Christen, wäre dann schon fast Mystik. Auch sie gehört auf meinen bunten Teller am Buffet. Aber wenn bei einer Traumatisierung kein Erbarmen Gottes, keine Liebe und keine Freiheit bleibt, wenn man sich nur noch als Ungläubiger selbstverantwortlich ernst nehmen kann und das Leid ohne Netz und doppelten Boden auszuhalten hat, – was bleibt dann noch von dem Gold im Fels. Ich habe hier nicht mehr die Zeit, die Frage zu beantworten, aber ich werde es in einer anderen Predigt tun – versprochen!
Gottes Erbarmen kann auch zu unserem Erbarmen werden z. B. mit der von uns hochmütig zerstörten Natur oder unseren Feinden. Das ist der Anspruch, der aus dem Zuspruch erwächst. Der Göttin Respekt gegenüber der menschlichen Freiheit, kann uns helfen, ebenfalls die souveräne Freiheit anderer zu respektieren. Gottes großzügiges Erbarmen kann ihr Erbe, also auch unser Erbarmen sein. Das wäre dann die existenzielle Ebene des funktionalen Besteckkastens – Diakonie und Caritas, ohne dessen Gabeln und Messer wir und andere von dem herrlichen Buffets nicht viel hätten!
Nun schaue ich auf meinen Teller und sehe, dass ganz unterschiedliche Köstlichkeiten harmonisch vereint auf dem Teller liegen. Es scheint doch noch einen weiteren Weg zu Gott, zu geben nämlich eine ökumenisch inklusive und unierte Art des Glaubens, – mein kleiner Teller-Buffet…
Wie dem auch sei, geliebte Geschwister:
Der Tisch ist reich gedeckt! Darum bete ich zu dir, Logos, zur Zeit der Gnade. Erhöre mich, Göttin – und hilf mir in deiner Treue! Erhöre mich in deiner Güte, wende dich mir zu in deinem großen Erbarmen! Verbirg nicht dein Gesicht vor mir, denn mir ist angst. Erhöre mich bald!“ –
Sei uns das Gold im grauen Fels!
AMEN
Mit freundlichen Grüßen! Manfred Koschnick
Manfred Koschnick <rumi666@web.de>