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Un-verschämt SEIN statt verschämt glauben

Predigt MCC Köln, 10. Mai 2015
Daniel Großer

Johannes 16,26b-33: „Trauer und Hoffnung bei Jesu Abschied“

Gespräche über den Tod sind nie leicht, und auf Gesprächen über den eigenen Tod liegt eine besondere Schwere. Das sind Worte, die beschwerlich und nur sehr selten über die Lippen gehen, die abgewogen und überlegt sind. Wenn jemand mit dir über seinen Tod spricht, dann wirst du diese Worte verinnerlichen und wahrscheinlich ein Leben lang nicht vergessen.

Wenn Eltern mit Kindern einen Wochenendausflug unternehmen, bereiten sie ihre Kinder gründlich vor: Essen und Trinken steht hier und dort; wenn XY anruft, dann sag ihm dies und das; ihr erreicht uns unter dieser Nummer; wenn es brennt oder Wasser aus der Wand sprudelt, ruft die Feuerwehr.
Wer für ein paar Wochen seinen Arbeitsplatz räumt, bereitet seine Kolleginnen und Kollegen vor, dieser oder jener Fall ist noch nicht bearbeitet, der Bericht ans Management liegt schon irgendwo bereit, Vertretung übernimmt Herr Krause.
Manche Menschen bereiten ihre Nachfahren auf die Zeit nach ihrem Tod vor: Wie soll welches zu vererbende Kapital für welchen Zweck verwendet werden, welche Wünsche sollen Post-Mortem noch erfüllt werden, was sollen die Söhne und Töchter als Gruß aus der Ewigkeit hören?

Unsere Bibelstelle für den heutigen Sonntag spielt in einer solchen Abschiedssituation. Jesus, der Lehrer und Meister, bereitet seine Jünger vor. Was wir heute wissen, und sie damals schon geahnt haben: Er wird bald sterben, und zwar keineswegs freiwillig.

Jesus nutzt das aufmerksame Zuhören seiner Jünger, um sie vorzubereiten. Man könnte vermuten, dass Jesus nun eine Art Testament oder letzten Wunsch äußern würde, doch das tut er nicht. Ebensowenig trägt er seinen Jüngern hier eine besondere Mission auf oder gibt ihnen Handlungsanweisungen mit. Er redet ihnen auch nicht ein, dass sie nun in einer Art Geheimbund wären und jetzt aus dem Untergrundarbeit agieren sollten. Er ruft sie noch nicht einmal dazu auf, “gut” zu sein – das ist offenbar nicht das wichtigste Ziel für ihn in dieser Situation.

Jesus bereitet seine Jünger auf sein Gehen vor, indem er ihnen im zwei Dinge mitgibt:

  • Eine Prophezeiung oder Vorhersage, und
  • Eine Ermutigung

Die Prophezeiung ist: Ihr werdet in meinem Namen bitten zu Gott, ihr werdet empfangen, und eure Freude wird vollkommen sein.
Die Ermutigung ist: Ihr werdet zerstreut sein und viel Schweres erleben, aber seid getrost – ich habe die Welt überwunden. (Im griechischen Text meint “überwunden” nicht etwa “ausgehalten” oder “ertragen”, sondern eher “besiegt”. Wenn schwere Zeiten kommen, dann sollen Jesu Jünger Mut fassen, denn Jesus hat diese Welt besiegt.)

An dieser Stelle regt sich in mir eine rebellische Stimme. Es stört mich, was Jesus sagt! Zwar stimmt es ja, wir bitten im Namen Jesu zu Gott, in unserer Gemeinde und in anderen Gemeinden weltweit. Manchmal empfangen wir auch das, worum wir beten.

Aber wie selten ist unsere Freude darüber vollkommen? Wieviele Finger brauchen wir, um die Momente abzuzählen, an denen unsere Freude über Gott uns geradezu vollkommen erschien? Wie oft machen uns Freundschaften, Erlebnisse, Genüsse oder Begegnungen so viel mehr Freude, als die Freigiebigkeit Gottes? Ist die Vorhersage Jesu denn überhaupt schon eingetroffen?

Ebenso stört mich seine Ermutigung. Ja, unsere Brüder und Schwestern weltweit erleben schwere Zeiten, und auch so manche von uns weiß, was Jesus mit schweren Zeiten meint. Aber was tröstet es mich dann, dass Jesus diese Welt besiegt hat? Was ist das für ein Trost in einer Welt, die nun wirklich nicht den Anschein macht, als stünde Jesus als strahlender Sieger über ihr? Was tröstet mich eine besiegte Welt, wo wir doch darum bitten, dass sie verwandelt und gestaltet wird von Gott, anstatt überwunden zu werden? Meine rebellische innere Stimme findet keinen Frieden in diesem Jesus, und keinen Frieden in diesen seinen Worten.

Erschrocken stelle ich fest: Meine rebellische Stimme ist die Stimme der Scham.
Ja, ich schäme mich, wie schmal und flach mein Beten so oft ist.
Ja, ich schäme mich, dass mein Beten so oft in meinem Namen geschieht, und nicht im Namen Jesu.
Ja, ich schäme mich nicht selten für meinen Gott, die nicht einzugreifen scheint.
Ja, ich schäme mich für die Bibel mit ihren offenkundigen und unbekannten Ungereimtheiten und nachträglichen Erfindungen.
Ja, ich schäme mich dafür, dass meine Freude an Gott eben oft nicht nicht vollkommen ist, weil ich meine Freude an anderen Stellen suche.
Ja, ich schäme mich für meinen Glauben als einen Glauben, der nichts erwartet von Gott, der keine großen Hoffnungen hat.
Ich schäme mich, wenn die Wissenschaft belegt, dass gläubige Menschen im Durchschnitt unmoralischer sind als ungläubige Menschen.
Ich schäme mich für meinen Glauben, dessen letzte Existenzberechtigung noch die Suche nach einem Sinn ist.
Ich schäme mich für meinen Glauben, der an den falschen Fronten gekämpft hat und von den Naturwissenschaften in den Bereich der Mystik verdrängt worden ist.
Ja, ich schäme mich für meinen Glauben, der mit dieser Welt scheinbar gar nichts mehr zu tun hat, der kaum als Richtschnur für Moral herhalten kann, der so kraftlos ist.

Auch die Jünger schämten sich ihres Glaubens, und zwar vor, während und nach Jesu Tod. Doch sie opferten Jesus nicht auf dem Altar der Scham, sondern saßen bei ihm in seinen letzten Stunden, um auf das zu hören, was er sagt. Ich bin überzeugt davon, dass in diesen Worten Jesu auch Trost für seine verschämten Nachfolgerinnen und Nachfolger ist, wenn wir wie die Jünger ganz genau hinhören, was Jesus sagt.

Für mich liegt dieser Trost in dem, was Jesus nicht verspricht, und in dem, was Jesus nicht von seinen JüngerInnen fordert:

  • Jesus verspricht nicht, dass diese Welt ein besserer Ort werden wird.
  • Jesus fordert nicht, dass wir bessere Menschen sind.
  • Jesus verspricht nicht, dass der Weg in seine Nachfolge ein Weg ist, der uns zu besseren Menschen macht. Er verspricht nicht, dass wir bessere Menschen sein werden. (Lassen wir uns das auf der Zunge zergehen – das Christentum hat die Moral nicht gepachtet!)
  • Jesus fordert nicht, wie wir beten sollen.
  • Jesus verspricht nicht, dass Gebet glücklich macht – Empfangen aus Gottes Hand ist die Quelle der Freude, nicht unser Beten.
  • Jesus fordert nicht, dass wir die Welt überwinden oder verbessern müssen.
  • Jesus verspricht nicht, dass wir immer in Gemeinschaft stehen mit anderen.
  • Jesus fordert nicht, dass wir immer in Gemeinschaft stehen mit anderen.
  • Jesus verspricht nicht, dass unser Glaube immer wachsen wird und mutig ist.
  • Jesus fordert nicht, dass wir von Mut erfüllt sind.
  • Jesus fordert keine Handlungsweisen in diesen Versen.

Opfern wir Jesus nicht auf dem Altar unserer Scham, indem wir von ihm etwas einfordern, was er überhaupt nicht versprochen hat.
Opfern wir uns nicht auf dem Altar unserer Scham, indem wir von uns etwas erwarten, was er überhaupt nicht gefordert hat.

Nehmen wir uns Zeit auf seine Worte zu hören, und zwar mit spitzen Ohren und ganz genau. Nehmen wir uns Zeit zu entdecken, was er uns verspricht und was er sich wünscht.
Nehmen wir uns Zeit zu entlarven, was er uns nicht verspricht und was er uns nicht abverlangt.
Nehmen wir uns Zeit, damit wir in ihm Frieden haben und endlich unverschämt sind.

AMEN.

[Zeit der Stille, Predigttext wird projiziert]

[Gebet nach Jörg Zink:]

Lektor: Ich lasse mich dir Herr, und bitte Dich:

A: Mach ein Ende aller Unrast!
Meinen Willen lasse ich Dir.

B: Ich glaube nicht mehr, dass ich selbst verantworten kann, was ich tue und was durch mich geschieht.

A: Führe Du mich und zeige mir Deinen Willen.
Meine Gedanken lasse ich Dir.

B: Ich glaube nicht mehr, dass ich so klug bin, mich selbst zu verstehen, dieses ganze Leben oder die Menschen.

A: Lehre mich Deine Gedanken denken.
Meine Pläne lasse ich Dir.

B: Ich glaube nicht mehr, dass mein Leben seinen Sinn findet in dem, was ich erreiche von meinen Plänen.

A: Ich vertraue mich Deinem Plan an.
Meine Sorgen um andere Menschen lasse ich Dir.

B: Ich glaube nicht mehr, dass ich mit meinen Sorgen irgendetwas bessere.

A: Das liegt allein bei Dir. Wozu soll ich mich sorgen?
Die Angst vor der Übermacht der anderen lasse ich Dir.

B: Du warst wehrlos zwischen den Mächtigen. Die Mächtigen sind untergegangen, sind gestorben –

A: Du lebst.
Meine Furcht vor meinem eigenen Versagen lasse ich Dir,

B: Ich brauche kein erfolgreicher Mensch zu sein, wenn ich ein gesegneter Mensch sein soll nach deinem Willen.

A: Alle ungelösten Fragen, alle Mühe mit mir selbst, alle verkrampften Hoffnungen lasse ich Dir.

B: Ich gebe es auf, gegen verschlossene Türen zu rennen, und warte auf Dich,

A: Du wirst sie mir öffnen.

Lektor: Ich lasse mich Dir.

A: Ich gehöre Dir, Herr.

B: Du hast mich in Deiner guten Hand.

Lektor: Ich danke Dir.

 

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