Zum Inhalt springen
Home | Was denken die anderen von mir?

Was denken die anderen von mir?

Predigt MCC Köln, 24. August 2014
Ines-Paul Baumann

Mk 8,27-33 „Das Messiasbekenntnis des Petrus“

Muss ich nicht mein Ding durchziehen, egal, was andere von mir halten? Mache ich mich nicht abhängig von der Meinung anderer, wenn ich mich frage, für wen sie mich halten? Ist das nicht ein Zeichen von Schwäche und Unsicherheit?

Wenn Jesus mir heute diese Bibelstelle zeigen und nicht nur fragen würde, was die anderen darüber denken und schreiben und gepredigt haben, sondern auch fragen würde: „Und, du persönlich, was denkst du?“, dann wäre das meine erste Frage.

1) Die eigene Rolle finden

Müsste es reifen spirituellen Leitern (und anderen „Persönlichkeiten“) nicht egal sein, was andere von ihnen halten? Macht nicht erst diese Unabhängigkeit sie so stark, unabhängig und sicher?

War Jesus also schwach, abhängig und unsicher? Nun, im Gegensatz zu mir ist er zumindest sicher genug, auch die Fragen zu stellen, die mir peinlich wären (ich frage mich ja sehr wohl oft, was andere gerade von mir halten…). Vielleicht muss das gar kein Widerspruch sein.

Also war Jesus ahnungslos? So wie die römisch-katholische Kirche, die per Umfrage erfahren wollte, was ihre Mitglieder von ihrer Lehre halten und einhalten? War Jesus auch so weit weg vom Volk, dass er diese Frage seinen Jüngern stellen musste? In den Evangelien war er eher verschrien dafür, zu nah „am einfachen Volk“ zu sein (allein so ein abwertend-distanzierendes Denken war ihm fern).

Wenn Jesus mich persönlich fragen würde, würde mich diese Szene erinnern an die Zeit, in der ich mich sehr viel mit Rollenvorbildern beschäftigt habe.

Als ich selber nicht wusste, ob ich „Mann“ oder (!) „Frau“ bin, da habe ich mich sehr oft gefragt, für wen ich gehalten werde. „Für wen halten die mich?“ war dann eine Frage, die meine Existenz ganz direkt betraf. Und auch für mich gab es damals einen wichtigen Unterschied zwischen „der Masse da draußen“ und einem inneren, vertrauten Kreis. Und sobald ich meinem kleinen, vertrauten Kreis (an)erkannt wurde als der Mensch, der ich „wirklich“ bin, änderte sich mein Leben.

Wenn Menschen erst mal erkannt haben und anerkannt werden als das, was sie sind, brechen ungeahnte Kräfte in ihnen hervor. Sie gehen ihren Weg konsequenter als je zuvor – mit allen Folgen, die das haben kann. Wenn sie erst mal ihr Outing hinter sich haben, wenn sie sich selber ausprobieren konnten, können sie vielem ins Gesicht sehen, was ihnen vorher Angst gemacht hat. Sie sind angreifbarer, aber auch ’stärker‘ als je zuvor.

Die Stelle, an der das Markus-Evangelium diese Szene einfügt, ist genau so ein Wendepunkt. Ab hier geht es „aufwärts abwärts“ bis zum Tod Jesu. Die heimlichen Pläne zu seiner Vernichtung enden in seiner öffentlichen Hinrichtung. Aber all dies kann Jesus nicht mehr stoppen: Er geht seinen Weg.

Der Wendepunkt besteht darin, dass Jesus aus den Erwartungen ausbricht und im kleinen Kreis seinen eigenen Weg offenbart.

Sowohl die Erwartungen „der Leute da draußen“ als auch die vom inneren Kreis werden nun durchbrochen von dem, wie Jesus seine eigene Rolle versteht.

Was uns heute vielleicht entgeht, ist der Inhalt dieser Rollenerwartung. Damals gab es zumindest den Glauben an einen „Messias“. Eigentlich heißt das erst mal nur „Gesalbter“, aber zu der Zeit war das gleichbedeutend geworden mit einer Messiashoffnung – also der Hoffnung auf einen „Messias“, mit dem endlich alles gut wird, salopp gesagt.

In den heutigen Endzeitszenarien geht es um den Untergang der Welt, nicht um eine Zukunft der Welt. Eine von der Gesellschaft geteilte Hoffnung auf eine Rettergestalt gibt es nicht. Wir sind zufrieden, wenn wir über die Runden kommen und sich nichts ändert – unsere Ansprüche an eine „Rettergestalt“ enden hier meistens. Für Politiker/innen ist es aktuell das „Erfolgsrezept“ schlechthin.

Mit einer Mischung aus Terminator, Harry Potter und UNO-Präsident kommen wir der Messiashoffnung vielleicht ein Stück weit nahe: Das Böse wird besiegt, aber nicht mit Gewalt; es gibt Zeichen und Wunder; und am Ende ist für Frieden und Gerechtigkeit für die ganze Welt gesorgt.

Die Messiashoffnung damals war ebenfalls machtpolitisch real gemeint. Es ging nicht darum, unsere individuellen Seelen zu retten, oder um irgendeine „Sühne“ unserer Schuld für einen persönlichen Platz im Himmelreich.

Jesus hat diese Erwartungen aufgegriffen, aber auch durchbrochen. Der Vorwurf an Petrus ist bezeichnend dafür:

Das „Satanische“ besteht im Rückfall in die Erwartungen und Regeln der anderen. Jesus setzt stattdessen nun seine eigenen Erwartungen und Regeln als Maßstab.

2) Problemen nicht ausweichen, sondern sie überwinden

Wenn Jesus mich persönlich fragen würde, was ich denke, dann würde ich mich als nächstes fragen:

Wenn die mir bei meiner Frage nach dem, was die Leute von mir halten, nur antworten mit eher positiven Reaktionen – sind die ehrlich zu mir?

Was ist mit den ganzen negativen und belanglosen Reaktionen auf Jesus? Warum werden die ausgelassen? Im Markus-Evangelium finden sich VOR dieser Situation ja nicht nur Lobhudeleien:

Mk 2,6: (Schriftgelehrte:) „Jesus lästert Gott“
Mk 3,6: (Pharisäer und Anhänger des Herodes) planen, ihn umzubringen
Mk 3,21: (die Seinen:) „Er ist von Sinnen“
Mk 3,22: (Schriftgelehrte:) „Er hat den Beelzebul“
Mk 6,3: (Vaterstadt:) Zimmermann, Marias Sohn („und sie ärgerten sich an ihm“)
Mk 2,16 / 2,18 / 2,24 / 7,5: (Pharisäer und Schriftgelehrte:) Jesus hat „unreine“ Jünger

Warum werden diese problematischen Aspekte nicht zur Sprache gebracht? Sind die ehrlich zu mir? Sind die ehrlich zu sich selbst?

Schauen wir uns nur mal Petrus an, dessen Reaktionen hier ja am ehesten dargestellt werden. Zuerst ist er es, dessen Bekenntnis (im Zusammenhang des Markus-Evangeliums) den Punkt zu treffen scheint, und dann wird er so abgekanzelt.
Vom Star zum Looser. Vom Sieg zur Niederlage. Von der Erkenntnis zur Ent-Täuschung. Von der Anerkennung zur Ablehnung. Von besonderer Nähe zu besonderer Distanz (wobei, auch im Abweisen falscher Erwartungen ist Jesus dem Petrus nahe!). Von der Gewissheit zur Irritation.

Beides gehört dazu, damit Petrus seine eigene Aufgabe und seinen eigenen Weg finden kann. Beides gehört dazu, damit er lernt, die Gegenwart/Offenbarungen Gottes in Jesus und in seinem eigenen Leben wahrzunehmen. Beides gehört dazu, damit er seinen Bezug zu Gott findet.

Jesus entzieht sich den Erwartungen seines ersten großen Bekenners. Wenn meine eigene Erfahrung also zu einer Erwartung an Jesus wird, dann verliere ich offensichtlich den göttlichen Bezug in meiner Wahrnehmung von Jesus! (Die mit den „größten Erkenntnissen“ und „intenivsten Offenbarungs-Erlebnissen“ sind manchmal auch diejenigen, die mal am weitesten weg von dem liegen können, was Jesus sieht…)

Das „Satanische“ hier liegt darin, wenn nur Gewissheit und Klarheit und Erkenntnis unseren Weg zu/mit/in Gott erkennbar machen. Dies ist eben NICHT der Weg zu spiritueller Reife. Auch so manche Desillusion gehört dazu.

3) Eigene Erfahrung statt allgemeinem Dogma

Wenn Jesus mich persönlich fragen würde, was ich denke, dann würde ich mich als Drittes fragen:

Warum sollte die Antwort des Petrus verschwiegen werden? War die Antwort so peinlich?!
Wenn ich im kleinen Kreis eine Äußerung mitbekomme, die nach außen hin verschwiegen werden soll, dann ist das oft so. „Gott wie peinlich. Sag das bloß nicht in der Öffentlichkeit.“

Und wenn die Antwort von Petrus nicht peinlich falsch war, sondern wunderbar richtig: Warum soll dann niemand davon erfahren? Abgesehen von der Rollenerwartung geht es hier vielleicht genau darum, dass die Antwort des Petrus NICHT die neue Vorgabe FÜR ALLE sein soll.

Das Markus-Evangelium zeigt deutlich: Auch Jesus selbst ist nicht rumgelaufen und hat verkündet, dass er der Messias sei. Es war gänzlich nicht Inhalt der Verkündigung Jesu,
– wer Jesus ist,
– wie sie Jesus nennen sollen,
– was sie in Jesus sehen sollen.

Jesus hat vom Reich Gottes geredet, er hat verkündet, dass es nahe herbei gekommen ist – aber Jesus hat nie gesagt: „Ich bin der Messias. Und wenn ihr das mit den richtigen Worten bekennt, kommt ihr in den Himmel.“

Das war nicht Jesu Botschaft! Also sollte es auch nicht die Botschaft von Petrus sein. Petrus mag hier SEIN Bekenntnis gegenüber Jesus äußern – aber es soll keine Vorlage für das Bekenntnis aller sein. Zumindest nicht, was den Titel, also den Begriff betrifft.

Wenn wir die Antwort des Petrus nochmal inhaltlich betrachten, ist der Titel auch gar nicht das Wesentliche. Petrus sagt eigentlich: „Du bist der, auf den wir gewartet haben.“

„Du bist der Messias“, das heißt mit anderen Worten: Du bist der,
– der unsere Heilsvorstellungen umsetzt und vollkommen erfüllt
– der Gottes Gegenwart in unserer Welt verkörpert
– der die Brücke schlägt zwischen der Welt, wie sie ist, und der Welt, die wir uns wünschen,
– der unser Menschsein vollkommen macht.

Es heißt NICHT:
„Du bist derjenige, der uns von der Erbsünde rettet und uns einen Platz im Himmel sichert.“

Es geht um eine himmlische Gemeinschaft auf Erden. Das schließt nicht mit ein, dass ich sagen und denken muss, was alle anderen sagen und denken. Jesus fordert die Jünger auf, sich ihre eigenen Gedanke zu machen und zu sagen, was sie selber denken. Petrus sagt etwas anderes als „die Leute“. Er kommt selber zu dieser Entscheidung. Er denkt selbst nach, und er geht dazu von seinen eigenen Erfahrungen mit Jesus aus.

Das Matthäus-Evangelium macht aus dieser Stelle den Moment, an dem Petrus von Jesus zu dem Fels ernannt wird, auf dem die Kirche erbaut werden soll. Wenn das bedeutet, dass Kirche auf unabhängigem und freiem Denken gegründet sein soll, dann gerne!

„Christentum“ ist nicht eine Sache von „richtigen“ Titeln, Ansprüchen und Erwartungen. Sondern von eigenen Erfahrungen mit Jesus. Mit der Vergegenwärtigung Gottes in unserem Menschsein. Dagegen kommen alle Mächte dieser Welt nicht an, auch wenn sie noch so Leben bedrohend, Freude stehlend, Hoffnungen raubend und unterdrückerisch daherkommen.

Das „Satanische“, das Jesus zurück weist, besteht in den von alten Titeln und Mächten geprägten Erwartungen, die mehr zählen sollen als die Art und Weise, wie Jesus diese Erwartungen umdeutet und mir persönlich gegenüber erfüllt. Ich muss nicht erst die richtigen „Vokabeln lernen“ und die richtigen Bekenntnisse auswendig lernen und die richtigen Dogmen glauben. Es geht um meine persönlichen Erfahrungen mit Jesus.

Und da können unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Lebenserfahrungen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, auf welchen Jesus sie gerade gewartet haben. In der Vielfalt der MCC ist Jesus damit genau so gegenwärtig wie in unseren guten UND schlechten Erfahrungen und unserer immer wieder neuen Suche nach neuen Rollen und Erwartungen.

 

 

Skip to content