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„Ey, ich bin Moslem, cool, dass du Christ bist.“ Begegnungen auch unter Fremden und Liebhaber(inne)n.

Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

Matthäus 18,20

Neben unserer Wohnung war eine Baustelle. Bisher war in dem Eckhaus ein Kiosk gewesen, nun wurde innen alles herausgerissen und umgebaut. Eines Nachmittags kam ich auf dem Nachauseweg an der Baustelle vorbei und zwei der Bauarbeiter machten Pause im Vorgarten. Sie waren jung und verstanden unter „Männlichkeit“ etwas, das mich einschüchterte.
Sie waren laut und fordernd. Ihre Hautfarbe war etwas dunkler als die der typischen Deutschen in diesem Stadtteil, ihre Haare waren pechschwarz – sie sahen nicht so aus, als hätten sie am Gymnasium hier um die Ecke in den Bänken gesessen. Ihre Körperhaltung und ihre Gesten erinnerten eher an jene Klischees von Jugendlichen, denen etwas zu schnell die Hutschnur platzt und die dann etwas zu schnell mit etwas zu viel Gewalt reagierten. Ich wäre ihnen lieber aus dem Weg gegangen. Aber schon hatten sie mich erblickt. Über die Gartenhecke riefen sie mir zu: „Ey, willst du uns nicht ein bisschen helfen?“ Haha, sehr witzig. Ich hatte es ja geahnt: die waren nur auf Unsinn oder gar Ärger gepolt. Zu meinem Erstaunen antwortete ich: „Ja, warum nicht, was steht denn an?“, und blieb stehen. Ihre Augen waren offen und freundlich. Einer von ihnen streckte die Hand nach vorne und bot mir eine Dose Bier an. Ich betrat den Vorgarten. Sie erzählten ein bisschen von den Bauarbeiten und von ihrem Tag und vom Wetter, was man halt so redet, und plötzlich fragte mich der eine: „Ey sag mal bist du gläubig?“ Ich stutzte. Wieso fragt der das, fragte ich mich. Wenn ich jetzt die falsche Antwort gebe, was passiert dann?
Aber was wäre jetzt eine richtige Antwort?
Nach einer Schrecksekunde beschloss ich, die Wahrheit zu sagen. „Ja, ich bin gläubig“, sagte ich vorsichtig. Mein Gegenüber war sichtlich erfreut. Glück gehabt, dachte ich.
„Ey, dann bist du wohl Christ, oder?“, kam schon die nächste Frage. Oh weia, ich war aus der Nummer noch nicht raus. „Jaaa, ich bin Christ“, antwortete ich zögernd. Mein Gegenüber fiel mir beinahe in die Arme. „Ey, ich bin Moslem, cool, dass du Christ bist. Weißt du, Leute, die keinen Glauben haben, die machen mir irgendwie Angst.“

„Leute, die keinen Glauben haben, die machen mir irgendwie Angst.“
Bisher kannte ich diesen Satz nur umgekehrt. „Leute, DIE gläubig sind, machen mir Angst.“ Wie viele Attentäter und Gewalttäter haben behauptet, im Namen Gottes gehandelt zu haben. Unabhängig von der Religion haben Menschen ihren Glauben so verstanden, dass er ihnen das Recht gibt, über andere zu urteilen und für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen, egal mit welchen Mitteln. Aus Menschen mit einer Überzeugung wurden Fanatiker. Aus der Unterscheidung von gut und böse wurden andere Menschen zu den Guten und den Bösen. Die Türme in New York standen für eine Welt des Konsums, der Gier, der Zügellosigkeit und der Einmischung – die Menschen, die darin arbeiteten, galten nicht mehr als Menschen, als Geschöpfe Gottes, sondern als Angriffsziele im Kampf gegen das Böse. Es folgten zehn Jahre, in den nun der Westen sich aufmachte, die „Achse des Bösen“ zu bekämpfen. Nun wurden aus Menschen, die dem Islam anghörten, Terrorverdächtige, potentielle Schläfer, Gegner.
Aber seit einem Jahr setzen sich Menschen in der arabischen Welt plötzlich gegen Unterdrückung und Gewalt ein. Der Attentäter in Norwegen hingegen hat sich bei seinem Niederschießen von Kindern und Jugendlichen auf einen christlichen Gott berufen. Müssen so manche im Westen nun umdenken? Die Anhänger der „falschen“ Religion tun etwas Richtiges; die Anhänger der „richtigen“ Religion tun etwas Falsches – was bedeutet das? Was passiert nun mit der vermeintlichen Regel „Wo Religion ist, ist Gewalt, herrscht Unterdrückung, Enge, Gesetzlichkeit, Gehorsam“. Finden Religionen nun vielleicht zu einem neuen Umgang miteinander? Bleiben Menschen in Zukunft vor diesen Erfahrungen bewahrt, die ihnen Angst vor Gläubigen einjagen?

„Ey, ich bin Moslem, cool, dass du Christ bist. Weißt du, Leute, die keinen Glauben haben, die machen mir irgendwie Angst.“
Der Bauarbeiter, dem ich am liebsten aus dem Weg gegangen wäre, wird zu einem Bruder. In unserer Begegnung, in die ich so furchtsam hineingegangen war, macht sich plötzlich das Gefühl von Grundvertrauen breit. Ich verstehe sofort, was er meint. Wir haben vielleicht unterschiedliche Religionen, aber wir beide unterstellen uns einem Gott. Wir beide gehen davon aus, dass auch unser Handeln diesem Gott unterstellt sein soll. Und offenkundig gehen wir beide von einem Gott aus, der Frieden predigt und ein menschliches Miteinander. Plötzlich geht ein Licht des Friedens und der Brüderlichkeit über uns auf. Meine Angst weicht.
Wie oft habe ich diese Erfahrung schon gemacht: Menschen, die ich nicht kenne, Gruppen, in denen ich unsicher bin, wandeln sich zu Versammlungen, in denen ich einen Platz habe – einfach, weil sich diese Menschen versammeln im Namen Jesu, im Namen Gottes, im Lichtkegel des Lebens, das Jesus selbst in diese Welt gebracht hat. Dieses Licht scheint mitten in meine finsteren Erfahrungen, Ängste, Sorgen und Vorurteile. Ein Lichtkegel des Lebens breitet sich aus. In diesem Lichtkegel können wir uns als Menschen begegnen. All die Dinge, die mein Leben sonst eng machen und einschränken, werden in ihre Grenzen gewiesen: Hier ist Gott unser Herr, hier hat Gott einen Anspruch auf uns.
Alles, was sonst Ansprüche an mich erhebt,
alles, was mir sonst Angst einjagt,
alles, was mich sonst bedrängt, muss draußen bleiben.
Hier muss ich nicht das größte Auto haben und das kleinste Handy, hier muss ich nicht die richtigen Klamotten tragen, hier muss ich nicht jung und erfolgreich sein, hier muss ich nicht beliebt sein, hier muss ich nicht die meisten Facebook-Freunde haben, hier muss ich nicht leistungsfähig sein, hier muss ich mich nicht auskennen – hier darf ich einfach da sein. Einfach nur weil ich ein Mensch bin. Und weil Gott Gott ist.

Selbst wenn es uns nicht immer gelingt, das so umzusetzen, wie Gott sich das vorstellt, ist uns zumindest allen klar, dass weiterhin Gültigkeit hat, was Gott sich stattdessen vorstellt. Was Gott mit uns stattdessen anders und besser machen kann. An unserem Scheitern scheitern wir nicht mehr. Wir stehen weiterhin im Lichtkegel Gottes, in dem wir uns versammeln können, im Lichtkegel des Lebens und des Segens und eines menschlichen Miteinanders. In diesem Lichtkegel finde ich Geborgenheit, Friede, Trost, Angenommensein. Ich bin versammelt mit Menschen, mit Verstorbenen und mit Engeln. Hier mündet mein Dasein nicht im Tod, hier finde ich Leben.

Auch Ansprüche derer, die mir in moralischen Dingen Angst machen wollten, müssen zurücktreten, wenn ich im Angesicht Gott Mensch bin – mit allem, was mich als Mensch ausmacht. Das Leben, das ich hier finde, ist weit größer als mir früher manchmal erzählt wurde von Leuten, die mit diesem Lichtkegel schon mehr Erfahrungen gemacht hatten als ich. Viele taten so, als dürfte nur manches von meinem Dasein in diesen Lichtkegel gelangen. Wenn zwei oder drei Menschen sich versammelten im Namen Gottes, dann durfte das überall stattfinden, nur nicht im Bett. So als würde Gott betreten und peinlich berührt zur Seite schauen, wenn zwei oder drei Menschen Sex miteinander haben.
Wenn zwei oder drei im Licht der Wahrheit und des Lebens und der gottgewollten Schöpfung und Vielfalt Sex haben (oder KEINEN Sex haben wollen), dann kann dies genau so im Lichtkegel der Gegenwart und Liebe Gottes geschehen wie alle anderen Versammlungen auch. Der Lichtkegel der Gegenwart und Lebensfülle Gottes gilt meinem gesamten Dasein. Wenn Gott Gott ist, wird auch und gerade im Bereich der Sexualität mich niemand und nichts beherrschen dürfen, was nur den Interessen anderer oder ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Wenn Jesus mitten unter uns ist, brauche ich nicht nur halb da zu sein. Wo ich mich zu Jesus versammle, versammeln sich auch alle meine Anteile. Ich muss meine Spiritualität nicht mehr abgrenzen davon, ob oder wie ich Sexualität lebe.

Im Lichtkegel der Gegenwart Gottes sammelt und versammelt sich Leben.
Im Horizont der Liebe und Vollkommenheit und Ewigkeit und Heiligkeit Gottes machen sich Menschen daran, ihr Leben neu auszurichten.
Im Namen Jesu schaffen wir Räume zur Begegnung mit Gott, mit uns selbst und mit einander.


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