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Keiner von ihnen

Predigt MCC Köln, 5. Feb. 2017
Daniel Großer

2. Mose 3,1-14 „Der brennende Dornbusch“

Im evangelischen Kirchenjahr nennt sich dieser Sonntag der letzte nach Epiphanias. Epiphanias übersetzt sich in “Leuchtendes, glanzvolles Erscheinen”.
Die Poesie der Bibel liegt nun nicht selten darin, dass sich geistlich wertvolle Symbole und Ereignisse wiederholen. So auch Epiphanias. Gefeiert wird damit heutzutage zwar das Erscheinen Jesu Christi in der Öffentlichkeit; Momente des göttlichen Erscheinens gibt es aber natürlich in der gesamten Bibel. Besonders einprägsam die folgende Geschichte aus dem Alten Testament, die ein jedes christlich sozialisiertes Kind in seiner Kinderbibel problemlos findet:

[Lesung]

Mose, die wichtigste Figur im Gründungsmythos der Israeliten und des Judentums hütet Schafe – und zwar nicht seine eigenen. Wenn wir dem 2. Buch Mose Glauben schenken dürfen, so ist Mose zwar das leibliche Kind zweier Hebräer, wurde aber von einer ägyptischen Prinzessin adoptiert – und zwar aus aufrichtigem Mitgefühl. Die zarte Seite einer Ägypterin ermöglicht das spätere Aufblühen Israels – schade, dass die Autoren des Alten Testaments das bei ihren folgenden Verteufelungen Ägyptens so schnell vergessen werden.

Als (Adoptiv-)Sohn einer ägyptischen Prinzessin ist Mose genau das: ein hoch-adliger Ägypter. Allerdings hat seine leibliche Mutter ihn als Säugling gestillt, sie ist seine Amme. Es ist heute weitestgehend unstrittig, welche psychologische Bedeutung das Stillen für die Mutter-Kind-Bindung hat, ein prägender Vorgang. Seine Mutter wird es auch gewesen sein, die ihn mit hebräischen Wiegenliedern in den Schlaf gewiegt hat, mit ihm gelacht und gespielt hat. Wenn Moses’ Vater zu dieser Zeit noch lebte, dann können wir übrigens auch davon ausgehen, dass Baby Mose nach seinen Fingern gegriffen und auf dem Bauch seines Papas gelegen hat. Moses Wurzeln sind hebräisch – und sie sind zugleich ägyptisch. Als Kleinkind wechselt er in den Haushalt der ägyptischen Prinzessin, die – wenn sie ihre Zärtlichkeit bewahrt hat – ihm eine verantwortungsvolle und fördernde Mutter war, die ihn in die ägyptische Kultur, die Bräuche und das Wissen ihrer Zeit einweihte. Beste Aussichten für ein sehr erfolgreiches Leben als hoher Hofbeamter oder Regent. Aus Mose wird von außen betrachtet ein echter Ägypter.

Wäre da nicht das Gefühl, weder Hebräer noch Ägypter zu sein, wären da nicht die beiden Herzen in seiner Brust und die immer wieder bohrende Frage: “Wer bin ich eigentlich wirklich? Wo gehöre ich hin?”

Seine Sympathie mit den Hebräern lässt ihn einen fatalen Fehler vergehen: Als ein Ägypter einen hebräischen Sklaven schlägt, ergreift Mose die Justiz und ermordet den Ägypter. Tags darauf wirft ihm ein Hebräer vor: “Was geht es dich an, was die Hebräer tun? Bist du etwa unser Richter?”
Und so muss Mose nicht nur die Rache des Pharao fürchten, der natürlich keine Beihilfe zum Aufstand dulden kann, er begreift auch, dass er für die Hebräer keiner von ihnen ist. Aus dem Mose mit geteiltem Herzen ist ein Mose ohne Heimat geworden, ein Mose, der sich nirgendwo mehr sehen lassen kann. Er flieht ins Ausland.

Mose flieht in die Fremde zu Menschen, die ihm so fremd sind, wie er sich selbst. Dort findet er einen Job als Landwirtschaftsgehilfe bei einem Priester eines fremden Gottes. Er ehelicht eine Frau namens Zippora. Ihr erstes gemeinsames Kind wird das Zeichen der tiefen Heimatlosigkeit seines Vaters sein: Mose nennt seinen Sohn Gershom, das heißt “Gast in der Fremde”.

Dieser entfremdete, heimatlose, entwurzelte Mose hütet nun in der Fremde das fremde Vieh eines Fremden. In diesem Moment entschließt Gott sich dazu, Mose zu erscheinen – Mose erlebt eine Epiphanie in Form des brennenden Dornbusches.

Jedes der Worte, die Gott nun aus dem brennenden Dornbusch an Mose richtet, ist ganz genau abgestimmt auf Mose. Das dritte Kapitel des zweiten Buches Mose lässt uns daran teilhaben als wären wir live dabei. Schalten wir ein und hören wir ein bisschen zu!

Alles beginnt damit, wie Gott Mose anspricht. Nicht etwa mit seinem ägyptischen Namen – denn einen solchen hat Mose sehr wahrscheinlich geführt und man hielt ihn in der Fremde für einen Ägypter – Gott ruft ihn stattdessen zweimal mit seinem hebräischen Namen.

Gott spricht: “Mose, Mose!”
Ja, richtig gehört, Mose. Gott weiß deinen Namen, mit dem dich deine liebenden Mütter und Väter vom ersten Tage an nannten. Gott weiß, wer du bist.

Gott spricht: “Zieh deine Schuhe aus – du stehst auf heiligem Boden!”
Ja, richtig gehört, Mose. Dieser Ort, der für dich die leere, rastlose Fremde ist, diesen Boden nennt Gott heilig. Gott muss dich nicht erst an ein Heiligtum oder an den Jordan oder ins gelobte Land rufen. Nein: Gott spricht die Fremde heilig! Übrigens wird der Berg Horeb später nicht Teil des gelobten Landes sein – es handelt sich hier also um die waschechte Fremde.
Mose, du musst nicht in Ägypten und nicht im Land der Hebräer sein, um auf Gottes Heiligkeit zu fußen.

Gott spricht: “Ich bin der Gott deiner Vorfahren – der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.”
Ja, richtig gehört, Mose. Gott kennt deine Wurzeln, er weiß mit welcher Identität du in deinem tiefsten Inneren ringst. Du darfst dich zu dieser Identität bekennen, und Gott tut es auch. Der Gott deiner Väter weiß, wer dein Vater, was deine Herkunft ist. Du bist kein Fremder.

Gott spricht: “Ich habe gesehen, wie mein Volk in Ägypten leidet. Ich habe ihr Schreien gehört. Du sollst mein Volk aus Ägypten führen!”
Ja, richtig gehört, Mose. Gott hat den gleichen Gerechtigkeitssinn, wie du. Gott nennt dich nicht einen Mörder, Gott nennt dich nicht einen Vaterlandsverräter. Dein Sehnen nach Frieden wird von Gott geteilt. Gott ist dir nicht fremd, und du bist Gott nicht fremd.

Gott spricht: “Ich werde mit dir sein. Wenn sie dich fragen, wer dich gesandt hat, dann antworte: Mich hat der Gott gesandt, der ist und war und wird, der Gott der sich zeigt.”
Ja, richtig gehört, Mose. Du brauchst den Hebräern nichts beweisen. Der einzige, der sich beweisen muss, ist Gott. Und sie wird nicht dich zu einem Hebräer, sondern die Hebräer zu ihren Kindern machen, wie auch du eines bist.

Gott spricht: “Das ist mein Name für alle Zeiten, alle kommenden Generation sollen mich so nennen.”
Ja, richtig gehört, Mose. Zu dir spricht jemand, der ganz genau weiß, woher er selbst kommt und wer er selbst sein wird. Gott ist sich ihrer selbst sicher, und diese Sicherheit ist so fest, dass sie auch dich noch tragen wird.

Ich glaube, wir sind Mose gar nicht so furchtbar unähnlich in den Fragen und Nöten, die Gott da anspricht:
Ja, manchmal wissen wir unseren wirklichen Namen nicht, oder unsere Identität.
Ja, manchmal leben wir ganz anders als der Mensch, der wir meinen zu sein.
Ja, manchmal meinen wir anders zu sein, fremd.
Ja, manchmal kommt uns Gott sehr fern vor, oder wir ihm.
Ja, manchmal fühlt sich auch Gemeinde an wie Fremde.
Ja, manchmal lassen uns Gottesdienste leer.
Ja, manchmal zweifeln wir an unseren Glaubenswegen und unserer Geschichte.
Ja, manchmal scheinen uns die Wurzeln unserer Kirche so verdorben, dass wir alles in Frage stellen und abschütteln wollen.
Ja, manchmal wäre es uns lieber, nicht das Kind unserer Vorfahren zu sein.
Ja, manchmal denken wir, dass Gott nicht für uns ist.
Ja, manchmal können wir nicht glauben, dass aus uns irgendetwas von Gott lebt.
Ja, manchmal wissen wir nicht, wie wir unseren Glauben rechtfertigen oder bezeugen können.
Ja, manchmal wissen wir nicht einmal, ob wir das tun sollen.
Ja, manchmal wirkt Gott auf uns wankelmütig und unbeständig.

Für Mose war es eine Stimme aus einem brennenden Dornbusch. Das war seine Epiphanie. Aber Gott, der immer war und ist und wird, die zu aller Zeit gleich bleibt und ewig ist, Gott erschien und erscheint, damals wie heute. Auch dir. Fragt sich: Was wird dein brennender Dornbusch sein?

AMEN.

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