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Ermöglicht dein Umfeld auch Veränderungen bei Glaubensfragen? Oder sind felsenfeste Überzeugungen grundsätzlich wichtiger als tiefe Wurzeln und Wachstumsprozesse?

Predigtimpuls, 12. Februar 2023
Ines-Paul Baumann

Mk 4,1-9 („Das Gleichnis vom Sämann“)

Vor dreißig Jahren stand ich im Frauenbuchladen in Köln, hielt ein Buch über feministische Theologie in der Hand, und war der felsenfesten Überzeugung, dass das alles kompletter Unsinn ist. Heute gehört Feministische Theologie zu meinen wertvollsten und liebgewonnensten Denk- und Diskussionsgrundlagen.

Umgekehrt gehört so manches, wovon ich vor 30 Jahren noch felsenfest überzeugt war, nicht mehr zu meinem heutigen Denken.

Dinge ändern sich. Manches wächst im Lauf der Zeit, anderes vergeht.

Auch die Einschätzungen dazu sind subjektiv und können sich ändern. Ist es im Gleichnis noch Satan, der die Pflänzchen ausreißt, ist es in der Auslegung im Evangelium Gott, der bei manchen Pflanzen verhindert, dass sie wachsen können (V. 12).

Homosexualität, Frauenrechte, interreligiöse Zusammenarbeit… – den einen dämonische Machwerke, den anderen Geschenke Gottes. Und so manchmal erst das eine, dann das andere; über die Jahre hinweg können sich Einschätzungen ändern.

Bei manchen meiner früheren Glaubensüberzeugungen bin ich ja mittlerweile froh, dass sie keine Wurzeln fassen konnten. Wie gut, dass nicht alles bei mir auf fruchtbaren Boden gefallen ist! Wie gut, dass es Felsen in meinem Denken gibt, auf denen nicht alles aufgeht!

Vom Gleichnis her scheint die Wirklichkeit G*ttes jedenfalls nicht ein Paket zu sein, das nur einmal übergeben und angenommen werden muss. Hier geht es vielmehr um Prozesse.

Und es geht um Stolperfallen beim Einordnen dieser Prozesse. Die Pflanze, die nicht viel Tiefe braucht, um aufzugehen, blüht vielleicht als erstes – und gilt als Erfolg, als Belohnung des Einsatzes. Diejenige, die in der Tiefe erst ihre Wurzeln ausbildet, bleibt vielleicht lange unsichtbar – und gilt als Misserfolg; der Einsatz war umsonst.
Erst später zeigt sich, dass es vielleicht genau umgekehrt war.

(Ab wann ist eine Person dann Christ*in? Oder bis wann?)

(Und wenn Felsen den Glaubenspflänzchen eher im Wege stehen beim Ausbilden tiefer und stabiler Glaubenswurzeln: Was sagt das über Fundamentalismus als Glaubensgrundlage…?)

Für die Frage, ob sich ein Einsatz lohnt, sind sichtbare Ergebnisse so gesehen vielleicht kein guter Maßstab. Vielleicht steht dieses Gleichnis im Markusevangelium genau deshalb am Anfang der weiteren Gleichnisse. Als sollten wir die Frage „wofür der ganze Einsatz?“ direkt umdenken in ein „WARUM der ganze Einsatz?“. Was ist der Maßstab, was „zählt“? Die Frage war ja schon damals: Hat sich das gelohnt, Jesus? Mit deinem Kreuzestod am Ende? Und dem römischen Krieg Jahrzehnte später? Wofür sollte es sich lohnen, auf deine Worte und Taten zu schauen, sich damit zu beschäftigen, sie zur Grundlage des eigenen Lebens zu machen? Vielleicht greift Markus diese Frage mit Absicht so früh auf und lenkt den Blick weg von Ergebnissen hin zur Motivation. Als würde er damit vorschlagen, dass das eine bessere Brille ist beim Lesen des restlichen Evangeliums – und vielleicht auch eine bessere Grundlage für Engagement in Gemeindekontexten?

Der Prüfstein wären dann nicht mehr sichtbare und zählbare Ergebnisse; die Frage wäre dann eher: Erlebe ich meinen Gemeindekontext als eine Umgebung, in der Veränderung möglich ist? Kann ich mich hier von Sachen verabschieden, und anderes kann wachsen? Habe ich Zeit für die Sachen, die in der Tiefe greifen, oder muss ich immer schnell was vorweisen, um anerkannt zu sein?

Und ist die Gemeinde bzw. die Kirche selbst eine, in der Veränderungen möglich sind? Was ist, wenn sich zeigt, dass manche Haltungen so vielleicht nicht mehr stimmen? Zementiert meine Gemeinde/Kirche dann nur fest, was „schon immer so war“ (wenn auch vielleicht mit einer Öffnung für ein paar mehr Geschlechter und sexuelle Orientierungen als früher)? Oder arbeitet die Kirche aktiv daran, z.B. Rassismus, Kolonialismus, Sexismus und andere Gewaltstrukturen anzugehen, damit diese eingehen … und etwas anderes aufgehen kann?

Ich möchte euch heute ein Glaubensbekenntnis anbieten, das leider noch nicht in unserer Liederbuchmappe zu finden ist. Ein Gemeindemitglied hat es mal verfasst. Genauer gesagt, ist es gar kein Glaubensbekenntnis; der Text ist entstanden und überschrieben als „STATT EINES GLAUBENSBEKENNTNISSES“:

Statt eines Glaubensbekenntnisses

Ich glaube, Gott will keine Fahneneide.
Ich glaube, dass Gott will, dass ich frei bin, auch um den Preis,
dass ich mich von ihm zu befreien versuche.
Ich glaube, dass Gott mich kennt, sogar besser als ich mich selbst.
Sie kennt meine Zweifel und will meine Zweifel.
Ich glaube, Gott will keine Sprachautomaten, die gelangweilt und desinteressiert
Glaubensbekenntnisse aufsagen, weil sie meinen, dazu verpflichtet zu sein.
Ich glaube, Gott möchte mich dazu verlocken, Verantwortung für mich und mein Leben zu übernehmen,
und im Rahmen meiner Möglichkeiten so zu handeln, wie ich vermute, dass er es von mir erwartet.
Ich glaube, dass der Versuch zählt, und sei er auch noch so jämmerlich, und nicht das Ergebnis.

Ich glaube, dass Jesus Christus mein Freund und Bruder sein möchte.
Ich glaube, Jesus Christus kam nicht in die Welt, um jährlich als Folteropfer verehrt zu werden.
Ich glaube Jesus Christus kam in die Welt, um uns zu befreien, uns die Liebe Gottes nahezubringen,
uns zu lehren, Verantwortung anzunehmen.
Ich glaube, dass Jesus Christus wiederkommen möchte und wiederkommt, jeden Tag, in mir und in allen Menschen, die sich ihm öffnen mögen.

Ich glaube, der Heilige Geist, die Ruach, ist kraftvoller als ich es ahne.
Sie will stärken und ermutigen.
Wo sie auf fruchtbaren Boden fällt, breitet sie sich mit guter Macht aus.
Ich glaube, die Ruach kann auch auf kargen Boden gedeihen. Nichts kann sie auf Dauer aufhalten.
Selbst auf meinem eigenen kargen Boden bringt sie die schönsten Blüten hervor.
Und auch wenn ich sie achtlos niedertrampele, so gedeihen sie doch stets aufs Neue.

Segen

G*tt stärke, was dich wachsen lässt.
Sie schütze, was dich lebendig macht.
Er schenke dir, was für dich heilsam ist.
Nin schaue darauf, was du freigibst.

(in Anlehnung an: Brigitte Enzner-Probst)

Hinweis

Inhaltlich gibt es zum Gleichnis selbst noch einen weiteren Predigtimpuls in unserem Predigtarchiv:

(Nicht-)Glauben: Mehr eine Frage der Umstände als der Entscheidung?
https://www.mcc-koeln.de/lebensumstaende/

 

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