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Aschermittwoch: Fasten wegen oder gegen Lookism und Nachmacherei?

Andacht zur Fastenzeit 2015: Aschermittwoch

LENTEN MEDITATION
for Ash Wednesday
(18 February 2015)
by Rev. Ines-Paul Baumann

Auch veröffentlicht als Artikel bei „Believe Out Loud“:
www.believeoutloud.com >

Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. (…) Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der auch das Verborgene sieht; und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.

Matthäus 6, 6.16-18 Einheitsübersetzung

Auf dem Zion stoßt in das Horn, ordnet ein heiliges Fasten an, ruft einen Gottesdienst aus! Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde! Versammelt die Alten, holt die Kinder zusammen, auch die Säuglinge! Der Bräutigam verlasse seine Kammer und die Braut ihr Gemach.

Joel 2,15+16 Einheitsübersetzung

Was habe ich nicht schon alles „im Verborgenen“ getan! Was habe ich nicht schon praktiziert in meiner Kammer, hinter verschlossenen Türen, um von niemandem gesehen zu werden. Das Vokabular im Text der Lesung lässt etwas in mir läuten, das keinen Gott verkündet hat, der Gefallen hat an dem, was ich da getan habe. Im Gegenteil, der „Vater, der auch das Verborgene sieht“, war eher bedrohlich, und die zu erwartende „Vergeltung“ ebenso.

In diesem Zusammenhang wird auch Aschermittwoch von manchen als Gelegenheit wahrgenommen, „tief genug zu bereuen, um der verdienten Strafe zu entgehen“. In den Tagen vorher haben Menschen im Kölner Karneval eine Menge Dinge in der Öffentlichkeit getan, die sie sonst eher im Privaten tun. Die meisten von ihnen dürften das meiste davon durchaus genossen haben – aber nun schlagen die ganzen verinnerlichen Ängste zurück, und mit dem Ende der Party kehrt die Vernunft zurück. „Was habe ich nur getan! Ist das nur ein Erkältung oder habe ich mich infiziert? Wäre ich doch bloß in meiner Kammer geblieben!“

Es gibt bessere Wege, „private Angelegenheiten“ in der Öffentlichkeit zu handhaben als mit Drogenkonsum und Schuldgefühlen. Ein verantwortlicher Umgang kann sich da entwickeln, wo wir aufhören, vor uns selbst das zu verstecken, was wir vor anderen und vor einem „strafenden“ Gott meinen verstecken zu müssen.

Coming Out ist für politische Bewegungen ein zentraler Punkt. Aber auch auf persönlicher Ebene gilt: In der Öffentlichkeit dauernd jemand anders zu sein als im Privaten, wird unser gesamtes Wohlbefinden in Mitleidenschaft ziehen. (Das passiert auch ganz ohne strafenden Gott.)
Manche Trans-Menschen mögen ein großen Teil ihrer Vergangenheit lieber „im Verborgenen“ belassen. Was die anderen daraus für Schlüsse ziehen könnten, ist einfach zu weit weg davon, wie wir „wirklich“ sind.

Die Aufforderung, das Haar zu salben und das Gesicht zu waschen, damit niemand merkt, dass wir fasten, erinnert mich an eine zweischneidige Diskussion über das Recht von LGBT-Menschen, für gleiche Rechte zu kämpfen. Ein oft vorgetragenes Argument lautet: „Hey, wir sind genau so normal wie alle anderen auch!“ Diejenigen, die aber immer noch so aussehen, als würden sie „unnormale“ Dinge praktizieren, bekommen dann von der LGBT-Szene etwas ähnliches zu hören wie von wohlmeinenden Kirchen und Gemeinden: „Macht, was ihr wollt, aber lasst uns damit in Ruhe!“
(Übrigens: NICHT „normal“ auszusehen nur um des Anders-Seins willen ist immer noch genau so abhängig vom „normalen“ Aussehen.)
Auch hier sei erwähnt: Trans-Menschen können nochmal ganz eigene Beweggründe dafür haben, „normal“ aussehen zu wollen.

Für Glaubende in LGBT-Zusammenhängen und politischen Bewegungen kommt noch ein Askept hinzu: Inmitten von Menschen, die oft schlechte Erfahrungen mit Kirche gemacht haben, mag es auch einfach angemessen (oder verführereisch?) erscheinen, nur „im Verborgenen“ zu beten.

Angesichts all dessen finde ich den Aufruf aus Joel, dass „das Volk sich versammeln“ und alle „aus ihren Kammern heraustreten“ sollen, sehr überzeugend!

Aber will Jesus wirklich, dass ich verberge, wer ich bin und was ich mache? Nein! Jesus unterstützt genau die Idee, dass ich mein Aussehen und Handeln nicht an meiner Angst ausrichte, was die anderen jetzt von mir denken könnten.

  • Möchte ich aussehen wie alle anderen – hauptsächlich aus Sorge, was sie von mir denken?
  • Möchte ich mich ihren Gewohnheiten anschließen – hauptsächlich aus Sorge, was sie von mir denken?

Mit Jesus können geistliche Rituale und Gewohnheiten eine Gelegenheit sein, mich (auch in religiösen Bezügen) von Lookism und Nachmacherei zu befreien – also von dem Druck, gleich aussehen und das gleiche tun zu müssen:

  1. Durch Beten und Fasten kann ich Abstand nehmen von Stimmen und Belohnungssystemen, die mich so oft eher binden als freisetzen.
  2. Wir können uns innerlich prüfen und fragen: Warum bete ich faste ich überhaupt? Wer muss davon mitbekommen, damit es sich lohnt?

Geistliche Praktiken sind nicht dazu da, ungesunde Erwartungen derjenigen zu bedienen, die in die Kirche gehen. Vielmehr können geistliche Praktiken dabei helfen, gesunde und liebevolle Bezeihungen mit Gott, mit uns selbst und mit anderen zu entwickeln. Damit einhergehend werden wir eine ähnliche Befreiung erleben in Bezug darauf, wie wir unsere (Nicht-)Sexualität und unser Dasein als Mann und/oder Frau gestalten.

Die Vielfalt innerhalb der MCC ist hierbei ein wahrer Segen. Wen sollte ich als „Standard“ ansehen, dessen Aussehen und Verhalten ich nachzumachen hätte? Was für eine wertvolle Ermutigung, selber wahrhaftig zu sein in meinem Aussehen und Handeln!

Es ist deine Entscheidung, ob du dieses Jahr fastest oder nicht. So oder so: Entscheide dich für eine lohnenswerte Erfahrung.

Metropolitan Community Churches (MCC) | PO Box 50488 | Sarasota | FL | 34232
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