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Würdest du anders leben, wenn du ein anderes Gottesbild hättest?

Predigt MCC Köln, 6. Juni 2021
Ines-Paul Baumann

Jona 1,1-4,12

Bisher hatte Jona ein klares Richtig-Falsch-Bild. Der Gott Jonas bezeichnet die Menschen in Ninive als böse, also will Jona ihnen keine Chance geben – das bekommt er mit seinem Gottesbild nicht zusammen. Wer böse ist, gehört gestraft. So hat es Jona gelernt; davon ist Jona überzeugt. Wo bleibt denn sonst Gottes Gerechtigkeit?

Dieses klare Bild gerät ins Wanken. Jona ahnt, dass sein Gottesbild zu einfach ist. Jona hat also ein Problem: Er hat ein Wunsch-Gottesbild, an dem er eigentlich festhalten möchte – aber ganz tief in seinem Inneren spürt er bereits, dass dieses Gottesbild im Umbruch ist.

Die Tiefe und der Umbruch sind denn auch die weiteren Motive in der Jona-Geschichte: Jona versinkt im Meer. Ninive vollzieht den Umbruch. Diesem Umbruch wird Jona von Ferne zusehen. Sein eigenes Inneres ist noch nicht so weit. So wenig, wie er es bis ins Zentrum Ninives schaffen wird, so wenig kann er in seinem aktuellen Zustand in sich selbst gehen.

Die Konsequenz ist ein äußerst labiler, selbstmitleidiger, dramatisierender Jona. Innerhalb kürzester Zeit verkündet er mehrmals, lieber tot sein zu wollen. Ihm ist klar, dass etwas zu Ende geht, dass er sich von etwas Grundlegendem verabschieden muss, dass sein altes Leben so nicht mehr fortzuführen ist. Eine neue Perspektive hat er jedoch noch nicht entwickeln können. Er weiß zwar: So wie bisher kann es nicht mehr weitergehen. Aber DAMIT es weitergehen kann, muss er weiter gehen – aus seiner Sicht ZU weit (im wahrsten Sinne des Wortes).

Damit bringt Jona auch Unruhe und Gefahr für seine Mitmenschen. Weil Jona sich nicht dem stellt, was für ihn dran ist, gerät die Lage auf dem Meer ins Ungleichgewicht und bringt ALLE auf dem Schiff in Gefahr. Jona spürt und weiß längst, dass er einen neuen Schritt tun muss. Dass für ihn etwas Neues dran ist. Eine neue Erfahrung in seinem Glaubensleben. Und eine neue Rolle, ein neues Bild, ein neuer Jona, den die Leute kennenlernen sollen. Einen Jona, der aufhört, sich seinen Teil nur zu denken – sondern einen Jona, der den Mund aufmacht. Der sagt, was Sache ist. Solange Jona schweigt, sich versteckt und sich drückt, kann die Welt nicht in Ordnung sein – weder da, wo er ist (das Schiff, auf dem er sich drücken will), noch da, wo er nicht ist (Ninive, wo seine Aufgabe auf ihn wartet).

Anders als Jona sind die Leute auf dem Schiff durchaus offen für neue Glaubenserfahrungen, für neue Gottesbilder. Aber anstatt seinen eigenen Glauben zu prüfen, neu durchzudenken und weiterzuentwickeln, geht Jona lieber über Bord.

Jonas Verweigerung, die Konsequenzen zu ziehen, zieht ihn nur noch runter. Es berührt und tröstet mich sehr, dass das zumindest kein Ort der Gottverlassenheit ist. Das Dunkel umfängt ihn, Jona wird gänzlich verschlungen, aber er wird nicht vernichtet.

Im Inneren des Fisches kann sich Jonas Inneres wieder ungestört von äußeren Einflüssen dem Gott widmen, den er verinnerlicht hat: den Gott, der keine Gnade mit Menschen wie aus Ninive kennt (Jona 2,9). Stabilisiert macht sich Jona im Anschluss auf nach Ninive.

Eins weiß Jona jetzt: Schweigen UND in Sicherheit leben – diese Option hat er nicht mehr. Anfangs dachte er noch, er begibt sich dann in Gefahr, wenn er den Mund aufmacht und sich zeigt. Aber jetzt weiß er: Er kann der Gefahr eben nicht entgehen, indem er schweigt und sich versteckt.

Jona handelt hier noch nicht aus Überzeugung. Er handelt hier eher gegen seine Überzeugung. Immer noch wehrt er sich gegen einen Glauben, in dem sich zu seinem Bedauern ein Gottesbild herausschält, das selbst den Menschen in Ninive nahe sein will, die sein Gott doch als böse bezeichnet.

Den befürchteten neuen Gottesbildern verweigert sich Jona noch. Trotzdem zieht es ihn weiter. Ausgerechnet zu den Menschen, die doch die Bösen sind. Die anders leben als er.

Was sieht Jona in Ninive? Warum wagt er sich nicht mehr als eine Tagesreise weit hinein? Warum bleibt er nach seinem ersten überstürzten Hinein- und wieder Rausstürmen davor sitzen und starrt die ganz Zeit darauf? Warum kann er den Blick einfach nicht abwenden von dem Leben dort?

(Mich erinnert das an viele Geschichten vom „ersten Besuch in der Szene“ – das LGBTIQ*-Jugendzentrum, die Lesbenkneipe, die Schwulenbar, die Uferlos-Party vom Bisexuellen-Netzwerk, der Transmann-Stammtisch. Oder der erste Besuch des 12-Schritte-Programms, des Workshops, der Selbsthilfegruppe. Stundenlang davorsitzen, mutig mal reinschauen, sich aber noch nicht ganz reinwagen, den Blick aber auch nicht abwenden können… Genau so klingt Jona mit Ninive.)

Muss Jona wirklich nur lernen, dass es Gott auch gut mit denen meinen kann, die immer als böse bezeichnet wurden? Warum ist Jona so sehr daran interessiert, wie es Ninive ergeht – was hat das mit ihm zu tun? Warum spürt Jona, dass Gott ihn ausgerechnet nach Ninive schickt? Was ist da in Ninive, was ist da in ihm? Sind sein Weg nach Ninive und sein Weg zu sich selbst vielleicht tiefer miteinander verbunden?

Vielleicht ringt Jona nicht nur mit seinem Gottesbild, sondern auch mit Anteilen in sich selber. Und am Umgang Gottes mit Ninive möchte er prüfen, wie Gott mit ihm selbst umgehen würde, wenn er sich diesen Anteilen nicht länger verschließt. Vielleicht sieht er im gläubigen Ninive die Kombination verwirklicht, die er selbst als Gläubiger in Ninive verkörpern würde: dass ein Leben im Glauben und ein Leben in Ninive zusammenfinden können. Und entgegen seiner verinnerlichten Erwartungen sieht er, dass es geht. Anders als in Jonas bisherigem Glauben verankert, greift Gott NICHT strafend ein. Der Wandel, mit dem Jona ringt, betrifft vielleicht nicht nur sein Gottesbild – sondern auch seinen Lebenswandel.

Fürbitten

Gott, auch heute spüren Menschen, dass ihr Gottesbild im Wandel ist. Vielleicht verstecken auch sie sich derzeit, schweigen lieber, scheuen Konsequenzen. Hilf uns als MCC, ihnen Raum zu geben, damit sie auch im Dunkel nicht mit einem Gottesbild konfrontiert sind, das sie vernichten will. Lass sie stattdessen spüren, dass du sie beschützt und ihnen Zeit gibst. Mögen sie auch inmitten alles dessen, was sie runterzieht, von dir hören: „Ich sehe dich. Du bist mir wichtig. Was du von mir denkst, ist mir wichtig. Ich bin mit dir auf dem Weg zu neuen Bildern und neuen Erfahrungen. Ich gehe mit dir, wenn du aus deinem Versteck rauskommst.“
Gott, wir bitten dich: So sei es.

Gott, möge die MCC ein Raum sein, wo Menschen schmollen können. Wo sie hadern können mit dir und ihren Mitmenschen und sich selbst. Wo sich ihre Dramen nicht zerstörerisch auswirken. Jona zeigt, wie hart das sein kann, wenn sich Glaubensbilder wandeln. Gott, sei bei denen, die heute mitten in so einem Wandel stecken. Sei bei ihnen, wenn sie Menschen und Lebensweisen begegnen, denen sie sich bisher nur fernhalten sollten und wollten. Die Bibel bezeugt, dass du, Gott, die Dramen solcher Umbruchszeiten kennst und anerkennst. Hilf auch uns als MCC, ein Raum sein, das anzuerkennen und das Ringen durch wertvolle Impulse zu unterstützen.
Gott, wir bitten dich: So sei es.

Gott, in all seinem Rumdrücken und Hadern und seiner Rechthaberei hatte Jona den Menschen in Ninive trotzdem etwas mitzuteilen. Sein Auftreten und seine Rede widersprachen vielem, was wir heute rhetorisch und mitmenschlich angemessen finden. Hilf auch uns als MCC, nicht nur denen zuzuhören, die souverän und zugewandt auftreten. Lass uns ein offenes Ohr auch für das haben, was du durch Menschen mitteilen kannst, die noch nicht mit sich und der Welt im Reinen sind. Hilf uns aber auch, ein offenenes Herz dafür haben, Grenzen zu setzen, wo Menschen von Stimmen geleitet sind, die nicht heilsam sind für sie selbst und andere.
Gott, wir bitten dich: So sei es.

Lesetipps

  • „Das Buch Jona“ von Maria Kassel in: „Kompendium Feministische Bibelauslegung“ (hrsg. von Luise Schottroff und Marie-Theres Wacker), Gütersloh 2007, S. 330-337
  • „Jonah“ von Michael Carden in: „The Queer Bible Commentary“ (ed.by Deryn Guest, Robert E. Goss, Mona West, Thomas Bohache), London 2006, S. 463-467
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