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Verlassen von/unter Christen

Predigt MCC Köln, 25. Mai 2014
Ines-Paul Baumann

Joh 14,15-21: „Der Heilige Geist – Jesu Stellvertreter“

Glaubende urteilen und verurteilen. Glaubende zerstreiten sich. Glaubende teilen ein in „die Richtigen“ und „die Falschen“. Sollten sie sich damit wirklich berufen können auf die Taten und Worte Jesu?

Worte sind nie nur „Worte“.
Worte machen etwas mit uns.
Wir machen etwas mit den Worten.

Predigttexte sind nie nur „Predigttexte“.
Predigttexte machen etwas mit uns.
Wir machen etwas mit den Predigttexten.

Der Text, den wir gleich hören werden, wurde aufgeschrieben einige Jahrzehnte nach der Kreuzigung Jesu. Im Glauben an die Auferstehung rechneten die Anhängerinnen und Anhänger Jesu auch mit einer baldigen Wiederkehr Jesu: Sie würden nur eine kurze Zeit ohne ihn verbringen müssen, dann würde er wieder erscheinen vor den Augen aller.
Alles würde gut werden, dachten sie.
Aber nichts wurde gut. Es wurde immer schlimmer.

  • Nicht nur, dass Jesus von den römischen Machthabern hingerichtet worden war.
  • Auch Paulus, der selber noch mit der Wiederkunft Jesu zu seinen Lebzeiten gerechnet hatte, war mittlerweile verstorben.
  • Nach dem Aufstand gegen das Römische Reich war der Tempel zerstört worden – das Zentrum des Glaubens, aus dem auch Jesus abstammte.
  • Die Auseinandersetzungen innerhalb des Judentums hatten sich zugespitzt seit Jesu Leben und Sterben.
  • Und die Wiederkunft Jesu ließ auf sich warten.

Jesus tot, Paulus tot, Tempel zerstört, Glaubensrichtungen zerstritten, keine Wiederkunft.

Und dann begannen auch noch die Verfolgungen. Menschen, die sich zu Jesus bekannten, wurden zur Belustigung des Volkes den Löwen zum Fraß geworfen.

In dieser Situation tauchen Fragen auf. „Wer ist Jesus für uns jetzt, so lange Zeit nach seinem Leben? Warum sind wir Glaubensgeschwister so zerstritten? Wie sollen wir leben in einer uns feindlich gesonnenen Welt? Lohnt es sich überhaupt, weiter zu machen? Warum läuft alles so schief? Hat Gott uns im Stich gelassen?“

In dieser Situation wird das Johannesevangelium aufgeschrieben. Und auf die Fragen der Glaubenden findet es diese Worte Jesu:

Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe und ihr sollt auch leben. An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist’s, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.
Joh 14,15-21

Das Johannesevangelium formuliert damit eine ganz klare Antwort auf die Fragen der zweifelnden Glaubenden: Ihr seid nicht allein.

Es gäbe viele andere, die solche Worte ebenfalls gut gebrauchen können.

  • Vor ein paar Tagen wurden die Leiterin von „Kirche von unten“ und ihr Mann von der Amtskirche exkommuniziert. „Kirche von unten“ ist ein ökumenisches Netzwerk von amtskirchen- und gesellschaftskritischen Gruppen. (Wikipedia) Das Ehepaar Heizer pflegte auch eine enge Zusammenarbeit zur Öffnung des Priesteramts für Frauen. „Grund für die Strafe: unauthorisierte private Eucharistiefeiern – und das, obwohl Kardinal Kasper vor den Kardinälen gerade überschwänglich die ‚Hauskirche‘ als Zukunft der Kirche angepriesen und empfohlen hat.“
  • Troy Perry wurde vor 40 Jahren als Pastor entlassen und aus seiner Kirche ausgeschlossen worden, weil er schwul ist. Seitdem hat sich viel getan und viel verbessert – aber immer noch sind in vielen christlichen Kreisen Menschen ein Problem, die homosexuell sind oder ihre geschlechtliche Identität anders gestalten möchten, als es ihnen zugewiesen wird. Trauriger Höhepunkt der letzten Wochen war der Bericht eines PANORAMA-Reporters aus fundamentalen christlichen Kreisen, der von Dämonenaustreibungen berichtete und von Ärzten, die ihre Umpolungs-Maßnahmen mit Krankenkassen abrechnen.
  • Psychische Krankheiten können aus zweifachem Grund dazu führen, sich alleine zu fühlen: Dass sie nicht zu den Glaubenden gehören, die immer gut drauf sind und gut funktionieren, macht sie in manchen Gemeinden schon zu Außenseitern („wenn sie richtig glauben würden, hätten sie schon längst Heilung erfahren!“…). Hinzu kommt, dass zum Beispiel bei Depressionen auch jegliche spirituellen Gefühle wie abgestorben sein können. Sie werden also nicht nur von ihrem Gemeindeumfeld allein gelassen, sondern fühlen sich auch von Gott verlassen.

Dass sich alle diese Beispiele im kirchlichen Bereich abspielen, ist kein Zufall. Viele Menschen erleben ausgerechnet Kirchen immer noch als Verkünder eines Gottes, dem sie nie genügen können. Was dann bei denen ankommt, die sich eh schon von Gott und Kirchen verlassen fühlen, kann aus unserem Predigttext solche Worte machen:

„Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten… Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist’s, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.“ Ich werde es nie schaffen, Gottes Gebote zu halten. Offensichtlich bin ich zu verhaftet mit dem Geist der Welt. Ich schaffe es einfach nicht, mich genug auf den Geist Gottes einzulassen. Offensichtlich liebe ich Gott nicht genug. Und wenn Gott nur diejenigen liebt, die Gott lieben können, habe ich gar keine Chance mehr. Gott wird mich nie lieben können. Gott wird sich mir nie offenbaren. Da steht’s, schwarz auf weiß. Die anderen sind gerettet und erlöst, und ich werde für immer verloren und ausgestoßen sein.“

Aus Trostworten sind Drohworte geworden. Manche christlichen Traditionen und Gemeinden predigen die Worte Jesu tatsächlich als Drohung statt als Trost.

Leider lassen sich dafür in der Tat Stellen im Johannesevangelium finden, die bedrohend klingen und mit denen „die anderen“ (auch Glaubensgeschwister!) ausgeschlossen werden.
„Ihr seid richtig, die anderen sind falsch!“: eine typische Strategie von denjenigen, die sich bedroht fühlen. Das Johannesevangelium macht davon reichlich Gebrauch. Es fördert damit bis heute ein Denken, das Menschen einteilt in die Richtigen, die dazugehören, und in die Falschen, die ausgeschlossen gehören.

Auch das sollte im Johannesevangelium noch Teil einer Trostbotschaft sein. Der Ansatz, dass es nicht auf die Herkunft ankommt, sondern auf das, was wir tun, ist tatsächlich ein Trost für diejenigen, die aus anderen Prägungen und Kulturen zu den Glaubenden dazustoßen: Ihre Herkunft muss sie eben nicht ausschließen.

Aber auch aus diesen Trostworten sind Drohworte geworden: „Mache ich genug? Halte ich die Gebote Gottes genug? Beweist mein Leben, dass ich zu den Richtigen gehöre?“

Entspricht das dem Auftreten Jesu? Ist Jesus so mit denjenigen umgegangen, die den Erwartungen des Status Quo nicht genügen konnten oder wollten? Waren Jesu Erwartungen engstirnig, konform, leistungsbezogen und moralisch?

Wenn wir in die Evangelien blicken, finden wir einen anderen Jesus: Jesus hat seine Mitmenschen eben nicht bedroht, nur weil sie gängigen Erwartungen nicht genügen konnten oder wollten:

  • Jesus hat diejenigen am Rand nicht bloß als Problemfall gesehen, er hat selber ihre Identität angenommen (Matthäus 25,31-46).
  • Jesus hat fehlbare Menschen aus der Mitte der Gesellschaft nicht verachtet und verurteilt, er hat sie zu Mitarbeitenden gemacht.
  • Streitsüchtige, feige und verständnislose Männer hat Jesus zurechtgewiesen und sie zu Nachfolgern berufen.
  • Den Umgang mit moralisch verachteten Frauen hat Jesus nicht empört von sich gewiesen, sondern gesucht und genossen.
  • Kranke und Schwache hat Jesus nicht belächelt oder auf Abstand gehalten, sondern ist auf sie zugegangen und hat sie ernst genommen.
  • Und die Stelle mit dem Predigttext ist Teil einer ganzen Reihe von Reden, mit denen Jesus diejenigen, die bei ihm waren, auf seinen Tod vorbereiten wollte – und auf die Zeit danach.

Wer Jesu Trostworte als Drohworte gegen andere benutzt, ignoriert nicht nur die Absichten des Johannesevangeliums, sondern auch das Leben und Wirken Jesu.

Zwei Stellen in diesem Abschnitt machen das besonders deutlich:

  1. Als Teil der Maßnahmen für die Zeit nach seinem Tod erwähnt Jesus den Heiligen Geist: „Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit“ (Andere Übersetzungen nennen den Heiligen Geist „Helfer“ oder „Beistand“.) Diesen Heiligen Geist setzt Jesus also als seinen Stellvertreter ein.Wenn Stefan in Urlaub fährt, erledigt sein Stellvertreter die Tätigkeiten des Küsters. Wenn Marianne in Urlaub fährt, haben wir derzeit leider keine Stellvertreterin, weil einfach niemand bei uns so schön Klavier spielen und singen kann wie sie. Ein Stellvertreter erledigt den Job in der Zeit der Abwesenheit. Er macht genau dasselbe wir der, den er vertritt.Wenn also Jesus den Heiligen Geist als Stellvertreter einsetzt, dann macht der Heilige Geist stellvertretend genau das, was Jesus macht. Was macht der Heilige Geist nach Jesu eigener Aussage? Er ist der Tröster, der Beistand, der Helfer. Allerdings nicht, weil er Unangenehmes verschweigt, eine rosa Brille aufsetzt, keine unbequemen Fragen stellt und sich mit Notlügen durchs Leben quält. Nein, dieser Trost und dieser Beistand und die Hilfe sind immer mit der Wahrheit verbunden.Wenn das die Jobbeschreibung für den Stellvertreter Jesu ist, dann finden wir hier das Selbstverständnis Jesu für seinen eigenen Job: Jesus hat seine eigene Aufgabe darin gesehen, den Menschen als Tröster, Beistand und Helfer zur Seite zu stehen – ohne dass sie dafür lügen oder verleugnen müssen, was in Wahrheit vor sich geht. Wenn wir zur Wahrheit stehen, steht er uns zur Seite.
    Jesus ist Tröster, nicht Bedroher.
    Jesus ist Beistand, nicht Angstmacher.
    Jesus ist Helfer, nicht Verhinderer.
    (Ist das der Jesus, den wir als Glaubende kennen und bezeugen?)
  2. Jesus sagt, dass er die Glaubenden nicht als Waise zurücklassen möchte, sondern zu ihnen kommen wird. Das finde ich etwas seltsam, denn Jesus hat sich seiner Anhängerschar gegenüber nie als Vater bezeichnet. Warum sollte jemand, der gar nicht der Vater ist, jemanden anderen als Waisen zurücklassen?Ich glaube, wir finden auch hier etwas zum Selbstverständnis Jesu: Da, wo er ist, sollen sich die Menschen als Kinder Gottes verstehen. Nicht als Stiefkinder, nicht als „Problemfälle“ in einem Heim, nicht als solche, die nirgendwo hingehören. Wo Jesus ist, sind wir keine Waisen. Wo Jesus ist, sind wir nicht von Gott im Stich gelassen. Wo Jesus ist, sind wir nicht von Gott verlassen. Wo Jesus ist, da lässt Gott uns nicht allein, sieht Gott uns an, da gibt Gott uns ein Zuhause, da sind wir nicht alleingelassen.
    (Ist das der Gott, den wir als Glaubende kennen und bezeugen?)

Wenn wir also versuchen, die Worte Jesu nochmal so wahrzunehmen, wie das Johannesevangelium und Jesus sie gemeint haben könnten, klingen sie schon wieder ganz anders:

„Was immer dir andere sagen mögen: Du bist nicht allein. Ich, Gott, bin bei dir und stehe zu dir.
Was auch immer Vertreter von Kirchen oder von Ämtern dir sagen mögen: Du bist nicht allein. Ich, Gott, bin bei dir und stehe zu dir.
Was auch immer die Erfahrungen mit deinen Eltern oder Freundschaften sagen mögen: Du bist nicht allein. Ich, Gott, bin bei dir und stehe zu dir.
Was auch immer die Angstmacher aus der Werbung oder deine Existenzangst dir sagen mögen: Du bist nicht allein. Ich, Gott, bin bei dir und stehe zu dir.
Ich helfe dir, zu dir selbst zu stehen.
Ich helfe dir, zur Wahrheit zu stehen.
Ich helfe dir, zu denen um dich herum zu stehen.
Ich helfe dir, zu mir zu stehen.
Ich helfe dir, meine Gebote zu halten: Liebe meine Nähe, liebe dich selbst, liebe deine Nächsten, liebe deine Feinde.
Und wenn sie dich nicht verstehen und nicht zuhören wollen und sich die Geister scheiden:
Ich tröste dich. Ich tröste dich. Ich tröste dich.
Du bist nicht allein. Ich, Gott, bin bei dir und stehe zu dir.
Selbst wenn du nichts davon spürst: Verlass dich auf mein Wort. Lass nicht locker, bevor du dieses Wort wieder und wieder verkündigt bekommst. Suche diese Orte und diese Menschen auf, lass es dir wieder und wieder zusagen: Ich habe dich nicht verlassen und ich verlasse dich nicht.
Du bist nicht allein. Ich, Gott, bin bei dir und stehe zu dir.
In Jesus Christus und im Heiligen Geist bin ich – IN dir.“

Damit sind wir nicht nur Empfängerinnen dieses Trostes – sondern auch Botschafter. Auch und gerade in einer Welt, in der so viele Drohungen und so wenig Trost unser Lebensgefühl prägen. Gerade deswegen sind Gemeinden wie diese hier so wichtig. Damit Glaubende nicht wieder eingeteilt werden in „die Richtigen und die Falschen“. Sondern damit Jesu Einladung an ALLE weitergetragen wird. Gehet hin in alle Welt, als Helfende, Tröstende, Beistand und solche, die die Wahrheit nicht fürchten müssen. Ihr seid nicht allein.

 

 

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