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Zu spät? Zu wenig? Zugunsten der Allerletzten nimmt Gott auch die Wut der Verdienstbaren auf sich.

Predigt MCC Köln 17. Jan. 2016
Ines-Paul Baumann

Matthäus-Evangelium 20,1-16: „Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg“

Felix ging zu seinem Geschäftswagen, ließ sich traurig in den vorgeheizten Vordersitz fallen und fuhr sein Tablet hoch. Seinen ersten Besuch in einer Gemeinde hatte er sich anders vorgestellt. Am Anfang lief es noch gut. Die Bestätigung, alles im Leben richtig gemacht zu haben, hatte ihm gut getan. Er fühlte sich angenommen und respektiert. Das machte ihm Mut, noch weiter zu fragen. Hätte er das mal nicht getan. Jetzt fühlte er sich wie der letzteTrottel. Bloßgestellt und schuldig. Für diese frommen Jesus-Nachfolger war er einfach nicht gut genug. Seinen Besitz verkaufen? Das brachte er nicht über’s Herz. Er hatte so viel zu verlieren. Sicherheit. Ansehen. Einfluss. Sicher würden ihn manche seiner Bekannten (bei manchen wusste er nicht, ob er sie wirklich als Freunde bezeichnen sollte) für verrückt erklären. Er sich selber auch, wie er merkte. Sowas GING einfach nicht!

Erst jetzt merkte er, wie wichtig ihm Materielles und sein Ruf waren. Was für eine Offenbarung, was für eine Selbsterkenntnis. Er nahm sie fast dankbar zur Kenntnis.

Aber warum tat ihm Gott sowas an? Sein Leben als angesehener Teil der Gesellschaft fühlte sich plötzlich an wie eine Strafe. Wenn Gott wollte, dass er sich von all dem trennte – warum gab er ihm dann nicht wenigstens den Mut dazu? Die passende Einstellung? Wollte Gott ihn etwa extra hänseln und quälen?

Vielleicht würde er ja tatsächlich irgendwann so weit sein. Was aber sollte er tun, um seine Einstellung ändern zu können? Ratlos fuhr Felix sein Tablet wieder herunter und ging nochmal zurück zur Gemeinde. Vielleicht würde Jesus ihm auch in dieser Frage weiterhelfen können.

Kurz vor dem Betreten der Gemeinderäume zögerte Felix. Eben hatte er noch dagestanden wie der allerletzte. Ob er jetzt überhaupt noch willkommen war? Er lehnte sich von außen mit dem Rücken an die geschlossene Tür und seufzte. Da hörte er Stimmen aus dem Innenraum.

„Sag mal, Jesus: Glaubst du, dass der Typ nochmal wiederkommt? Warum sollte er das tun? Er hat alles, was man sich im Leben nur wünschen kann. Warum sollte er dich brauchen? Der steht mitten im Leben, was soll der in unserer Gemeinde zu suchen haben?“

„Ja, er wird sich damit schwer tun, das glaube ich auch“, hörte Felix nun Jesus sagen. „Wahrhaftig, ich sage euch, reiche Menschen werden schwer in die Welt Gottes hineinkommen.“ (Mt 19,23; BigS)

„Na, kein Wunder, dass unsere Gemeinde so klein ist“, erklang wieder die Stimme von davor.

„Aber der würde doch auch gar nicht richtig zu uns passen“, hörte Felix eine andere Stimme sagen.

Ihm wurde immer unwohler. Da hatte sein Eindruck ihn also nicht getäuscht: Wirklich willkommen fühlte er sich hier nicht. Wahrscheinlich sahen die anderen in ihm nur einen Spießer. Einen angepassten Mitläufer. Ihm ging es umgekehrt ja nicht anders: Dieser Haufen um Jesus kam ihm schon sehr speziell vor. Mitten im Leben schienen da nur wenige zu stehen.

Die Stimme von innen wurde lauter. „Vielleicht sind wir ihm auch nicht gut genug. Guck doch mal, wer hier alles rumhängt. Viele hier könnten doch auch gar nicht mehr richtig arbeiten gehen. Und die ganzen Kranken, mit denen du dich immer umgibst, Jesus. Und deine Nähe zu den Sexarbeiterinnen tut unserem Ruf auch nicht gerade gut. Dass du die Religionsvertreter dauernd provozierst, macht es auch nicht leichter.

Wir hätten besser gar nichts Neues gestartet. Wir sind viel zu klein und unbedeutend. Die Glaubenstraditionen haben sich doch bewährt! Sieh sie dir doch an: Sie haben große Gebäude, feste Strukturen, gute Verbindungen zur Politik und zu den Mächtigen.

Vielleicht sollten wir uns wirklich ein bisschen mehr anpassen. Der Gast eben muss doch denken, wir seien die Allerletzten!“
„Selbst IM Job ist es manchmal schwer als dein Nachfolger!“, mischte sich die Stimme von eben nochmal ein. „Wo andere ohne Ende mobben und buckeln, bleibe ich ehrlich, stelle mich an die Seite der Außenseiter, kann nicht einfach alles mitmachen. Ich könnte beruflich schon viel weiter sein. Aber nein, dauernd schwimme ich in Geldsorgen. Und dann müssen wir auch noch die Gemeinde mitfinanzieren. Manchmal frage ich mich, warum ich mich auf das alles eingelassen habe.“

„Was jammerst du denn?“, erklang wieder die erste Stimme. „Immerhin HAST du einen Job! Bei uns lässt du dich dafür um so weniger blicken! Wir haben hier alle Hände voll zu tun, und wer ist immer nicht da? Du! Wir machen hier die ganze Arbeit, und du kommst und gehst, wie es dir gerade passt.“

„Was regst du dich denn auf? Wenn ich da bin, helfe ich doch gerne!“, wehrte sich die andere Stimme.

„Genau – WENN du da bist. Das reicht aber nicht! Wir brauchen zuverlässige Leute. Die regelmäßig und dauerhaft was übernehmen! Nur nach Lust und Laune funktioniert das alles nicht! Weißt du, wie oft ich hier stehe und alles alleine machen muss? Und was habe ich davon? Wieder ist der Sonntag fast rum und wieder war fast nur Gemeinde angesagt.“

„Ich finde eh, dass Christsein ein bisschen mehr bedeutet als Sonntags in der Gemeinde einen Kaffee zu trinken. Wenn ich es ernst meine mit Jesus, dann setze ich mich doch gerne für Gott ein. Echte Christen erkennt man halt auch an ihrem Engagement!“

„Na ich weiß nicht. Was bringt’s denn? Guck dir die Welt doch an. Was ändern wir denn? Ohne Geld und ohne die richtigen Kontakte? Der Typ von eben, der ist nicht so weltfremd. Der könnte uns echt weiterbingen!“

„Moment mal“, hakte jetzt eine neue Stimme ein. „Wollen wir denn wirklich so funktionieren wie der Typ von eben und die Welt, in der er lebt? Ich stelle mir das irgendwie anders vor! Ich wünsche mir eine Welt, in der unterschiedliche Leistungsmöglichkeiten nicht zu unterschiedlichen Lebensstandards führen. Ob jemand genug zum Leben hat, darf doch nicht davon abhängen, was einer leisten kann oder woher eine kommt!

„Aber Leistung muss sich doch lohnen! Wer sich abrackert, soll seinen verdienten und erwarteteten Lohn bekommen!“

„Aber es können und wollen nicht alle gleich viel beitragen. Und geringe Beiträge tragen doch auch was bei! “

„Und was ist mit denen, die krank sind? Depressiv? Süchtig? Resigniert? Die sich nichts zutrauen? Oder wirklich einfach faul sind? Oder die sich engagieren in Aufgaben abseits der Erwerbs-Tätigkeit? Und überhaupt, warum soll Anerkennung und Lohn ausgerechnet mit Geld auszudrücken sein? Mich nervt dieses ganze System.“

„Mich hat noch nie einer gefragt.“

„Genau das ist doch das Problem! Aber auch DU bist gefragt! Ob du im Vergleich viel oder wenig beitragen kannst, ist doch nicht die Frage. DEINE Wirklichkeiten und DEINE Möglichkeiten sind dein Maßstab! Auch DU hast einen Platz!“

„In der Gemeinde sowieso! Aber auch da draußen gilt doch: Du musst nur wollen, dann findest du auch was.“

„Eben nicht. Ich kann nicht so viel leisten wie andere. Und wenn ich nur wenig machen kann, reicht das doch nicht! In unserer Welt haben doch sogar die kaum genug, die sich total verausgaben auf der Arbeit. Die arbeiten Vollzeit plus Überstunden und kommen gerade so hin! Wenn ich weniger machen würde, reicht es vorne und hinten nicht. Das ist zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig. Dann bleibt wieder nur die Bettelei auf’m Amt…“

„Genau das finde ich ja so ungerecht! Ich wünsche mir, dass ALLE genug bekommen! Dass es für ALLE reicht! Dass ALLE gleich viel wert sind! Du bist genau so viel wert wie der Mensch neben dir!“

„Und das soll sich ausgerechnet in meinem Einkommen wiederspiegeln???“

„Das funktioniert im echten Leben doch nie. Das schaffen wir ja INNERHALB der Gemeinde schon kaum. Auch hier vergleichen wir uns doch immer wieder mit anderen. Wenn wir dabei Unterschiede einfach erkennen und anerkennen würden, wäre das ja okay….“

„Ja, aber fast immer führt unser Vergleichen doch dazu, dass wir uns hinterher schlechter fühlen. Entweder weil ich zu denen gehöre, die mehr machen als andere. Oder weil ich zu denen gehöre, die weniger machen als andere. Woran liegt das??“

„Stimmt, beides kann blöd sein. Die einen sind neidisch auf die, die arbeiten. Und die anderen sind neidisch auf die, die NICHT arbeiten.“

„Genau. Und dann machen wir uns entweder selber runter, oder wir machen die anderen runter. Diese Art von Vergleichen ist kein Anerkennen von Unterschieden, sondern ist einfach Gift.“

Felix konnte die Stimmen längst nicht mehr auseinanderhalten. Aber vieles von dem, was er da hörte, traf ihn mitten ins Herz. Auch er litt unter seinem Umgang mit seinem Vergleichsdenken. Was hatte er sich eben noch so klein gefühlt gegenüber all den heldenhaften Jesus-Nachfolgern da drin. Aber von wegen. Nur weil die schon länger mit Jesus unterwegs waren, schienen die auch nicht gerade frei von all dem Kram zu sein, unter dem er so oft litt: Leistungsdenken. Neid. Vergleichen als Selbstwert. Da waren die auch nicht besser! Felix stutzte: Jetzt machte er seinen Selbstwert schon wieder anhand von Vergleichen fest!

Wäre es denn wenigstens möglich, dass dieses ganze Vergleichs-Messen zumindest keinen Schaden mehr anrichtet? Also, sowohl im Umgang mit anderen: Dass deswegen niemand auf der Strecke bleiben musste. Aber auch innerlich: Dass diese ganzen Stimmen, er sei das Allerletzte, einfach mal verbannt gehörten!

Felix war nicht sehr optimistisch. Vielleicht würde ihn beides sein Leben lang begleiten: das Vergleichs-Messen und die Stimmen, er sei der Allerletzte. Aber beides sollte wenigstens keinen Schaden mehr anrichten dürfen!

Teil von Gottes Welt zu sein hieße dann gar nicht, dass beides unbedingt weg sein müsste – aber das Vergleichs-Messen und das Sich-Fertigmachen würden keine schädliche Macht mehr haben dürfen. Sogar Neidgefühle müssten kein Zeichen dafür sein, dass das Reich Gottes ferne sei.

Felix ging ein Licht auf. Das würde ja dann auch für die gelten, die er eben belauscht hatte, für diese Leute mit IHREM Vergleichs-Messen, mit IHREM Neid und mit IHREN Stimmen, dass sie das Letzte seien: Auch MIT all dem könnte Gottes Reich mitten unter ihnen sein. Und zeigen würde sich das daran, dass diese Gefühle und Gedanken keinen Schaden mehr anrichteten. Dass zumindest in den Augen Gottes tatsächlich alle gleich viel wert waren und gleich viel empfangen sollten – auch wenn sie noch so unterschiedlich lebten und unterschiedlich viel beitrugen. Und auch, wenn das nicht immer allen passte, insbesondere denen nicht, die mehr taten als andere….

Felix fiel auf, dass auch das Schimpfen und Aufbegehren gegen Gott dann Teil vom Himmelreich sein könnte…

Und könnte dann sein eigener Zorn auf Gott, seine eigene Verzweiflung nicht auch seinen Platz haben im Himmelreich?

MÜSSTE er überhaupt noch auf Gott sauer sein, wenn Gott gar nicht zu denen gehörte, die ihm was nehmen wollten?

Der Gedanke berührte ihn sehr, aber Felix bremste sich umgehend. Was wusste er schon von Glaubensfragen. Er war doch noch viel zu neu, um bei solch geistlichen Dingen mitreden zu dürfen. Die da drin hatten sicher viel mehr Ahnung davon und viel mehr dazu zu sagen. Schon wieder ertappte sich Felix dabei, wie er seinen Selbstwert über das Vergleichsdenken einzuschätzen versuchte. Diesmal hätte er beinahe laut losgeprustet. Aber aus dem Innenraum hörte er, wie Jesus nochmal seine Stimme erhob:

Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der sich früh am Morgen aufmachte, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Er ´fand etliche und` einigte sich mit ihnen auf den ´üblichen` Tageslohn von einem Denar. Dann schickte er sie in seinen Weinberg. Gegen neun Uhr ging er wieder auf den Marktplatz und sah dort noch andere untätig herumstehen. ›Geht auch ihr in meinem Weinberg arbeiten!‹, sagte er zu ihnen. ›Ich werde euch dafür geben, was recht ist.‹ Da gingen sie an die Arbeit. Um die Mittagszeit und dann noch einmal gegen drei Uhr ging der Mann wieder hin und stellte Arbeiter ein.

Als er gegen fünf Uhr ´ein letztes Mal` zum Marktplatz ging, fand er immer noch einige, die dort herumstanden. ›Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum?‹, fragte er sie. ›Es hat uns eben niemand eingestellt‹, antworteten sie. Da sagte er zu ihnen: ›Geht auch ihr noch in meinem Weinberg arbeiten!‹

Am Abend sagte der Weinbergbesitzer zu seinem Verwalter: ›Ruf die Arbeiter zusammen und zahl ihnen den Lohn aus! Fang bei den Letzten an und hör bei den Ersten auf.‹ Die Männer, die erst gegen fünf Uhr angefangen hatten, traten vor und erhielten jeder einen Denar. Als nun die Ersten an der Reihe waren, dachten sie, sie würden mehr bekommen; aber auch sie erhielten jeder einen Denar.
Da begehrten sie gegen den Gutsbesitzer auf. ›Diese hier‹, sagten sie, ›die zuletzt gekommen sind, haben nur eine Stunde gearbeitet, und du gibst ihnen genauso viel wie uns. Dabei haben wir doch den ganzen Tag über schwer gearbeitet und die Hitze ertragen!‹

Da sagte der Gutsbesitzer zu einem von ihnen: ›Mein Freund, ich tue dir kein Unrecht. Hattest du dich mit mir nicht auf einen Denar geeinigt? Nimm dein Geld und geh! Ich will nun einmal dem Letzten hier genauso viel geben wie dir. Darf ich denn mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich so gütig bin?‹ So wird es kommen, dass die Letzten die Ersten sind und die Ersten die Letzten.

Matthäus-Evangelium 20,1-16

 

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