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Zu gefrustet und zynisch für eine Predigt über „Reichtum“ und „wahre Werte“

Predigt MCC Köln 2. Okt. 2016
Ines-Paul Baumann

Lukas 12,(13-14).15-21 „Der reiche Kornbauer“

Warum soll ich heute überhaupt predigen?

Wenn es um unseren Lebensstil geht, ist doch eh alles „alternativlos“. Unser Umgang mit Geld und den Märkten: „alternativlos“. Unternehmen, die keine Steuern zahlen: „alternativlos“. Bankenrettung: „alternativlos“. Die Demokratie in Griechenland aushöhlen: „alternativlos“. Steueroasen: „alternativlos“. Riester-Rente: „alternativlos“. Geld anlegen nur da, wo es gute Zinsen gibt: NICHT alternativlos, aber über solche Alternativen „denken natürlich nur Dumme nach“.

Warum soll ich heute überhaupt predigen?

Wenn sich diese Worte Jesu als Mahnung an Reiche verstehen, laufen sie ins Leere. Es gibt nämlich heute keine Reichen mehr. Also, von außen gibt es sie schon. Aber von innen nicht. Kein Mensch FÜHLT sich nämlich noch reich.

Für irgendwelche offiziellen Untersuchungen wurde mal als reich definiert, wer ein Auto, eine Wohnung und noch eine weitere Immobilie besitzt. 6 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gaben an, diese Dinge zu besitzen. Fast 60 Prozent von ihnen – die also eigentlich dem Kriterium für reich entsprechen – fast 60 Prozent von diesen Reichen glaubten, dass sie zur ärmeren Hälfte der Bevölkerung gehören.

Für gesetzlich Versicherte mögen Privatpatienten zu den bevorzugten, bevorteilten Reichen gehören. Die wenigen Privatpatienten, die ich kenne (und von denen ich es weiß), empfinden sich ganz und gar nicht als reiche Ausbeuter (und zeigen dies auch ganz klar durch ihr Verhalten auf anderen Gebieten).

Wir mussten vor ein paar Jahren aus unserer Wohnung raus. Verkauft. Die Familie, die jetzt darin wohnt, kam mit großen Baggern, baute mal eben das Haus um, hat einen sicheren Job, sieht gesund und gebildet und fit aus und fährt ein großes Auto. In meinen Augen ist sie reich. Aus den Gespächen mit ihnen klang heraus, dass sie sich als soziale, engagierte, am Limit herumknappsende Mitbürger empfinden.

Auch schwerreiche Unternehmer sind längst Gutmenschen: Sie spenden Unmengen Geld für wichtige soziale Projekte. Sie sind „die Investoren, die unsere Wirtschaft am Laufen halten“ und „Arbeitsplätze sichern“. Überall nur noch Gutmenschen.

Alle wissen mittlerweile, „dass Geld nicht glücklich macht“.

Ein modernes Handy muss es halt sein.
Aber sonst „macht Geld natürlich nicht glücklich“.
Naja, die Jacke, die mich am Nordpol erwärmt, brauche ich als Stadtmensch auch noch. Aber nur, weil ich so gerne draußen bin, ich bin nämlich ein Naturmensch. Ich weiß doch, „dass Geld mich nicht glücklich macht“.

Lieber Jesus, es gibt keine bösen Reichen mehr. Es gibt keine Menschen mehr, die Reichtum nur noch ansammeln, um sich ein schönes Leben zu machen. Wir kämpfen alle nur noch um‘s Überleben und tun Gutes, weißt du?

Lieber Jesus, ich weiß nicht, zu wem ich predigen soll.

Vor mir sitzen keine Leute, die jeden Tag darauf aus sind, auf Kosten anderer ihren Beitz zu mehren.

Keiner von ihnen hat mich jemals gebeten, bei einem Erbschaftsstreit mal ein ernstes Wörtchen an jemanden zu richten.

Keiner von ihnen hat jemals seine Scheunen eingerissen und größere gebaut, um all seine Vorräte unterzubringen. (All die Lagerräume in den professionellen Lagerhäusern werden natürlich auch nur von Leuten angemietet, die deswegen nichts weggeben können, weil sie so wenig haben.)

Zu wem soll ich predigen, Jesus?

Ach, du hast damals nicht zu Reichen geredet?
Du standest vor Leuten, die nicht zu den Reichen gehörten?
Du hast diese Geschichte denen erzählt, die sich in dem reichen Bauer nicht wiederfinden?

Äh – wozu, warum, weshalb hast du die Geschichte dann überhaupt erzählt?

Wären deine Zuhörer etwa gerne wie der reiche Kornbauer gewesen?
Hätten deine Zuhörerinnen insgeheim schon gerne auch so viel Vorräte gehabt?
Haben sie manchmal neidisch auf die geguckt, die so viel haben?
Also, hast du quasi ihrem inneren Kornbauern gepredigt?

Hmmm.

Aber, Moment mal. Willst du etwa sagen, wir sollen uns NICHT mehr darüber aufregen, wenn ein paar wenige auf Kosten der Mehrheit ihren Besitz anhäufen? Soll das etwa in Ordnung sein?

„Liebe ärmere Leute, seid zufrieden mit dem, was ihr habt, Gott liebt euch! Sammelt eure Schätze lieber im Herzen, das ist eh besser. Seid an Erntedank doch einfach mal dankbar für das, was ihr habt. Also, bleibt schön ruhig und stört die Reichen nicht.“ – Wolltest du DAS sagen, Jesus?

Auch nicht? Der reiche Kornbauer wird ja gerade NICHT in Ruhe gelassen mit seinem Reichtum? Gott greift ja ein?
Jesus, ich bitte dich! Ausgerechnet der Gott, der es sonst über die Guten und die Bösen gleichermaßen regnen lässt? Wo ist dieser Gott denn sonst, wenn das Unrecht zum Himmel schreit? Hier ist er plötzlich zur Stelle und nimmt dem Reichen das Leben?

Ach nee, da habe ich nicht genau genug gelesen, stimmt. Jaja, sorry, Jesus. Natürlich hast du nicht gesagt: „Da sprach Gott zu ihm: Du Narr, heute Nacht nehme ICH dir dein Leben.“ Du hast nur gesagt, dass Gott gesagt hat: „Heute Nacht WIRD dir dein Leben genommen.“ „Heute Nacht nehmen SIE deine Seele.“

„Sie“ nehmen deine Seele – was soll das bedeuten? „SIE?“ Wer sind denn „sie“?

„Sie“ – Gott und die Engel – „nehmen dir deine Seele“?

„Sie“ – die Vorräte – „nehmen dir deine Seele“?

„Sie“ – die Sorgen – „nehmen dir deine Seele“?

„Sie“ – die Mitmenschen – „nehmen dir deine Seele“?

Forderst du hier etwa gerade die Menge auf, zu den Reichen zu gehen, und sich selber das zu nehmen, was ihnen fehlt??
Ach nee, es sind ja nicht die Vorräte, die genommen werden. Die SEELE wird ja genommen.

Naja, wenn ganz viele vor seinem Grundstück auftauchen und Terz machen, kann der Reiche viellleicht auch nicht mehr ruhig schlafen….
Du rufst doch nicht etwa die Massen dazu auf, dem Reichen das Leben schwer zu machen, oder, Jesus?

Immerhin hält sich der Reiche doch sogar an die Bibel. Er will ja gar nicht NOCH MEHR anhäufen. „Habe nun Ruhe, meine liebe Seele“, sagt er zu sich selbst, „iss und trink und sei wohlgemut!“ Will er damit nicht geradezu aussteigen aus dem Wirtschaften und Leistungsdenken? Steht doch schon in Kohelet im Alten Testament:

14 Es ist eitel, was auf Erden geschieht: Es gibt Gerechte, denen geht es, als hätten sie Werke der Gottlosen getan, und es gibt Gottlose, denen geht es, als hätten sie Werke der Gerechten getan. Ich sprach: Das ist auch eitel.
15 Darum pries ich die Freude, dass der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinem Mühen sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.

Kohelet 8

Wenn es Gott dem einen gibt unter der Sonne, warum soll er es dem reichen Kornbauern dann nehmen? Bzw. durch seine Sorgen, Vorräte oder Mitmenschen nehmen LASSEN?

Und erst recht: Wie sollen diejenigen essen und trinken und fröhlich sein, die (gefühlt oder real) gerade so über die Runden kommen, wenn sie auch noch zusehen müssen, wie einer neben ihnen gar nicht mehr weiß, wohin mit all seinem Besitz??
Im Urlaub ist das ja mal schön, wenn die Armen in anderen Ländern immer so fröhlich sind.
Aber hier?…
(Können die das? DÜRFEN die das??….)

Jesus, ich weiß nicht, was ich heute predigen soll. Das musst du heute schon selbst erledigen.

 

Nachtrag

In den Gesprächen nach dem Gottesdienst wurde mir deutlich, dass ich manches offenbar sehr missverständlich geäußert habe. Vielen Dank für eure Rückmeldungen! Hier findet ihr nun ein paar Anmerkungen dazu:

  • Ich persönlich glaube NICHT, dass irgendeine der oben erwähnten Handlungsweisen „alternativlos“ ist.
  • Ich persönlich glaube, dass der Spruch „Geld macht nicht glücklich“ so zu einfach ist und oft als Ausrede dafür dient, dass es eben doch OK ist, wenn sich im eigenen Leben ganz viel um Geld und Statussymbole dreht (inkl. Handys, Outdoor-Klamotten, Fahrräder etc.). Wobei Status-Symbole nicht immer neu sein müssen: „Sieh mal, ich hab ein GANZ ALTES Handy/Fahrrad/Kapuzi …“
  • Ich glaube wirklich, dass sich die allermeisten von uns (mich eingeschlossen) nicht davon freisprechen können, von der Mehrheit der Welt als „reich“ angesehen zu werden (und wenn wir selbst uns noch so „arm“ fühlen und Probleme haben, unsere Miete zu bezahlen…). – Dazu, dass sich auch von den Reichen kaum noch wer reich fühlt, siehe auch: „Reich sind immer nur die anderen“ von Kolja Rudzio in: DIE ZEIT N°40 vom 22. September 2016
  • Ich glaube, dieser konkrete materiell-soziale Bezug lässt sich im Lukas-Evangelium nicht wegpredigen. Aus meiner Sicht liegt in der Selbstbezogenheit desjenigen, der die erwirtschafteten Güter besitzt, ein Grundübel für soziale Ungerechtigkeit (er redet nur mit sich selbst, er wirtschaftet nur für sich selbst, er plant nur für sich selbst, …). Die Alternative muss nicht unbedingt bloß eine bessere „(Um-)verteilung“ sein. Es fängt schon da an, wo diese Selbstbezogenheit als „normal“, „vernünftig“, „nötig“ oder „clever“ propagiert wird.
  • Ich glaube, ich kann wenig haben und total happy sein, ohne dass ich damit soziale Ungerechtigkeit unterstütze.
  • Ich bin mit dem ganzen „Thema“ immer noch in großem Unfrieden. Aber so, wie unsere Welt aussieht, ist das vielleicht auch das Mindeste.

Ines-Paul

 

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