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Von „Was kann ich schon einbringen?“ zum Wunder der Wertschätzung

Predigt MCC Köln, 10. Juli 2016
Manfred Koschnick

Johannes 6,1-15 „Die Speisung der Fünftausend“ (s.a. Mt 14,13-21; Mk 6,30-44; Lk 9,10-17)

In meiner Jugend gab es jene vernunftbegabten Menschen, die erklärten, dass der Glaube an Hexerei oder Zauberei ein Aberglaube ist, der den wissenschaftlich aufgeklärten Menschen von heute nicht würdig sei. Einen Jesus, der zaubern konnte, habe es daher nie gegeben. Daher sei die ganze Bibel eine Erfindung wie die Geschichte vom Osterhasen.

Und es gab jene Frommen, die am Glauben ihrer Väter festhielten und sagten, dass bei Gott nichts unmöglich sei, Gott über den Naturgesetzen stehe und sein Sohn Jesus Christus alle Macht gegeben war, aus ein paar Broten und Fischen große Mengen an Nahrung zu zaubern, so dass 5000 Menschen davon – ohne sich bescheiden einzuschränken – satt werden konnten.

Diejenigen Schüler, die 5000 Leute geteilt durch 6 Brote ausrechnen konnten, hatten in Mathematik eine 2 und in Religion eine 5 und umgekehrt.

Dann gab es jene, die sagten, man müsse das alles „nur“ symbolisch verstehen. Die Brote stünden für das Manna in der Wüste, die Speisung durch Gott, die 12 Körbe stünden für die 12 Stämme Israels, usw.

Es gab jene, die meinten, die Wundergeschichte sei politisch zu verstehen: Sozialistisch alles gleichmäßig untereinander zu teilen sei Gottes Wille und könne Wunder bewirken, die man sich im Kapitalismus einfach nur nicht vorstellen könne. Die Weigerung Jesu, sich von der Menge zum König machen zu lassen, sei natürlich auch eine politische Botschaft in Richtung demokratische Republik.

Ich bin mir sicher, dass ihr all das schon mal irgendwann gehört habt und Euch diese Wundergeschichte eigentlich zu Hals raushängt. Wir Christen von heute fragen nicht mehr nach der historischen Wahrheit der Wundergeschichten. Wir ignorieren die Frage und interessieren uns nur für die theologische Bedeutung des Textes unabhängig von seiner Historizität, damit der christliche Glaube nicht peinlich wird.

Ich halte dies für einen Fehler der Moderne. Wir misstrauen dem gesunden Menschenverstand. Zu oft wurde in der Vergangenheit der Hinweis auf ihn missbraucht, um schlimme Dinge zu rechtfertigen, wie zum Beispiel die Ausgrenzung von Transgendern, Homosexuellen, Geisteskranken und anderen Minderheiten, die nicht in die traditionellen Vorstellungen der Mehrheit passen. Aber wir sehen im rechtsradikalen Protest unserer Tage, dass sich der sogenannte gesunde Menschenverstand (Volkes naive Stimme) nicht gänzlich durch intellektuelle Eliten unterdrücken lässt. Wenn wir nun mal die Geschichte von der Speisung der 5000 wörtlich nehmen „down to earth“, bodenständig und praktisch, kommen wir vielleicht etwas weiter und als Christen wieder bei den Leuten an.

So wie Menschen die Bibel interpretieren, ist uns die Bibel ein Spiegel der eigenen Konstruktion von Wirklichkeit(svorstellungen). Dem Theoretiker spiegelt die Bibel anderes als dem Praktiker, dem Juden anderes als dem Moslem. Jeder, sagt Paulus, hat etwas von der spirituellen Wahrheit in einem kleinen tönernen Gefäß verstaut. Mehr geht nicht – aber auch nicht weniger.

Die Politikerin der Grünen, Frau Karin Goering-Eckardt, sieht in ihrer Kirchentagsbibelarbeit zu der Wundergeschichte das Kind als kleinen Händler, der die 5 dünnen Brotfladen aus Gerste in einem Bauchladen bei sich hat, um sie zu verkaufen. Gerste war die Nahrung der Armen und nur halb so teuer wie Weizen. Ich meine, ein Händler hätte mehr dieser billigen Brote bei sich gehabt. Ein Straßenhändler hätte die Brote an die Jünger verkauft und die Jünger hätten die Brote locker von den 2oo Silbergroschen bezahlen können. 200 Silbergroschen waren der Jahreslohn eines Tagelöhners bei schätzungsweise 200 in der Landwirtschaft möglichen Arbeitstagen im Jahr. Für einen Denar (Silbergroschen) bekam man 6 kg Weizen oder 12 kg Gerste. Bei 5000 Menschen wären das 240 g pro Person. Das hätte gereicht, dass keiner hungert. Hatten die Jünger es mit einem Brothändler zu tun?? Dann hätte das Geld gereicht. Offenbar ging es nicht um einen Warenhandel.

Menschen jammern wegen der vielen Flüchtlinge, die Schutz brauchen, wegen der Wetterextreme angesichts des Klimawandels und so weiter, und sagen, das Glas sei nicht halbvoll, sondern halb leer. Philippus antwortet Jesus: „Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme.“ Andreas, der Bruder des Simon Petrus spricht: “…fünf Gerstenbrote und 2 Fische, aber was ist das schon für so viele?!“

War das Kind ein Händler, wie Karin Goering-Eckardt es meint? Wahrscheinlicher ist es, dass das Kind die 5 Brote für die eigene Familie anlässlich des bevorstehenden Passafestes bei sich trug. Das jedenfalls legt uns der gesunde Menschenverstand nahe. Der gesunde Menschenverstand lässt auch erwarten, dass das Kind die Brote für sich und die Familie behalten will. Ansonsten würde die Mutter sicher schimpfen.

Das Kind jedoch handelt überraschend anders. Vielleicht hat gar nicht Jesus das Wunder gewirkt sondern das Kind! Jesus segnet das Brot nur, wie es im Judentum üblich war, – er spricht keinen Zauberspruch. In den meisten Bibelexegesen kluger Theologieprofessoren geht das Kind aber neben der Lichtgestalt des Christus quasi unter, scheint unbedeutend zu sein für die eigentliche (gerade bei Johannes christologische) Bedeutung der Wundergeschichte. Mir aber scheint das Wunder in dem Verhalten des Kindes zu liegen. Es gibt mutig oder naiv oder mutig-naiv oder naiv-mutig diesem Jesus alles her, was es hat, um es mit anderen zu teilen. Wie wirkt das auf die Erwachsenen? Sie schauen vermutlich nach, ob auch sie noch etwas dabei haben, das sie beisteuern können. So tun es Leute ganz selbstverständlich, die nur in Solidarität überleben können. Niemand hat teures Fleisch dabei, aber ein wenig getrockneten Dörrfisch, eine Ecke Fladenbrot oder mehr kommen bei jedem zum Vorschein. Für einen allein ist es beim ein oder anderen nur eine Notration, aber die Reste von 5000 ergeben, großzügig unter allen geteilt, so viel, dass 12 Körbe Krümel übrig bleiben.

Wir kennen doch diese Wunder aus der eigenen Gemeinde. Der eine hat viel Geld, der andere hat Zeit oder kann gut putzen, der dritte schmückt gerne den Altar, und der, der nicht gut rechnen kann, hält heute diese Predigt. Keiner kann alles. Das gilt sogar für Jesu Jünger. Aber das Wenige der Vielen reicht und es bleibt sogar etwas übrig.

Die biblische Geschichte spiegelt einen Teil unserer Erfahrung, nie alle unsere Erfahrungen. Es ist nur ein Aspekt der Geschichte. Anderen spiegelt die Geschichte einen anderen Aspekt. Für mich ist wichtig: Es geschah, als ein Kind das wenige, was es bei sich hatte, wertschätzte. Es geschieht, wenn Du das, was in Dir ist, wertschätzt, und es Dir wert ist, es mit anderen zu teilen.

Es ist nicht immer leicht, sich selbst und die eigene Lebensgeschichte mit dem Leid, um das kaum ein Mensch herumkommt, wertzuschätzen. Wenn Menschen sich jedoch aus dem egozentrischen Kreisen um eigene Schuld und Scham, eigenen Schmerz und eigene Angst in einen größeren Zusammenhang stellen, in die Gemeinde, in das Reich Gottes, in eine Weisheit – höher als unsere Vernunft, die da ohne unseren Verdienst und unser Zutun handelt –, dann können sie sich vertrauensvoll einander zumuten mit dem, was sie mitbringen.

Es ist, als würde Jesus selbst die Gaben an andere verteilen. Jesus hielt die 5 Gerstenbrote nicht für lächerlich gering! Auch Deinen Teil zum Ganzen hält er nicht für gering. So kann mit Gottes Hilfe aus Mist Dünger werden, und humorvoll augenzwinkernd darf ich konstatieren: „Wie viel Dünger ist doch in jedem von euch…!“ Ich weiß nicht, was Jesus gesagt hat, als er die Brote gesegnet hat, aber so wie ich die Geschichte verstehe, hört es sich an wie der Satz unserer Kanzlerin: „Wir schaffen das!“ Amen

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