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Woran misst du (Gottes) Wertschätzung zu dir?

Predigt MCC Köln, 21. September 2014
Ines-Paul Baumann

Mt 20,1-16: Das Gleichnis von der Arbeitern im Weinberg

1.) Neid und Angefressen-Sein als Gotteserfahrung??

Das soll ein Gleichnis dafür sein, wie es sich mit dem Himmelreich verhält? Wenn ich es vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit Gemeindearbeit höre, klingt das Gleichnis in meinen Ohren so:

„Denn mit dem Gemeindeleben ist es so:
Manche werden van Anfang an parat stehen und viel arbeiten. Ihnen ist klar, was sie davon haben werden: Eine Menge Arbeit, viel Mühen durch lästige Umstände, und am Ende hat es sich kaum gelohnt. Was bekommen sie dafür? Mit etwas Glück ein bisschen Anerkennung, Dank und Mitspracherecht, ansonsten stimmt das Ergebnis vor allem für die Gemeinde insgesamt – zumindest die Arbeit der Gemeinde ist getan.
Daneben gibt es die Müßigen. Vielleicht schlafen sie gerne länger, vielleicht scheuen sie die Mühen. Aber nach Rücksprache steigen auch sie in die Arbeit mit ein.
Und dann gibt es immer noch welche, die bloß herumstehen, sich unterhalten und eine Zigarette rauchen. Die Arbeit ist fast getan, bevor sie überhaupt mit einsteigen. Auf die Frage, warum sie nur herumgestanden haben, sagen sie: Mich hat ja keiner gefragt.
Und am Ende sollen sie alle dieselbe Anerkennung und dasselbe Mitspracherecht haben wie die Fleißigen, Zähen und Zuverlässigen? Ja.
Die Fleißigen, Zähen und Zuverlässigen werden sich daraufhin herabgewertet fühlen und sich beschweren. Enttäuschung und Verbitterung macht sich unter ihnen breit. Dass sie wussten, was sie erwartet und die Abmachungen ihnen gegenüber eingehalten wurden, nützt ihnen gar nichts.“

Ich kann mir das Gleichnis nicht schönreden. Und die ersten Reflexe sind auch keine Hilfe:

  • Der Verzicht darauf, sich mit anderen zu vergleichen, ist für Leistungsträger keine Lösung für das Problem.
    „Ach, hättet ihr euch einfach mal nicht mit den anderen verglichen! Dann wäre doch alles gut gewesen!“ Das stimmt zwar: Erst durch das Vergleichen entsteht der Unmut. Hätten sich diejenigen, die am meisten geleistet haben, nicht mit denen verglichen, die weniger geleistet haben (und die trotzdem denselben Lohn empfingen), dann wären alle Beteiligten zumindest zufrieden, wenn nicht gar glücklich gewesen. Was ja eine schöne Vorstellung für eine funktionierende Gemeinde wäre.
    Aber Jesus zeigt das Himmelreich NICHT als einen Bereich, in dem sich Menschen nicht mit anderen vergleichen.
  • Eine Gemeinde, in der alle gleich viel oder gleich wenig leisten können und wollen, ist keine Lösung für das Problem.
    „Naja, war halt eine blöde Mischung – dann lassen wir diejenigen einfach raus, die nicht die volle Leistung bringen können oder wollen. Wenn alle die gleichen Voraussetzungen mitbringen, dann entsteht kein Ungleichgewicht. Dann kann es gar nicht vorkommen, dass die einen auf Kosten der anderen vom Gemeindeleben profitieren.“
    (Was freilich auch umgekehrt gilt: Auch Leistungsträger können aus einer Gemeinschaft rausgeekelt werden. „Nervig, wie die immer nur an die Arbeit denken. Wo es doch gerade so schön ist, einfach mal miteinander herumzustehen und zu plaudern. Diese Spaßverderber!“)
    (Es gibt freilich auch diese Variante: „Zuerst reißen sie die ganze Arbeit an sich, und dann beschweren sie sich. Was kann ich dafür, wenn die jetzt rumjammern? Ich habe gemacht, was ich zugesagt habe!“)
    Schlägt Jesus vor, ein Himmelreich zu bauen, in dem nur diejenigen Platz haben, die gleiche Voraussetzungen und Einstellungen mitbringen? Nicht ansatzweise. Sein Hinweis, dass die Ersten die Letzten sein werden, macht deutlich, dass es weiterhin Unterschiede geben wird.
  • Eine Gemeindekultur, die Unmut und Beschwerden nicht erlaubt, ist keine Lösung für das Problem.
    Sollen diejenigen, die sich ungerecht behandelt fühlen, einfach die Klappe halten, damit sie die Stimmung nicht verderben? „Sie mögen sich ja so fühlen, aber ist das nicht ihr eigenes Problem? Die Erwartungen waren doch vorher geklärt, es gab klare Absprachen – welches Recht also haben sie, sich zu beschweren?“
    Im Himmelreich, das Jesus hier skizziert, scheint der Friede nicht durch Mundverbote erkauft zu werden. Die Diskussionskultur scheint gut zu sein, wenn einfache Arbeiter sich bei Gott beschweren und ihren Unmut äußern dürfen.

Als Gemeindeleiter bin ich allerdings etwas erstaunt, wie der Chef in dem Gleichnis mit diesen Beschwerden umgeht. Müsste der Chef als gutes Vorbild für Gott nicht etwas liebevoller und einfühlsamer mit den Beschwerden umgehen? Reicht es, als Chef auf Absprachen und auf die eigene Macht zu verweisen? Aus meinen eigenen Erfahrungen heraus erlebe ich das nicht nur als Erfolgsrezept ;)

Will Jesus hier einfach nur ein Bild dafür zeichnen, wie problematisch Gemeindeleben manchmal ist? Wie doof alle Beteiligten sein können? Von den Leistungsträgern mit ihrem Unmut… über die müßigen Herumsteher… und diejenigen, die erst dann was machen, wenn sie gefragt werden… bis zu einem rechthaberischen Chef?

Nun, was wäre an dem Gedanken so fatal: Immerhin gesteht uns Jesus zu, in genau so einem Gemeindeumfeld etwas vom Himmelreich zu erfahren! :)

Vielleicht sagt Jesus ja tatsächlich: Das ist kein Widerspruch.
Erwarte Gotteserfahrung nicht nur da, wo alles deinen Erwartungen entsprechend läuft.
Erwarte Gotteserfahrung nicht nur da, wo du dich aus nervigen Gemeinschaften raushälst.
Erwarte Gotteserfahrung nicht nur da, wo alle so ticken, wie du es dir vorstellst.

Andersherum formuliert:

  • Wo Leistungsgerechtigkeit fehlt, muss das kein Widerspruch zur Gerechtigkeit Gottes sein.
  • Auch im Rückzug auf dich selbst und Gleichgesinnte liegt nicht unbedingt ein Schlüssel zur Gotteserfahrung.
  • Wo Zufriedenheit fehlt und Unmut laut wird, muss das kein Widerspruch zur Gegenwart Gottes sein.

2.) Worin könnte also die Gotteserfahrung liegen, die Jesus uns mit diesem Gleichnis vor Augen führen möchte?

a) Der Weinbergsbesitzer hat nicht nur den Bedarf seines Weinbergs im Auge. Wenn er sogar eine Stunde vor Arbeitsschluss noch auf den Markt geht und Leuten Arbeit gibt, dann hat er auch den Bedarf der Wartenden und Suchenden im Auge. Vielleicht war am Ende überhaupt niemand alleingelassen auf dem Marktplatz übrig. Alle, aber auch alle konnten am Ende des Tages mit dem nach Hause gehen, was sie für ihr täglich Brot brauchten. Alle hatten genug, um einen weiteren Tag leben zu können.
Eine gute Gemeinde sieht nicht nur den Bedarf der Aufgaben und Erfordernisse. So eine Gemeinde achtet nicht nur darauf, welche Arbeit in der Gemeinde getan werden muss. Sie sieht auch den Bedarf ihrer Mitglieder und Gäste (und derjenigen, die außen vor stehen).

b) Was ist damit zum Ausdruck gebracht, dass alle den gleichen Lohn bekommen? Sicher ist damit nicht ausgedrückt, dass alle die gleiche Arbeit gemacht haben. (Wir müssen nicht so tun, als gäbe es da keine Unterschiede.) Es ist auch nicht gesagt, dass alle gleich viel Geld zum Leben brauchen: Vielleicht haben die einen noch drei Kinder mit zu ernähren, andere ihre kranken Eltern mit durchzubringen – bei der Verteilung des Lohns spielt das aber gar keine Rolle. Es muss also um etwas gehen, das für alle Menschen gleich ist. Mit dem gleich hohen Lohn wird ausgedrückt: Ihr seid alle gleich viel wert. Egal, wie viel ihr leisten könnt. Egal, ob ihr einen Blick habt für die Arbeit, die getan werden muss. Egal, ob euch bisher niemand angesprochen und gesagt hat, dass ihr dabei sein sollt. Ihr seid gleich viel wert.

Zusammengenommen kommt hier das Gegenteil von dem heraus, was wir sonst als Gerechtigkeit empfinden: Es geht hier nicht um Leistungsgerechtigkeit, sondern um Bedarfsgerechtigkeit.

Die Frage lautet also nicht nur: Was braucht die Gemeinde? Die Frage lautet auch: Was brauchst du?

Unsere Antworten darauf werden unterschiedlich ausfallen. Insbesondere, wenn wir konkreter fragen: Was brauchst du, um deinen Wert zu erkennen? In welcher Währung misst du deinen Wert?

3.) Was brauchst du, um deine Wertschätzung zu spüren?

Für manche ist die Währung dafür, sich anerkannt und wohl zu fühlen, dass sie gemocht werden. Solange sie gemocht werden, fühlen sie sich wertgeschätzt.
Für manche ist die Währung, immer ihre Meinung bestätigt zu bekommen. Keinen Streit zu haben.
Für manche ist es, Aufgaben anvertraut zu bekommen.
Für manche ist es, keine Aufgaben übernehmen zu müssen.
Manche wollen an jeder Entscheidungsfindung beteiligt sein.
Andere sind froh, sich nicht mir jeder Entscheidungsfindung herumschlagen zu müssen.
Für manche sind es Blumensträuße.
Für manche ist es die Aufmerksamkeit, die ihnen „der Pastor persönlich“ widmet.
Für manche ist die Währung dafür, dass sie sich anerkannt und wertvoll fühlen, ihre Teilhabe an Gemeinschaft. „Werde ich zum Geburtstag eingeladen?“
Diese Währung führt umgekehrt dazu, auch selber nur diejenigen einzuladen, die meiner Wertschätzung wert sind.
Was auch immer unsere Währung ist: Wir werden sie auch anderen gegenüber anwenden.

Für manche ist die Währung tatsächlich Geld. In manchen Bereichen unseres Lebens ist das klarer, in anderen weniger. Ausgerechnet am ausbezahlten Geld macht sich auch in Gemeinden mancher Streit fest. Manchmal geht es dabei immerhin um den Bedarf der anderen. Meistens geht es um die Leistung der anderen. In beiden Fällen wird verglichen – um daraus Schlüsse zu ziehen in Bezug auf die eigene Anerkennung und den eigenen Wert in der Gemeinde.

Manche mögen an dieser Stelle einwenden: „Bei sowas an Geld zu denken, ist doch unsinnig, kleinlich und unchristlich. Geld ist doch nicht alles!“ Ja, aber auch der Weinbergsbesitzer hat sowas Unsinniges und Kleinliches und Unchristlliches wie Geld eingesetzt. Und er hat genau damit zum Ausdruck gebracht, dass ihm alle Arbeiter gleich viel wert sind.

Womit bringen wir in der Gemeinde unsere Wertschätzung zum Ausdruck?
Was brauche ich persönlich für Erfahrungen in der Gemeinde, die mir vergewissern: Ich werde wahrgenommen? Ich bin gleich viel wert?

Erst wenn ich weiß, was das ist, kann ich selber einschätzen, ob ich „meinen Lohn“ als „angemessen“ empfinde.

Ein paar Beispiele von mir selbst als Pastor: Wenn ich das hier wegen des Geldes machen würde, müsste meine Selbsteinschätzung unangemessen gering sein. Wenn ich meine Arbeit daran messen würde, wie viele Menschen bei unseren Veranstaltungen zusammensitzen, müsste ich an manchen Tagen unangemessen schlecht von mir denken. Wenn ich meinen Selbstwert daran messen würde, wie viel Lob und Dank ich dafür bekomme, ebenso. Auch mit der „Währung“, wie ich mich hinterher fühle, bewege ich mich auf sehr dünnem Eis. Ich stehe tatsächlich vor der Frage: Was ist mein persönliches Belohnungssystem?

Im Gleichnis vom Weinbergsbesitzer wird deutlich, dass wir mit unserem Lohn zumindest nicht erst auf das Himmelreich warten müssen. Auch heute schon können wir einen Lohn erwarten und erhalten. Aber WELCHEN?

Das können wir nur für uns persönlich beantworten!
Was ist dein Belohnungssystem? Was erwartest du? Woran erkennst du den Wert, den du in Gottes Augen hast? Was brauchst du, um dich gerecht behandelt zu fühlen?

Erst wenn wir das wissen und anderen mitteilen, können wir als Gemeinde schauen, wie wir damit umgehen wollen. Wir müssen also unsere Karten auf den Tisch legen – vor uns selbst und voreinander. Wir können uns dann immer noch vergleichen, wenn wir mal Erste, mal Mittelmaß und mal Letzte sind – aber darin können wir dann von jeder Seite aus Erfahrungen der Wertschätzung und Liebe Gottes machen.

Wenn ich weiß, woran ich meinen Selbstwert messe, kann ich lernen, damit umzugehen. Wenn ich in einem Belohnungssystem stecke, das mich und andere vergiftet, wird Gott das vielleicht auch mal NICHT weiter füttern. Der Weinbergsbesitzer geht nicht auf den Wunsch der Ersten ein, mehr Lohn zu bekommen als größere Wertschätzung ihres Einsatzes. Dieses Belohnungssystem streut Gift. Es würde sie selbst dazu antrieben, immer mehr leisten zu müssen, um sich weiterhin ihres Lohnes gewiss zu sein.

4.) Warum lässt Gott uns Wertschätzung zuteil werden?

Viele glauben, dass Gott tatsächlich genau solche Belohnungssysteme einsetzt. „Nur, wenn wir genug beten und genug danken und genug loben, ist Gott nett zu uns. Wenn etwas in deinem Leben schief läuft, musst du halt mehr beten und mehr danken und mehr loben – dann bekommst du auch mehr Lohn.“
Der Gott in dem Weinbergsgleichnis ist fern davon. Gott selbst lebt NICHT in einem Belohnungssystem, in dem Gott ihre Wertschätzung gegen unsere „religiöse Vorleistung“ aufrechnet. Gott gibt „einfach so“.

Wenn wir unser Belohnungssystem durchschauen, ist das ein erster großer Schritt in die Richtung, es nutzbar zu machen – oder frei davon zu werden.

  • Welches Belohnungssystem unterstelle ich Gott?
  • In welchem Belohnungssystem messe ich selbst meinen Wert?
  • Und welches Belohnungssystem halte ich aufrecht, um anderen ihre Wertschätzung widerzuspiegeln oder wegzunehmen?

Es ist nicht immer einfach zuzugeben, dass wir etwas erwarten und was das ist. Aber es kann uns helfen, unsere inneren Belohnungssysteme zu erkennen.
Manche unserer Belohnungssysteme werden dann genutzt werden können.
Andere unserer Belohnungssysteme werden dann geheilt werden können.

 

Gott, hilf uns, als Gemeinde mit den verschiedenen Möglichkeiten, die wir als Einzelne mitbringen, gut umzugehen. Schenke sowohl denjenigen, die sich als Erste sehen, als auch denjenigen, die sich als Letzte sehen, den Wunsch, dass wir im Miteinander statt im Gegeneinander den Segen deiner Gemeinschaft spüren. Hilf uns, eine bedarfsorientierte Gemeinde zu sein, in der Leistung dem Wohle aller dient. Hilf uns, deine Wertschätzung für uns selbst und für alle hier wahrzunehmen, anzunehmen und weiterzutragen.
Christus erhöre uns.

 

 

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