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Home | „Wir sind. So oder so.“ So lautet das Motto für den diesjährigen CSD in Köln. Christentum findet oft unter einem anderen Motto statt: „Wir sind. Und zwar genau SO.“

„Wir sind. So oder so.“ So lautet das Motto für den diesjährigen CSD in Köln. Christentum findet oft unter einem anderen Motto statt: „Wir sind. Und zwar genau SO.“

Predigt MCC Köln
Ines-Paul Baumann

Lk 7,1-10: Der Hauptmann von Kapernaum
(Lese-Tipp: Bibel in gerechter Sprache)

 

„Wir sind. So oder so.“ So lautet das Motto für den diesjährigen CSD in Köln:

„Laut, bunt und vielfältig. Wir sind mehr als eine schrille Minderheit.
Wir sind Frauen und Männer, Zahnarzt und Mechatronikerin, Mütter und Väter, Sohn und Enkelin, arm und reich, jung und alt, Moslem und Atheistin. Wir sind in Mekka und auch in Rom.

Wir sind. Wir sind da, egal was in Berlin oder anderswo entschieden wird. Wir waren schon immer da und werden es auch immer sein. Wir sind. So oder so.

Mit Unterstützung der Politik. Oder ohne.
Mit dem Segen der Kirche. Oder ohne.
Mit der Zustimmung der Familie. Oder ohne.
Wir sind. So oder so.“

(http://www.csd-cologne.de)

Das Motto soll Vielfalt zum Ausdruck bringen und Mut machen, die eigenen Wege im Leben zu suchen und zu gehen. Wir sind unterschiedlich, wir leben unterschiedlich, wir lieben unterschiedlich: Nicht alle Menschenlieben heterosexuell. Aber auch von denen, die es nicht tun, sind nicht alle gleich. Es gibt nicht „DIE Heterosexuellen“, „DEN Schwulen“, „DIE Lesbe“, „DIE Transfrau“ und „DEN Asexuellen“. Auch innerhalb der Szene möchte das Motto daran erinnern, wie unterschiedlich Menschen und ihre Lebensentwürfe sind. „Wir sind. So oder so.“

Christentum und Gemeindeleben finden oft unter einem anderen Motto statt: „Wir sind. Und zwar genau SO.“ Es gibt eine sehr klare Vorstellung davon, wie „richtig gelebter Glaube“ aussieht und wie wir zu sein haben: wie wir zu denken haben, wie wir zu fühlen haben, wie wir zu handeln haben, wie wir zu beten haben, wie wir die Welt zu sehen haben, …
Dabei geht nicht nur verloren, wie bunt und vielfältig unser Glaubensleben ist.
Dabei geht auch verloren, wie vielschichtig wir selbst oft sind.

Die Geschichte der Begegnung des römischen Hauptmannes mit Jesus stellt einige dieser angeblichen Klarheiten im Christentum auf den Kopf.

Da ist zunächst mal die seltsame Beziehung des Hauptmanns zu dem Erkrankten. Lukas nennt den Erkrankten nüchtern-sachlich den „Sklaven“ (doulos) des Hauptmanns. Der Hauptmann selbst wird zitiert mit der Wortwahl „mein Junge“ (paîs). In der damaligen Zeit war es durchaus üblich, dass sich das vermischte: Jüngere Männer standen älteren Männern zur Verfügung, und zwar nicht nur, um die Arbeit auf dem Feld zu erledigen, sondern auch für sexuelle Dienste. Dass diese Mischung nicht nur als rein ausbeuterisches Herrschaftsverhältnis wahrgenommen wurde, lässt sich auch in der Bibel finden. In Mt 12,18 wird eine Stelle aus Jesaja 42,1-12 zitiert, die dasselbe Wort benutzt, wie es der Hauptmann in Bezug auf den Erkrankten verwendet: „Siehe, mein Knecht (paîs), den ich erwählt habe, mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen gefunden hat…“

Hier wird weit mehr beschrieben als das Herrschaftsverhältnis eines Sklavenhalters zu einem Angestellten. Auch das Engagement des römischen Hauptmannes für den Erkrankten ist geprägt, ja über und über getränkt, von dem Sehnen und Wünschen und Bangen und Hoffen, wie es nicht Kommandogeber für einen Sklaven empfinden, sondern Liebende füreinander: Wie elend ist mir, wenn mein Liebster elend dran ist! Wie froh und erleichtert und gesund ist meine Seele, wenn mein Geliebter wieder Teil unserer gemeinsamen Lebensfreude sein kann!

Mit seiner Wortwahl offenbart der Hauptmann seine Gefühle für den Erkrankten. Die heutigen Bibel-Übersetzungen verharmlosen und übergehen das fast allesamt (finde erst mal eine Übersetzung, in der die unterschiedlichen Wörter in Vers 2 und Vers 7 unterschiedlich wiedergegeben werden!). So manche theologische Erwägung geht aber davon aus, dass allen, die es damals mitbekommen haben, klar war, worum es hier geht: Der Hauptmann hatte nicht nur Gefühle, sondern auch Sex – und zwar mit einem Mann.

Als dieser Hauptmann nun zu Jesus kam, bot sich eine einmalige Gelegenheit für Jesus. Es hätte keinen besseren Moment geben können. Hier und jetzt war der Tag gekommen, an dem Jesus mal sagen konnte, was er davon hält, wenn ein Mann ein Liebesverhältnis mit einem anderen Mann hat. Oh heiliger Moment der Güte Gottes, dank sei für diese Gelegenheit der Offenbarung des göttlichen Willens! Und was macht Jesus? Nutzt er diese Gelegenheit, teilt er seiner Umwelt und der Nachwelt ein für alle Mal mit, dass Gott in diesem Fall leider keinerlei Heil und Segen stiften könne, wo so verkehrte Leidenschaften Anlass des Gesuches sind? Nein. Jesus schweigt.

Warum sagt Jesus nichts? Oder hat er etwas gesagt, und die Evangelien verschweigen es uns? Aber warum sollte das der Fall sein? Ist Jesus dermaßen außer sich geraten angesichts dieser sündhaften Verwerfungen? Der geschilderte Verlauf des weiteren Gesprächs zeigt keinerlei Anzeichen für so eine Reaktion. Oder verschweigen die Evangelien ganz dezent, wie sehr sich Jesus freute über dieses offen eingestandene Liebesverhältnis unter Männern? Naja, das ist jetzt vielleicht ein bisschen an den Haaren herbeigezogen ;) Sagte Jesus dann vielleicht einfach deswegen nichts, weil es aus seiner Sicht dazu gar nichtszu sagen gab? Weil er eben keinerlei Probleme damit hatte?

Wir sollten nicht zu sehr losjubeln über diesen Triumph des Schweigens über das Verurteilen. Immerhin sagt Jesus auch gar nichts dazu, dass hier immerhin ein Sklavenhalter vor ihm steht. Liebesgefühle des Machthabers hin oder her – kann ein/e Sklave/in sich wirklich so freiwillig dazu stellen, wie er/sie selber empfindet? Der römische Hauptmann gehört zur Machtelite des römischen Reiches. Er bildet Soldaten zum Töten aus und gibt Befehle zum Töten. Er trägt den Machtapparat eines römischen Reiches mit, das einen Großteil seiner Macht mit Gewalt durchsetzt und aufrechterhält. Ein paar Jahre später lässt das römische Reich Frauen und Männer hinrichten, die Jesu Leben und Worte wichtiger finden als die des römischen Kaisers. Der römische Hauptmann ist aus frühchristlicher Erfahrung ganz klar mit einem feindlich gesinnten Machtapparat verbunden.

Für Lukas müsste dieser Hauptmann ein gefundenes Fressen sein, dass Jesus sich jeder Art von Unterdrückung und Gewalt widersetzt (eines der Lieblingsthemen im Lukas-Evangelium!). Aber auch hier: Jesus schweigt. Auch hier also: Entweder hat Jesus nichts gesagt, was Lukas gerne zitieren und weitertragen würde – oder Jesus hat tatsächlich gar nichts gesagt.

Das Einzige, was Jesus in den Evangelien thematisiert, ist der Glaube des Hauptmanns. Der Glaube dieses Hauptmannes scheint äußerst vorbildlich zu sein, wenn wir Jesus hier richtig verstehen. Seht her! So eine Glaube! Toll!

Na dann schauen wir uns diesen Menschen und sein Glaubensleben doch mal näher an: Der Mann ist von Haus aus Römer. Ein Heide. Teil des römischen Kaiserreiches, in dem nicht der jüdische Gott oder Jesus Christus verehrt werden, sondern der Kaiser. Diesem Kaiser ist der römische Hauptmann unterstellt, dessen Befehlen ist er untertan. Dass er sich mit seinem Heilungsgesuch an Jesus wendet, ändern daran erst mal gar nichts. Im Gegenteil, er macht sogar selbst deutlich, dass genau das sein Lebenszusammenhang ist: Dem Kaiser gehorchen und dessen Befehle weitergeben und durchsetzen.

Selbst wenn Jesus sich nicht darum schert, wo jemand herkommt (so offen sind wir ja mittlerweile auch als Christen…): Müsste Jesus nicht ein bisschen konsequenter und direkter sein, was das verwerfliche Leben des Hauptmannes angeht? Aus der Sicht so mancher christlicher Gemeinden würde Jesus eher so reagieren: „Lieber Hauptmann, ich bin der Sohn Gottes, und zwar des einzigen Gottes, des Gottes, der alles sieht und alles weiß und dem allein die Ehre gebührt. Gott weiß: Dein bisheriges Leben hast du komplett als Arschloch verbracht. Du machst bei einem System mit, das Leute mit Gewalt unterdrückt und ausbeutet. Dein Geschäft besteht aus Befehlen und aus Töten. Kehr um! Bereue deine Sünden! Bekenne, was du falsch gemacht hast, und wende dich ab sofort dem Guten zu. Ändere dein Leben. Ansonsten sind deine Worte hohl, ja verlogen. Vergiss nicht: So manche, die mich ‚Herr, Herr‘ nennen, habe ich nie gekannt. Solange du es nicht wirklich ernst meinst, kann ich dir leider beim besten Willen nicht helfen. Einfach hier vorbeizukommen und eine Heilung zu verlangen, die nur deine selbstsüchtigen Bedürfnisse befriedigt, das ist mit mir nicht zu machen. Ich bin Jesus! Der Weg, die Wahrheit und das Leben! Kein Selbstbedienungsladen für ein bisschen Heil und Heilung und ein schöneres Leben! Nee nee, lieber Hauptmann, so kommen wir nicht ins Geschäft. Tu Buße, bekehre dich zu mir, und dann können wir weitersehen.“

Zumindest heutzutage wäre das an manchen Orten durchaus eine realistische Reaktion auf den Hauptmann – vielleicht etwas netter formuliert (zumindest solange er seine Liebe zu einem Mann nicht erwähnt)…

Und noch etwas sollte der Hauptmann heutzutage besser unerwähnt lassen: Dass er eine nicht-christliche Religion unterstützt hat. Damals glauben die Leute, dass ihm das Pluspunkte bei Jesus verleiht: „Hey, Jesus, der Hauptmann hat uns beim Bau der Synagoge unterstützt! Er ist es wert, dass du ihm hilfst!“ Das soll er sich heute mal trauen. „Hey, Pastor, weißt du nicht, dass dieser Heide den Bau der Moschee unterstützt hat? Hilf dem bloß nicht!!“

Aus heutiger Sicht hätte der Hauptmann unter „wahren Christen“ keine guten Karten:
– Er liebt einen Mann,
– er macht als Befehlsempfänger und Befehlsgeber in einem gewaltvollen System mit,
– er hat eine nicht-christliche Religion unterstützt,
– und als Heide hat er bestimmt auch jede Menge esoterischen Kram mitgemacht.
Ganz, ganz schlecht. GANZ schlecht.

Und was sagt Jesus? „Wow. Was für ein toller Kerl. Ein Vorbild des Glaubens!“

Hat er vielleicht tatsächlich alles richtig gemacht?
– Er steht offen zu seinen Gefühlen und für seinen Geliebten ein.
– Er hat anderen Menschen ermöglicht, ihre Religion zu praktizieren, auch wenn es nicht seine eigene ist.
– Er ist nicht nur darüber informiert, was in anderen Religionen wichtig ist, er erkennt dies auch an: Er achtet darauf, dass der Jude Jesus nicht die Reinheitsgebote der jüdischen Religion brechen muss – was nämlich der Fall wäre, wenn der Jude Jesus das Haus des unreinen Nichtjuden betreten würde. „Ich bin nicht würdig, dass du einkehrst in mein Haus“ ist die Anerkennung dieser religiösen Regel. Aus meiner Sicht hat das nichts mit dem eigenen Selbstwertgefühl zu tun – hier geht es darum, dass einer die Regeln einer Religion kennt und respektiert, der er nicht mal angehört. Sein Blick, seine Aufmerksamkeit gelten seinem Gegenüber: Jesus soll sich nicht in Schwierigkeiten bringen, sondern ganz in der Religion verbleiben, die ihm selber wichtig ist, zu der er selber gehört. Würden Menschen heutzutage doch nur ansatzweise so viel Kenntnis und Respekt haben, wenn es um die Religionen ihrer Mitmenschen geht!

Der Hauptmann ist sicher nicht einfach nur „der Gute“ – oder „der Schlechte“. Der Hauptmann war nicht einfach Heide oder Jude oder Anhänger Jesu. Er war nicht einfach nur als Römer Teil der Mehrheitsgesellschaft und mit seiner Männerliebe Teil einer Minderheit. Er hat nicht nur auf die Macht zum Töten gebaut, er hat auch auf die Macht zum Heilen gebaut. Er hatte offenkundig verschiedene Seiten. Manche fanden ihn ganz sympathisch, andere werden ihn ganz schrecklich gefunden haben. So oder so: Jesus hat dem Geliebten des Hauptmannes Heilung geschenkt, und uns sind keine anderen Worte überliefert als die der Anerkennung für dessen Glauben.

Auch wir sind so oder so: ganz unterschiedlich und jeweils ganz vielschichtig. Auch wir finden manche unserer Mitchristen sympathisch und andere ganz furchtbar. Aber lasst uns damit umgehen wie Jesus und miteinander (und für einander) Heilung gestalten. Lass uns einander darin anerkennen, wie wir unseren Glauben an Jesus jeweils verstehen.

In dem Hauptmann und Jesus begegnen sich Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Aber der Hauptmann begegnet Jesus mit Respekt und Anerkennung – und Jesus begegnet dem Hauptmann mit Respekt und Anerkennung. Statt als Feinde sehen sie ineinander die Würde, ja den heiligen Wert des anderen. Der eine ist so, der andere ist so. Die beiden bekehren einander nicht, sie werten einander nicht, sie erkennen einander an. Und genau da geschieht Heilung.

Egal, ob und wen du liebst und welchen Beruf du hast und welche religiösen Erfahrungen du mitbringst und ob andere dich richtig nett oder richtig schrecklich finden – über all das verliert Jesus keine Worte….: Jesus ist bereit, deiner Liebe Heilung zu schenken und deinen Glauben anzuerkennen – so oder so: ganz egal, was andere darin sehen.

 

Geist des lebendigen Gottes,
gegenwärtig in unserer Mitte,
kehre ein in dich,
Körper, Seele und Geist,
und heile dich von allem, was dir schadet,
im Namen Jesu Christi.
Amen.

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