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Wenn Gott das Blatt wendet. Ein Beispiel aus der Geschichte.

Predigt MCC Köln
Daniel Großer

Wie alle Psalmen gehört Psalm 147 zum Alten Testament, also zum ältesten Teil der Bibel, das den gemeinsamen Kern des Christentums und Judentums begründet. Das AT beschreibt die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel, und es ist inzwischen ca. 2200 Jahre alt. Anhand einiger Fragen wollen wir gemeinsam die Wurzeln des Psalms entdecken.

Weltgeschichte

Das Buch der Psalmen wurde über einen langen Zeitraum verfasst, und viele unterschiedliche Autoren waren daran beteiligt. Der Verfasser des Psalms 147 kann nicht mehr genau bestimmt werden, einige Quellen mutmaßen einen Einfluss Nehemias. Etwas mehr Einigkeit herrscht bezüglich des Entstehungszeitraums. Einige Verse des Psalms legen die Vermutung nahe, dass der Psalm in Zusammenhang steht mit der Rückkehr des Volkes Israel aus der Verschleppung in Babylon.
Im Jahre 586 v. Chr. erlebt das Volk Israel einen vorläufigen Höhepunkt des Niedergangs. Bereits nach König Salomo zerfällt Israel politisch in ein Nord- und in ein Südreich. Mit der Zeit fällt es deren Königen immer schwieriger, für religiösen und politischen Frieden zu sorgen. Zahlreiche blutige Kriege und innere Streitereien schwächen das Land, sorgen immer wieder für Tod und Verschleppung. Das Buch der Könige beschreibt, wie die Führer des Volkes eigensinnig und selbstgefällig regieren, und welche Folgen das nach sich zieht. Die beiden Königreiche werden immer wieder belagert und besetzt. Sie entwickeln sich zum Spielball der großen Nachbarreiche. Im Jahr 722 v. Chr., ca. 130 Jahre vor Psalm 147, wird das Nordreich endgültig von den Assyrern vernichtet. Die gesamte religiöse und politische Oberschicht wird umgesiedelt und geht im großen assyrischen Reich auf. Mit dieser klugen Politik der Entwurzelung verhindern die Assyrer, dass es zu Aufständen kommt, denn der Kern der Gesellschaft ist in alle Winde zerstreut.

Die Politik des Südreiches mit seiner Hauptstadt Jerusalem verläuft nur wenig geschickter. Das Buch Jeremia berichtet uns vom Werdegang des Südreiches. Das Südreich versucht, seinen Machtbereich auszudehnen, überhebt sich aber mit dem babylonischen Großreich. So gerät es in Abhängigkeit, wird zum Vasallenstaat. Als es sich gegen Babylon auflehnt, kommt es wieder zum militärischen Konflikt. Jerusalem wird 586 v. Chr. von König Nebukadnezer erobert, Stadtmauer und Tempel zerstört. (Welche Wirkung muss das auf die Menschen gehabt haben! Die Stadtmauer, Symbol des Schutzes und der Geborgenheit – vernichtet! Der Tempel, Zeichen der Nähe und Liebe Gottes – vernichtet!)

Nebukadnezer wendet eine ähnliche Taktik an, wie die Assyrer beim Nordreich: Die wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Führung des Volkes wird zwangsumgesiedelt. Wir müssen uns diese Gefangenschaft nicht als Sklaverei oder Fronarbeit vorstellen. Babylon wollte die eroberten Völker integrieren, um sie gefügig zu machen. Die Eliten wurden umgesiedelt, führten aber ein einfaches Leben weiter. Sie arbeiteten, handelten, heirateten und konnten sogar innerhalb des babylonischen Reiches aufsteigen. Indem sie sich mit Babylon arrangierten verloren sie ihre nationale und kulturelle Identität. Damit konnte Babylon sicherstellen, dass die unterjochten Staaten sich nicht mehr zusammenrauften und aufständig wurden. Wie das Nordreich zerstreut worden war und in der Geschichte versank, so drohte auch das Südreich in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Nach einer Jahrhunderte langen Ära des Niedergangs und Abstiegs wäre es damit aus und vorbei gewesen mit dem Volk Israel.
Aber Gott wendet das Blatt der Geschichte.

In der Zeit des Exils teilt sich die israelitische Gesellschaft in zwei Hälften auf:

– Daheim in Juda bleiben die einfachen und armen Menschen, die Bauern, Landarbeiter, Viehzüchter, die einfachen Gemüter. Es sind die, deren eigenes Schicksal immer an ihren Führern hing, die besonders über ihre Anführer in Kontakt standen mit Gott. Es sind die Verführten, die immer wieder unter ihren Führern litten.

– In der Ferne, im Exil sind die Anführer und Herrscher, die Priester, Gelehrten, Verwalter, Minister, Räte und Stadtherren. Es sind die, die immer geführt haben, die stets Macht und Einfluss ausübten, und die sich darin immer wieder verirrten.

Gott wendet das Blatt der Geschichte, indem er die Schicksale seiner Menschen wandelt:

Aus den Geführten werden Führende. Babylon setzt in Juda keine eigene Herrscherschicht ein. Das einfache Volk bleibt führerlos – aber damit auch VER-führerlos. Stattdessen gibt es Verwalter aus dem Volk, die die wesentlichen Dinge des öffentlichen Lebens regeln. Gott befreit die Verführten und bewahrt ihre Identität als Volk Israel, auch wenn es den politischen Staat nicht mehr gibt.

– Die umgesiedelten Israeliten sind nicht mehr zuhause und die Chancen stehen schlecht, dass es je wieder zuhause sein wird. Ausgerechnet in der Ferne kommt Gott ihnen aber nahe und wohnt bei ihnen. Wir erfahren davon in den Büchern Daniel und Esther, aber auch die Geschichtsschreibung zeigt uns eine erstaunliche Wende. Obwohl sich die Israeliten gut in Babylon einleben, halten sie fest an ihrem Glauben. Der Tempel ist unverfügbar, also entstehen die ersten Synagogen der Geschichte. Mehr und mehr Teile des AT werden aufgeschrieben. Die Verführer werden zu Geführten, und Gott ist mit ihnen in der Ferne.

Ab 520 v.Chr. kehren die ersten Juden wieder aus dem Exil zurück in eine Heimat, die die meisten von ihnen noch nie gesehen haben, denn inzwischen sind fast 70 Jahre vergangen.
Diese Zeit der Rückkehr wird uns in den Büchern Esra und Nehemia beschrieben. Jersusalem wird schrittweise wieder aufgebaut, die Stadtmauern neu errichtet. Gottes geliebtes Volk kehrt nach Hause zurück, es scheint endlich bei Gott angekommen zu sein. In dieser Zeit entsteht unser Psalm 147.

Gesellschaftsspiegel

Die Gesellschaft jener Zeit ist eine vorantike Gesellschaft. Bedingt durch die Vorgeschichte ist das Volk arm. Die Mehrheit der Menschen verdient ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft als Wein-, Obst-, Kornbauern, als Viehzüchter, als Tagelöhner, einfache Handwerker (Töpferei, Tischlerei, …). Im Unterschied zu uns heute identifizieren sich die Menschen nicht durch ihren Beruf, ihre Tätigkeit oder ihre Hobbys, sondern über ihre Familie. Die Familie ist der feste, innere Kern der damaligen Lebenswelt. Sie spielt für das Alltagsleben eines Israeliten eine ungeheuer prägende Rolle und ist präsenter als Staatsgewalt und Obrigkeit. Berufswahl, Wahl des Partners, Wahl des Wohnorts, Versorgung im Alter, religiöse Erziehung, all das ist eng mit den Familien verzahnt.

Darüberhinaus leben die Menschen dieser Zeit viel näher an den Urgewalten. Die Nächte sind viel dunkler als heute, es gibt keine Straßenbeleuchtung, und Öllampen oder Fackeln werfen bestenfalls ein mattes Licht in die Räume. Raubtiere sind eine reelle Bedrohung. Krankheiten können oft nicht behandelt werden. Die meisten Menschen sind von früh bis spät unmittelbar mit dem Broterwerb beschäftigt. Geborgenheit ist ein viel grundlegenderes Bedürfnis, als wir es kennen.

Vor dem Hintergrund des gewonnenen Wissens: Wie liest sich der Psalm nun? Welche Wirkung könnte er auf einen Leser aus der damaligen Zeit gehabt haben?

Psalm 147Halleluja – lobt den Herrn!
Es ist gut, unserm Gott Loblieder zu singen;
es macht Freude, ihn zu loben.Der Herr baut Jerusalem wieder auf.
Er bringt die Israeliten zurück,
die aus ihrem Land verschleppt wurden.Er heilt den, der innerlich zerbrochen ist,
und verbindet seine Wunden.
Er hat die Zahl der Sterne festgelegt
und jedem einen Namen gegeben.

Wie groß ist unser Herr und wie gewaltig seine Macht! Unermesslich ist seine Weisheit.
Der Herr richtet die Erniedrigten auf
und tritt alle, die sie unterdrückt haben, in den Staub.

Singt dem Herrn Danklieder!
Spielt für unseren Gott auf der Harfe!
Er überzieht den Himmel mit Wolken
und lässt es auf der Erde regnen.
Er sorgt dafür, dass Gras auf den Weiden wächst, und gibt den Tieren Futter –
auch den jungen Raben, wenn sie danach krächzen.

Vielen Menschen erwarten ihre Sicherheit von starken Armeen und guten Soldaten.
Gott aber lässt sich davon nicht beeindrucken.
Er freut sich über alle, die ihm in Ehrfurcht begegnen und von seiner Gnade alles erwarten.

Jerusalem, lobe den Herrn!
Du Stadt auf dem Berg Zion, rühme deinen Gott!
Er gewährt dir Schutz in deinen Mauern und segnet deine Kinder.
Er gibt deinem Land Frieden und Wohlstand und schenkt dir bei jeder Ernte die besten Erträge.

Er sagt nur ein Wort zur Erde,
und was er befiehlt, geschieht sofort.
Er lässt es in dichten Flocken schneien
und überzieht alles mit Rauhreif.
Dicke Hagelkörner lässt er auf die Erde prasseln, er schickt klirrende Kälte, die kaum zu ertragen ist.
Er gibt einen Befehl, und schon schmilzt der Schnee; er lässt den Frühlingswind wehen, und schon taut das Eis.
Auch Israel hat er sein Wort verkündet,
damit sein Volk nach seinen Gesetzten und Ordnungen lebt.
An keinem anderen Volk hat Gott so gehandelt.r> Kein anderes kennt seine Ordnungen.
Halleluja!

Wie würde ein Leser der heutigen Zeit den Psalm schreiben, um das gleiche Wissen in Worte zu fassen? Wie können wir unsere Erfahrungen mit Psalm 147 verbinden?

  • Hat Gott in deinem Leben gewirkt?
  • Hast du erlebt, dass etwas für dich schlimmes dennoch gutes für dich brachte?
  • Hast du erlebt, wie es ist kein zuhause zu haben? Hast du erlebt, wie es ist bei Gott anzukommen?
  • Hast du erlebt, wie es ist ausgeliefert zu sein? Hast du erlebt, wie Gott dich trägt?
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