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Du hast selber erlebt, wie man über dich gerichtet hat, oder?

Predigt MCC Köln 13. Dez. 2015
Daniel Großer

1. Korinther 4,1-5: „Kein Recht zum Richten“

Lieber Paulus!

Ich schreibe dir, weil ich mich bei dir entschuldigen möchte. In meiner Bibel steht ziemlich viel von dir, du musst sehr fleißig gewesen sein. Einiges wurde dir aber sicher auch angedichtet, wie ich heute weiß. Wahrscheinlich hättest du dir nie träumen lassen, wieviele Menschen das einmal lesen, und über welche Zeiträume.

Ich möchte mich bei dir entschuldigen, weil ich das selber ganz schön oft vergessen habe. Oft habe ich deine Briefe gelesen und dabei nur an mich gedacht, ganz so, als würdest du in meiner Stadt leben. Aber das tust du natürlich nicht. Du bist in einer vollkommen anderen Welt aufgewachsen, fast alles hat sich geändert in den letzten 2000 Jahren. Ich halte mich oft für klug, dabei übersehe ich doch so oft, dass deine Welt ganz anders gewesen sein muss, als meine. Wenn ich dann etwas von dir las, was mir nicht passte, dann hielt ich dich für rückständig und blind. Das tut mir Leid, lieber Paulus – der Blinde, das bin ich.

Ich habe auch übersehen, dass du auf deinen langen Reisen so vieles getan hast, und dass das Briefeschreiben nur ein kleiner Teil davon war. Du musst soviel erlebt haben mit den Menschen, unter denen du gearbeitet hast. Wieviele schöne Abende, wieviele schwere Tage, wieviel harte Arbeit magst du gekannt haben? Ich weiß es nicht. Stattdessen bin ich davon ausgegangen, dass die einzige Aufgabe deines Lebens war, Briefe zu schreiben. Ich habe mich dazu hinreißen lassen zu glauben, dass deine gesamte Klugheit, dein ganzes Herz, deine größte Schaffenskraft in diesen Briefen steckt. Deswegen habe ich mich daran gestört, wie bruchstückhaft, zusammengewürfelt und schroff sie sind. Die Schuld daran habe ich insgeheim dir gegeben.

Dafür möchte ich mich bei dir entschuldigen. Ich war oberflächlich. Ich, der ich in jeder Minute um den ganzen Globus telefonieren oder schreiben kann, ich habe gedacht, es müsse dir genauso gehen. Ich habe nicht verstanden, dass du hunderte Kilometer von deinen Gemeinden entfernt warst, dass ein einziger Brief wochenlang gereist sein muss, dass du nie wissen konntest, ob die Menschen überhaupt noch leben, an die du in deinen Briefen gedacht hast. Nein, du hattest es schwer. Unter diesen Bedingungen noch echte Beziehungen zu halten, dass muss dir gelungen sein, weil du zuvor viel Zeit und Liebe in diese Beziehungen investiert hast. Du hast die Menschen gekannt und wusstest, was du ihnen schreibst, und wie sie es verstehen werden.

Ich bitte dich um Verzeihung, denn ich bin in meiner Selbstbezogenheit davon ausgegangen, dass deine Briefe an mich gegangen wären. An mich, den du doch gar nicht kanntest, mit dem du keine Beziehung aufgebaut hast, und an den du deine Briefe auch gar nicht gerichtet hast. Ich bitte dich um Verzeihung, dass ich alles so unvorsichtig persönlich genommen habe, und dass ich deine Briefe nicht wertgeschätzt und hochgehalten habe als Zeugnisse einer sehr intimen Gemeinschaft zwischen dir und deinen Glaubensgeschwistern.

Ich bitte dich um Entschuldigung, denn ich habe dir unterstellt, du seist ein herzloser Hardliner. Die zarten und aufrichtigen Zweifel und Unsicherheiten, die du den Mut hattest aufzuschreiben, die habe ich überlesen, sie haben nicht in mein Bild von dir gepasst. Vielleicht war ich so hartherzig in meinen Gedanken zu dir, weil du mir in Wirklichkeit so ähnlich bist, und ich darüber manchmal erschrecke.

Ich bitte dich um Verzeihung, denn ich weiß nicht, ob ich es anderen Menschen schwer gemacht habe mit dir, wenn sie mich von dir reden hören haben. Das kann ich nicht zurücknehmen und es tut mir ausgesprochen Leid.

Du schreibst im 1. Brief an die Korinther am Anfang von Kapitel 4 vom Richten und Gerichtet-werden, und davon, dass man einen Haushälter nach seiner Treue beurteilt. Du hast selber erlebt, wie man über dich gerichtet hat, oder? Ich vermute, auch du hättest dir gewünscht, dass man mit dir spricht, und nicht über dich. Und das ganz besonders deswegen, weil du die Menschen doch so gut kanntest, an die du schriebst. An deiner Stelle wäre ich sehr traurig gewesen, wenn vermeintliche Freunde sich so verhalten, wenn sie ihre Gedanken verbergen, wenn sie Streit suchen, wenn sie Menschen gegeneinander ausspielen.

Ich bewundere, wie du damit umgegangen bist. Du hast sie direkt angesprochen. Nicht anklagend, nicht verzweifelt, nicht vorwurfsvoll, nicht beleidigt und nicht partei-ergreifend, aber mahnend und bestimmt. Gerade so, als wäre die ganze Kritik wie Wasser an dir abgeperlt. Mich beeindruckt das Bild vom treuen Hausverwalter, der du dir wünschst zu sein.

Das hat an meinem Bild von dir gerüttelt, lieber Paulus. Du hättest ja auch sagen können, dass du an deinem Erfolg, oder an der Wahrheit deiner Lehre gemessen wirst, oder daran, wie stark deine Gemeinden sind. Das ist zumindest das, woran ich geneigt bin, meinen Erfolg zu messen oder den meiner Gemeinde.

Aber du erzählst vom treuen Hausverwalter. Und treu sein, dass war sicher auch für dich etwas anderes, als “immer richtig liegen”. Du wolltest treu sein, nicht perfekt. Ich spüre deinen Worten nach und denke, dass du dir selber den Platz lassen konntest, auch mal im Dunkeln zu tappen – auch wenn das an ganz anderen Punkte gewesen sein mag, als ich immer geglaubt habe. Lieber Paulus: Wie anders hätte ich deine Briefe gelesen, wenn ich dich gekannt hätte! Wie anders mögen deine Gemeinden deine Briefe gelesen haben: als eine Ermahnung von einem echten Freund, der die Weisheit eben nicht für sich gepachtet hatte, und der es sich vielleicht gerade deswegen erlauben konnte, ehrlich zu sein. Deine Leser brauchten keine Angst davor haben, dass du ihnen Oberlehrerhaft kommst, denn so kannten sie dich nicht. Auch als Besserwisser bist du ihnen nicht gekommen.

Ich denke, du bist ihnen genau so in Erinnerung geblieben: als treuer Hausverwalter. Als einen, auf den man auch dann zählen kann, wenn der Wind rauer weht. Jemand, der andere wichtiger nehmen kann, als sich selbst. Der nachdenkt, bevor er spricht, und der – wenn er spricht – wohl überlegt hat, was er sagt. Jemand, der über sich hinausdenkt, weil er Gottes Sache zu seiner eigenen gemacht hat.

Lieber Paulus, ich kann dir nicht versprechen, dass die lange Geschichte unserer Missverständnisse ihr Ende gefunden hat. Vielleicht werde ich dir noch oft Unrecht tun. Aber die Sache Gottes zu unserer eigenen machen zu wollen, und darin treu zu sein, das haben wir doch gemeinsam. Wenn es mir nur ein bisschen so gelingt wie dir, wenn man mir den Wunsch glauben kann, ein treuer Hausverwalter sein zu wollen, dann teilen wir einen Traum.

Lieber Paulus, so danke ich dir für deine überlegten und bescheidenen Worte. Walte Gott, dass unser gemeinsamer Traum Früchte hat.

Dein
Daniel


Gott, diese Welt ist dein Haus, das du uns anvertraut hast.
Wir bringen vor dich das Töten in deinem Haus, in Kriegen um Öl, um Rohstoffe, und um Geld. Mach den Kriegstreibern die Sinnlosigkeit ihrer Gewalt klar. Lenke die Entscheidung unserer Regierung, damit sie der Gewalt wirksam entgegentritt, anstatt Waffen einzusetzen.
Christus, erhöre uns.

Gott, diese Welt ist dein Haus, das du uns anvertraut hast.
Wir bringen vor dich die Einsamkeit in deinem Haus, in kaputten Familien, in Pflegeheimen, in Außenseiterinnen und Ausgegrenzten. Hilf unseren Familien dabei, Zeit füreinander zu finden und sich nicht in Fernsehen, Unterhaltungselektronik und Alkohol zu verlieren. Hilf jungen Menschen dabei, stärker als der Gruppendruck zu sein, damit sie zu sich stehen können. Sprich jedem Menschen ein Wort deiner Liebe ins Ohr.
Christus, erhöre uns.

Gott, diese Welt ist dein Haus, das du uns anvertraut hast.
Wir bringen vor dich die Angst in deinem Haus, die Angst der Reichen vor Armut, die Angst der Einsamen vor den Menschen, nach denen sie sich sehnen, die Angst der Kranken vor Schmerz und Sterben. Hilf uns, eine Gemeinschaft zu sein, die Angst wahrnimmt, und in der Hoffnung wachsen kann.
Christus, erhöre uns.

Gott, diese Welt ist dein Haus, das du uns anvertraut hast.
Wir bringen vor dich die Ausweglosigkeit in deinem Haus. Menschen tasten vergebens nach Auswegen aus Süchten, aus zerstörerischen Beziehungen, aus der Enge ihrer Grenzen. Zeige jedem Menschen Wege, die er gehen kann. Zeige uns, welche Wege wir gehen können.
Christus, erhöre uns.

Gott, diese Welt ist dein Haus, das du uns anvertraut hast.
Wir bringen vor dich die Kaltherzigkeit in deinem Haus. Wo Menschen sich selbst und anderen nicht verzeihen können, wo sie anderen schlechtes wünschen, wo sie taub geworden sind für die Geschichten ihrer Mitmenschen, da wecke frische Neugier, Sanftmut und Güte. Schenke uns in der lauten Adventszeit Stille mit dir.
Christus, erhöre uns.

Gott, diese Welt ist dein Haus, das du uns anvertraut hast.
Wir bringen vor dich das, wofür du ins als Haushalter eingesetzt hast, damit wir in fester Treue schützen, bewahren, pflegen, erhalten und vorbereiten.
In der Stille bitten wir dich, uns die Augen zu öffnen für den Dienst, den du uns übertragen hast, wir können aber auch uns und das vor dich bringen, was deiner Hilfe bedarf.
(…)
Christus, erhöre uns.

Treuer Gott, wir warten auf dich, und du wirst unser Gebet hören. Wir preisen dich zusammen mit allen Engeln und allem, was dich loben kann.
AMEN.

 

 

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